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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 25.02.2002
Aktenzeichen: 2 M 363/01
Rechtsgebiete: GG, LSA-SOG, LSA-BauO-01, BGB


Vorschriften:

GG Art. 14 I S 2
GG Art. 14 II
LSA-SOG § 7 I
LSA-SOG § 8 I S 1
LSA-SOG § 8 II S 1
LSA-BauO-01 § 1 I S 2
LSA-BauO-01 § 13 III S
LSA-BauO-01 § 66 I
LSA-BauO-01 § 84 III S 1
BGB § 854
BGB § 855
1. Bereits die sog. "formelle Illegalität" (Errichtung des Vorhabens ohne die erforderliche Genehmigung) rechtfertigt Eingriffsverfügungen der Baubehörde gegen Werbeanlagen.

2. Der Eigentümer des Grundstücks, der kein Eigentum an der Werbeanlage und über diese keine Sachherrschaft hat, kann nicht als sog. "Zustandsstörer" zur Beseitigung verpflichtet werden.

3. Er ist auch nicht Handlungsstörer, soweit er die durch die Errichtung eintretende Gefahr nicht unmittelbar, sondern nur durch rein tatsächliche Zur-Verfügung-Stellung des Grundstücks verursacht hat.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 363/01

Datum: 25.02.2002

Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich gegen die von dem Antragsgegner angeordnete Entfernung einer Werbeanlage.

Der Antragsteller ist Eigentümer des ... Grundstücks, .... Anlässlich einer Kreiskontrollfahrt ... stellte der Antragsgegner fest, dass auf diesem Grundstück in einer Entfernung von 42 m zum befestigten Straßenrand ... eine Werbeanlage in einer Größe von 3,00 m x 4,00 m aufgestellt worden war, die auf das ... Möbelhaus ... hinwies. Nachdem die Firma ... Möbel ... GmbH ... auf Nachfrage des Antragsgegners mitgeteilt hatte, dass sie nicht Aufstellerin der Werbeanlage sei, und der Antragsteller trotz Aufforderung durch den Antragsgegner vom 28.06.2001 den Aufsteller der Werbeanlage nicht bekannt gegeben hatte, forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Bescheid vom 06.08.2001 unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 DM auf, die ungenehmigte Werbeanlage auf seinem Grundstück unverzüglich, jedoch spätestens bis zum 24.08.2001 zu entfernen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Entfernung der Werbeanlage sei geboten, weil sie formell illegal aufgestellt worden und materiell-rechtlich als Vorhaben im Außenbereich auch nicht genehmigungsfähig sei. Der Antragsteller werde als Zustandsstörer in Anspruch genommen, da er nicht bereit gewesen sei, den Eigentümer der Werbeanlage zu benennen. Die negative Vorbildwirkung rechtfertige zudem die Anordnung des Sofortvollzugs. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller unter dem 24.08.2001 Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.

Nachdem der Antragsgegner die Firma ... Reklame als Aufstellerin der Werbeanlage in Erfahrung gebracht hatte, erließ er dieser gegenüber unter dem 09.08.2001 eine Duldungsverfügung unter Anordnung des Sofortvollzugs, gegen die Widerspruch erhoben wurde; eine weitere Duldungsverfügung unter Anordnung des Sofortvollzugs erging unter dem 28.09.2001 gegenüber der Firma ... Möbel ... GmbH ..., die ebenfalls Widerspruch gegen die Verfügung erhob.

Am 12.10.2001 hat der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und vorgetragen, die angefochtene Beseitigungsanordnung sei rechtswidrig, da er weder als Zustandsstörer noch als Verhaltensstörer zur Entfernung der Werbeanlage verpflichtet werden könne. Nach den Feststellungen des Antragsgegners sei die Firma Ernst Reklame Aufstellerin der Werbeanlage und damit als Verhaltensstörerin beseitigungspflichtig; daneben könne auch die Firma ... Möbel ... GmbH ... als Eigentümerin der Werbeanlage zu deren Beseitigung verpflichtet werden. Demgegenüber hat der Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, der Antragsteller sei Verhaltensstörer gemäß § 7 Abs. 1 SOG-LSA, da er die Errichtung der Werbeanlage gestattet habe, als Eigentümer des Grundstücks, auf dem die Werbeanlage errichtet worden sei, aber jedenfalls Zustandsstörer gemäß § 8 Abs. 2 SOG-LSA.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 6. November 2001 (Az: 4 B 531/01 MD) mit der Begründung abgelehnt, die angegriffene Verfügung des Antragsgegners sei nicht wegen einer ermessensfehlerhaften Störerauswahl rechtswidrig, da der Antragsteller zu Recht als Zustandsstörer in Anspruch genommen worden sei.

Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller einen Antrag auf Zulassung der Beschwerde gestellt, die der Senat mit Beschluss vom 25. Januar 2002 zugelassen hat.

Gründe:

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Dem Antragsteller ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686), in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO - vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, weil bei der hier allein in Betracht kommenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Überwiegendes dafür spricht, dass sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 24.08.2001 als rechtswidrig erweisen wird.

Rechtsgrundlage der Beseitigungsanordnung des Antragsgegners vom 06.08.2001 ist § 84 Abs. 3 Satz 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA - (= Art. 1 des Gesetzes über die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Änderung des Ingenieurgesetzes und des Vermessungs- und Katastergesetzes vom 23.06.1994 [LSA-GVBl., S. 723], geändert durch Gesetz vom 24.11.1995 [LSA-GVBl., S. 339], i. d. F. des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 09.02.2001 [LSA-GVBl., S. 50], zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.12.2001 [LSA-GVBl., S. 540 ]). Danach kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen und Einrichtungen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, denn die Werbeanlage ist auf dem Grundstück des Antragstellers ohne die gemäß § 66 Abs. 1 BauO LSA notwendige Baugenehmigung errichtet worden und damit formell rechtswidrig. Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass allein diese formelle Illegalität die Beseitigung der Werbeanlage rechtfertigt, denn eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur zu machen, wenn die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens "offensichtlich" ist (st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt: OVG LSA, Beschl. v. 10.03.2000 - 2 M 18/00 -, BA S. 4 m. w. N.). So liegt es hier aber nicht, denn - wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - liegt die streitige Werbeanlage im Außenbereich, in dem Werbeanlagen gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 BauO LSA grundsätzlich unzulässig sind.

Allerdings ist die von dem Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller angeordnete Beseitigung der Werbeanlage Störers offensichtlich rechtswidrig, weil seine evtl. Störer-Eigenschaft jedenfalls die Beseitigungs-Anordnung nicht trägt.

An wen die Beseitigungsanordnung zu richten ist, regelt die Bauordnung Sachsen-Anhalt nicht, so dass insoweit die allgemeinen Grundsätze des Sicherheitsrechts über die Polizeipflichtigkeit des Verhaltens- (bzw. Handlungs-) und des Zustandsstörers heranzuziehen sind (vgl. Jäde/Dirnberger, Kommentar zum Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, Stand: Juli 2001, § 81 RdNr. 93 und zur insoweit vergleichbaren Rechtslage: VGH BW, Beschl. v. 27.03.1995 - 8 S 525/95 -, VBlBW 1995, 281; OVG NW, Urt. v. 09.12.1994 - 10 A 1753/91 -, BauR 1995, 677; BayVGH, Urt. v. 19.09. 1977 - Nr. 64 XV 75 -, BayVBl. 1978, 340). Für eine Beseitigungsanordnung kann folglich derjenige in Anspruch genommen werden, den gemäß §§ 7, 8 ff. des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG-LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.11.2000 (LSA-GVBl., S. 594), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.12.2001 (LSA-GVBl., S. 540 [544]), für die vermutete Gefahr die Verantwortung trifft. Das ist neben dem Verantwortlichen für den Zustand von Tieren und Sachen (§ 8 SOG-LSA) derjenige, der durch sein Verhalten die vermutete Gefahr verursacht hat (§ 7 SOG-LSA).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Antragsteller gemäß § 8 SOG-LSA nicht auch für die Beseitigung der Werbeanlage verantwortlich, da er weder Eigentümer der die Gefahr verursachenden Werbeanlage im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG-LSA ist noch sich seine tatsächliche Sachherrschaft gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SOG-LSA auf diese Werbeanlage erstreckt; denn durch den Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages (z. B. Miete oder Pacht) hat der Antragsteller als Vertragspartner (Vermieter oder Verpächter) nicht zugleich die tatsächliche Gewalt und damit den Besitz der Sache im Sinne der §§ 854, 855 BGB erlangt (vgl. allgemein dazu: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., § 21 Anm. 3 a).

Der Antragsteller mag als Zustandsstörer anzusehen sein, weil die Werbeanlage illegal auf seinem Grundstück errichtet worden ist. Dies mag Auskunftspflichten gegenüber der Bauaufsichtsbehörde begründen, kann jedoch nicht dazu führen, ihm auch die Beseitigung der Anlage aufzuerlegen.

§ 8 Abs. 2 Satz 1 SOG-LSA, wonach Maßnahmen auch gegen den Eigentümer gerichtet werden können, knüpft an die aus der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft des Eigentümers hergeleiteten Rechtspflicht an, dafür zu sorgen, dass von seinen Sachen keine Störungen oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Sie stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, die verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil sie Ausdruck der dem Sacheigentum nach Art. 14 Abs. 2 GG immanenten Sozialbindung ist (vgl. zu ähnlichen ordnungsrechtlichen Regelungen: BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998 - BVerwG 1 B 229.97 -, NJW 1999, 231; BVerwG, Beschl. v. 14.11.1996 - BVerwG 4 B 105.96 -, NVwZ 1997, 577 [578]).

Vorliegend geht die zu beseitigende Gefahr nicht von dem Grundstück des Antragstellers aus, sondern von der formell illegal errichteten Werbeanlage, die unstreitig nicht im Eigentum des Antragstellers steht. Vor diesem Hintergrund ist der Antragsteller nicht als Zustandsstörer im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG-LSA verantwortlich, denn für die Zustandsverantwortlichkeit kommt es allein auf die rechtliche oder tatsächliche Sachherrschaft des Eigentümers über seine Sache - hier über die Werbeanlage - und die sich daraus ergebende Pflicht an, für die Störungsfreiheit zu sorgen (BVerwG, Beschl. v. 31.07.1998, a.a.O.).

Eine besondere Haftung des Eigentümers für den rechtmäßigen Zustand nicht nur einer baulichen Anlage, sondern auch des Grundstücks - wie sie etwa in Niedersachsen nach § 61 der dortigen Bauordnung gilt - kennt das Bauordnungsrecht von Sachsen-Anhalt nicht.

Der Antragsteller ist auch nicht Verhaltensstörer im Sinne des § 7 Abs. 1 SOG-LSA, da nicht er unmittelbar durch eigenes Tun die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne dieser Vorschrift herbeigeführt hat, sondern die Firma E... Reklame als Aufstellerin der formell illegalen Werbeanlage. Eine unmittelbare Verursachung der Gefährdungssituation ist aber notwendige Voraussetzung für eine Verantwortlichkeit des Verhaltensstörers im Sinne des § 7 Abs. 1 SOG-LSA (Meixner/Martell, Kommentar zum SOG-LSA, 3. Aufl., § 7 RdNr. 8; OVG RP, Urt. v. 25.01.1990 - 1 A 77/87 -, DÖV 1990, 844 [845]; BayVGH, Urt. v. 19.09.1977 - Nr. 64 XV 75 -, BayVBl. 1978, 340).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12. 2001 (BGBl I 3638 [3639]) i. V. m. I Nr. 8, II Nr. 7.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff.).



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