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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.01.2003
Aktenzeichen: 2 M 64/02
Rechtsgebiete: LSA-BauO, BauGB


Vorschriften:

LSA-BauO § 84 I Nr 2 (F 2001)
BauGB § 35 II
BauGB § 35 III Nr 1
BauGB § 35 III Nr 7
BauGB § 35 IV 1 Nr 5
1. Ein Bauwerk verliert seine Identität, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes berührt und statische Nachberechnungen erfordert.

2. Mit dem Genehmigungsantrag und den beigefügten Unterlagen bestimmt der Bauherr Art und Umfang der Baumaßnahme.

3. Widerspricht das Vorhaben formellem Baurecht, so handelt die Baubehörde ermessensgerecht, wenn sie im Regelfall die Baueinstellung fordert ("intendiertes Ermessen").


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 64/02

Datum: 09.01.2003

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO und auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2001 (BGBl I 3638 [3639]).

Tatbestand:

I. Der Antragsteller wendet sich gegen die vom Antragsgegner angeordnete Einstellung der Bauarbeiten an seinem Wohnhaus ... in Haldensleben.

Mit Bescheid vom 13.06.2001 erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Ehefrau die beantragte Baugenehmigung zum Um- und Ausbau eines vorhandenen Wohngebäudes in ein Einfamilienhaus mit Garage.

Hinsichtlich der Einzelheiten der geplanten Baumaßnahme wird auf die Antragsunterlagen (Beiakte D) verwiesen.

Nachdem eine Baustellenkontrolle am 12.11.2001 ergeben hatte, dass ein großer Teil der Außenwände abgerissen und neu errichtet worden war (vgl. Lichtbilder Blatt 1 und 2 der Beiakte C), verfügte der Antragsgegner mit Bescheid vom selben Tag die Einstellung der Bauarbeiten unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 5.000,00 DM. Der Antragsgegner begründete seine Maßnahme mit der von der erteilten Baugenehmigung abweichenden Ausführung des Vorhabens. Die eingereichten und genehmigten Bauvorlagen hätten lediglich eine neue Dachkonstruktion, jedoch - mit Ausnahme des Eingangsbereiches - keine Veränderung der Fundamente und der Außenwände vorgesehen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Magdeburg mit Bescheid vom 12.06.2002 als unbegründet zurück. Über die daraufhin beim Verwaltungsgericht erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Bereits am 08.01.2002 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht und vorgetragen, das jetzige Vorhaben sei von der Baugenehmigung gedeckt. Ziehe man sämtliche Bauvorlagen heran, so ergebe sich zwangsläufig, dass ein wesentlicher Teil der Außenmauern von vornherein hätte entfernt werden müssen. Bei den Bauarbeiten habe sich gezeigt, dass das Außenmauerwerk zu großen Teilen durch Vandalismus, Naturereignisse, Nässe und Frost stark beschädigt gewesen und daher leider überwiegend verloren gegangen sei. Ein Teil der zu erhaltenen Bausubstanz sei überdies durch einen Unglücksfall unbrauchbar geworden.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 06.02.2002 - Az.: 4 B 57/02 MD - mit der Begründung abgelehnt, die angegriffene Verfügung des Antragsgegners sei zu Recht erfolgt; denn das ausgeführte Bauvorhaben weiche von den genehmigten Bauvorlagen ab. Bei den vorgenommenen baulichen Änderungen handele es sich auch nicht um untergeordnete und unwesentliche Abweichungen. Dies zeige sich bereits daran, dass durch die umfangreichen Abrissarbeiten wesentliche Teile des ehemaligen Gebäudes beseitigt worden seien. Ohne rechtliche Bedeutung sei der Vortrag des Antragstellers, dass die Änderung aufgrund des schlechten Zustands des Mauerwerks erforderlich geworden sei.

Gründe:

II. Die hiergegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg; denn die vorgebrachten Gründe rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Einstellung der Bauarbeiten auf der Grundlage des § 84 Abs. 1 Nr. 2 1. Altern. der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA - (= Art. 1 des Gesetzes über die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Änderung des Ingenieurgesetzes und des Vermessungs- und Katastergesetzes vom 23.06.1994 [LSA-GVBl., S. 723], geändert durch Gesetz vom 24.11.1995 [LSA-GVBl., S. 339], i. d. F. des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 09.02.2001 [LSA-GVBl., S. 50]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.12.2001 (LSA-GVBl., S. 540 [545]), angeordnet werden durfte, denn das ausgeführte Bauvorhaben weicht von den genehmigten Bauvorlagen ab.

Der Bauantragsteller bestimmt mit seinem Genehmigungsantrag und den beigefügten erforderlichen Unterlagen das Vorhaben und den damit von der Bauaufsichtsbehörde zu beurteilenden Verfahrensgegenstand; maßgebend ist die Konzeption des Bauherrn, wie sie objektiv den vorgelegten Bauunterlagen zu entnehmen ist. Die Bauvorlagen sind damit Bestandteil der Baugenehmigung und für die Ermittlung ihres Regelungsgehalts verbindlich. Der Antragsteller ist bei der Ausführung des Bauvorhabens an seine Bauvorlagen gebunden und kann davon nur mit Einverständnis der Bauaufsichtsbehörde (in Form einer Nachtragsgenehmigung) abweichen (vgl. u.a. OVG Berlin, Beschl. v. 26.01.1995 - 2 S 35.94 -, OVGE 21, 198). Dies gilt auch, soweit der Antragsteller meinen sollte, angesichts der durch Vandalismus, Naturereignisse, Nässe und Frost verschlechterten Qualität der Restaußenmauer sei sein Vorhaben in der genehmigten Form nicht mehr zu verwirklichen gewesen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist das vollständige Entfernen wesentlicher Teile zu erhaltener Außenmauern (70,9 m von 98,6 m) durch die Bauantragsunterlagen nicht gedeckt. Bereits die Baubeschreibung verweist unter Nr. 4 "Außenwände" nur auf die Inanspruchnahme vorhandenen Mauerwerks, lässt mithin keine Neuerrichtung erkennen; zum anderen stellt der Bestandsgrundriss Blatt-Nr. 9.1. eindeutig die zum Abriss vorgesehenen Außen- und Innenwände orangefarbig koloriert dar. Dem Bestandsgrundriss ist hingegen nicht zu entnehmen, "dass bei den Außenwänden, die bestehen bleiben sollten, das Mauerwerk bis unter die Stürze abgetragen wird". Auch der Hinweis des Antragstellers auf die statische Berechnung, die Stürze aus Stahlbeton und den Einbau eines Stahlbetonringbalkens vorsehe, lässt nicht die Schlussfolgerung einer zwangsläufigen Entfernung von eigentlich zu erhaltenen Außenwänden zu.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers fällt der Umfang der ungenehmigt beseitigten Außenwände mit 70,90 m gegenüber dem genehmigten Teil von lediglich 14 m nicht nur geringfügig ins Gewicht, sondern stellt eine erhebliche Abweichung von den Bauvorlagen dar.

Das Bauvorhaben ist in seinem nunmehrigen Zustand ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet und damit formell illegal.

Es ist darüber hinaus - auch unter Berücksichtigung der unverändert gebliebenen Außenmaße - nicht offensichtlich genehmigungsfähig.

Die Genehmigungsfähigkeit des (geänderten) Wohnhauses ist - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht mehr wegen des ursprünglich angenommenen Bestandsschutzes auf der Grundlage des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu prüfen, denn das Bauwerk hat seine (bestandsschutzrechtliche) Identität verloren. Hieran fehlt es dann, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird (BVerwG, Beschl. v. 21.03.2001 - BVerwG 4 B 18.01 -, NVwZ 2002, 92). Durch die Beseitigung wesentlicher Teile des ehemaligen Gebäudes erlangt das Vorhaben die Qualität einer Neuerrichtung, dessen planungsrechtliche Zulässigkeit nunmehr nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen ist. Ob die vom Antragsgegner befürchtete Beeinträchtigung öffentlicher Belange i. S. v. § 35 Abs. 3 Nrn. 1 und 7 BauGB vorliegt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung; denn bereits das dem Senat vorliegende Bild- und Kartenmaterial lässt eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ausscheiden.

Die Anordnung des Antragsgegners leidet auch nicht an Ermessensfehlern, sie ist insbesondere nicht unverhältnismäßig; denn es entspricht regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, wenn die Bauaufsichtsbehörde bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 BauO LSA eine Baueinstellung anordnet und damit im Regelfall von ihrem Ermessen (sog. Regel- oder intendiertes Ermessen) in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch macht (vgl. zur Nutzungsuntersagung OVG LSA, Beschl. v. 24.06.2002 - 2 M 309/01 -).



Ende der Entscheidung

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