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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 12.07.2004
Aktenzeichen: 2 M 474/03
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, LSA-BauO, LSA-VwVfG
Vorschriften:
VwGO § 42 II | |
BauGB § 36 | |
LSA-BauO § 74 I 1 | |
LSA-BauO § 74 II 2 | |
LSA-VwVfG § 45 I 3 |
Der Bauherr kann auch nicht die Erteilung des Einvernehmens einklagen, sondern muss seinen Anspruch auf die Baugenehmigung durchzusetzen versuchen.
2. Die Baubehörde muss der Gemeinde Gelegenheit zur eigenen Entscheidung geben, ehe sie das Einvernehmen ersetzt. Wird die Frist zu kurz bemessen, so heilt ein Abwarten diese Rechtswidrigkeit nicht. Der Mangel kann auch nicht entsprechend dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Anhörungsrecht "geheilt" werden.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 M 474/03
Datum: 12.07.2004
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Ersetzung des Einvernehmens durch den Antragsgegner (Nr. 1 des Bescheids vom 26. Juni 2003) angeordnet hat, fehlt der Beigeladenen bereits die materielle Beschwer für die Beschwerde. Ein Beigeladener kann ein ihm nachteiliges Urteil mit einem Rechtsmittel nur dann erfolgreich angreifen, wenn er in seinen subjektiven Rechten tatsächlich verletzt wird (BVerwG, Urt. v. 23.08.1974 - BVerwG IV C 29.73 -, BVerwGE 47, 19; Urt. v. 12.03.1987 - BVerwG 3 C 2.86 -, BVerwGE 77, 102). Soweit das Verwaltungsgericht die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 3 des Baugesetzbuchs - BauGB - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1997 (BGBl I 2141, ber.: BGBl. 1998 I 137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.05.2004 (BGBl I 718 [833]), durch Urteil aufhebt oder - wie hier - die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Ersetzung anordnet, wird der Bauherr dadurch unabhängig von seiner verfahrensrechtlichen Stellung als Beigeladener nicht in seinen Rechten verletzt; denn bei der Ersetzungsentscheidung der zuständigen Behörde handelt es sich um einen rein verwaltungsinternen Vorgang, der nur gegenüber der Gemeinde einen Verwaltungsakt darstellt (Reidt, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl., RdNr. 1976; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 36 RdNrn. 43, 44). Der Bauherr wird durch die Ersetzung nur mittelbar begünstigt (HessVGH, Beschl. v. 12.06.2002 - 9 TG 878/02 -, BRS 65 Nr. 170). Eine unmittelbare Begünstigung erfolgt erst durch die Erteilung der Baugenehmigung oder des Bauvorbescheids, die ihm gegenüber Außenwirkung entfalten. Ebenso wie ein unmittelbarer Anspruch gegen die Gemeinde auf Erteilung des Einvernehmens nicht besteht, hat der Bauherr keinen Rechtsanspruch auf Ersetzung des Einvernehmens (Reidt, a. a. O.; Jäde, in: Jäde/Dirnberger, BauO LSA, § 74 RdNr. 15; a. A.: Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 36 RdNr. 53). Dementsprechend hat er auch nicht die Möglichkeit, gegenüber der nach Landesrecht zuständigen Behörde auf Ersetzung des Einvernehmens zu klagen; ihm bleibt nur die (einfachere) Möglichkeit, die von ihm begehrte Baugenehmigung oder den von ihm gewünschten Bauvorbescheid im Wege der Verpflichtungsklage gegen die Baugenehmigungsbehörde durchzusetzen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 12.06.2002, a. a. O.; Reidt, a. a. O.).
Soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den (positiven) Bauvorbescheid (Nr. 2 des Bescheids vom 26. Juni 2003) angeordnet hat, ist die Beigeladene zwar durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts materiell beschwert. Insoweit hat die Beschwerde aber deshalb keinen Erfolg, weil nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen ist, dass der Bauvorbescheid voraussichtlich unter Verletzung von Rechtsvorschriften erteilt wurde, die der Sicherung der Planungshoheit der Antragstellerin zu dienen bestimmt sind.
Die Baugenehmigungsbehörde darf eine Baugenehmigung (oder einen positiven Bauvorbescheid) ohne gemeindliches Einvernehmen nach § 36 BauGB nicht erteilen, auch wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass die Gemeinde das erforderliche Einvernehmen rechtswidrig versagt hat (BVerwG, Urt. v. 07.02.1986 - BVerwG 4 C 43.83 -, NVwZ 1986, 556). Zwar erlaubt § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, dass die nach Landesrecht zuständige Behörde ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen kann. § 74 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA - i. d. F. des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 09.02.2001 [LSA-GVBl., S. 50]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158 [161 <Art. 5>]), konkretisiert die bundesrechtliche Regelung dahingehend, dass die zuständige Genehmigungsbehörde das rechtswidrig versagte Einvernehmen zu ersetzen hat. Eine positive Entscheidung über einen Bauantrag bei fehlendem Einvernehmen der Gemeinde setzt jedoch voraus, dass das Einvernehmen wirksam ersetzt worden ist, insbesondere die verfahrensrechtlichen Vorschriften eingehalten sind. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 BauO LSA ist die Gemeinde vor Ersetzung des Einvernehmens anzuhören. Nach Satz 2 ist ihr dabei Gelegenheit zu geben, binnen einer Frist von einem Monat erneut über das gemeindliche Einvernehmen zu entscheiden. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, hat der Antragsgegner diese Frist nicht beachtet. In dem Aufforderungsschreiben vom 26. Mai 2003 hat er der Antragstellerin eine Frist zur Stellungnahme und erneuten Prüfung nur bis zum 20. Juni 2003 gesetzt. Bereits das Setzen einer zu kurz bemessenen Frist führt unabhängig davon, ob die Behörde die gesetzlich vorgeschriebene Frist dann doch abgewartet hat, zur formellen Rechtswidrigkeit der Ersetzungsentscheidung. Ein stillschweigendes Zuwarten ersetzt eine zu kurz bemessene Äußerungsfrist nicht (vgl. BSG, Urt. v. 06.08.1992 - 8/5a RknU1/87 -, NJW 1993, 1614 1615]). Im Fall des § 74 Abs. 2 BauO LSA ist die Einhaltung der Entscheidungsfrist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil von der Dauer der Frist die Entscheidung der Gemeinde abhängen kann, ob sie ein (neues) Bauleitplanverfahren in Gang setzen und (gleichzeitig) die Sicherungsmaßnahmen der §§ 14 ff. BauGB ergreifen will. Hierfür hat der Gesetzgeber einen Monat als angemessen angesehen.
Ungeachtet der fehlerhaften Fristbestimmung hat der Antragsgegner die - am 30. Juni 2003 endende - Monatsfrist auch tatsächlich nicht eingehalten, da er bereits mit Bescheid vom 26. Mai 2003 die Ersetzungsentscheidung getroffen hat. Grundsätzlich ist eine Behörde verpflichtet, im Falle der Einräumung einer Äußerungsfrist einen belastenden Verwaltungsakt erst zu erlassen, wenn diese Frist abgelaufen ist (HessVGH, Beschl. v. 16.07.1990 - 13 TH 1690/90 -, NVwZ-RR 1991, 225). Dies gilt erst recht, wenn es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Frist handelt. Nur wenn sich der Adressat der Anhörungsmitteilung während des Laufs der Frist erkennbar abschließend zu den entscheidungserheblichen Umständen geäußert hat; muss die Behörde den Ablauf der von ihr gesetzten Frist nicht abwarten (HessVGH, Beschl. v. 16.07. 1990, a. a. O.). Ob dies auch dann gilt, wenn - wie hier - die Dauer der Frist gesetzlich vorgeschrieben ist, mag dahinstehen; denn den beiden Schriftsätzen der Antragstellerin, in denen sie zu der beabsichtigten Ersetzung ihres Einvernehmens Stellung bezogen hat, lässt sich nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen, dass die jeweiligen Äußerungen abschließend sein sollten. Aus dem zweiten Schreiben vom 13. Juni 2003 ergab sich insbesondere, dass die Antragstellerin bereits damals beabsichtigte, die maßgebliche Bauleitplanung zu ändern, und außerdem erwog, "sehr zeitnah" eine Veränderungssperre zu erlassen. Unter diesen Umständen konnte der Antragsgegner nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Antragstellerin innerhalb der ihr zustehenden Frist keine weitere Stellungnahme abgeben oder neue Tatsachen vortragen würde.
Ohne Erfolg wendet die Beigeladene ein, die Antragstellerin habe ausreichend Gelegenheit gehabt, ihre Rechtsansicht darzulegen, insbesondere habe sie nach Kenntnis des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Halle vom 15. Mai 2003 und der darin dargelegten Rechtsauffassung zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens mehr als einen Monat Zeit gehabt, eine Stellungnahme abzugeben. Die Monatsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA ist zwingendes Recht und steht nicht zur Disposition der Genehmigungsbehörde. Sie stellt im Übrigen nicht lediglich eine Anhörungs- oder Äußerungsfrist dar, sondern will der Gemeinde Gelegenheit geben, "erneut über das gemeindliche Einvernehmen zu entscheiden", mithin eine (neue) eigene Entscheidung zu treffen. Dies schließt die Möglichkeit ein, dass die Gemeinde innerhalb dieser Frist von den ihr zur Verfügung stehenden planungsrechtlichen Mitteln Gebrauch macht und eine Änderung der Bauleitplanung einschließlich der Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 14 ff. BauGB beschließt. Zu Unrecht verweist die Beigeladene darauf, dass eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB ihren Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheids nicht mehr hätte beseitigen können. Nach § 14 Abs. 3 BauGB bleiben nur solche Vorhaben von einer Veränderungssperre unberührt, die vor deren In-Kraft-Treten baurechtlich genehmigt waren. Dagegen gilt § 14 Abs. 3 BauGB nicht für Vorhaben, die hätten genehmigt werden müssen, aber nicht genehmigt worden sind (BVerwG, Beschl. v. 30.09.1992 - BVerwG 4 NB 35.92 -, ZfBR 1993, 33 [34]). In diesem Fall kommt zwar eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB in Betracht, allerdings nur dann, wenn die Zulassung des Vorhabens dem Zweck der Veränderungssperre nicht zuwiderläuft (BVerwG, Urt. v. 20.08.1992 - BVerwG 4 C 54.89 -, ZfBR 1993, 34). Dass die Antragstellerin im konkreten Fall dann tatsächlich (noch) keine Veränderungssperre beschlossen hat, ist für die Frage der Einhaltung der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 2 BauO LSA ohne rechtliche Bedeutung.
Dieser formelle (Anhörungs-)Mangel konnte auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 [LSA-GVBl., S. 3] - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 [LSA-GVBl., S. 130, 135 <Nr. 34>]), geheilt werden. Nach dieser Regelung ist eine Verletzung von Form- und Verfahrensfehlern, die nicht den Verwaltungsakt nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Es mag dahinstehen, ob die Heilungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift generell für solche Anhörungen ausgeschlossen ist, die der Gesetzgeber in einem besonderen Gesetz nochmals ausdrücklich normiert hat (ablehnend: SächsOVG, Urt. v. 20.02.2001 - 2 B 67/99 -, NVwZ-RR 2002, 53 [54]; Kopp/Ramsauer, 8. Aufl., § 45 RdNr. 24; Knack, VwVfG, 6. Aufl., § 45 RdNr. 29). Einer nachträglichen Anhörung kommt jedenfalls dann keine heilende Wirkung zu, wenn nach einer spezialgesetzlichen Regelung der Zweck der Mitwirkung nur durch vorherige Anhörung erreicht werden kann (OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.03.1982 - 1 U (Baul.) 4/81 -, NVwZ 1982, 580 [581]), wenn mithin der Zweck der Anhörung nicht primär darin besteht, den Betroffenen im Verfahren rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. O.). So liegt es bei der Anhörung der Gemeinde nach § 74 Abs. 2 BauO LSA. Diese erschöpft sich nicht darin, der Gemeinde zu der von der Baugenehmigungsbehörde beabsichtigten Ersetzungsentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wie bereits dargelegt, hat die Gemeinde darüber hinaus die Möglichkeit, binnen Monatsfrist nochmals eine eigene Entscheidung über das bislang versagte Einvernehmen zu treffen und ggfs. zuvor darüber zu befinden, ob sie ihre Bauleitplanung ändert und Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 14 ff. BauGB beschließt. Nach Ergehen der Ersetzungsentscheidung ist für eine solche Entscheidung der Gemeinde kein Raum mehr; eine nachträgliche Anhörung kann die ihr zugedachte Funktion nicht mehr in vollem Umfang erfüllen.
Ende der Entscheidung
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