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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 12.02.2003
Aktenzeichen: 2 M 273/02
Rechtsgebiete: BImSchG, 4. BImSchV, VwGO


Vorschriften:

BImSchG § 3 I
BImSchG § 6 I Nr 1
BImSchG § 10 II
BImSchG § 10 III
BImSchG § 10 IV
BImSchG § 10 VI
BImSchG § 10 VIII
BImSchG § 10 IX
BImSchG § 16 I
BImSchG § 22
4. BImSchV § 1 I
4. BImSchV § 1 II
4. BImSchV § 1 III
VwGO § 80a
1. Rübenerde-Kassetten gehören zwar nicht zum Kernbestand einer Zuckerfabrik, haben aber dienende Funktion und sind deshalb nicht nach Baurecht, sondern nach Bundesimmissionsschutzrecht zu behandeln.

2. Allein der Umstand, dass nicht das richtige Verfahren eingehalten ist, vermittelt keinen Nachbarschutz. Vorgezogenen Drittschutz im Verfahren vermitteln allerdings § 10 Abs. 2-4, 6, 8, 9 BImSchG, sofern die Rechtsgüter-Beeinträchtigung nicht offensichtlich und eindeutig unmöglich ist.

3. Ein Geruchseinfluss auf Hopfenpflanzen ist nicht von vornherein auszuschließen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 273/02

Datum: 12.02.2003

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung für die Errichtung von zwei Rübenerdekassetten.

Die Beigeladene betreibt seit 1993 ... eine Zuckerfabrik. Das gesamte Erdablagerungs- und Erdzwischenlagerungssystem, das an den Betrieb der Zuckerfabrik angegliedert ist, setzt sich derzeit aus vier Rübenerdekassetten zusammen. Dabei handelt es sich um jeweils 25.000 m² große Becken mit einem Fassungsvermögen von 75.000 m³, die der Behandlung der im Rahmen des Zuckerrübenwaschprozesses entstehenden Rübenerde-/Wassersuspension dienen. Ziel der Behandlung in den Erdkassetten ist die weitgehende Abtrennung des Wassers aus der Rübenerde-/Wassersuspension, die beim Waschen der Rüben während der Zuckerrübenkampagne entsteht, um nach einem Zeitraum von drei bis vier Jahren die abgetrocknete Rübenerde wieder auszufahren und z. B. landwirtschaftlich verwerten zu können. Die Beschickung der Erdkassetten mit der Suspension erfolgt ausschließlich in der Zuckerrübenkampagne, die üblicherweise von Mitte/Ende September bis Mitte/Ende Dezember dauert. Zu diesem Zweck wird die Suspension in die Erdkassette gepumpt. Die Rübenerde sedimentiert, und es bildet sich ein Überstandswasser, welches kontinuierlich abgezogen und einer Abwasserbehandlungsanlage zugeführt wird. Nach der Kampagne wird das restliche Überstandswasser von der Erdkassette abgepumpt, und es erfolgt eine Strohabdeckung und die anschließende Aussaat von Weidelgras, das einerseits ein Aufbrechen der Erdoberfläche bei zu starker oberflächlicher Austrocknung der Erdkassette verhindern und andererseits für eine zusätzliche Entwässerung der Rübenerde sorgen soll.

Mit Bescheid vom 14.05.2002 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen auf ihren Antrag eine Baugenehmigung für den Bau und Betrieb von zwei weiteren Rübenerdekassetten (Nrn. 5 und 6) in den Gemarkungen G., ..., und H., ... . Eine dieser Kassetten soll nach den Planungen der Beigeladenen als Zwischenstapelteich für das abgepumpte Abwasser genutzt werden, um dieses sodann in die Abwasseranlage ableiten zu können.

Gegen die Baugenehmigung erhob der Antragsteller, der südwestlich in etwa 200 Meter Entfernung zu den im Bau befindlichen Rübenerdekassetten landwirtschaftlich Hopfen und Heilpflanzen anbaut, am 23.05.2002 Widerspruch und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Hierüber hat der Antragsgegner - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.

Am 07.06.2002 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Halle um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und zur Begründung ausgeführt, er werde durch die Baumaßnahme und die nachfolgende Nutzung der Rübenerdekassetten erheblich in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Die bereits vorhandenen Kassetten reichten für die Produktion völlig aus, so dass der Bau von zwei neuen Kassetten nicht erforderlich sei. Von den Kassetten gingen erhebliche Geruchsbelästigungen aus, die zu zahlreichen Beschwerden von Bürgern der Stadt ... und Umgebung geführt hätten. Die neuen Kassetten befänden sich in der Hauptwindrichtung, so dass jegliche Geruchsimmissionen, insbesondere Fäulnisgerüche, aus den Erdkassetten unweigerlich auf den von ihm angebauten Hopfen übertragen würden, insbesondere da die Zeit der Ernte des Hopfens von Ende August bis Mitte September, und die Zeit der Beckenbefüllung, wo die Gerüche noch stärker aufträten, zeitlich zumindest teilweise zusammenfielen. Gleiches gelte für die in diesem Bereich befindlichen Heilpflanzenkulturen. Gerade Hopfen nehme sehr leicht Gerüche auf, und es sei damit zu rechnen, dass seine Ware nicht mehr marktfähig sein werde.

Der Antragsteller hat (sinngemäß) beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 23. Mai 2002 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. Mai 2002 anzuordnen.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie führt unter Hinweis auf ein Geruchsgutachten aus, es sei lediglich eine Geruchshäufigkeit zu erwarten, die mit deutlich weniger als 5 % der Jahresstunden selbst für ein Wohngebiet ausreichend sei. Demgegenüber habe der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass Gerüche für die Qualität des von ihm angebauten Hopfens abträglich seien, zumal von den Kassetten in der Zeit der Hopfenreife bis zur Hopfenernte (Frühjahr bis Anfang September) keine Geruchsbelästigungen ausgingen. Da die Hauptwindrichtung Westen und die Entfernung der neu zu errichtenden Kassetten wesentlich größer sei als die schon vorhandenen, würde sich die Gesamtsituation auf den Grundstücken des Antragstellers nicht verschlechtern. Eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte des Antragstellers sei damit ausgeschlossen.

Mit Beschluss vom 21.06.2002 (Az: 2 B 27/02 HAL) hat das Verwaltungsgericht Halle dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung stattgegeben, die maßgebliche Frage, ob nachbarschützende Rechte des Antragstellers aus dem Bau- oder Immissionsschutzrecht verletzt seien, lasse sich ohne Klärung schwieriger Sach- und Rechtsfragen und ggf. auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht beantworten. Eine Beweiserhebung in Form eines Sachverständigengutachtens über die schädlichen Auswirkungen der Staub- und Geruchsimmissionen auf die Hopfenfelder des Antragstellers scheide in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren aus. Bei summarischer Prüfung stehe aber fest, dass der angefochtene Bescheid schon deshalb rechtswidrig sein dürfte, weil die unzuständige Behörde an Stelle der sachlich für das Immissionsschutzgesetz zuständigen Behörde gehandelt habe. Für eine Baugenehmigung bestehe kein Raum, weil die begehrte Genehmigung der Erweiterung der Zuckerfabrik der Beigeladenen durch zwei Rübenerdekassetten von jeweils 25.000 m² nicht nach Baurecht, sondern nach Immissionsschutzrecht zu beurteilen sei. Die Zuckerfabrik der Beigeladenen stelle eine genehmigungspflichtige Anlage i. S. d. § 4 BImSchG dar, so dass sich das Genehmigungserfordernis auch auf alle Nebeneinrichtungen erstrecke, die - wie hier - in einem räumlichen und betriebstechnischen Zusammenhang stünden. Ob die beantragte Erweiterung genehmigungsfähig sei, sei im Eilverfahren nicht zu klären; denn hierfür sei ein förmliches Verfahren nach §§ 15, 16 BImSchG vorgesehen, an dem es hier fehle. Die vorgesehene Interessenabwägung müsse deshalb zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes und zur Verhinderung vollendeter Tatsachen zugunsten des Antragstellers ausfallen, der sich als Nachbar auf die drittschützenden Vorschriften des BImSchG berufen könne. Es sei nach dem von ihm vorgelegten Privatgutachten gerade nicht schlechthin ausgeschlossen, dass seine Hopfenpflanzen durch von den Bauarbeiten und die Rübenkampagne herrührenden Staub- und Geruchsimmissionen, insbesondere unter gewissen Windeinflüssen, eine Qualitätsminderung erfahren könnten.

Am 28.06.2002 bzw. 04.07.2002 haben die Beigeladene und der Antragsgegner gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt und zur Begründung am 04.07.2002 bzw. 12.07.2002 übereinstimmend ausgeführt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Frage des richtigen Genehmigungsverfahrens im vorliegenden Verfahren rechtlich ohne Relevanz, weil die Wahl des falschen Verfahrens keine subjektive Rechtsverletzung des Antragstellers begründe. Dementsprechend sei auch die Rüge des Nachbarn, dass die die Genehmigung erlassende Behörde sachlich unzuständig sei, mangels Berührungspunkten zu subjektiven Nachbarrechten unerheblich. Dem Verwaltungsgericht sei aber auch nicht zuzustimmen, soweit dieses von einer Genehmigungspflicht nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz ausgehe; denn die beantragten Rübenerdekassetten stünden schon nicht in einem räumlichen Zusammenhang mit der Haupteinrichtung i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 4. BImSchV, weil sich der Abstand zwischen den Erdkassetten und dem eigentlichen Betriebsgelände auf 2,3 km belaufe.

Schließlich sei eine Beeinträchtigung des Antragstellers durch eine Qualitätsminderung des von ihm angebauten Hopfens auch unter Berücksichtigung der von ihm vorgelegten Stellungnahmen nicht feststellbar, zumal seine Felder nicht in der Hauptwindrichtung lägen. Außerdem würden sich die Zuckerrübenkampagne und die Erntezeit des Hopfens nur geringfügig überschneiden. In diesem Überschneidungszeitraum könnten Geruchsbeeinträchtigungen des Hopfens ausgeschlossen werden. Mögliche Geruchsemissionen lägen im Bereich der Felder des Antragstellers in einem Umfang von 2 bis 7 % der Jahresstunden und somit noch unter den Richtwerten der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) für Wohngebiete. Die Emissionssituation werde durch die beiden zusätzlichen Kassetten insgesamt verbessert. Gerade im Außenbereich seien Geruchsemissionen hinzunehmen, wobei sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme keine Besonderheiten ergäben.

Die Beigeladene und der Antragsgegner beantragen sinngemäß,

den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 21. Juni 2002 - 2 B 27/02 HAL - zu ändern

und den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er führt aus, die Rübenerdekassetten seien nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig, weil sie zwingend erforderlicher Bestandteil der Zuckerproduktion seien, wenn - wie hier - diese Form der Entsorgung der Abfallprodukte gewählt werde. Die Kassetten stünden in einem unmittelbaren räumlichen und betriebstechnischen Zusammenhang mit der Anlage, denn diese könne nur betrieben werden, wenn auch die Entsorgung der Abfälle aus der Produktion gesichert sei. Eine Genehmigungspflicht ergebe sich zudem aus Nr. 8.5 der 4. BImSchV. Er werde durch die Wahl des falschen Genehmigungsverfahrens auch in seinen Rechten verletzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen; diese sind Gegen- stand der Beratung gewesen.

Gründe:

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.2001 (BGBl I 3987), zulässig, aber unbegründet; denn das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2; 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zusteht, weil sein Interesse, von dem Vollzug der Baugenehmigung vorerst verschont zu bleiben, das Interesse der Beigeladenen und des Antragsgegners an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung überwiegt.

Der Erfolg eines Aussetzungsantrags eines Nachbarn im Baunachbarstreit hängt im Regelfall wesentlich von den Erfolgsaussichten des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache ab. Über die Erfolgsaussichten ist im Verfahren nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO - auch in der Beschwerde - im Wege einer Interessensabwägung anhand einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu befinden (vgl. hierzu: Beschl. d. Senats v. 26.10.2001 - 2 M 289/01 -). Im Baurecht hat sich die Interessensabwägung im Rahmen eines dreiseitigen Verwaltungsrechtsverhältnisses zu halten. Der rechtsschutzsuchende Nachbar steht nicht nur der Behörde gegenüber, sondern die Angriffe auf die (vermeintlich) rechtswidrige Baugenehmigung haben mittelbare Auswirkungen auch auf den beigeladenen Bauherrn. Ist die Baugenehmigung offensichtlich rechtmäßig, muss sie der Bauherr regelmäßig sofort ausnutzen dürfen; ist sie offensichtlich rechtswidrig, darf das geplante Bauvorhaben in der Regel vorläufig nicht begonnen bzw. muss eingestellt werden. Ist der Ausgang der Hauptsache um den Widerspruch hingegen offen, stehen sich divergierende Interessen von der Ausgangsbasis her gleichberechtigt gegenüber. Gleichwohl fließen die Erfolgsaussichten unterhalb der Offensichtlichkeit in die Interessensabwägung mit ein (vgl. Schoch, in: Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, S. 390). Ausgehend von diesen Erwägungen ist im Rahmen der nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessensabwägung eine Aussetzung der angefochtenen Baugenehmigung hier gerechtfertigt.

1. Keinen Erfolg haben die Beschwerden, soweit sie die erstinstanzliche Entscheidung mit dem Einwand angreifen, die beiden Rübenerdekassetten seien keine immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht von der Genehmigungsbedürftigkeit der Rübenerdekassetten gemäß § 16 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - BImSchG - i. d. F. d. Bek. v. 26.09.2002 (BGBl I 3830) ausgegangen. Nach dieser Vorschrift bedarf die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage der Genehmigung, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können (wesentliche Änderung). Die Voraussetzungen der Genehmigungspflicht nach dieser Vorschrift sind vorliegend erfüllt. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit der Zuckerfabrik folgt aus § 1 Abs. 1 der 4. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - 4. BImSchV - in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.03.1997 (BGBl I 504), zuletzt geändert am 06.05.2002 (BGBl I 1566), i. V. m. Nr. 7.24 (Spalte 1) des Anhangs zu dieser Verordnung, wonach Anlagen zur Herstellung oder Raffination von Zucker unter Verwendung von Zuckerrüben oder Rohzucker grundsätzlich nach dem BImSchG genehmigungspflichtig sind. Die hier maßgebliche Frage, auf welche weiteren Anlagenteile sich die Genehmigungsbedürftigkeit erstreckt, beantwortet § 1 Abs. 2 der 4. BImSchV. Hiernach umfasst eine genehmigungsbedürftige Anlage zunächst als Kernbestand alle technischen Einrichtungen, die bei den zur Erreichung des im Anhang umschriebenen Betriebszwecks der Anlage am vorgesehenen Standort (z. B. Herstellungs-, Gewinnungs- oder Verarbeitungsprozess) erforderlichen Verfahrensschritten eingesetzt werden (Abs. 2 Nr. 1). Hierzu gehören als Anlagekern die Haupteinrichtungen (z. B. Betriebsstätte, Tanklager, Rohrleitungen, Pumpen) sowie die sonstigen Betriebseinheiten, die zur Erreichung des Betriebszwecks (hier Herstellung von Zucker) erforderlich sind, z. B. Hilfseinrichtungen wie Mess-, Steuer- und Regelgeräte und Sicherheitseinrichtungen (Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 2, B 2.4 § 1 RdNr. 12). Die Rübenerdekassetten lassen sich dem Kernbestand der Zuckerfabrik nicht zuordnen; denn für die Herstellung des Zuckers sind sie nicht erforderlich. Ihre Funktion besteht vielmehr darin, das durch die Zuckerproduktion anfallende Abfallprodukt "Rübenerdeschlamm" aufzunehmen und die wertvolle Muttererde einerseits sowie das im Zuckerrübenwaschprozess verwendete Wasser andererseits zum Zwecke der Wiederverwendung aufzubereiten. Zum genehmigungsbedürftigen Anlagenbereich gehören außer dem Kernbestand aber auch bestimmte Nebeneinrichtungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 der 4. BImSchV). Diese haben keine Verfahrensschritte zum Gegenstand, die zur Erreichung des Betriebszwecks unmittelbar notwendig sind; sie sind aber auf diesen Zweck hin ausgerichtet und haben im Verhältnis zur Haupteinrichtung eine dienende und untergeordnete Funktion (BVerwG, Urt. v. 06.07.1984 - BVerwG 7 C 71.82 -, BVerwGE 69, 351 [355]; Landmann/Rohmer/Hansmann, Umweltrecht, Band II, 2.4 - 4. BImSchV -, § 1 RdNr. 15). Die Rübenerdekassetten besitzen eine in diesem Sinne "dienende" Funktion im Verhältnis zu der genehmigungsbedürftigen Zuckerfabrik; denn ihre Funktion ist insofern auf die letztere ausgerichtet, als sie dem ordnungsgemäßen Betriebsablauf, zu dem auch die Entsorgung anfallender Abfälle gehört, dient. Eine Nebeneinrichtung dient nämlich nicht nur dann der Hauptanlage, wenn sie dieser im Betriebsablauf vorgeschaltet ist, sondern auch dann, wenn sie überhaupt in einem Zusammenhang mit dem Betrieb dieser Anlage steht. Auf die Notwendigkeit der Nebeneinrichtung für das Funktionieren der Hauptanlage kommt es nicht an; anderenfalls hätte es der Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 4. BImSchV, die ausdrücklich auf die Notwendigkeit (der Anlagenteile) für den Betrieb abstellt, nicht bedurft. Maßgebend ist vielmehr die tatsächliche Einbeziehung in den auf die Hauptanlage bezogenen und von dieser bestimmten Funktionszusammenhang, der hier unzweifelhaft gegeben ist.

Vom Genehmigungserfordernis über § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 4. BImSchV umfasst werden alle Nebeneinrichtungen, die in einem räumlichen und betriebstechnischen Zusammenhang mit dem Kernbestand der Anlage stehen und für das Emissions- oder Immissionsverhalten der Anlage (§ 1 Abs. 2 Nr. 2a und b) oder die Sicherheit der Anlage (§ 1 Abs. 2 Nr. 2c) Bedeutung haben können. Diese Voraussetzungen erfüllen die Rübenerdekassetten. Der verlangte betriebstechnische Zusammenhang mit der Zuckerfabrik ist unzweifelhaft gegeben; denn nach Aktenlage wird die Rübenerde-/Wasserdispension vom Betriebsgelände aus durch Rohrleitungen in die Rübenerdekassetten eingeleitet. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist auch ein räumlicher Zusammenhang mit der Zuckerfabrik gegeben. Zwar beträgt die räumliche Entfernung zwischen den beiden Rübenerdekassetten und der Zuckerfabrik ca. 2.300 m; dieser Umstand allein hebt allerdings den räumlichen Zusammenhang nicht auf, wenn - wie hier - die Einbindung in den Betriebsablauf durch Rohrleitungen angemessen erfolgen kann. Soweit die Beigeladene von der Notwendigkeit eines engen räumlichen Zusammenhangs ausgeht, ist festzustellen, dass § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 4. BImSchV diesen Zusammenhang im Gegensatz zu § 1 Abs. 3 der 4. BImSchV gerade nicht verlangt, mithin der Begriff des "räumlichen Zusammenhangs" im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 der 4. BImSchV weiter zu sehen ist. Die Rübenerdekassetten sind schließlich auch emissionsrelevant, weil durch die Behandlung des Rübenerdeschlamms Geruchsbelästigungen auftreten, die zu schädlichen Umweltweinwirkungen in Gestalt unzumutbarer Gerüche für die Nachbarschaft führen können. Von der Möglichkeit einer Staub- und Geruchsbelästigung geht jedenfalls auch die von der Beigeladenen vorgelegte Untersuchung des Sachverständigen ... (Bl. 25) aus. Ob derartige Geruchsbelästigungen tatsächlich gegeben sind, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant; denn durch die Erstreckung der Genehmigungsbedürftigkeit auf derartige Nebeneinrichtungen soll der Genehmigungsbehörde u.a. die Möglichkeit eröffnet werden, das Emissionsverhalten der Nebeneinrichtung zu prüfen und zu entscheiden, ob die Genehmigung ohne oder ggf. mit Nebenbestimmungen und Auflagen zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen zu erteilen ist.

2. Allerdings ist der Beigeladenen darin zu folgen, dass allein die Wahl des falschen Genehmigungsverfahrens (hier des baurechtlichen statt immissionsschutzrechtlichen) dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers noch nicht zum Erfolg verhelfen kann. Als Nachbar kann der Antragsteller nämlich lediglich Eingriffe in seine Rechtsposition abwehren. Drittschutz vermitteln aber nur solche Vorschriften des öffentlichen Baurechts oder des Immissionsschutzrechts, die nach ihrem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt auch der Rücksichtnahme auf die Interessen des betreffenden Dritten dienen (OVG NW, Beschl. v. 01.07.2002 - 10 B 788/02 -, NWVBl. 2003, 54 [55], unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 17.12.1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297; BVerwG, Urt. v. 30.03.1995 - BVerwG 3 C 8.94 -, NVwZ 1995, 1200 ff.).

Die "richtige" Verfahrensart - hier das Erfordernis einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung - für den Bau der Rübenerdekassetten - für sich genommen vermittelt noch keine drittschützende Wirkung .Das Bundes-Immissionsschutzgesetz betrifft Anlagen, die schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen können, nämlich Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§§ 1, 3 Abs. 1 BImSchG). § 4 BImSchG unterwirft der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht Anlagen, die dazu "in besonderem Maße" geeignet sind, während die materiellen immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an dazu weniger geeigneten Anlagen (§ 22 BImSchG) in anderen Verfahren, z. B. dem Baugenehmigungsverfahren, zu gewährleisten sind. Richtig ist zwar, dass das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren gerade auch dazu dient, den Schutz der Nachbarschaft zu gewährleisten. Das bedeutet indes noch nicht, dass die Einhaltung des Verfahrens um seiner selbst willen dem Schutz potentiell betroffener Nachbarn dient, unabhängig davon, ob konkret materielle Anforderungen zum Schutz der Nachbarn verletzt sein können oder nicht. Das Verfahren dient dem Schutz Dritter nur insofern, als es gewährleisten soll, dass die materiellrechtlichen Schutzvorschriften eingehalten werden.

Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 17.07.1980 - BVerwG 7 C 101.78 -, Buchholz 451.171 [AtG] Nr. 6, S. 10, 12; Urt. v. 22.12.1980 - BVerwG 7 C 84.78 -, BVerwGE 61, 256 [275]; Beschl. v. 28.05.1985 - BVerwG 7 B 116.85 -, Buchholz 451.171 [AtG] Nr. 14; Urt. v. 17.12.1986 - BVerwG 7 C 29.85 -, BVerwGE 75, 285 [291]) - in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 20.12.1979 - 1 BvR 385/77 -, BVerfGE 53, 30 [59 f.]) - zum Drittschutz von Verfahrensvorschriften im Atomrecht insofern, "als sie im Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes den potentiell von dem Vorhaben betroffenen Dritten die Möglichkeit eröffnen, ihre Belange schon im Genehmigungsverfahren vorzubringen und sich damit - wenn nötig - schon frühzeitig gegen die Anlage zur Wehr zu setzen", oder zum Immissionsschutzrecht (BVerwG, Urt. v. 22.10.1982 - BVerwG 7 C 50.78 -, DVBl. 1983, 183 [dort zu § 10 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, wonach der Inhalt von Unterlagen, die geheimhaltungsbedürftig sind, so ausführlich dargestellt sein muss, dass es Dritten möglich ist, zu beurteilen, ob und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen der Anlage betroffen werden können]), folgt nichts Anderes. Maßgeblich ist nämlich, dass konkrete Verfahrensbestimmungen auch dazu dienen, bereits für das Verfahren "Drittschutz" zu gewährleisten (BVerwG, Urt. v. 05.10.1990 - BVerwG 7 C 55 und 56.89 -, BVerwGE 85, 368 [373/374]). Einen "in das Verfahren hinein vorgezogenen Grundrechtsschutz" wie er für das Atomverfahren mit dem Gefährdungspotential gerechtfertigt worden ist (BVerfGE 53, 30 [58]), kann der Gesetzgeber auch sonst begründen; er besteht aber nicht schon ganz allgemein bei jeglicher Genehmigungsverfahrensvorschrift, die auch der Einhaltung drittschützender materieller Vorschriften dient (BVerwGE 85, 368 [374]).

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Erwägungen ist dem Verwaltungsgericht im Ergebnis zu folgen und die Beschwerde der Beigeladenen und des Antragsgegners zurückzuweisen; denn der Antragsteller kann sich auf § 10 Abs. 2 bis 4, 6, 8 und 9 BImSchG berufen, der Drittbetroffenen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren einen "vorgezogenen Rechtsschutz" einräumt, indem er eine Beteiligung von Dritten am Verwaltungsverfahren vorsieht (BVerwG, Urt. v. 05.10.1990, a. a. O.). Diesen Verfahrensvorschriften wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Drittschutz zuerkannt, soweit das Vorbringen des Drittbetroffenen ergibt, "daß sich der von ihm gerügte Verfahrensfehler auf seine materiellrechtliche Position ausgewirkt haben könnte" (BVerwG, Urt. v. 17.12.1986, a. a. O.; Urt. v. 05.10.1990, a. a. O.; Jarass, Kommentar zum BImSchG, 5. Aufl. § 10 RdNr. 132). Dies wiederum lässt sich nur dann ausschließen, wenn die vom Dritten behauptete Beeinträchtigung seiner materiellen Rechtsgüter "offensichtlich und eindeutig unmöglich ist" (BVerwG, Urt. v. 05.10.1999, a. a. O.; Jarass, a. a. O.) Diese Feststellung kann hier jedoch nicht getroffen werden.

In Bezug auf das Erfordernis einer materiellrechtlichen Betroffenheit des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, nach dem von dem Antragsteller vorgelegten Privatgutachten könne gerade nicht schlechthin ausgeschlossen werden, dass seine Hopfenpflanzen durch die von den Bauarbeiten und die Rübenkampagnen herrührenden Staub- und Geruchsimmissionen insbesondere unter gewissen Windeinflüssen eine Qualitätsminderung erfahren. Diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind nach Aktenlage und bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu beanstanden. Ausweislich der Stellungnahme der Bayerischen Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau - Hopfenforschung und -beratung - vom 28.05.2002 ist Hopfen ein Produkt, das Fremdgerüche sehr stark adsorbiert, d. h. sind die Hopfendolden während der Vegetation stark riechenden Stoffen ausgesetzt, nehmen diese den Geruch an. Hopfendolden nehmen auch nach der Trocknung im Hopfensack (gepresst) noch Fremdgerüche an, so dass ein abgesackter Hopfen nicht in der Nähe von Schweine- oder Kuhställen gelagert werden darf. Gleiches wird bestätigt durch die Schreiben des Verbands deutscher Hopfenpflanzer e. V. vom 07.08.2002 und der ...-GmbH vom 30.07.2002, die dem Antragsteller zudem eine Zurückweisung des qualitätsgeminderten Hopfens ankündigen. Dementsprechend ist unter den Beteiligten auch nicht streitig, dass Hopfen grundsätzlich eine Qualitätsminderung durch Geruchs- der Staubbelästigungen erfahren kann.

Zwar mag es zutreffen, dass die Errichtung und der Betrieb der Erdkassetten für Rübenerdeschlamm am vorgesehenen Standort aus der Sicht des Immissionsschutzes ohne erhebliche Beeinträchtigungen der Nachbarschaft möglich sind. Allerdings lassen weder das von der Beigeladenen vorgelegte Gutachten zur Immissionssituation bei einer Rübenerdeschlammdeponie (Oktober 1989) noch die Untersuchung von Dr. W. ... zwingend den Schluss zu, dass von einer Rübenerdeschlammdeponie keinerlei Geruchsbelästigungen ausgehen. Der Gutachter ... kommt zwar zu dem Ergebnis, dass ausgehend von den vorliegenden Untersuchungsergebnissen aus dem Umfeld derartiger Rübenerdedeponien sowie den bei der Ortsbesichtigung gewonnenen Erkenntnissen festzustellen sei, dass für keine der untersuchten Phasen während des Baus und des späteren laufenden Betriebs der Erdkassetten 5 und 6 einschließlich der Befüllung und Entleerung qualitätsrelevante Beeinträchtigungen des Hopfenanbaus zu erkennen sind. Allerdings hat der Antragsteller eine Stellungnahme des Anbauberaters Zimmermann vom 26.07.2002 vorgelegt, mit der dieser bestätigt, dass ihm im Rahmen eines Ortstermins aufgefallen sei, dass beim Entleeren der Klärbecken der Zuckerfabrik Staub aufgewirbelt werde, der in das anliegende Hopfenfeld ziehe. Bestätigt wird diese Feststellung durch das von dem Antragsteller vorgelegte Lichtbild Nr. 5. Weiter stellt der Anbauberater fest, dass "bei ungünstigem Wind ... es in dem angrenzenden Hopfenfeld (stinkt)". Auch die Landgesellschaft Sachsen-Anhalt mbH kommt in ihrem Gutachten vom März 1996 zu dem Ergebnis, dass die Geruchsemissionen von Erdkassetten im Vergleich zu den sog. Schlammteichen der früheren Zuckerfabrik erheblich zurückgehen dürften, weil nach einem völlig anderen Verfahren gearbeitet werde. Allerdings kann auch die Landgesellschaft nicht einschätzen, inwieweit die Aussagen zur Geruchsbelästigung auch auf die Hopfenpflanze, insbesondere in der Blüh- und Fruchtphase, zutreffen.

Da mithin die vom Antragsteller behauptete Beeinträchtigung seiner materiellen Rechtsgüter nicht offensichtlich und eindeutig unmöglich ist, könnte sich der bestehende Verfahrensfehler, der in der Nichtdurchführung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens liegt, auf die materiellrechtliche Position des Antragstellers ausgewirkt haben, mit der Folge, dass zur Verhinderung vollendeter Tatsachen seinem vorläufigen Rechtsschutzbegehren stattzugeben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 13 Abs. 1; 20 Abs. 3 GKG; der Senat schließt sich insoweit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts an.



Ende der Entscheidung

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