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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 11.02.2008
Aktenzeichen: 2 M 4/08
Rechtsgebiete: SOG LSA


Vorschriften:

SOG LSA § 8
Erlangt die Bauaufsichtsbehörde davon Kenntnis, dass mehrere Personen im Sinne der §§ 7 f. SOG LSA für eine Gefahr verantwortlich sind, wird ihr dadurch ein Ermessen hinsichtlich der Entscheidung eröffnet, gegen welche dieser Personen sie ihre Gefahrenabwehrmaßnahme richtet (Auswahlermessen). Die Eröffnung dieser Auswahlmöglichkeit begründet zugleich die rechtliche Obliegenheit, das Ermessen in fehlerfreier Weise auszuüben. Voraussetzung dafür ist insbesondere, dass die Behörde die Frage der tatbestandsmäßigen Verantwortlichkeit der ihr zur Kenntnis gelangten Personen prüft und - wenn sich als Ergebnis dieser Prüfung herausstellt, dass eine Mehrzahl von ihnen verantwortlich ist - eine bewusste Entscheidung darüber trifft, gegen welche dieser Personen sie aus welchen Gründen ihre Maßnahme richtet.
Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 4 zulässige Beschwerde ist begründet.

Entgegen dem angefochtenen Beschluss, den das Verwaltungsgericht zur gemeinsamen Entscheidung der Verfahren 2 B 243/07 - HAL und 2 B 244/07 - HAL verbunden hat, ist dem Aussetzungsantrag der Antragstellerin sowohl hinsichtlich der Abrissverfügung der Antragsgegnerin vom 12.10.2007 (2 B 243/07 - HAL) als auch hinsichtlich ihres hierzu erlassenen Kostenfestsetzungsbescheides vom 19.10.2007 (2 B 244/07 - HAL) stattzugeben. Hinsichtlich beider Bescheide überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse (§ 80 Abs. 5 VwGO), weil sich der erstgenannte Bescheid nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist ( - 1. - ) und deshalb auch die sofortige Vollziehung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheides nicht geboten erscheint ( - 2. - ).

1. Die Abrissverfügung der Antragsgegnerin vom 12.10.2007 ist voraussichtlich rechtswidrig, weil sie unter einem Ermessensfehler in Gestalt eines Ermessensausfalls leidet. Die Begründung des Bescheides und die vorgelegten Unterlagen lassen nicht erkennen, dass sich die Antragsgegnerin abwägend mit der Frage auseinandergesetzt hat, welche von zwei verantwortlichen Personen im Sinne des § 8 SOG-LSA sie in Anspruch nimmt.

Erlangt die Bauaufsichtsbehörde davon Kenntnis, dass mehrere Personen im Sinne der §§ 7 f. SOG LSA für eine Gefahr verantwortlich sind, wird ihr dadurch ein Ermessen hinsichtlich der Entscheidung eröffnet, gegen welche dieser Personen sie ihre Gefahrenabwehrmaßnahme richtet (Auswahlermessen). Die Eröffnung dieser Auswahlmöglichkeit begründet zugleich die rechtliche Obliegenheit, das Ermessen in fehlerfreier Weise auszuüben. Voraussetzung dafür ist insbesondere, dass die Behörde die Frage der tatbestandsmäßigen Verantwortlichkeit der ihr zur Kenntnis gelangten Personen prüft und - wenn sich als Ergebnis dieser Prüfung herausstellt, dass eine Mehrzahl von ihnen verantwortlich ist - eine bewusste Entscheidung darüber trifft, gegen welche dieser Personen sie aus welchen Gründen ihre Maßnahme richtet. Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Abrissverfügung nicht.

Für die von dem streitgegenständlichen Gebäude ausgehende Gefahr waren zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Abrissverfügung nach Aktenlage zwei Personen verantwortlich, zum einen die Antragstellerin und zum anderen die Firma ( ... ) GmbH in Gründung mit Sitz in Hamburg. Deren Verantwortlichkeit ergibt sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA, weil sie seit dem 20.06.2007 die tatsächliche Gewalt über das Grundstück inne gehabt hatte. Mit Kaufvertrag vom 20.06.2007 (vgl. Bl. 49 und 115 der Gerichtsakte) hatte ihr die Antragstellerin das Grundstück verkauft und am selben Tag dessen Besitz überlassen (§ 5 des Kaufvertrages). Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung des § 5 nicht umgesetzt wurde, bestehen nach der dem Gericht unterbreiteten Aktenlage nicht. Zwar ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen, dass die Antragstellerin das Grundstück zu einem früheren Zeitpunkt zunächst an eine andere Firma, die (M. E. H. ... ) GmbH, verkauft hatte (Kaufvertrag vom 20.01.2006, vgl. Bl. 26 der Gerichtsakte). Dieser Kaufvertrag war aber wegen einer Rechtsstreitigkeit nicht vollzogen worden (vgl. Bl. 125 der Beiakte A), so dass die Antragstellerin das Grundstück am 20.06.2007 an die ( ... ) GmbH in Gründung verkaufte und dieser nach § 5 dieses Vertrages den Besitz überließ. Die Verantwortlichkeit der Antragstellerin ergibt sich demgegenüber aus § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG LSA, weil sie zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Abrissverfügung mangels vollzogener Eigentumsumschreibung auf die (M. E. H. ... ) GmbH und die ( ... ) GmbH in Gründung noch Eigentümerin des Grundstücks war.

Die mithin vorliegende Verantwortlichkeit zweier Personen hätte der Antragsgegnerin auch bereits vor dem Erlass ihrer Abrissverfügung vom 12.10.2007 bewusst sein können. Mit Schreiben vom 10.09.2007, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 12.09.2007 (vgl. Beiakte A, Bl. 122), hatte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin der Antragsgegnerin eine Kopie des Kaufvertrages vom 20.06.2007 zwischen der Antragstellerin und der ( ... ) GmbH in Gründung übersandt.

Das demnach eröffnete Auswahlermessen dahingehend, gegen welche der beiden verantwortlichen Personen eingeschritten werden soll, hat die Antragsgegnerin indessen nicht ausgeübt. In der Begründung des angefochtenen Bescheides heißt es lediglich (Seite 3 unten des Bescheides):

"Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen sind Sie (der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin, Anm. des Senats) Liquidator der Eigentümerin des o.g. Grundstückes und somit Zustandsstörer gemäß § 8 SOG LSA. Als Zustandsstörer sind Sie zur Beseitigung des Gefahrenzustandes heranzuziehen. Die Erwerberin des Grundstückes ((M. E. H. ... ) GmbH) wurde bisher noch nicht als Eigentümerin im Grundstück eingetragen."

Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass die Antragsgegnerin trotz des Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 10.09.2007 bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigte, dass neben der Antragstellerin als Eigentümerin (§ 8 Abs. 2 SOG LSA) nunmehr auch die ( ... ) GmbH in Gründung als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt (§ 8 Abs. 1 SOG LSA) für die eingetretene Gefahr verantwortlich war. Das zeigt schon die Tatsache, dass die Antragsgegnerin die Firma ( ... ) GmbH in Gründung in ihrem Bescheid mit keinem Wort erwähnt, sondern stattdessen lediglich auf die (M. E. H. ... ) GmbH eingeht und feststellt, dass diese Firma mangels vollzogener Eigentumsumschreibung nicht verantwortlich sei. Das ist aber in doppelter Hinsicht unzureichend: Zum einen war nach dem aktuellen Stand der Dinge nicht mehr die (M. E. H. ... ) GmbH, sondern die ( ... ) GmbH in Gründung Inhaberin der tatsächlichen Gewalt, weil es sich bei jener um eine frühere Käuferin handelt (Kaufvertrag vom 20.01.2006, vgl. Bl. 26 der Gerichtsakte), deren Kaufvertrag mit der Antragstellerin aufgrund einer Rechtsstreitigkeit nicht vollzogen wurde (vgl. Bl. 125 der Beiakte A) und an deren Stelle sodann - wie ausgeführt - die ( ... ) GmbH in Gründung das Grundstück kaufte (Kaufvertrag vom 20.06.2007, vgl. Bl. 49 und 115 der Gerichtsakte). Zum anderen stellt die Antragsgegnerin in ihrer Begründung einseitig auf die Frage der Eigentümerstellung ab und zeigt damit, dass sie sich mit der Möglichkeit einer Verantwortlichkeit wegen des Innehabens der tatsächlichen Gewalt (§ 8 Abs. 1 SOG LSA) überhaupt nicht auseinandersetzt. Das wiegt umso schwerer, als § 8 SOG LSA nach der systematischen Anordnung seiner Absätze und nach seinem Wortlaut eine vorrangige Verantwortlichkeit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt gegenüber dem Eigentümer nahe legt. In systematischer Hinsicht ist die Verantwortlichkeit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt in Absatz 1 und damit vor der Verantwortlichkeit des Eigentümers in Absatz 2 geregelt. Zudem findet sich in § 8 Abs. 2 Satz 1 SOG LSA die einschränkend zu verstehende Formulierung, Maßnahmen könnten "auch" gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden.

2. Nach alledem ist auch die Vollziehung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheides vom 19.10.2007 (2 B 244/07 - HAL) auszusetzen. Da nach § 12 Abs. 1 VwKostG LSA die durch eine unrichtige Sachbehandlung entstandenen Kosten zu erlassen sind, erscheint auch eine sofortige Vollziehung solcher Kosten nicht angemessen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 2; 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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