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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 2 M 72/08
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
1. Ein Verwaltungsakt liegt objektiv schon vor, wenn er auch nur einer Person gegenüber wirksam bekannt gegeben wurde. Hat ein solcher Verwaltungsakt belastende Drittwirkung, kann der davon Betroffene den Verwaltungsakt auch dann anfechten, wenn ihm gegenüber noch keine Bekanntgabe erfolgt ist.

2. Lehnt das erstinstanzliche Gericht einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als unzulässig ab, muss die Beschwerdebegründung sowohl die Zulässigkeit wie die Begründetheit des Antrags darlegen.


Gründe:

Die Beschwerde ist nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, da sie der Antragsteller nicht in einer den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise begründet hat.

Der Antragsteller hat in der Beschwerdebegründung zwar mit Recht gerügt, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 12.09.2007 zu Unrecht als unzulässig angesehen habe.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die bereits am 09.11.2007 und damit vor der öffentlichen Bekanntmachung der Genehmigung (vom 16.11. bis 29.11.2007) erhobene Klage zulässig. Unzulässig ist eine Klage zwar dann, wenn sie vor Ergehen des Verwaltungsakts, der angefochten werden soll, erhoben wird (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 74 RdNr. 4a). Dagegen ist die Wirksamkeit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage, sofern der Verwaltungsakt nur jedenfalls ergangen und damit existent geworden ist (Kopp/Schenke, a. a. O., m. w. Nachw., [insoweit vom Verwaltungsgericht unvollständig zitiert]). Dies ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt - auch schon vor seiner Bekanntgabe an den Betroffenen - mit Wissen und Willen der Behörde einem Dritten bekannt gegeben worden ist (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., § 70 RdNr. 6a). Ein Verwaltungsakt liegt objektiv schon vor, wenn er auch nur einer Person gegenüber wirksam bekannt gegeben wurde (Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 RdNr. 20). Hat ein solcher Verwaltungsakt belastende Drittwirkung, kann der davon Betroffene den Verwaltungsakt auch dann anfechten, wenn ihm gegenüber noch keine Bekanntgabe erfolgt ist (einhellige Auffassung, vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 42 RdNr. 22; Pietzcker, a. a. O.; Happ in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 42 RdNr. 11; Kopp/Schenke, a. a. O., § 70 RdNr. 6a; § 42 RdNr. 56, 58). So liegt es hier. Der angefochtene Genehmigungsbescheid wurde der Beigeladenen am 12.09.2007 gemäß § 10 Abs. 7 BImSchG zugestellt. Die spätere öffentliche Bekanntmachung nach § 10 Abs. 7 i. V. m. Abs. 8 BImSchG hat zur Folge, dass - bei entsprechendem Hinweis in der Bekanntmachung - erst mit dem Ende der Auslegungsfrist der Bescheid auch gegenüber Dritten, die keine Einwendung erhoben haben, als zugestellt gilt und damit für sie die Klagefrist zu laufen beginnt. Sie vermag aber nichts daran zu ändern, dass bereits mit der Zustellung an den Genehmigungsantragsteller ein - auch von Nichtadressaten - anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegt. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die speziellen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 10 BImSchG für die Anfechtung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheids eine andere Beurteilung gebieten sollten.

Selbst wenn die am 09.11.2007 erhobene Klage entgegen dem Vorstehenden als "verfrüht" und damit unzulässig angesehen werden müsste, hätte der Antragsteller jedenfalls am 30.11.2007 - und damit innerhalb der Klagefrist von einem Monat nach Ende der Auslegungsfrist - wirksam Klage erhoben. In der Klageschrift selben Datums hat er ausgeführt, dass sich die Klage gegen den veröffentlichen Genehmigungsbescheid richte. Nach § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.

Die Beschwerdebegründung enthält aber keinerlei Ausführungen darüber, dass der - zulässige - Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch in der Sache Erfolg gehabt hätte, sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts also auch im Ergebnis als fehlerhaft darstellt.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, "aus denen die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist." Diesen Anforderungen ist nicht Genüge getan, wenn nur aufgezeigt wird, dass die Erwägungen, auf die das Verwaltungsgericht seinen Spruch gestützt hat, unzutreffend sind; durch die Beschwerdebegründung muss vielmehr das Entscheidungsergebnis in Frage gestellt werden (BayVGH, Beschl. v. 08.08.2006 - 11 CE 05.2152 -, Juris; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 146 RdNr. 13c. m. w. Nachw.). Eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung liegt mithin nur dann vor, wenn sich aus den fristgerecht dargelegten Gesichtspunkten die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung und die Notwendigkeit ihrer Aufhebung ergeben (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2005, § 146 RdNr. 41; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 146 RdNr. 22). Die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe müssen solcher Art sein, dass das Beschwerdegericht zur Überzeugung gelangt, dass die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist (Sodan/Ziekow, VwGO, 2 Aufl., § 146 RdNr. 78). Lehnt das erstinstanzliche Gericht den Antrag als unzulässig ab, muss die Beschwerdebegründung sowohl die Zulässigkeit wie die Begründetheit des Antrags darlegen (BayVGH, Beschl. v. 08.08.2006, a. a. O.; Redeker/von Oertzen, a. a. O., m. w. Nachw.). Ausführungen zur Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sind in einem solchen Fall auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich das Verwaltungsgericht nicht mit der materiellen Rechtslage befasst hat. Im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO "auseinandersetzen" kann sich der Beschwerdeführer zwar nur mit in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Ausführungen. Das Auseinandersetzungserfordernis tritt indes bereits nach dem Wortlaut des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO lediglich neben das Gebot, die Gründe aufzuzeigen, derentwegen die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist; dieser Teil der einen Beschwerdeführer treffenden Darlegungslast wird durch eine partiell fehlende Möglichkeit der "Auseinandersetzung" nicht gegenstandslos (BayVGH, Beschl. v. 08.08.2006, a. a. O.). Dies zwingt je nach Sachlage zu einer Wiederholung erstinstanzlichen Vorbringens, die in diesem Zusammenhang dem Darlegungserfordernis genügen dürfte (vgl. Redeker/von Oertzen, a. a. O.). Ob in diesem besonderen Fall eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen zur Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO genügen würde, mag dahinstehen; denn auch eine solche Bezugnahme enthält die Beschwerdebegründung des Antragstellers nicht.

Selbst wenn man das Vorbringen des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren hier als ausreichend ansehen wollte, hätte die Beschwerde in der Sache voraussichtlich keinen Erfolg.

Eine dem Bauherrn erteilte (immissionsschutzrechtliche) Genehmigung kann ein Dritter nur dann mit Erfolg anfechten, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist, also gegen das öffentliche Recht verstößt, und wenn die verletzten Vorschriften zumindest auch zum Schutze des Dritten zu dienen bestimmt sind. Der Antragsteller hat indes nicht dargelegt, welche (auch) seinem Schutz dienende(n) Vorschrift(en) die angefochtene Genehmigung verletzen soll.

Der Einwand des Antragstellers, ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung habe nicht stattgefunden, trifft nicht zu. Im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren hat die zuständige Behörde gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BImSchG bei Vollständigkeit der Unterlagen das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem in den örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standorts der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt zu machen. Der Antrag und die Unterlagen sind, mit Ausnahme der Unterlagen, die Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, nach der Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht auszulegen (§ 10 Abs. 3 Satz 2, Halbsatz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 BImSchG). Das Vorhaben der Beigeladenen wurde im Amtsblatt des Antragsgegners vom 17.07.2007 (S. 147 f.) sowie im Bördelandkurier (Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft "Südöstliches Bördeland") bekannt gemacht. Auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Genehmigungsunterlagen wurde jeweils unter Angabe von Ort und Zeit hingewiesen. Im Übrigen kann ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung nur dann zur Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung führen, wenn er sich auf die Einhaltung materieller Normen mit drittschützenden Charakter ausgewirkt haben kann. Die auf einen Fehler des Verwaltungsverfahrens gestützte Klage kann nur Erfolg haben, wenn der Dritte dartut, dass und inwieweit sich die Nichtbeachtung der Verfahrensvorschrift auf seine materiellrechtliche Rechtsposition ausgewirkt hat, beispielsweise wenn der Kläger infolge des Verfahrensfehlers daran gehindert worden ist, Umstände vorzutragen, die die Behörde nicht beachtet hat, denen sie aber hätte nachgehen müssen (vgl. Beschl. d. Senats v. 11.07.2007 - 2 L 332/06 -, m. w. Nachw.). Dazu hat der Antragsteller nichts vorgetragen.

Mit dem pauschalen Hinweis darauf, dass "die Nähe zur Wohnbebauung" erhebliche Immissionen (Lärmimmissionen, Schattenwurf) berge, vermag der Antragsteller nicht dazulegen, dass das Vorhaben der Beigeladenen eine drittschützende Norm (etwa § 5 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG) verletzt; zumal eine - vom Antragsteller nicht angegriffenes - Schallimmissionsprognose der Fa. ireg GmbH vom 11.01.2007 zu dem Ergebnis kommt, dass die (in wenigstens 1.300 m Entfernung vom Grundstück des Antragstellers liegenden) Windenergieanlagen die für das streitige (allgemeine) Wohngebiet maßgeblichen Richtwerte der TA Lärm von 40 dB (A) nachts einhalten

Auch mit dem Einwand, der Regionale Entwicklungsplan für die Planungsregion Magdeburg, der für den maßgeblichen Bereich ein Vorranggebiet für die Nutzung von Windenergie mit der Wirkung eines Eignungsgebiets ausweise, sowie der Bebauungsplan der Gemeinde Biere, der ein Sondergebiet für Windenergieanlagen festsetze, seien fehlerhaft, weil insbesondere die privaten Belange nicht (genügend) in die jeweilige Abwägung eingestellt worden seien, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die angefochtene Genehmigung im Fall der Unwirksamkeit der Pläne Vorschriften verletzen könnte, die dem Schutz der Bewohner der umliegenden Gemeinden zu dienen bestimmt sind. Die Unwirksamkeit hätte zur Folge, dass der Vorrang der Nutzung der Windenergie gegenüber anderen Nutzungen u. a. an diesem Standort und die Ausschlusswirkung für außerhalb der Konzentrationszonen liegende Flächen wegfielen. Es ist weder dargetan, weshalb die gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich privilegierten Windenergieanlagen dann (bauplanungsrechtlich) unzulässig wären, noch sind substanziiert Umstände vorgetragen, die den Schluss zulassen, dass das Vorhaben der Beigeladenen gegen das in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB und § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG verankerte Rücksichtnahmegebot verstößt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat stellt bei der von ihm nach § 162 Abs. 3 VwGO zu treffenden Billigkeitsentscheidung in ständiger Rechtsprechung in erster Linie auf die Stellung des Beigeladenen in dem zur Entscheidung anstehenden Interessenskonflikt ab (vgl. Beschl. v. 07.10.1996 - A 2 S 397/96; auch BVerwG, Urt. v. 23.05.1962 - BVerwG V C 62.61 -, BVerwGE 14, 171). Er hält daher die Kosten des notwendig beigeladenen Bauherrn, unabhängig davon, ob er einen Antrag gestellt hat, in der Regel für erstattungsfähig, weil er ohne sein Zutun mit einem solchen Verfahren überzogen wird (vgl. Beschl. v. 07.10.1996, a. a. O.).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 19.2 und 2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).

Ende der Entscheidung

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