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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 03.01.2007
Aktenzeichen: 2 M 354/06
Rechtsgebiete: VwGO, SOG LSA


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5 S. 3
SOG LSA § 45 Nr. 1
SOG LSA § 48 Abs. 1 S. 3
Die Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO steht im Ermessen des Gerichts. Das Gericht wird bei seiner Entscheidung, ob es im Fall der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs eine Rückgängigmachung der Vollziehung anordnet, sein Ermessen in der Regel zu Gunsten des Antragstellers auszuüben haben; ausnahmsweise kann das Gericht aber dem öffentlichen Interesse am weiteren Bestand des Vollzugs den Vorrang einräumen. Insbesondere dann, wenn Vollzugshandlungen bereits vor Einlegung eines Rechtsbehelfs und damit vor Eintritt der aufschiebenden Wirkung vorgenommen wurden, kann es nach den zu § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entwickelten Rechtsgrundsätzen auf eine Interessenabwägung abstellen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 354/06

Datum: 03.01.2007

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet; denn die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Soweit der Antragsteller zur weiteren Begründung seiner Beschwerde zunächst auf sein bisheriges Vorbringen verweist, genügt dies nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, der verlangt, dass sich die Beschwerdebegründung mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt. Eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt dieser Darlegungslast nicht (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.05.2005 - 2 M 132/05 -; VGH BW, Beschl. v. 08.11.2004 - 9 S 1536/04 - Juris; BayVGH, Beschl. v. 20.10.2003 - 1 CS 03.2000 -, Juris).

Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe des sichergestellten Hundes ergebe sich schon daraus, dass der gegen die "Sicherstellungsverfügung" vom 19.10.2006 erhobene Widerspruch gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung habe. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei der von der Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 45 Nr. 1 und 4 SOG LSA vorgenommenen Sicherstellung überhaupt um einen mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbaren Verwaltungsakt handelt. Eine Herausgabeanordnung gegenüber dem Antragsteller ist nicht ergangen. In Rechtsprechung und Literatur ist indes umstritten, ob eine polizeiliche bzw. ordnungsbehördliche Sicherstellung ohne eine vorausgegangene Herausgabeanordnung einen Verwaltungsakt beinhaltet (so z. B. BayVGH, Urt. v. 17.06.1996 - 24 B 94.4095 -, BayVBl 1997, 634; VG Braunschweig, Urt. v. 24.04.2001 - 5 A 305/99 -, NZV 2002, 343 Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Anh § 42 RdNr. 35) oder es sich um einen bloßen Realakt handelt (so OVG NW, Beschl. v. 15.07.1999 - 23 B 334/99 -, NVwZ-RR 2000, 429; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 216 f.; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., F 658 ff.; Böhrenz/Unger/Siefken, Nds. SOG, 8. Aufl., § 26 Anm. 4). Auch wenn insoweit ein Verwaltungsakt vorliegen und ein Rechtsbehelf bei fehlender behördlicher Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) aufschiebende Wirkung haben sollte, wäre zwar das Gericht entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO befugt, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Ein Herausgabeanspruch des Antragstellers würde daraus aber noch nicht folgen. Die Aufhebung der Vollziehung steht vielmehr im Ermessen des Gerichts (Kopp/Schenke, a. a. O., § 80 RdNr. 151; NdsOVG, Beschl. v. 20.02.1996 - 9 M 7867/95 -, NVwZ-RR 1997, 79; a. A.: Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 RdNr. 302). Dieses hat dabei in entsprechender Anwendung der für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO geltenden Grundsätze das öffentliche Interesse an dem Fortbestand des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung abzuwägen (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., RdNr. 889). Zwar wird das Gericht bei seiner Entscheidung, ob es eine Rückgängigmachung der Vollziehung anordnet, sein Ermessen in der Regel zu Gunsten des Antragstellers auszuüben haben; ausnahmsweise kann das Gericht aber dem öffentlichen Interesse am weiteren Bestand des Vollzugs den Vorrang einräumen (Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 3. Aufl., § 80 RdNr. 112, m. w. Nachw.). Insbesondere dann, wenn - wie hier - Vollzugshandlungen bereits vor Einlegung eines Rechtsbehelfs und damit vor Eintritt der aufschiebenden Wirkung vorgenommen wurden, ist nach den zu § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entwickelten Rechtsgrundsätzen auf eine Interessenabwägung abzustellen (OVG NW, Beschl. v. 20.06.1969 - XI B 168/69 -, DÖV 1970, 65 [67]; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 13.05.1960 - VII C 13, 14/59 -, NJW 1961, 90).

Weshalb eine solche Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen müsste, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Dass die von der Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 45 Nr. 1 SOG LSA vorgenommene Sicherstellung rechtswidrig gewesen sei, macht er in seiner Beschwerde nicht geltend. Er trägt lediglich vor, die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Herausgabe des Hundes lägen nicht vor; denn er könne nunmehr Gewähr dafür bieten, dass die (schädigenden) Verhaltensweisen des Tieres künftig nicht mehr zu besorgen seien. Davon kann nach derzeitigem Sachstand aber nicht ausgegangen werden; denn es spricht Überwiegendes dafür, dass nach einer Herausgabe des Hundes erneut die Voraussetzungen für die Sicherstellung eintreten würden (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SOG LSA).

Nach § 45 Nr. 1 SOG LSA können Sicherheitsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Eine gegenwärtige Gefahr in diesem Sinne liegt nach § 3 Nr. 3 b) SOG LSA dann vor, wenn ein schädigendes Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Da der Hund des Antragstellers in der Vergangenheit mehrfach vom Grundstück des Antragstellers trotz der vorhandenen Umzäunung entwichen ist und - gemeinsam mit einer mittlerweile verstorbenen - Artgenossin andere Tiere wie Katzen und Kaninchen tot gebissen hat, und da der Antragsteller nach derzeitigem Sachstand nach wie vor keine zusätzlichen (wirksamen) Sicherungsmaßnahmen auf seinem Grundstück durchgeführt hat, bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Hund in allernächster Zeit erneut andere Tiere töten oder verletzen wird. Mit den in der Beschwerde erhobenen Einwänden vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.

Die Annahme, der sichergestellte Hund werde bereits deshalb nicht mehr ausreißen, weil er nach dem Tod seiner Artgenossin zum Einzeltier geworden sei und der gemeinsame Jagdtrieb dadurch weggefallen sei, hat der Antragsteller durch nichts weiter belegt. Mit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, diese Annahme sei rein spekulativ, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

Ohne Erfolg wendet der Antragsteller weiter ein, das Tier könne aus dem auf dem Grundstück vorhandenen Innenhof nicht mehr entweichen, weil die dort vorhandene Umzäunung ein solches Entweichen als unwahrscheinlich erscheinen lasse. Die von der Antragsgegnerin am 24.10.2006 durchgeführte Ortsbesichtigung ergab, dass an der Wand zwischen Eingang und Garage zum Dach hin eine etwa 50 cm breite Lücke klafft und vor der Wand zahlreiche Gegenstände bis kurz unter die Öffnung standen. In unmittelbarer Nähe vor dem Zaun befanden sich ein Blechschuppen, ein Tisch sowie eine Regentonne mit Gießkannen. An der Richtigkeit dieser Feststellungen, die durch in der Behördenakte vorhandene Lichtbilder belegt sind, hat der Senat keine Zweifel. Bei dieser Sachlage erscheint die Einschätzung der Antragsgegnerin (vgl. Verfügung vom 07.11.2006) schlüssig, dass solche Hunde dank ihrer Sprungkraft in der Lage seien, eine Einfriedung zu überwinden, insbesondere dann, wenn ihnen das Überwinden durch Gegenstände als Steighilfen noch erleichtert werde. Die bloße Beteuerung des Antragstellers, er werde alles in seiner Verantwortung Mögliche unternehmen, um ein Entweichen künftig zu vermeiden, genügt nach dem bisherigen Geschehensablauf nicht. Bereits in der Verfügung vom 30.03.2006 wurde ihm die Sicherstellung seiner Hunde für den Fall angedroht, dass diese nochmals gegen seinen Willen sein Grundstück verlassen. Im Rahmen der am 24.10.2006 und 25.10.2006 von der Antragsgegnerin durchgeführten Ortsbesichtigungen erklärte er sich ausweislich der Niederschriften - wenn überhaupt - nur sehr widerwillig dazu bereit, die von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen (weiteren) Sicherungsmaßnahmen auf dem Grundstück (Verschließen der Lücke, Erhöhung des Zauns zum hinteren Grundstücksteil und Entfernung des Blechschuppens und sämtlicher Gegenstände vom Zaun) vorzunehmen. Dass er die vorgeschlagenen oder in gleicher Weise wirksame und zugleich tierschutzrechtlichen Anforderungen genügende Sicherungsmaßnahmen mittlerweile durchgeführt hat, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Der erst in der Beschwerdeschrift gestellte Antrag, die Antragsgegnerin (im Wege der einstweiligen Anordnung) zu verpflichten, dem Antragsteller zu gestatten, den "Umgang" im Tierheim der Antragsgegnerin mindestens einmal täglich zu gestatten, kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil eine solche Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren unzulässig ist. Einer solchen Antragserweiterung entsprechend § 91 VwGO stehen die in § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO getroffenen Regelungen entgegen, die verlangen, dass sich die Beschwerde mit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung auseinandersetzt, und die nur eine Prüfung der dargelegten Gründe zulassen (vgl. Beschl. d. Senats v. 20.05.2005 - 2 M 8/05; OVG LSA, Beschl. v. 21.07.2004 - 3 M 436/03 - Juris; VGH BW, Beschl. v. 01.09.2004 - 12 S 1750/04 - , VBlBW 2004, 483; OVG Berlin, Beschl. v. 08.04.2004 - 8 S 37.04 -, Juris). Das Beschwerdegericht ist in den Verfahren nach §§ 80, 80a oder 123 VwGO nur zur Überprüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung befugt und trifft keine eigene originäre Entscheidung (Beschl. d. Senats v. 20.05.2005, a. a. O, m. w. Nachw.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 GKG. Da eine stattgebende Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellen würde, ist eine Reduzierung des Streitwerts im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht angezeigt.

Ende der Entscheidung

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