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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 22.08.2003
Aktenzeichen: 2 M 349/03
Rechtsgebiete: AuslG, DV-AuslG, GG, EMRK


Vorschriften:

AuslG § 8 I Nr. 1
AuslG § 8 I Nr. 2
AuslG § 9 I Nr. 1
AuslG § 9 I Nr. 2
AuslG § 11 I
AuslG § 28 III 2
AuslG § 17 I
AuslG § 17 V
AuslG § 23 I Nr. 3
AuslG § 23 III
AuslG § 46 Nr. 1
AuslG § 46 Nr. 6
DV-AuslG § 9 II Nr. 1
GG Art. 6 I
EMRK Art. 8 I
EMRK Art. 8 II
1. § 9 AuslG erlaubt Abweichungen von dem Verbot des § 8 AuslG, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, nur bei einem strikten Rechtsanspruch. Dass das der Behörde eingeräumte Ermessen im Einzelfall auf eine allein rechtsrichtige Entscheidung verdichten kann, reicht für § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2 AuslG nicht aus.

2. Auch § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus. Liegen diese Vor-aussetzungen nicht vor, so ist das Sichtvermerksverfahren vom Ausland aus zu betreiben.

3. Ein mit einer Deutschen verheirateter Ausländer, gegen den Ausweisungsgründe vorliegen, hat keinen Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

4. Den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 1 AuslG erfüllt, wer im Rahmen eines Rückführungsverfahrens unrichtige Angaben macht.

5. Art. 8 EMRK steht diesem Ergebnis nicht entgegen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 349/03

Datum: 22.08.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1 S.1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG, wonach dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 zu erteilen ist, besteht mit der für die Entscheidung dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nicht.

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG, bei denen abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz offensichtlich erfüllt sind, in seinem Fall vorliegen.

Er kann sich nicht auf § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG berufen.

Dazu fehlt es an dem nach dieser Vorschrift vorausgesetzten gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Ein gesetzlicher Anspruch i. S. v. § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG muss, wie vom Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, ein strikter Rechtsanspruch sein. Hieran fehlt es, wenn der Ausländerbehörde bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ein Versagungsermessen eingeräumt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt entschieden, dass die Tatbestandsvoraussetzung eines gesetzlichen Anspruchs nur erfüllt ist, wenn das Gesetz die Behörde unmittelbar zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verpflichtet (vgl. BVerwG, Beschl. V. 17.03.1993 - BVerwG 1 B 27.93 -, InfAuslR 1993, 278; Urt. v. 24.01.1995 - BVerwG 1 C 2.94 -, NVwZ 1995, 1110; Urt. v. 03.06.1997 - BVerwG 1 C 18.96 -, NVwZ 1998, 189).

Der Begriff des gesetzlichen Anspruchs ist nur dann gegeben, wenn das Gesetz die Behörde unmittelbar verpflichtet, bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.03.1993 - BVerwG 1 B 27.93 -, Buchholz 402.240 [AuslG 1990] § 11).

Der Antragsteller verfügt nicht über einen solchen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Ein mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateter Ausländer, bei dem ein Ausweisungsgrund vorliegt, hat keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Gemäß §§ 23 Abs. 3, 17 Abs. 5 AuslG steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in diesem Fall vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Die Behörde hat aufgrund einer Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden, ob die gegen den Aufenthalt sprechenden öffentlichen Interessen so gewichtig sind, dass sie die bei Ablehnung der Erlaubnis zu erwartende Beeinträchtigung für Ehe und Familie eindeutig überwiegen. Aufgrund der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Wertentscheidung kann dabei das Ermessen derart reduziert sein, dass es rechtmäßig nur durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgeübt werden kann (Ermessensreduzierung auf Null). Auch in diesem Fall ist aber kein gesetzlicher Anspruch im obigen Sinne gegeben (BVerwG, Urt. v. 04.06.1997 - BVerwG 1 C 9.95 -, InfAuslR 1997, 355).

Bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes verliert der mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratete Ausländer mithin die verfahrensrechtlichen Vergünstigungen, die das Ausländergesetz ansonsten in verschiedenen Zusammenhängen für den Fall des gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorsieht (vgl. §§ 9 Abs. 1, 11 Abs. 1, 28 Abs. 3 S. 2 AuslG). Bezogen auf die hier in Rede stehende Regelung in § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG bedeutet das, dass der betreffende Ausländer das Verfahren auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr vom Bundesgebiet aus durchführen kann, sondern auf das reguläre Sichtvermerksverfahren verwiesen wird.

So liegt es im Falle des Antragstellers.

Nach § 23 Abs. 3 AuslG findet § 17 Abs. 5 AuslG Anwendung, wonach eine Aufenthaltserlaubnis auch bei Vorliegen der dafür bestehenden Erteilungsvoraussetzungen versagt werden kann, sofern ein Ausweisungsgrund vorliegt. In einem solchen Fall wird demgemäß die an sich strikt gesetzesgebundene Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu einer Ermessensentscheidung herabgestuft (BVerwG, Urt. v. 04.06.1997, a. a. O.).

Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 5 AuslG sind gegeben, weil gegen den Antragsteller Ausweisungsgründe i. S. d. § 46 AuslG vorliegen.

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Ausweisungsgrund angenommen und infolgedessen eine Anwendung von § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG ausgeschlossen.

Der Antragsteller erfüllt die Ausweisungsgründe des § 46 Nrn. 1 und 6 AuslG.

Nach § 46 Nr. 1 AuslG kann ausgewiesen werden, wer in Verfahren nach diesem Gesetz falsche Angaben zum Zwecke der Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung gemacht oder trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden im In- und Ausland mitgewirkt hat. Nach der unanfechtbaren Ablehnung seines Asylantrags sollte die Abschiebung des Antragstellers im Rahmen des Rückführungsabkommens mit Vietnam eingeleitet werden. Aufgrund unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben des Antragstellers bei seinen Rückführungsunterlagen (Bl. 41 - 46 der Ausländerakte) wurde der Antragsteller von den vietnamesischen Behörden nicht zurückgenommen. Die dadurch entstandene Situation der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragsteller führte zur Erteilung von Duldungen nach § 55 Abs. 2, 2. Alt. AuslG.

Darüber hinaus liegt der Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 6 AuslG vor.

Danach kann unter anderem ausgewiesen werden, wer für sich Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Schon im angefochtenen Ausgangsbescheid hat der Antragsgegner darauf abgestellt, dass der Antragsteller Sozialhilfe in Anspruch nimmt.

Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist deshalb auch wegen § 46 Nr. 6 AuslG in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt und dieses für den Fall reduziert auf die Erteilung, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer besonderen Härte vorliegen und dies die Ausländerbehörde zu ihrer Vermeidung zum Anlass nimmt, die Aufenthaltserlaubnis unter Hintanstellung der fehlenden wirtschaftlichen Integration des Ausländers zu erteilen. Systematisch ist damit die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an Ermessenserwägungen der Ausländerbehörde angeknüpft. Damit fehlt es auch aus diesem Gesichtspunkt an der Voraussetzung, dass der Anspruch schon von Gesetzes wegen unmittelbar und zwingend, ohne Zwischenschaltung einer behördlichen Ermessensentscheidung, gewährt sein muss.

Auch Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 686, 953 und 1954 II S. 14) - EMRK - begründet ebenfalls keinen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; Art. 8 Abs. 2 EMRK verbietet grundsätzlich Eingriffe der Behörden in die Ausübung dieses Rechts. Wesentliches Ziel der Vorschrift ist der Schutz des einzelnen vor willkürlicher Einmischung der öffentlichen Gewalt in das Privat- und Familienleben. Zwar können sich aus Art. 8 EMRK auch positive Verpflichtungen ergeben, deren Reichweite von der Lage der Betroffenen abhängt. Insoweit steht den Konventionsstaaten jedoch ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. die zusammenfassende Darstellung im Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 -, BVerwGE 101, 265 ff.). Art. 8 EMRK wirkt demnach - nicht anders als Art. 6 Abs. 1 GG - auf die Auslegung und Anwendung des Ausländerrechts ein, ohne unmittelbar Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu begründen.

Auf die Ausführungen der Beschwerdeschrift zu § 46 Nr. 2 AuslG kommt es daher nicht an.

Der Antragsteller muss daher die Frage, ob er einen Anspruch nach § 23 Abs. 1, 3 i.V.m. § 17 Abs. 5 AuslG auf Erteilung einer Aufenthalterlaubnis hat, von Vietnam aus klären.

Ende der Entscheidung

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