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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 19.11.2004
Aktenzeichen: 2 M 337/04
Rechtsgebiete: LSA-KAG, AO, VwGO


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 I 1
LSA-KAG § 13 I Nr. 3b
LSA-KAG § 13a
AO § 121
AO § 126 I Nr. 2
AO § 126 II
VwGO § 80 IV 3
VwGO § 80 V
1. Ist die Begründung des Beitragsbescheids auf Grund eines Computerfehlers fehlerhaft, so kann sie durch ein nachträgliches Schreiben der Gemeinde geheilt werden.

2. Unter die besonderen Nutzungsfaktoren für "Gewerbe" fallen auch Altenpflegeheime. Der bei-tragsrechtliche Begriff ist nicht mit demjenigen des Gewerbe- und Gewerbesteuerrechts identisch, denn er soll eine im Vergleich zur Wohnnutzung deutlich höhere In-Anspruch-Nahme der Straße abgelten.

3. Bei Altenheimen ist zu unterscheiden: Bei Altenwohnheimen steht das Wohnen im Vordergrund, bei Altenpflegeheimen hingegen die Betreuung (Pflegepersonal, Ärzte, Therapeuten, Krankentransporte, Anlieferungen), bei klassischen Altenheimen überwiegt noch das Wohnen.

4. Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt eine Aussetzung wegen unbilliger Härte nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids bestehen; anderenfalls muss der Beitragspflichtige eine Billigkeitsentscheidung nach § 13a LSA-KAG beantragen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 337/04

Datum: 19.11.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG - <Streitwert>.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Heranziehungsbescheid vom 17.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.02.2004 anzuordnen, abgelehnt.

Die lediglich auf die in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führt zu keiner Änderung (§ 146 VwGO).

Soweit die Beschwerdeschrift geltend macht, dass im Heranziehungsbescheid eine unzutreffende Berechnung des Nutzungsfaktors angegeben worden sei, führt dies zu keiner anderen Beurteilung der Erfolgsaussichten. Es entspricht zwar einem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass der Bürger, in dessen Rechte eingegriffen wird, einen Anspruch darauf hat, die Gründe dafür zu erfahren, weil er nur dann in der Lage ist, seine Rechte sachgerecht zu verteidigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.11.1987 - 1 WB 105.86 -, BVerwGE 83, 345). In einfach-rechtlicher Umsetzung dieses Gebots bestimmt § 13 Abs. 1 Nr. 3b des Kommunalabgabengesetzes - KAG-LSA - i. d. F. d. Bek. v. 13.12.1996 (LSA-GVBl., S. 405), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.12.2003 (LSA-GVBl., S. 370) i. V. m. § 121 der Abgabenordnung - AO - i. d. F. d. Bek. v. 01.10.2002 (BGBl 2002 I 3386), berichtigt am 08.01.2003 (BGBl I 61), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.08.2004 (BGBl I 2198 [2208]), dass ein schriftlicher Beitragsbescheid, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist, mit einer Begründung zu versehen ist. Die Begründung, die die Antragsgegnerin dem angefochtenen Bescheid beigefügt hat, war hier zwar fehlerhaft. Diesen Verfahrensfehler hat die Antragsgegnerin aber spätestens mit Schriftsatz vom 30.03.2004 geheilt, indem sie darin ausführt, dass bei der Angabe der Nutzungsfaktoren ein Computerfehler aufgetreten, der Beitrag für das Grundstück des Antragstellers gleichwohl zutreffend berechnet worden sei. Dies ist von der Antragstellerseite nicht in Zweifel gezogen worden. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 b KAG LSA i. V. m. § 126 Abs. 2 AO können Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 5 bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO erfasst auch die fehlerhafte Begründung eines Beitragsbescheids.

Soweit die Beschwerdeschrift weiter geltend macht, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich der beitragsfähige Aufwand in dem Bescheid vom 17.11.2003 gegenüber dem aufgehobenen Bescheid vom 24.09.2003 um 7.500, - € erhöht habe, führt dieses Vorbringen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Die Beschwerdeschrift hätte zumindest darlegen müssen, dass und weshalb die 7.500 - € zu Unrecht in den beitragsfähigen Aufwand eingestellt worden sind. Die Antragsgegnerin hat dies mit einem Rechenfehler bei der Veranlagung vom 24.09.2003 begründet, der bei der Veranlagung vom 17.11.2003 korrigiert worden sei. Dieses Vorbringen widerlegt die Beschwerdeschrift nicht.

Die Beschwerdeschrift kann sich auch nicht erfolgreich auf eine Ermäßigung des § 6 Abs. 1 der Straßenausbaubeitragssatzung 2000 berufen. Sie macht insoweit geltend, dass das fragliche Grundstück nicht überwiegend gewerblich, sondern zu gemeinnützlichen Zwecken als Altenpflegeheim genutzt werde.

Bei der Frage, ob ein Grundstück im Straßenausbaubeitragsrecht überwiegend gewerblich genutzt wird, ist von einem Begriff "Gewerbe" auszugehen, der über die gewerbliche Nutzung im Sinne des Gewerbe- und Gewerbesteuerrechts hinaus auch solche Nutzungen erfasst, die der gewerblichen Nutzung im engeren Sinne darin ähnlich sind, dass sie wie diese eine im Vergleich zur Wohnnutzung deutlich intensivere In-Anspruch-Nahme der Anbaustraße auslösen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.01.1998 - BVerwG 8 C 12.96 -, BVerwGE 106, 147). Dazu gehören neben Arztpraxen andere Büros selbständiger Berufe, Verwaltungsgebäude, Krankenhausgebäude und Schulgebäude (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. § 18 RdNr. 62). Bei der Feststellung einer derartigen "gewerbeähnlichen" Nutzung ist auf die Art der Nutzung und den dadurch typischerweise ausgelösten Verkehr abzustellen und nicht etwa auf den Zielverkehr und Quellverkehr im jeweiligen Einzelfall, so dass auch etwa eine schlecht gehende Arztpraxis zu Recht als "gewerbeähnlich" einzustufen ist.

Diese Voraussetzungen sind bei der von dem Antragsteller betriebenen Einrichtung, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Altenheim oder um ein Altenpflegeheim handelt, und auch unabhängig davon, ob die Antragsgegnerin entsprechende Verkehrs- und Personenzählungen - wie die Beschwerdeschrift meint - durchgeführt hat oder nicht, gegeben. Dies ergibt sich aus Folgendem: Im Bereich der heimmäßigen Unterbringung älterer Menschen bietet sich ein Rückgriff auf die im Heimrecht entsprechend gängiger Praxis entwickelten Heimtypen an. Demnach ist vornehmlich zwischen den Typen des Altenwohnheims, des Altenheims und des Altenpflegeheims zu unterscheiden (vgl. § 1 Abs. 1 Heimgesetz - HeimG - v. 07.08.1974, BGBl. I 1873 sowie §§ 14-28 der Heimmindestbauverordnung - HeimMindBauV - i. d. F. v. 03.05.1983, BGBl. I 550 ff.). Bei dem Altenwohnheim (Stichwort: "Betreutes Wohnen") steht der Wohncharakter eindeutig im Vordergrund. In diesem Heimtyp mieten oder kaufen sich nicht pflegebedürftige ältere Menschen ein, statten die Wohnräume in der Regel mit eigenem Mobiliar aus und führen darin - ungeachtet der vom Heim zur Verfügung gestellten Betreuungsdienste - grundsätzlich einen selbständigen Haushalt. Dementsprechend sind die Heimverträge stark miet- oder eigentumsrechtlich ausgestaltet und müssen die Wohnplätze auch über alle zur selbständigen Haushaltsführung notwendigen Einrichtungen verfügen, wie Küche, Kochnische oder Kochschrank, Sanitärraum mit Waschtisch und Spülklosett und Abstellmöglichkeiten (vgl. §§ 19 bis 22 HeimMindBauV). Aufgrund der auch bei diesem Heimtyp schon erforderlichen besonderen Betreuungsdienste könnte bereits hier die Auslösung einer intensiveren In-Anspruch-Nahme der Anbaustraße als bei reiner Wohnnutzung angenommen werden. Diese Frage kann aber letztlich dahingestellt bleiben, da der Antragsteller nach seinen Angaben in der Beschwerdeschrift ein solches Heim auf dem hier maßgeblichen Grundstück nicht betreibt.

Das Altenheim, der zweit denkbare Heimtyp hat mit dem Altenwohnheim die Merkmale der Dauerunterbringung (Verbringung des "Lebensabends") und der Häuslichkeit gemein. Im Unterschied zu jenem vollzieht sich das Leben jedoch in reglementierteren gemeinschaftsbezogeneren Bahnen. Den Altenheimen ist wesenseigen, dass die Heimbewohner in der Regel zur eigenen Haushaltsführung nicht mehr voll imstande, nicht jedoch pflegebedürftig sind. Der Betreuung und Versorgung kommt daher erheblich größere Bedeutung zu. So nehmen Wohnheimbewohner grundsätzlich an der Gemeinschaftsverpflegung teil. Dementsprechend muss, anders als bei Altenwohnheimen, der jeweilige Wohnplatz keine individuelle Kochmöglichkeit enthalten (vgl. §§ 14 Abs. 1 u. 2, 19 Abs. 1 HeimMindBauV). Ferner sind, wegen der verstärkten Betreuung erforderliche zusätzliche Funktions-, Zubehör- und Therapieräume sowie umfangreichere Gemeinschaftsflächen vorgeschrieben (vgl. §§ 15, 17, 21 HeimMindBauV).

Insgesamt steht auch bei den "klassischen" Altenheimen zwar der Wohncharakter noch im Vordergrund, gleichwohl lösen sie durch das erforderliche Pflegepersonal (im sog. Dreischicht-Betrieb) durch Ärzte, Therapeuten sowie durch die Anlieferung von Lebensmitteln und sonstigem Versorgungsbedarf einen mit einer Wohnnutzung nicht mehr zu vergleichende In-Anspruch-Nahme der Anbaustraße aus.

Die dritte Kategorie des reinen (oder überwiegenden) Altenpflegeheims (vgl. §§ 23-27 HeimMindBauV) dient der Aufnahme von vornherein oder voraussehbar auf Dauer pflegebedürftiger alter Menschen. Auch dieser Heimtyp hat insofern Elemente des Wohnens, als er auf Dauer und als Heimstatt genutzt wird. Jedoch tritt das Wohnelement stark hinter den Versorgungs- Pflege- und Betreuungscharakter der Einrichtung zurück. Die pflegebedürftigen Heiminsassen sind regelmäßig weder zur eigenständigen Haushaltsführung noch sonst zu der dem Wohnen wesenseigenen freien Disposition und Tagesplanung in der Lage. Dementsprechend sind die Pflegeplätze in Pflegeabteilungen auch zur selbständigen Haushaltsführung nicht geeignet. Sie brauchen weder eine Kochgelegenheit, noch einen eigenen Wasseranschluss oder Sanitäranlagen zu enthalten (vgl. §§ 23 Abs. 1, 27 HeimMindBauV). Wohnschlafräume dürfen in einer dem Wohnen abträglichen Verdichtung belegt werden; ein Wohnschlafraum darf bis zu 4 Bewohner (Altenheim bis zu 2 Personen) aufnehmen (vgl. §§ 23 Abs. 1, 14 Abs. 1 HeimMindBauV). Ferner müssen nochmals zusätzliche, nach Art, Zahl und Ausgestaltung den Besonderheiten der Pflegebedürftigkeit angepasste Funktions- und Zubehörräume vorhanden sein (etwa: Schmutzräume und Fäkalienspülen, vgl. § 24 Abs. 1 u. 2 HeimMindBauV). Schließlich sind auch die Gemeinschafts- und Sanitärräume besonders behindertengerecht zu gestalten (vgl. §§ 25 u. 27 HeimMindBauV). Ihrem Zweck entsprechend erfordern Pflegeheime endlich einen Aufwand an besonders ausgebildeten Pflegekräften. Der von solchen Heimen ausgehende Zu- und Abgangsverkehr ist gegenüber den "klassischen" Altenheimen noch gesteigert. Wenn- gleich von den Heiminsassen keine besonders gesteigerte Benutzung der Anbaustraße mehr zu erwarten ist, so dürfte doch der Besucherverkehr durch die Angehörigen mindestens so intensiv sein, wie bei einem Krankenhaus in vergleichbarer Größe. Zumal auch noch Krankentransportfahrten u. ä. vermehrt hinzukommen.

Die Beschwerdeschrift vermag auch nicht damit durchzudringen, dass der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende Nordstraße, sondern über andere Straßen erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 23.01.1998 - BVerwG 8 C 12.96 -, BVerwGE 106, 147) ist die Erhebung eines grundstücksbezogenen Artzuschlags wegen gewerblicher Nutzung eines im qualifiziert beplanten Wohngebiet gelegenen, doppelt erschlossenen Grundstücks ausnahmsweise dann unzulässig, wenn der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende, sondern ausschließlich über die andere Anbaustraße abgewickelt wird und ohne Veränderung der für die Gemeinde eindeutig erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück auch nur abgewickelt werden kann. Dies setzt aber nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Interesse der Praktikabilität des Verwaltungsverfahrens voraus, dass die ausschließliche Abwicklung des gewerblichen Verkehrs über die andere Erschließungsanlage durch die äußere Gestaltung des Grundstücks im maßgeblichen Zeitpunkt etwa durch Zäune oder Bepflanzung eindeutig erkennbar ist. Dazu enthält die Beschwerdeschrift indes keinerlei Vortrag.

Schließlich kann die Beschwerdeschrift das Vorliegen einer "unbilligen Härte" nicht damit begründen, dass durch das "Eintreiben von rund 15.000,- € Nachteile entstünden", die aller Wahrscheinlichkeit nach zu der Insolvenz des Betriebes führen würde. Aus diesem Vorbringen ergibt sich kein überwiegendes privates Aussetzungsinteresse unter dem Gesichtspunkt einer "unbilligen Härte" im Sinne des § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 4 Satz 3 VwGO; denn eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nur dann in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Bestehen - wie hier - keine Zweifel, hat also der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg mehr, ist eine Aussetzung der Vollziehung selbst dann nicht mehr zulässig, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (Beschl. d. Sen. v. 10.09.2003 - 2 P 422/03 -; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Kommentar zu VwGO, § 80 RdNr. 55; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Stand: Januar 2001, § 80 RdNr. 203; BFH, Beschl. v. 19.04.1968 - VI B 3/66 -, BFHE 92, 314 ff.). In diesem Fall muss der Beitragspflichtige, der der Ansicht ist, zur Zahlung der Beiträge nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage zu sein, eine nach § 13a KAG LSA zugelassene Billigkeitsmaßnahme beantragen.

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