Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 17.12.2007
Aktenzeichen: 2 M 279/07
Rechtsgebiete: LSA-BauO


Vorschriften:

LSA-BauO § 57
Die Beantwortung der Frage, ob die tatsächliche Nutzung eines Lebensmittelmarktes für die Nachbarn zumutbar ist, erfordert eine Berücksichtigung der Gesamtsituation und nicht nur einzelner Immissionswerte.
Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Einschränkung von Störungen und Belästigungen, die von einem durch die Beigeladene betriebenen Lebensmittelmarkt auf dem Nachbargrundstück ausgehen.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Wohngebäudes mit der Straßenbezeichnung " W-Straße" in C-Stadt. Die Beigeladene betreibt auf dem südlich angrenzenden Grundstück einen Lebensmittelmarkt. Die Mieter des Antragstellers fühlen sich durch die von dem Betrieb ausgehenden Lärm- und Geruchsimmissionen beeinträchtigt: Abweichend von der für den Markt erteilten Baugenehmigung erfolge die Warenanlieferung nicht über die östliche, sondern die ihrem Gebäude zugekehrte nördliche Seite des Marktgebäudes sowie morgens bereits vor 6:00 Uhr. Die Lastkraftwagen träfen zum Teil bereits gegen 5:30 Uhr oder auch erheblich früher ein und begännen entweder sogleich mit der mangels Laderampe besonders lärmintensiven Ausladung der Waren oder ließen über längere Zeit den Motor laufen. Der dadurch verursachte Lärm dringe ungehindert auf ihr Grundstück und führe zu einer erheblichen Störung ihrer Nachtruhe. Hinzu komme, dass die Beigeladene etwa 5 bis 10 m nördlich des Marktes ohne Baugenehmigung einen Lagerschuppen mit einer Größe von etwa 6 m x 4,50 m x 2,40 m errichtet habe, dessen Be- und Entladung zum Teil auch nachts erfolge und dessen Nutzung zusätzliche Lärm- und Geruchsemissionen verursache.

Der Antragsteller wandte sich mehrfach (u. a. mit Schreiben vom 22.05.2006 und 17.08.2006) an den (damals noch zuständigen) Landkreis C-Stadt mit der Bitte um bauaufsichtliches Einschreiten.

Mit Bescheid vom 16.03.2007 lehnte der Landkreis C-Stadt den Antrag ab und führte zur Begründung aus: Die Verlegung der Anlieferzone an die Nordseite des Marktes habe zwar zu einer Verschlechterung der Schallschutzsituation für das etwa 45 m von der Park- und Wendezone des Marktes entfernte Gebäude des Antragstellers geführt. Gleichwohl würden aber die zulässigen Immissionsrichtwerte, die bei dem hier vorliegenden allgemeinen Wohngebiet tagsüber bei 55 dB (A) und nachts bei 40 dB(A) lägen, ausweislich einer von ihr durchgeführten Kontrollmessung - wenn überhaupt - so lediglich in einzelnen kurzzeitigen Geräuschspitzen und auch insoweit nur geringfügig überschritten. Die Belieferung erfolge nach den Aussagen von Mitarbeitern des Marktes - von Ausnahmen abgesehen - frühestens ab 6:00 Uhr. Auch habe der Marktbetreiber zugesagt, dass die LKW bei der Entladung wieder an der Ostseite des Marktes abgestellt würden. Der nördlich des Marktgebäudes vorhandene, als Leergutlager genutzte Lagerschuppen sei zwar ohne die hierfür erforderliche Baugenehmigung errichtet worden. Er sei aber genehmigungsfähig und die Erteilung einer Genehmigung stehe aus.

Am 28.03.2007 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid Widerspruch, über den noch nicht entscheiden ist.

Bereits am 26.03.2007 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Magdeburg um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zum bauaufsichtlichen Einschreiten zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 20.08.2007 (Az.: 4 B 88/07 MD) abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Das dem Antragsgegner gesetzlich eingeräumte Eingriffsermessen sei nicht auf Null reduziert. Nach Aktenlage seien die hier zulässigen Immissionsrichtwerte im Wesentlichen eingehalten.

Mit der am 03.09.2007 beim beschließenden Gericht erhobenen und rechtzeitig begründeten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

Der Antragsgegner hat sich zu der Beschwerde ungeachtet entsprechender gerichtlicher Aufforderungen (Verfügungen vom 21.09., 30.10. und 21.11.2007) nicht geäußert

Mit Beschluss vom 26.11.2007 hat der Senat die Betreiberin des Lebensmittelmarktes beigeladen. Diese hat sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 07.12.2007 zu dem Verfahren geäußert.

II.

Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet.

Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung ist die beantragte einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO zu erlassen, weil der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch im Sinne dieser Vorschrift glaubhaft gemacht hat.

Der erforderliche Anordnungsgrund ist zu bejahen, weil die geltend gemachte Immissionsbelastung bereits eingetreten ist.

Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch zu. Nach § 57 Abs. 2 Satz 1 BauO LSA haben die Bauaufsichtsbehörden u. a. bei der Nutzung von baulichen Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA können sie in Wahrnehmung dieser Aufgabe die erforderlichen Maßnahmen treffen. Die in dieser Vorschrift geregelte Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten kann sich für die Behörde gegenüber einem betroffenen Nachbarn - wie hier dem Antragsteller - zu einer entsprechenden Pflicht verdichten. Voraussetzung hierfür ist, dass die durch die Nutzung der Anlage verletzte Vorschrift auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist und sich das Ermessen der Behörde dahingehend reduziert, dass jede andere Entscheidung als diejenige des Einschreitens ermessensfehlerhaft wäre (Ermessensreduzierung auf Null). Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die Nutzung des Lebensmittelmarktes und des Lagerschuppens verstößt nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung gegen das im Tatbestandsmerkmal des "Einfügens" in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene, auch dem Schutz von Nachbarn dienende baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Nach Aktenlage verursacht die Nutzung des Lebensmittelmarktes der Beigeladenen Lärmimmissionen, die für die Nutzer des angrenzenden Wohngebäudes des Antragstellers nicht zumutbar sind. Der Senat teilt die Einschätzung des Antragstellers, wonach zur sachgerechten Einschätzung der Belastungssituation nicht maßgeblich auf die von dem Antragsgegner durchgeführten Immissionsmessungen vor Ort abgestellt werden kann. Hierbei handelt es sich um wenige Einzelmessungen, die zwar die Geräuschbelastung bei einzelnen Belieferungsvorgängen im Wesentlichen zutreffend wiedergeben dürften. Entscheidend für die Beurteilung der Zumutbarkeit ist aber die Gesamtsituation, wie sie sich nach der Aktenlage darstellt.

Die für den Markt erteilte Baugenehmigung beschränkt die Zeit der Anlieferung auf 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr und erlaubt - soweit das aus den Bauvorlagen ersichtlich wird - die Anlieferung lediglich auf der Ostseite des Marktes. Diese Vorgaben werden indessen nach den glaubhaften Angaben des Antragstellers nicht konsequent eingehalten. Der Antragsteller hat sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Antrags- und Beschwerdeverfahren glaubhaft ausgeführt, dass häufig Waren bereits erheblich früher als 6:00 Uhr angeliefert werden, Fahrzeuge mit laufendem Motor die Wartezeit bis zur Ausladung überbrücken und hierbei sowie bei der Ausladung ihrer Waren gerade nicht auf der Ost-, sondern der (dem Grundstück des Antragstellers zugewandten) Nordseite des Marktes stehen. Die Angaben sind glaubhaft, weil sie der Antragsteller substantiiert, detailliert und unter Nennung zahlreicher konkreter Beispiele dargelegt hat (zuletzt im Schriftsatz vom 26.11.2007). Beides, d.h. die Zeit der Anlieferung vor 6:00 Uhr sowie der Ort der Anlieferung auf der Nordseite des Marktes, erscheint indessen für den Antragsteller nicht zumutbar. Die Lage und die Entfernung des Gebäudes des Antragstellers zu dem streitgegenständlichen Anlieferungspunkt lassen es ohne weiteres als nachvollziehbar erscheinen, dass gerade die rückwärtigen Schlafräume von den Anlieferungsgeräuschen in erheblichem Ausmaß betroffen sind. Insoweit kann sich die Beigeladene auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Grundstück des Antragstellers genieße aufgrund der starken Vorbelastung einen nur geringen Schutz. Die Vorbelastung geht - wie die Beigeladene selbst einräumt - von der gepflasterten Westerhäuser Straße aus und betrifft damit in erster Linie die vorderen, westlichen Räume des Gebäudes. Von den Anlieferungsgeräuschen betroffen sind dagegen die östlichen, rückwärtigen Bereiche. Zwar ist auch insoweit aufgrund der Existenz des Lebensmittelmarktes und des angrenzenden großen Parkplatzes von einer gewissen Vorbelastung auszugehen. Diese kann aber nicht dazu führen, dass faktisch Warenanlieferungen zur Unzeit zugelassen werden.

Die Richtigkeit der Annahme, dass die Anlieferung zur Nachtzeit (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) auf der Nordseite des Marktes unzumutbar ist, findet ihre Bestätigung darin, dass auch die für den Markt erteilte Baugenehmigung eine entsprechende Beschränkung vorsieht und demgemäß im Ablehnungsbescheid des Landkreises C-Stadt vom 16.03.2007 (unzutreffend) davon ausgegangen wird, dass die Vorgaben eingehalten würden.

Unzumutbar ist auch die derzeitige Nutzung des ohne Baugenehmigung errichteten Lagerschuppens. Auch insoweit hat der Antragsteller glaubhaft unter Nennung konkreter Beispiele vorgetragen, dass dieser Schuppen immer wieder auch nachts für Be- und /oder Entladungsvorgänge genutzt wird und hierbei erhebliche Geräuschbelästigungen entstehen. Aber auch hinsichtlich der Tagzeit ist davon auszugehen, dass die nicht durch eine Baugenehmigung mit entsprechenden Auflagen begrenzte Nutzung eines Lagerschuppens mit einer Grundfläche von etwa 30 qm an der Grenze zur rückwärtigen Gartenfläche des Grundstücks des Antragstellers je nach Art und Ausmaß der (nicht geregelten) Nutzung Belästigungen durch Lärm und Gerüche verursacht, die das zumutbare Maß überschreiten können.

Die für einen Anspruch auf baubehördliches Einschreiten erforderliche Ermessensreduzierung auf Null ist ebenfalls zu bejahen. Voraussetzung hierfür ist, dass die von der rechtswidrig genutzten baulichen Anlage ausgehenden Beeinträchtigungen einen erheblichen Grad erreichen und die Abwägung der Beeinträchtigungen des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der Interessen des Nachbarn ergibt (vgl. VG München, Urt. v. 28.06.2007 - M 11 K 06.3648 - JURIS). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Grad der Beeinträchtigungen ist als erheblich einzustufen. Die in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen Anzeigen und Beschwerden nebst "Überwachungsprotokollen" und Zeugenangaben lassen es als glaubhaft erscheinen, dass die von dem Lebensmittelmarkt ausgehenden Emissionen für die Nutzer des Wohngebäudes des Antragstellers insbesondere während der Nachtstunden zu erheblichen Belästigungen führen. Die Abwägung dieser Beeinträchtigungen mit dem Schaden der Beigeladenen ergibt auch ein deutliches Übergewicht der Interessen des Antragstellers. Die Interessen der Beigeladenen erscheinen schon deshalb nachrangig, weil die glaubhaft gemachten Belästigungen darauf beruhen, dass die Art und Weise, wie der von der Beigeladenen betriebene Lebensmittelmarkt derzeit genutzt wird, im Widerspruch zu der hierfür erteilten Baugenehmigung steht und der Lagerschuppen ohne eine erforderliche Baugenehmigung genutzt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht nur interessengerecht, sondern sogar geboten, die Beigeladene durch entsprechende Verfügungen zur Einhaltung der einschlägigen baurechtlichen Bestimmungen anzuhalten.

Bei seiner Entscheidung ist der Senat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang inhaltlich von den Anträgen des Antragstellers in seiner Beschwerdeschrift vom 03.09.2007 abgewichen. Hinsichtlich des "Wie" der einstweiligen Anordnung steht dem Gericht ein Ermessensspielraum zu (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 123 RdNr. 28). Die getroffene Regelung erscheint geeignet, die Störungen einzudämmen, die sich durch die baugenehmigungswidrige Nutzung des streitgegenständlichen Lebensmittelmarktes und die nicht genehmigte Nutzung des Lagerschuppens ergeben. Hinsichtlich dieses Schuppens ist es geboten, die Regelung bis zur etwaigen Erteilung einer Baugenehmigung zu begrenzen, weil die Nutzung gegebenenfalls auf eine eigene rechtliche Grundlage gestellt und durch etwaige Nebenbestimmungen im Einzelnen geregelt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47; 52 Abs. 1; 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück