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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 11.10.2004
Aktenzeichen: 2 M 444/04
Rechtsgebiete: BauGB, LSA-KAG, AO


Vorschriften:

BauGB § 242 IX 1
LSA-KAG § 13 I Nr. 4b
AO § 171 IIIa 1
AO § 171 IIIa 2
1. § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB gebietet neben einer isolierten Betrachtung der Teil-Einrichtungen zusätzlich eine Gesamt-Betrachtung der Anlage.

War eine Anlage mit allen damals vorhandenen Teil-Einrichtungen insgesamt hergestellt, dann unterfallen auch spätere neue Teil-Einrichtungen nicht mehr dem Erschließungsbeitragsrecht. War hingegen von mehreren Teil-Einrichtungen mindestens eine noch nicht (vollständig) hergestellt, so unterfallen auch die später neu hinzukommenden Teil-Einrichtungen dem Erschließungsbeitragsrecht.

Eine Teil-Einrichtung ist auch dann nicht aus dem Erschließungsbeitragsrecht entlassen, wenn sie am 03.10.1990 noch nicht vollständig hergestellt war.

2. Die Festsetzungsverjährung wird durch Einlegung des Widerspruchs gehemmt und läuft nicht ab, bis über ihn unanfechtbar entschieden worden ist (§ 171 Abs. 3a AO).

Zwar wird in § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst b LSA-KAG nicht ausdrücklich auch auf § 171 Abs. 3a AO verwiesen; gleichwohl ist sie Inhalt der Verweisung, weil ihr wesentlicher Inhalt ursprünglich im § 171 Abs. 3 AO enthalten war, auf den § 13 LSA-KAG Bezug nimmt.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 444/04

Datum: 11.10.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 52 Abs. 1; 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG -<Streitwert>.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß §§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 4 Satz 3 VwGO abgelehnt, weil bei der allein in Betracht kommenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Heranziehungsbescheides der Antragsgegnerin vom 29.11.2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 11.07.2003 bestehen. Die Darlegungen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift vom 14.07.2004, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, die Antragsgegnerin hätte den am 03.10.1990 noch nicht fertiggestellten Gehweg der "R-Straße" und die zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhandene Straßenentwässerung nicht nach Erschließungsbeitragsrecht abrechnen dürfen, weil dieser Ausbauzustand, insbesondere auch das Vorhandensein eines nur teilweise ausgebauten Gehweges, am 03.10.1990 dem ortsüblichen Ausbauzustand der Antragsgegnerin entsprochen habe. Hierauf kommt es für die Anwendbarkeit des Erschließungsbeitragsrechts hinsichtlich der abgerechneten Teileinrichtungen nicht maßgeblich an. Nach § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB ist die Erhebung eines Erschließungsbeitrags im Beitrittsgebiet nur ausgeschlossen, soweit "Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen ... vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind". Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 18.11.2002 - BVerwG 9 C 2.02 -, DVBl 2003, 338) - der sich der Senat bereits in früheren Entscheidungen angeschlossen hat (vgl. z. B. Beschl. v. 17.05.2004 - 2 M 273/04 -) - gebietet § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB neben einer isolierten Betrachtung der Teileinrichtungen zusätzlich eine Gesamtbetrachtung der Anlage: Stets ausgeschlossen ist das Erschließungsbeitragsrecht danach für einzelne, am 03.10.1990 bereits hergestellte Teileinrichtungen. War die Anlage am 03.10.1990 insgesamt, d. h. in allen ihren damals vorhandenen Teileinrichtungen, hergestellt, ist das Erschließungsbeitragsrecht auch für nachträglich hinzukommende Teileinrichtungen ausgeschlossen. Bestand die Anlage hingegen am 03.10.1990 aus mehreren (mindestens zwei) Teileinrichtungen und war von diesen mindestens eine noch nicht vollständig hergestellt, ist das Erschließungsbeitragsrecht nur für die hergestellte(n) Teileinrichtung(en) ausgeschlossen, nicht aber für die noch nicht hergestellte(n) sowie für weitere, später hinzukommende Teileinrichtungen (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 2 RdNr. 38). Der letztgenannte Fall ist hier gegeben, weil die "R-Straße" am 03.10.1990 über mehrere Teileinrichtungen verfügte, die zum Teil noch nicht hergestellt waren. Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind nämlich nach § 242 Abs. 9 Satz 2 BauGB nur die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen. Das Merkmal der Fertigstellung setzt aber unabhängig von einem Ausbauprogramm oder den Ausbaugepflogenheiten jedenfalls voraus, dass die Anlage oder die Teileinrichtung in ihrer gesamten Ausdehnung ausgebaut war (vgl. OVG LSA, Urt. v. 18.12.2000 - 2 L 104/00 -, ZMR 2002, 629; Beschl. v. 17.05.2004 - 2 M 273/04 -). Daran fehlt es hier, weil der abgerechnete Gehweg der "R-Straße" am 03.10.2004 zwar vorhanden, aber noch nicht in seiner gesamten Länge ausgebaut war. Damit ist sowohl hinsichtlich dieses Gehwegs als auch der nunmehr erstmals errichteten Straßenentwässerung Erschließungsbeitragsrecht anwendbar.

Der Antragstellerin ist auch nicht darin zu folgen, die Antragsgegnerin hätte den mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 11.07.2003 erstmals festgesetzten Teilbeitrag in Höhe von 1.294,33 € deshalb nicht erheben dürfen, weil insoweit bereits am 31.12.2002 Festsetzungsverjährung eingetreten sei; denn die Verjährung war durch den am 28.12.2002 von der Antragstellerin eingelegten Widerspruch gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b KAG LSA i. V. m. § 171 Abs. 3a Satz 1 AO 1977 gehemmt. Nach der zuletzt genannten Vorschrift läuft in den Fällen, in denen ein Abgabenbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten wird, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist. Nach § 171 Abs. 3a Satz 2 AO 1977 ist der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich des gesamten Abgabenanspruchs gehemmt. Die Bestimmungen des § 171 Abs. 3a AO 1977 sind auf die vorliegende Erhebung eines Erschließungsbeitrags auch anwendbar. Zwar werden in § 13 Abs. 1 Nr. 4 b des Kommunalabgabengesetzes (KAG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.12.1996 (LSA-GVBl., S. 406), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158) lediglich die Absätze 1 bis 4 und 7 bis 14 des § 171 AO 1977, nicht jedoch dessen Absatz 3a auf kommunale Abgaben wie den streitgegenständlichen Erschließungsbeitrag für entsprechend anwendbar erklärt. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass auch der letztgenannte Absatz von der Verweisungsnorm des § 13 Abs. 1 Nr. 4 b KAG LSA erfasst sein soll. Die Vorschrift des § 171 Abs. 3a AO 1977, die mit Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl. I 2601) in die Abgabenordnung eingefügt wurde, entspricht nämlich ihrem wesentlichen Regelungsgehalt nach dem Absatz 3 Satz 2 des § 171 AO 1977 in der zuletzt mit Gesetz vom 19.12.1998 (BGBl. I 3836) geänderten Fassung, weil auch nach dieser Regelung die Verjährung der Abgabenforderung durch die Anfechtung des Festsetzungsbescheides gehemmt wurde. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4 b KAG LSA als "dynamische Verweisung" nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur auf § 171 Abs. 3 AO 1977, sondern auch auf den neu eingefügten Abs. 3a dieser Vorschrift bezieht; denn der Gesetzgeber wollte mit der Verweisung erreichen, dass die Regelungen in der Abgabenordnung über die Hemmung der Festsetzungsverjährung auch auf kommunalabgabenrechtliche Verfahren angewendet werden. Dabei sollten etwaige Änderungen der sachlichen Regelungen oder der Fassung der Absätze im Bundesgesetz ohne besonderen weiteren Gesetzesbefehl des Landesgesetzgebers auch für die landesrechtlich geregelten kommunalabgabenrechtlichen Verfahren Anwendung finden (OVG LSA, Beschl. v. 12.07.2002 - 1 M 273/01 -, NVwZ-RR 2003, 234; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 19 RdNr. 34). Dementsprechend ist auch der beschließende Senat bisher von der Anwendbarkeit des § 171 Abs. 3a AO 1977 im Kommunalabgabenrecht ausgegangen (Beschl. v. 10.04.2002 - 2 M 45/02 -).

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