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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.02.2006
Aktenzeichen: 2 M 71/05
Rechtsgebiete: BauGB, BlmSchG
Vorschriften:
BauGB § 35 I Nr. 3 | |
BauGB § 35 III 1 | |
BauGB § 35 III 1 Nr. 3 | |
BlmSchG § 1 I | |
BlmSchG § 3 I | |
BlmSchG § 3 II | |
BlmSchG § 5 I | |
BlmSchG § 22 I | |
BlmSchG § 67 IX |
2. Eine Baugenehmigung, die bei problematischen Verhältnissen - hier Eiswurfgefahr bei Windenergieanlagen - dem Antragsteller nur schematisch die Einhaltung gesetzlicher Voraussetzungen aufgibt, stellt nicht wirklich sicher, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Bauvorhaben erfüllt werden; solche Auflagen dürfen den Nachbarn nicht in unzumutbarer Weise mit dem gesamten Risiko belasten, dass der Bauherr die Auflage auch einhält, ohne dass es zu einer echten nachbarlichen Konfliktschlichtung kommt.
Unzureichend ist es, es dem Anlagenbetreiber zu überlassen, unter welchen tatsächlichen (meteorlogischen) Gegebenheiten eine Gefahrenlage anzunehmen ist und die Abschaltung der Anlage zu erfolgen hat.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS
Aktenz.: 2 M 71/05
Datum: 09.02.2006
Gründe:
Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung zweier Windenergieanlagen (- künftig WEA -) in der Nachbarschaft zu ihrem Umspannwerk und ihren in der Nähe befindlichen Hochspannungsleitungen.
Auf den Antrag der Beigeladenen vom 16.05.2002 erteilte der Antragsgegner unter dem 12.12.2002 eine Baugenehmigung für die Errichtung zweier WEA mit einer Nabenhöhe von 93,3 m auf den Flurstücken C und D in der Flur A in der Gemarkung F.. Der Antragsgegner erteilte die Baugenehmigung, obwohl die Standorte außerhalb eines Eignungsgebiets lagen, weil er in Anlehnung an die später aufgegebene Rechtsprechung des Senats die Errichtung von zwei WEA nicht für raumbedeutsam hielt. Mit Änderungsgenehmigung vom 22.01.2003 wurde die Genehmigung nunmehr für zwei Anlagen des Typs Vestas V80-2.0 MV erteilt. Diese Anlagen haben im Gegensatz zu den ursprünglich beantragten Anlagen eine Nabenhöhe von 95 m und einen Rotordurchmesser von 80 m.
Im Sommer 2003 wurden diese WEA errichtet. Südlich von ihrem Standort befindet sich das im Eigentum der Antragstellerin stehende Umspannwerk W.. Das Umspannwerk hat eine Ausdehnung von ca. 500 x 600 m und besteht aus zwei gegeneinander verschobenen Rechteckhälften mit ca. 420 m bzw. ca. 430 m Länge. Der minimale Abstand der beiden WEA zum Gelände (Außenzaun) des Umspannwerks W. beträgt ca. 137 m für die WEA 1 und ca. 206 m für die WEA 4. Der Abstand der WEA 1 zu den nächstgelegenen elektrischen Anlagen des Umspannwerks beträgt etwa 166 m, derjenige der WEA 4 etwa 240 m.
Mit Datum vom 23.09.2003 legte die Antragstellerin gegen die Baugenehmigung und Änderungsgenehmigung beim Antragsgegner Widerspruch ein. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Antragstellerin dagegen zwischenzeitlich Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Ein bei dem Antragsgegner gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Bescheid vom 29.01.2004 abgelehnt. Am 08.03.2004 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Magdeburg einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Mit Beschluss vom 23.03.2005 lehnte das Verwaltungsgericht Magdeburg den Antrag ab. Dabei begründete es den ablehnenden Beschluss im Wesentlichen wie folgt: Überwiegendes spreche dafür, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung des Antragsgegners erfolglos bleiben werde. Im Hinblick auf die dem Gericht durch die Beteiligten vorgelegten fachlichen Stellungnahmen dürften die Windenergieanlagen an dem genehmigten Standort zu keiner konkreten Gefahr und somit zu keiner Verletzung des § 3 Abs. 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt führen. Insoweit hielt das Gericht bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das Vorliegen einer Gefahr im Sinne dieser Vorschrift nicht für ersichtlich. Daher vermochte es der Rechtsansicht der Antragstellerin, vom Vorliegen einer Gefahr könne bei einer Versagenswahrscheinlichkeit im Bereich von 1 x 10 -6 ausgegangen werden, nicht zu folgen. Dabei sei zwar zu berücksichtigen, dass es in Folge der nicht unerheblichen, bewegten Massen einer WEA im Schadensfall zu nicht unerheblichen Schäden kommen könne. Andererseits sei bei den vom TÜV abgenommenen WEA nicht zu erkennen, dass sich für das Umspannwerk der Antragstellerin eine so genannte Trefferwahrscheinlichkeit ergebe, die weit außerhalb des Bereiches von 5-8 x 10-5 liege. Für eine verfassungskonforme Auslegung des bauordnungsrechtlichen Gefahrenbegriffs des § 3 BauO LSA hin zu einer Versagenswahrscheinlichkeit von 1 x 10 -6 sehe es auch unter Berücksichtigung der sich damit für die Beigeladene als Bauherrin ergebenden Beschränkung des Baurechts keine Ansatzpunkte. Das Gericht gehe davon aus, dass durch die vom Antragsgegner genehmigten WEA für die Anlagen der Antragstellerin lediglich ein Risikobereich geschaffen werde, der vom Gesetzgeber bewusst hingenommen worden sei.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung werde sich voraussichtlich auch hinsichtlich ihrer Regelung zum Schutz vor Eiswurf im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen. Insoweit stelle sich die als Bedingung Nr. 1 in der Baugenehmigung aufgenommene Nebenbestimmung als hinreichend bestimmt da. Sie lasse eindeutig erkennen, welches Ziel mit ihr verfolgt werde und welche Funktionsweise an den Windenergieanlagen damit erreicht werden sollen, ohne den Bauherrn auf eine bestimmte Art der Ausführung bereits festzulegen. Im Hinblick auf die tatsächliche Ausführung der Windenergieanlage wies das Gericht daraufhin, dass das von der Beigeladenen dokumentierte Eisdetektorsystem und das Wiederstarten der Anlage "von Hand" vor Ort zumindest in Verbindung mit der Überwachung der Leistungskurve der Windenergieanlagen in Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit einen effektiven Schutz vor Eisschlag darstelle.
Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung für die WEA der Beigeladenen im Hinblick auf die im Eigentum der Antragstellerin stehende 380 KV-Hochspannungsleitung K. - W. 535/536 diese durch eine negative Beeinflussung der Luftströmung in ihren Rechten verletze, weil sie insoweit gegen nachbarschützende Vorschriften verstoße und rücksichtslos sei, sehe das Gericht ebenfalls nicht. Insoweit habe die Beigeladene in einer für das Gericht nachvollziehbaren Weise dargelegt, dass der Bereich der "hinter" der Windenergieanlagen liegenden Luftströmung mit Bildung von Turbulenzen die von der Antragstellerin befürchteten verstärkten Abnutzungen an deren nicht mit den Dämpfungselementen versehenen Hochspannungsleitungen aufgrund der beträchtlichen Höhendifferenz des Rotorbereiches der WEA 4 und des Verlaufs der Hochspannungsleitung der Antragstellerin nicht erwarten lasse.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die im Beschwerdeverfahren im Rahmen der Frist des § 146 Abs. 4 S.1 und 3 VwGO dargelegten Gründe, die den Prüfungsumfang des Senats gemäß § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO begrenzen, rechtfertigen es, den angefochtenen Beschluss zu ändern und der Antragstellerin den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.
Der sachdienlich ausgelegte Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners 12.12.2002 in der Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 22.01.2003 zur Errichtung von zwei Windkraftanlagen ist zulässig, da Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben. Den Ergänzungsantrag zu 2) hält der Senat nicht für sachdienlich, weil keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Antragsgegner die gerichtliche Entscheidung nicht respektieren wird (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 19.04.1993 - 14 As 93.790 - BRS 52, S. 567).
Der Anwendung von § 212a Abs. 1 BauGB steht § 67 Abs. 9 S. 1 BImSchG nicht entgegen. Danach gelten Baugenehmigungen für Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von - wie hier - mehr als 50 Metern, die bis zum 01.07.2005 erteilt worden sind, nach dem 01.07.2005 als Genehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz fort. Anders als bei der Baugenehmigung haben Widersprüche Dritter bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung.
Der Senat teilt die Auffassung des OVG NRW (Beschl. v. 14.09.2005 - 8 B 96/05 - BauR 2006, 78), dass auf Baugenehmigungen, die vor dem 01.07.2005 für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern erteilt worden sind, unbeschadet der gesetzlichen Fiktionswirkung in § 67 Abs. 9 S. 1 BImSchG materiell weiterhin Baurecht anzuwenden ist.
Als Eigentümerin des Grundstückes, auf dem das Umspannwerk W. in unmittelbarer Nachbarschaft der genehmigten WEA errichtet ist, und aufgrund der geltend gemachten möglichen Verletzung von § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB bzw. § 3 BauO LSA ist die Antragstellerin auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog).
Dem Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes steht nicht entgegen, dass die WEA bereits errichtet und seit über einem Jahr in Betrieb sind.
Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einer Baugenehmigung grundsätzlich nicht mehr begehrt werden kann, wenn das beanstandete Bauwerk im Wesentlichen erstellt worden ist, gilt dies in vollem Umfange jedoch nur, wenn die geltend gemachte Beeinträchtigung gerade vom Bauwerk selbst ausgeht (z. B. Nichteinhaltung von Abstandsvorschriften). Da sich der Regelungsgehalt einer Baugenehmigung aber nicht nur auf die Errichtung des Bauwerks selbst beschränkt, sondern darüber hinaus auch deren bestimmungsgemäße Nutzung umfasst (Beschl. des Sen v. 26.10.2001 - 2 M 289/01 -), kann in Ausnahmefällen auch dann vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung gerade und vorrangig durch die Nutzung eintritt bzw. eintreten kann (vgl. Nds.OVG, Beschl. v. 09.01.1988 - 6 B 62/88 NdsRpfl 1978, 77). Dies ist hier der Fall. Nicht die Windenergieanlagen als Baukörper, sondern gerade ihre Nutzung lassen eine Beeinträchtigung von Rechten der Antragstellerin nicht als ausgeschlossen erscheinen. Ein vorheriges behördliches Aussetzungsverfahren hat im Übrigen stattgefunden.
Anders als das Verwaltungsgericht hält der Senat den Antrag auch für begründet.
Bei der nach §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von dem Vollzug der Baugenehmigung vorerst verschont zu bleiben, das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung.
Dem Antrag eines Dritten auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 VwGO ist stattzugeben, wenn die Baugenehmigung offensichtlich dessen Rechte verletzt. Denn in diesem Fall kann ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an einer sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung nicht bestehen. Umgekehrt ist der Antrag des Dritten abzulehnen, wenn die Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über den Rechtsbehelf des Dritten offen, hat das Gericht eine Abwägung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen, die für oder gegen eine sofortige Ausnutzung der Baugenehmigung sprechen. Bei dieser Abwägung hat das Gericht zum einen das Gewicht der beteiligten Interessen und das konkrete Ausmaß ihrer Betroffenheit zu berücksichtigen. Zum andern hat es zu würdigen, ob der Rechtsbehelf des Dritten - auch unter Berücksichtigung des von ihm eventuell glaubhaft gemachten Tatsachenvorbringens - wahrscheinlich Erfolg haben wird. Führt diese Abwägung dazu, dass den widerstreitenden Interessen etwa gleich großes Gewicht beizumessen ist, verbleibt es bei der gesetzlichen Ausgangslage (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 01.08.1991 - 4 TH 1159/91 - DVBl. 1992, 45)
Ein solches überwiegendes Interesse der Antragstellerin ergibt sich nicht daraus, dass die für die Anlagen erteilte Baugenehmigung offensichtlich rechtswidrig wäre. Bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung kann einerseits nicht abschließend entschieden werden, ob die Baugenehmigung vom 12.12.2002 in der Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 22.01.2003 die Antragstellerin schützende Vorschriften verletzt, andererseits kann aber gegenwärtig auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sich die Baugenehmigung nicht doch im Hauptsacheverfahren bei einer dort möglichen weiteren Aufklärung der mit dem Betrieb der Windenergieanlagen verbundenen Gefahren wegen Verletzung von Nachbarrechten der Antragstellerin als rechtswidrig erweist.
Obwohl das Ausmaß einzelner Beeinträchtigungen auf der Grundlage des Akteninhalts derzeit nicht abschließend erfasst werden kann, sind Beeinträchtigungen in einem solchen Ausmaß wahrscheinlich, dass sie der Antragstellerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden können.
Mit Recht macht die Antragstellerin geltend, dass bei Abständen von ca. 137 m bzw. 206 m zwischen den WEA und dem auf ihrem Grundstück rechtmäßig betriebenen Umspannwerk die Gefahr bestehe, dass sich Eisbrocken von den Rotorblättern beim Betrieb der Windenergieanlagen lösen könnten und dadurch Mitarbeiter oder der Betrieb des Umspannwerks gefährdet seien.
Mit diesem Vorbringen vermag die Antragstellerin sich zwar nicht erfolgreich auf § 22 Abs. 1 BImSchG zu berufen.
Danach sind nicht genehmigungsfähige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert oder auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes nur Immissionen. Gemäß § 3 Absatz 1, 2 BImSchG wiederum sind Immissionen physikalische Einwirkungen die nur mittels unwägbarer Stoffe auf die Schutzgüter des § 1 Abs. 1 BImSchG einwirken (vgl. Jarass, BImSchG, 6. Aufl., § 3 RdNr. 15). Solche unwägbaren Stoffe sind Eisbrocken und umherfliegende Anlagenteile nicht. Der Ausstoß wägbarer Stoffe (wie Steinschlag, Anlagenteile etc.) wird vielmehr durch § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. BImSchG unter "sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen" erfasst. Wichtige Anwendungsfälle der 2. Alt. des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG sind deshalb die durch Störfälle bzw. Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebs bedingten Einwirkungen (vgl. Jarass, a. a. O. § 5 RdNr. 27). Dazu zählen Eiswurf und Rotorbruch und sonstige Anlagenunfälle.
Die Antragstellerin vermag sich indes nicht auf § 5 Abs. 1 BImSchG zu berufen. § 5 BImSchG gilt nämlich nur für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen. Im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung waren nach Nr. 1.6 der Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV nur Windfarmen ab drei Anlagen gemäß § 4 Abs. 1 BImSchG genehmigungspflichtig.
Gehen "Sonstige Gefahren" i. S. v. § 5 Abs. 1 BImSchG von einer baulichen Anlage aus, bleiben solche Gefahrenlagen im materiellen Baurecht nicht etwa gänzlich unbeachtet, sondern werden vielmehr etwa im Außenbereich durch das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme nach § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB erfasst.
Das in § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB geregelte allgemeine "selbständige" Gebot der Rücksichtnahme betrifft nämlich solche Fälle, in denen nicht Immissionsbelastungen, sondern sonstige nachteilige Wirkungen eines Bauvorhabens in Rede stehen (vgl. Prof. Dr. Dr. Berkemann, Windenergie, vhw seminare, 19.10.2004, S.53).
Dieses Gebot der Rücksichtnahme ist nachbarschützend. Die Antragstellerin ist auch Nachbarin im Sinne des im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB.
Unter Berücksichtigung der Entfernung zwischen den WEA und dem Grundstück der Antragstellerin sowie der Tatsache, dass das Grundstück der Antragstellerin dauerhaft in unmittelbarer Nähe genutzt wird, erscheint es überwiegend wahrscheinlich, dass eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefährdung des Grundstücks der Antragstellerin zu bejahen ist, die die gleichwohl erteilte Baugenehmigung als rücksichtslos erscheinen lassen könnte.
Dem Betrieb der genehmigten Windenergieanlagen dürften öffentliche Belange i. S. v. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen.
Das dort verankerte Gebot der Rücksichtnahme geht über das hinaus, was in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB durch den Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen" erfasst wird. Es betrifft auch solche Fälle, in denen nicht Immissionsbelastungen, sondern sonstige nachteilige Wirkungen des Bauvorhabens in Rede stehen. Dieses Normverständnis trägt dem Gedanken Rechnung, dass die Aufzählung der öffentlichen Belange im Gesetz nur beispielhaft, nicht aber erschöpfend ist (BVerwG, Urt. v. 21. 01.1983, NVwZ 1983, 609 [610]).
Das so verstandene Rücksichtnahmegebot verlangt auch von baulichen Anlagen, dass sie so errichtet und betrieben werden, dass erhebliche Gefahren, Nachteile und Belästigungen von ihnen nicht ausgehen können. Insofern ist nach Auffassung des Senats der Gefahrenbegriff einheitlich zu verstehen und kann nicht in einen immissionsschutzrechtlichen oder einen baurechtlichen Gefahrenbegriff differenziert werden.
Gefahr ist dabei eine Sachlage, die in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen würde. Eine Gefahr im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB ist dann gegeben, wenn die Sachlage bei objektiv zu erwartendem, ungehindertem Geschehensablauf mit Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden, d. h. zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung eines rechtlich geschützten Gutes, führt. Welches Maß an Wahrscheinlichkeit zu verlangen ist, um eine Gefahr zu prognostizieren, hängt im Grundsatz von der Schwere der in Betracht kommenden Schädigung ab. Je größer und folgenschwerer der eventuell eintretende Schaden ist, umso geringere Anforderungen sind an den Grad der Wahrscheinlichkeit zu stellen. Wo es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter geht, kann schon eine geringe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts eine Gefahr im rechtlichen Sinne begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.06.1970 - IV C 99.67 - Buchholz 454.4 § 34 WHG Nr. 2; Urteil vom 02.07.1991 - 1 C 4.90 - Buchholz 451.20 § 33 i GewO Nr. 11; Di Fabio NuR 1991, 353, 354; Breuer NVwZ 1990, 211, 213). Die bloße Möglichkeit, dass ein Schaden entstehen kann, reicht regelmäßig nicht aus, eine Gefahr anzunehmen. Im Falle der Möglichkeit eines ungewissen Schadenseintritts wird allgemein von einem Risiko gesprochen (Breuer, a. a. O., S. 213). Ein Risiko ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar Schadensmöglichkeiten angenommen werden, Schadensverlauf und Eintrittswahrscheinlichkeit aber nicht hinreichend sicher beurteilt werden können (Di Fabio NuR 1991, 353, 354).
Besteht die Möglichkeit, dass ein Verhalten oder ein Zustand zu einem besonders großen Schaden führt, so kann ausnahmsweise auch eine entferntere Möglichkeit des Schadenseintrittes genügen. Erforderlich ist insoweit jedoch in jedem Fall eine Prognose. Die Prognose, dass sich aus einer Sachlage wahrscheinlich ein Schaden entwickeln kann, wird aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse oder des Erfahrungswissens getroffen (vgl. Götz, Allg. Polizei- und OrdnungsR, 10. Aufl. [1991], Rdnr. 132).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht der Senat davon aus, dass mehr dafür spricht, dass die Baugenehmigung für die zwei WEA sich zumindest hinsichtlich der Eiswurfgefahr mit der für ein vorläufiges Rechtschutzverfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen dürfte.
Mit Recht weist die Antragstellerin in diesem Zusammenhang zunächst darauf hin, dass in den Medien über den Betrieb von Windenergieanlagen in der Vergangenheit bis heute - zuletzt am 10.01.2006 in der Ostfriesen Zeitung, Leer - über zahlreiche Störfälle beim Betrieb von Windenergieanlagen berichtet worden ist.
Der Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände e.V. zählt in seiner Broschüre " Grundlagenarbeit für eine Informationskampagne Umwelt- und naturverträgliche Windenergienutzung in Deutschland (onshore) - Umweltverträgliche Windenergienutzung" - vom 01.03.2005, die durch das Bundesumweltministerium und vom Umweltbundesamt gefördert wurde, für den Zeitraum von 28.05.2000 bis 18.12.2002 allein 25 Fälle von Gesamtbruch oder Abriss von Anlagenteilen auf. Dabei flogen in vier Fällen Anlagenteile mehr als 100 m weit:
"28.05.2000 Norderney Nds Rotorbruch, Rotorkopf riss ab, die Teile fliegen 100 m weit
19.02.2002 Javenloch Nds Rotoren- und Gondelbruch, 27 m lange Teile fielen 235 m weit von
WEA
13.03.2002 Dörenhagen NRW Rotorbruch, ein Rotorblatt flog über 400 m weit
20.04.2002 Haaren NRW Brand, die verbrannte Teile stürzten bis 300 m weit"
Darüber hinaus berichteten mehrere Tageszeitungen aus dem Bundesgebiet allein im Zeitraum vom 01.01.2004 bis zum 10.01.2006 (Ostfriesen Zeitung in Leer vom 10.1.2006, 17.12.2005 Rheinische Post Wesel, Bocholt-Borkener Volksblatt vom 28.2.2004, Westfalenpost vom 1.2.2005 und Hagener Stadtanzeiger vom 02.02.2005, Borkener Zeitung vom 14.12.2004, Rheinische Post Wesel vom 13.12.2004 und Märkische Oderzeitung vom 17.11.2004; Quelle: Bundesweite Datenbank der Windrad-Unfälle mit samt Bränden, Eiswürfen und sonstigen Störfällen, zusammengestellt für den Bundesverband Landschaftsschutz BLS) über beobachtete Eisabwürfe von Windenergieanlagen.
Das Deutsche Windenergie - Institut GmbH, DEWI, eine 100%ige Gesellschaft des Landes Niedersachsen, Hauptsitz in Wilhelmshaven, veröffentlichte in einem Projektbericht Ergebnisse und Empfehlungen aus einem EU - Forschungsprojekt "Wind Energy Production in Cold climates" - sog. WECO-Projekt - (Quelle: Henry Seifert, Deutsches Windenergie - Institut GmbH, Wilhelmshaven, Deutschland: Betrieb von Windenergieanlagen unter Vereisungsbedingungen, Ergebnisse und Empfehlungen aus einem EU - Forschungsprojekt, AUFWIND 99 St. Pölten, 21. und 22. Oktober 1999) folgende Ergebnisse und Empfehlungen:
"Abwurf von Eisstücken im Betrieb
Eisabwurf kann zu Problemen führen, wenn an Binnenlandstandorten mit erhöhter Vereisungsgefahr WEA zu dicht an Straßen, Gebäuden, Freileitungen geplant werden, ohne entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Entsprechend der bisherigen Beobachtungen und der Simulationen kann für solche Standorte, an denen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit mehreren Tagen Vereisung im Jahr gerechnet werden muß, empfohlen werden, einen Abstand von 1,5· x (Nabenhöhe + Durchmesser) zu den nächsten gefährdeten Objekten einzuhalten.
Ist dies nicht möglich, sollte die Anlage während der Vereisungsbedingungen automatisch abgeschaltet bleiben, es sei denn, der Wind kommt aus Richtungen, die eine Gefährdung dieser Objekte durch Eisabwurf ausschließen.
Ein entsprechendes Rechenprogramm zur Simulation des Eiswurfes wurde im Rahmen des WECO-Projektes erstellt und mit Beobachtungen vieler Betreiber und eigener Beobachtungen verifiziert. Dies ermöglicht bei genauer Kenntnis des Standortes, abhängig von der Windrichtung, Windstärke und Drehzahl des Rotors die Maximalwurfweite der Eisstücke zu berechnen. Zusammen mit einem Eisdetektor oder mit zwei Anemometern, wobei eines davon beheizt wird, kann die entsprechend programmierte Betriebsführung einer WEA bei kritischen Vereisungssituationen die WEA gezielt abschalten und somit eine Gefährdung der Umgebung oder benachbarter WEA im Windpark verhindern.
Mit einer Energieertragsermittlung, einer Schallimmissionsberechnung und einem Schattenwurfgutachten, wie sie üblicherweise für eine Windparkplanung erstellt werden, liegen die Unterlagen für die Eiswurfweitenberechnung bereits vor und können in ähnlicher Form dargestellt werden. Folgende Arbeitsschritte sind dazu notwendig:
Technische Daten der zu betrachtenden WEA: Nabenhöhe, Rotordurchmesser, Rotordrehzahl. Bei zwei festen Drehzahlen ist anzugeben, bei welcher Windgeschwindigkeit umgeschaltet wird, bei variabler Drehzahl ist die Funktion Drehzahl über Windgeschwindigkeit oder zumindest die Drehzahlober- und untergrenze anzugeben.
Festlegung der zu erwartenden Eisstückgröße und -masse. Berechnung der Eiswurfweite in 2 m/s - Schritten bis 20 m/s, beginnend mit vin. Graphische Darstellung der "Wurfelipsen", maßstäblich einer Flurkarte 1:5000 angepaßt und auf eine transparente Folie geplottet. Bei der Berechnung wird davon ausgegangen, daß sich das Eis an der äußersten Blattspitze (höchste Anfangsgeschwindigkeit) und bei der Rotorposition, die die größte Wurfweite ergibt, ablöst. Die Berechnung erfolgt in 2° Schritten der Rotorposition.
Bild 7 zeigt exemplarisch eine Berechnung eines fiktiven Standortes mit einer angenommenen MW - WEA. Der Standort der WEA liegt dicht an einer Straße, die bei Vereisungsbedingungen durch möglichen Eisabwurf gefährdet ist. Der grau unterlegte Kreis markiert einen typischen einzuhaltenden Abstand zu Gebäuden, der sich aus der Schallimmissionsprognose ergibt. Die maximal zu erwartenden Eiswurfweiten befinden sich weit innerhalb dieser Grenzen, so daß bei den üblichen Planungen nur solche Spezialfälle für eine Eiswurfweitenberechnung zu berücksichtigen sind, die in Gebieten mit erhöhter Vereisungsgefährdung liegen und in denen Eisabwurf Personen oder Objekte gefährden können. Im Fall des Beispiels in Bild 7, linke Seite, können Eisfragmente den Verkehr auf der Straße gefährden, wenn die WEA bei der vorherrschenden Windrichtung bei Vereisungsbedingungen in der schnellen Generatorstufe bei Windgeschwindigkeiten größer 8 m/s betrieben wird."
Aus den Untersuchungen des WECO - Projektes ergibt sich demnach, dass das Risiko einer Gefährdung von Personen und Sachen durch Eiswurf bei Windenergieanlagen dann besteht, wenn eine Anlage in Betrieb ist und sich während des Betriebes an den Rotorflügeln Eis bildet. Im Gutachten wurden Eiswurfweitenberechnungen einer in Betrieb befindlichen WEA an einem fiktiven Standort angestellt. In Richtung des Windes fallen Eisstücke danach bei einem sehr starken Wind von 18 m/s maximal 100 m weit. Die weiteste mögliche Entfernung vom Mast der WEA lag in dem eliptisch geformten Fallgebiet bei knapp 180 Metern. Diese Berechungen des Gutachtens sind auch durch Umfrageergebnisse verífiziert worden. Als Ergebnis der Simulationen und der bisherigen Beobachtungen empfiehlt das WECO-Gutachten deshalb, für Standorte, an denen mit hoher Wahrscheinlichkeit an mehreren Tagen im Jahr mit Vereisung gerechnet werden muss, "einen Abstand von 1,5 x (Nabenhöhe + Durchmesser) zu den nächsten gefährdeten Objekten einzuhalten".
Wendet man diese Erkenntnisse auf den hier konkret zu entscheidenden Fall an, so sind für den Senat nach dem derzeitigen Erkenntnisstand Beeinträchtigungen des Grundstücks der Antragstellerin als das nächste gefährdete Objekt durch Eiswurf in einem solchen Ausmaß wahrscheinlich, dass sie der Antragstellerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden können.
Sowohl die WEA 1 (Entfernung 137 m) als auch die WEA 4 (Entfernung 206 m) liegen deutlich in dem im "WECO-Gutachten 1999" für Eiswurf problematisch gehaltenen Bereich von 1,5 x (Nabenhöhe + Durchmesser), hier: 1,5 x (95 m + 80 m = 175 m)= 262,5 m zum Umspannwerk. Dies gilt selbst dann, wenn man nicht auf die Grundstücksgrenze, sondern auf die Distanz zu den elektrischen Anlagen abstellt.
Der Annahme einer Gefährdung kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Standorte der genehmigten Windenergieanlagen nach der WECO - "Eis-Karte" von Europa nicht in Bereichen liegen, in denen an mehreren Tagen im Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Vereisung gerechnet werden muss (in Deutschland nur im äußersten Süden von Baden-Württemberg und Bayern). Dies hält der Senat im Rahmen des im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen Prüfung angesichts der oben angeführten Berichte verschiedener Tageszeitungen über Eisabwürfe in Gegenden, die ebenfalls nicht in Baden-Württemberg und Bayern liegen, sowie angesichts der meteorlogischen Erfahrungen gerade dieses Winters 2005/2006 nicht für gerechtfertigt. Darüber hinaus hat gerade auch das Deutsche Windenergie-Institut, Wilhelmshaven, in früheren Untersuchungen Vereisungsprobleme bei Windenergieanlagen nicht nur in Gebirgsregionen für möglich gehalten. Es hat dazu in seinen Publikationen nämlich ausgeführt:
"An den küstennahen Standorten, mit der größten Anzahl von aufgestellten Anlagen, traten bislang offensichtlich selten gravierende Eisansätze auf. Dies änderte sich im Dezember 1995 und im Januar 1996. In beiden Monaten berichteten Betreiber, sowohl von Binnenlandstandorten als auch von küstennahen Standorten, von starken Vereisungen an stillstehenden und laufenden Anlagen. Gleich drei prinzipiell verschiedene Vereisungssituationen konnten selbst an der Küste beobachtet und dokumentiert werden. Diese gesammelten Informationen fließen in das laufende Forschungsprogramm ein und führen zu Empfehlungen, wie Vereisungswetterlagen beim Betrieb von WEA zu berücksichtigen sind. Im Folgenden wird am Beispiel der Messung an einer kleinen 5 kW Windenergieanlage gezeigt, wie sich die "Januarvereisung" auf den Betrieb von Windturbinen auswirkte.
(Im Betrieb vereiste Rotorblätter) Gleich drei Vereisungsformen konnten im Januar beobachtet werden. An allen Tagen, an denen Vereisung auftrat, war auch die Windgeschwindigkeit hoch genug, um die WEA im Teillastbetrieb zu halten. Beim Umschwung von einer kalten Hochdruckwetterlage setzte gefrierender Regen ein, der nicht nur die Straßen mit einem Eisüberzug versah, sondern auch die Rotorblätter der Windkraftanlagen. Da anschließend die Temperatur rasch anstieg und die Windgeschwindigkeiten relativ gering waren, beschränkte sich der Betrieb unter diesen Bedingungen auf nur wenige Stunden. Bei einer weiteren Wetterlage setzte sich Eis an die Rotorblattnasen an. Grund war das Auftreffen unterkühlten Nebels auf das Rotorblatt bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt. Abb. 1 zeigt eine 600 kW Anlage in der Nähe von Wilhelmshaven mit Eisansatz aus dem Betrieb an der Rotorblattvorderkante. Abb. 2 zeigt ein solches Eisstück von der Nähe der Blattspitze, das sich schon durch die steigende Temperatur gelöst hatte, am Boden lag und so aufgesammelt werden konnte. Die dritte beobachtete Vereisungssituation trat bei Temperaturen deutlich unter Null auf und führte zu ähnlichen Vereisungsbildern, wie sie von Mittelgebirgslagen her schon länger bekannt sind."
(Quelle: DEWI Magazin Nr. 8, Februar 1996)
Eine endgültige Prüfung der Frage, an wie vielen Tagen im Jahr in dem fraglichen Gebiet mit Vereisung und Reifansatz gerechnet werden muss, muss jedoch der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Dem gefundenen Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, die Problematik des Eisabwurfs trete nicht nur bei Windenergieanlagen auf, sondern bestehe auch bei anderen höheren Einrichtungen wie z.B. Mobilfunkanlagen u. ä. Dieser Einwand ist zwar hinsichtlich der Eisbildung an stehenden Windenergieanlagen zutreffend. Wenn sich dort Eis gebildet hat und es durch Wind, Schwingungen oder steigende Temperaturen zu einem Eisabwurf kommt, werden die Eisstücke - dies ergibt sich aus der WECO-Studie - dann nicht weggeschleudert, sondern fallen im unmittelbaren Umfeld der Anlage herunter. Das Risiko einer Gefährdung von Personen und Sachen entspricht dabei in der Tat dem anderer entsprechend hoher Bauwerke wie beispielsweise Hochspannungsleitungen und wäre wie dort als allgemeines Lebensrisiko hinzunehmen. Anders muss die Situation aber - wie oben dargelegt - dann beurteilt werden, wenn die Windenergieanlage bei Eisbildung in Betrieb ist, weil dann durch die Rotorenbewegung die Gefahr eine gänzlich andere und unkalkulierbare ist.
Wegen der Unkalkulierbarkeit kann der Gefahreneinschätzung jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Fall deshalb auch nicht entgegengehalten werden, die Gefahr des Eisabwurfs sei generell unwahrscheinlich, so dass sie einem unabwendbaren Ereignis in der Natur gleichstehe, gegen das man sich nicht schützen könne, sondern dem man gegebenenfalls ausweichen müsse. Dies gilt jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall deshalb nicht, weil die Nutzung des Grundstücks der Antragstellerin mit dem Betrieb eines Umspannwerkes, nicht wie bei einem bloßen Gelegenheitspassanten eher zufällig und selten ist, sondern dauerhaft rechtmäßig und ständig erfolgt.
Ein Ausweichen aus dem Gefahrenbereich ist der Antragstellerin deshalb weder möglich noch zumutbar. Die heranrückende Windenergienutzung ist vielmehr verpflichtet, eine Gefährdung der vorhandenen rechtmäßig ausgeübten Nutzung zu vermeiden.
Der Einschätzung des Senats steht auch nicht die von der Beigeladenen vorgelegte Risikoanalyse des Germanischen Lloyd Windenergie GmbH vom 20.04.2004 entgegen. Diese Analyse beschäftigte sich nämlich nicht mit der Aufschlaghäufigkeit von Eisstücken auf dem Gelände des Umspannwerks W., sondern spart diese Frage aus, da die beiden WEA mit Eisdetektoren ausgerüstet seien, die den Eisabwurf verhindern würden (Risikoanalyse S.18).
Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat nicht der Auffassung, dass der Antragsgegner dem Sicherheitsbedürfnis der Antragstellerin durch die Auflage Nr. 1 in der Baugenehmigung vom 12.12.2002 in der Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 22.01.2003 hinreichend entsprochen hat.
Nach dem WECO - Gutachten ist es zwar grundsätzlich möglich, die Eiswurfgefahr auch in dem kritischen Bereich von 1,5 x (Nabenhöhe + Durchmesser) zum nächsten gefährdeten Objekt durch eine automatische Erkennung von Vereisungssituationen, sei es durch Eisdetektoren, der Verwendung von zwei Anemometern, wobei eines beheizt sein muss, oder einer kontinuierlichen Überprüfung der Leistungskurve (ebenfalls mit einem beheizten Anemometer) so zu minimieren, dass es nicht zu Gefährdungen von Personen oder Sachen kommt. Im WECO-Gutachten heißt es dazu:
"Vereisung von Windmeßgeräten
An vereisungsgefährdeten Standorten sind zuverlässige, auch unter Extrembedingungen genau anzeigende, Anemometer und Windfahnen für meteorologische Messungen und die daraus abgeleiteten Windpotentialabschätzungen unabdingbar. Bislang führten Messungen der Windgeschwindigkeit mit herkömmlichen, ungeheizten Anemometern an Standorten mit gelegentlicher bis starker Vereisung zu einer systematischen Unterschätzung der mittleren Jahreswindgeschwindigkeiten. Da die wenigsten Meteorologiestationen bisher beheizte, eisfreie Instrumente installierten, können auch langjährige Messungen, die die statistische Basis für das Windatlasverfahren bilden, den Energieertrag oben beschriebener Standorte unterschätzen. Bild 8 zeigt den Unterschied der Messungen mit beheiztem und unbeheiztem Anemometer während 10-stündiger Vereisung. Die alleinige Schaftheizung des Anemometers ist dabei jedoch nicht ausreichend für eine genaue Windmessung, auch die Schalen müssen eisfrei gehalten werden. Diese Messung zeigt auch, daß sich, in Kombination mit der Messung der Lufttemperatur, die Verwendung zweier Anemometer auch zur automatischen Erkennung von Vereisungssituationen eignen, wenn nur eines der Anemometer beheizt wird.
Die Verwendung eisfreier Anemometer und Windfahnen ist auch für Meteorologiestationen in Gebieten mit gelegentlicher Vereisung zu empfehlen.
Eisdetektoren und Eiserkennung
Eisdetektoren sind notwendig, um beispielsweise Rotorblattheizungen steuern zu können, oder aber, im Automatikbetrieb richtungsabhängig zu entscheiden, ob eine WEA auf Grund von Gefährdung der Umgebung durch Eisabwurf abgeschaltet werden muß. Zur Untermauerung der statistischen Datenbasis von Meteorologiestationen bezüglich der Art, Schwere und Häufigkeit von Vereisungsbedingungen, wäre die Ausstattung ausgewählter Meteorologiestationen mit Eisdetektoren wünschenswert. Grundsätzlich wurden zwei Wege zur Erkennung von Vereisungssituationen während der Projektlaufzeit diskutiert und untersucht: Die Verwendung spezieller, meist aus dem Luftfahrtbereich abgeleiteter Eisdetektoren und die Verwendung zweier Anemometer, wobei eines beheizt und das andere unbeheizt betrieben wird. Gegenwärtig sind am Markt befindliche Eisdetektoren noch relativ teuer, so dass die letztgenannte Methode für Einzelanlagen empfohlen werden kann. Bei Windparks kann es auch ausreichend sein, nur eine WEA mit einem Eisdetektor auszustatten."
Der Antragsgegner hat es hier in der strittigen Baugenehmigung versäumt, der Beigeladenden den Einbau einer derartige automatische Erkennung von Vereisungssituationen - wie im WECO-Gutachten beschrieben -aufzugeben. Die Baugenehmigung vom 12.12.2002 enthält unter I, 1 lediglich folgenden Hinweis:
"Eisabwurf über die Rotorenblätter der Windkraftanlagen ist durch geeignete Maßnahmen auszuschließen. Windenergieanlagen müssen mit einem Sicherheitssystem versehen sein, dass jederzeit einen sicheren Zustand der Anlage gewährleistet".
Ein solcher "Hinweis" reicht indes nicht aus, um sicherzustellen, dass dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot im hier strittigen Fall hinreichend Rechnung getragen wird.
Nach § 77 Abs. 3 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt kann zwar eine Baugenehmigung unter Nebenbestimmungen erteilt werden. Eine solche Nebenbestimmung ist insbesondere zulässig, um sicherzustellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsakts erfüllt werden (§ 36 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes i. d. F. d. Bek. v. 23.01.2003 (BGBl I 102) - VwVfG -).
Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 03.08.2004 - 2 M 84/04 -) darf indes die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens nicht unbegrenzt der Erfüllung von Nebenbestimmungen vorbehalten bleiben. Eine Baugenehmigung, die bei problematischen Verhältnissen dem Antragsteller nur schematisch die Einhaltung gesetzlicher Voraussetzungen aufgibt, stellt nicht wirklich sicher, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Bauvorhaben erfüllt werden; solche Auflagen dürfen den Nachbarn nicht in unzumutbarer Weise mit dem gesamten Risiko belasten, dass der Bauherr die Auflage auch einhält, ohne dass es zu einer echten nachbarlichen Konfliktschlichtung kommt (Beschl. v. 03.08.2004, a. a. O., m. w. N.).
Völlig unzureichend ist es deshalb, es dem Anlagenbetreiber zu überlassen, welche Schutzvorrichtungen er für erforderlich und geeignet hält.
Ebenso unzureichend ist es, dem Anlagenbetreiber es zu überlassen, unter welchen tatsächlichen (meteorlogischen) Gegebenheiten eine Gefahrenlage anzunehmen ist und die Abschaltung der Anlagen zu erfolgen hat. Dies einem Anlagenbetreiber aufzugeben, ist nicht etwa unmöglich. Dies zeigt beispielsweise eine Entscheidung des VG Freiburg vom 18.06. 2004 (- 1 K 654/04 - zitiert nach juris). In diesem Beschluss hielt das Gericht eine Eiswurfgefahr deshalb nicht für gegeben, weil die Bauaufsichtsbehörde dem Anlagenbetreiber in der Baugenehmigung aufgeben hatte, die WEA mit vom Hersteller zur Eiserkennung vorgegebene Temperatursensoren so auszustatten, dass sich die Anlage bei + 3° bis - 4 ° C automatisch abschaltet.
Besteht die Gefahr, dass bei Nutzung der baulichen Anlage eine Gefährdung des Nachbarn entstehen kann, dann genügt es nicht, in der Baugenehmigung den Einbau irgendeines beliebigen Sicherungssystems aufzugeben, das sichere Zustände gewährleisten soll, vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (BayVGH, Urt. v. 18.07.2002 - 1 B 98.2945 -, BRS 65 Nr. 190). Dazu gehört eine bestimmte Aussage dazu, wann von "sicheren Zuständen" auszugehen ist.
Dem vermag die Beigeladene nicht mit dem Hinweis entgegen zu treten, dass sie auch ohne rechtliche Verpflichtung ein geeignetes Sicherungssystem in ihre Windenergieanlagen mit dem Vestas-Eisdektoren-System eingebaut habe. Zum einen trifft der von der Antragstellerin dagegen erhobene Einwand zu, dass ohne Festlegung der Bedingungen, unter welchen das Sicherungssystem zu reagieren hat, auch wirtschaftliche Erwägungen den Anlagenbetreiber bestimmen können, die Bedingungen festzulegen, unter denen er sein Sicherungssystem arbeiten lässt. Zum anderen ist es auch zumindest erforderlich, dass die Genehmigungsbehörde wenigstens die Geeignetheit der Sicherung zur Gefahrenabwehr überprüft hat.
Weder die Vorlage der technischen Beschreibung des Vestas-Eistektoren-Systems noch der Hinweis auf die Risikoanalyse des Germanischen LloydWindEnergie GmbH reichen für sich genommen dazu aus. In der Technischen Beschreibung heißt es zum Beispiel nur: "Zur Erkennung von Eisbildung und zur Abschaltung von Anlagen sind in einem Vestas Windpark folgende Voraussetzungen zu erfüllen: Alle Windenergieanlagen sind über einen Datenbus miteinander verbunden, der Windpark erhält ein OLTEC-Fernüberwachungs-system, zur Erkennung des Eisansatzes wird ein Eisdetektor der Firma Oy Labkotec Ab installiert". Die Beigeladene betreibt hier noch nicht einmal einen Windpark.
In der Risikoanalyse macht der Germanische Lloyd auf Seite 18 folgen Einschränkungen: "Es wird im Rahmen dieser Analyse davon ausgegangen, dass der Eisdetektor ordnungsgemäß installiert wurde und einwandfrei funktioniert. Es wird darauf hingewiesen, dass die Funktionsfähigkeit des Systems im Betrieb einmalig geprüft sein sollte. Diese Prüfung dient dazu, ein reibungsloses Arbeiten des Detektors und der Korrektheit der Installation des Systems zu bestätigen. In die Überprüfung der Funktionsfähigkeit muss das gesamte System einbezogen werden, d.h. die Funktionstüchtigkeit des Detektors muss ebenso begutachtet werden wie die richtige Vernetzung des Detektors mit dem Parkrechner (betriebliche Fernüberwachung)".
Wie sich aus einer solchen "Risikoanalyse" mit derartigen Einschränkungen und Absicherungen der Nachweis der Funktionstüchtigkeit des Sicherungssystems belegen lässt, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Im Rahmen des Eilverfahrens kann daher nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für zwei Windenergieanlagen mit § 35 Abs.3 S. 1 BauGB vereinbar ist.
Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens lässt es der Senat ausdrücklich offen, ob auch aufgrund von befürchteten Abwürfen von Anlagenteilen oder der befürchteten Beschädigung der 380 KV-Leitung durch Turbulenzen sonstige nachteilige Wirkungen des Bauvorhabens der Beigeladenen in § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB zu erwarten sind.
Ob der erteilten Baugenehmigung auch § 3 BauO LSA entgegensteht, bedarf ebenfalls keiner Erörterung.
Ende der Entscheidung
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