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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 13.08.2009
Aktenzeichen: 2 M 88/09
Rechtsgebiete: AufenthG, AufenthV


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 5 Abs. 2
AufenthG § 27 Abs. 3
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 1 a
AufenthV § 39 Nr. 3
1. Ähnlich wie im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bedarf es im Rahmen des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der positiven Prognose, dass die Person, zu der der Familiennachzug des Ausländers stattfindet, den Unterhalt für die anderen Familienangehörigen oder die anderen Haushaltsmitglieder aus eigenen Mitteln aufbringen kann.

2. Für die Frage, ob derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, auf Leistungen nach dem SGB II oder XII angewiesen ist, ist unerheblich, ob die Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; entscheidend ist allein das Bestehen eines Anspruchs.

3. Das Verschweigen einer beabsichtigten Eheschließung gegenüber der Auslandsvertretung eines Anwenderstaates des Schengener Durchführungsübereinkommens bei Beantragung eines Schengen-Visums verwirklicht einen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG (vgl. VGH BW, Beschl. v. 16.04.2009 - 13 S 565/09 -, AuAS 2009, 136). Nichts anderes gilt, wenn der Ausländer die beabsichtigte Eingehung einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft verschweigt.

4. Es bleibt offen, ob für das "Entstehen eines Anspruchs" im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV eine Ermessensreduzierung auf "Null" genügt.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragstellerin habe aller Voraussicht nach keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrer deutschen Lebenspartnerin. Die Verstöße gegen die bestehenden Visumsvorschriften räume sie selbst ein. Auch hinsichtlich der weiteren Ablehnungsgründe (fehlende Sicherung des Lebensunterhalts) seien keine Ermessensfehler ersichtlich. Nach den von der Antragsgegnerin eingeholten Auskünften der ARGE beziehe die Lebenspartnerin Leistungen nach § 19 SGB II bzw. habe sie bezogen. Es sei auch nicht zu erwarten, dass der Bedarf künftig entfallen werde. Der vorgelegte Arbeitsvertrag vom 14.04.2009 zwischen der (... GmbH B-Stadt) und ihrer Lebenspartnerin beziehe sich auf ein Arbeitsverhältnis in B-Stadt; welche Unterkunfts- bzw. Fahrtkosten dabei entstehen, habe die Antragstellerin nicht dargelegt. Zudem sei der Vertrag bis zum 30.10.2009 befristet.

Dem hält die Antragstellerin entgegen, der Lebensunterhalt sei dadurch gesichert, dass ihre Lebenspartnerin aufgrund des eingegangenen Arbeitsverhältnisses über ein ausreichendes Einkommen in Höhe von monatlich (netto) 1.168, 48 € verfüge. Mit der Aufnahme dieser Tätigkeit habe auch sie ihren Wohnsitz in B-Stadt genommen. Ihre Lebenspartnerin sei ferner davon überzeugt, dass der befristete Arbeitsvertrag in einem unbefristeten Vertrag umgewandelt werde, sobald sie sich als zuverlässig erwiesen habe. Damit vermag die Antragstellerin nicht durchzudringen.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll allerdings gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i. V. m. § 27 Abs. 2 AufenthG dem deutschen Lebenspartner eines Ausländers in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt aber gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG weiter voraus, dass der Ausländer 1. mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und 2. die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann hiervon abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Gemäß § 39 Nr. 3 AufenthV kann ein Ausländer über die im AufenthG geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind.

Dass die Antragstellerin nicht mit dem für einen Familiennachzug erforderlichen Visum, sondern nur mit einem bis zum 31.12.2008 gültigen belgischen Schengen-Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, stellt sie auch in der Beschwerde nicht in Abrede.

Die Antragsgegnerin ist im Ablehnungsbescheid vom 03.02.2009 davon ausgegangen, dass die Antragstellerin einen (sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden) Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG und § 39 Nr. 3 AufenthV u. a. deshalb nicht habe, weil nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs versagt werden kann, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist. Sie hat weiter angenommen, auch wenn die Lebenspartnerin der Antragstellerin derzeit keinen weiteren im Bundesgebiet lebenden Personen zum Unterhalt verpflichtet sei, finde diese Bestimmung Anwendung; denn nach Nr. 27.3.3 der vorläufigen Anwendungshinweisen zum AufenthG sei § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch dann anzuwenden, wenn infolge des Nachzugs ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder XII entstehen würde. Diese rechtliche Würdigung, die das Verwaltungsgericht nicht beanstandet hat, hat die Antragstellerin in ihrer Beschwerde nicht angegriffen, so dass dem Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Prüfung verwehrt ist, ob dem tatsächlich zu folgen ist.

Ähnlich wie bei § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. hierzu BverwG, Urt. v. 07.04.2009 - 1 C 17.08 -, Juris, RdNr. 29) bedarf es im Rahmen des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der positiven Prognose, dass die Person, zu der der Familiennachzug des Ausländers stattfindet, den Unterhalt für die anderen Familienangehörigen oder die anderen Haushaltsmitglieder aus eigenen Mitteln aufbringen kann. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden kann. Erforderlich ist vielmehr eine Abschätzung auch auf Grund rückschauender Betrachtung, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann. Auch wenn eine solche Prognose auf Grund der Arbeitsmarktsituation mit Unwägbarkeiten belastet ist, muss zumindest auf der Basis der sich aus der bisherigen Erwerbsbiographie ergebenden Daten ein Verlaufsschema erkennbar sein, das die begründete Annahme stabiler Einkommensverhältnisse erlaubt; denn aus dem Zweck der Norm ergibt sich die Notwendigkeit einer gewissen Verlässlichkeit des Mittelzuflusses (vgl. zum Ganzen: OVG BBg, Beschl. v. 28.02.2006 - 11 S 13.06 -, InfAuslR 2006, 277; OVG NW, Beschl. v. 04.12.2007 - 17 E 47/07 -, Juris; BayVGH, Urt. v. 23.10.2008 - 10 BV 08.256 -, Juris). Für die Frage, ob derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, auf Leistungen nach dem SGB II oder XII angewiesen ist, ist unerheblich, ob die Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; entscheidend ist allein das Bestehen eines Anspruchs (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 15/420, S. 81, Hailbronner, Ausländerecht, § 27 RdNr. 71; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 27 RdNr. 29, vgl. auch Nr. 27.3.1.2 der vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG; a. A. nur Marx in: GK-AufenthG, II - § 27 RdNr. 260 ff.).

Hiernach ist eine dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts im konkreten Fall zu verneinen, weil die deutsche Lebenspartnerin der Antragstellerin bis vor Kurzem Leistungen nach dem SGB II erhielt. Allein die Eingehung des ab dem 01.05.2009 geltenden und bis zum 31.10.2009 befristeten Arbeitsverhältnisses, für das im Übrigen eine Probezeit vereinbart wurde, rechtfertigt noch nicht die Annahme, dass dauerhaft eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht erforderlich sein wird. Im Vertrag vom 14.04.2009 finden sich auch keinerlei Regelungen über die von der Antragstellerin ins Feld geführte Möglichkeit der Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis für den Fall ihrer Zuverlässigkeit während der vereinbarten Vertragsdauer. Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass die bisherige Erwerbsbiografie ihrer Lebenspartnerin einen Verlauf genommen hat, der eine günstige Zukunftsprognose über die Geltungsdauer des derzeitigen Arbeitsverhältnisses hinaus rechtfertigt.

Darüber hinaus dürfte ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG auch deshalb ausscheiden, weil aller Voraussicht nach ein Ausweisungsgrund vorliegt (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Nach § 55 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG kann insbesondere ausgewiesen werden, wer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Anwenderstaates des Schengener Durchführungsübereinkommens durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht hat. Das Verschweigen einer beabsichtigten Eheschließung gegenüber einer Auslandsvertretung eines dieser Staaten bei Beantragung eines Schengen-Visums verwirklicht einen Ausweisungsgrund nach dieser Vorschrift (vgl. VGH BW, Beschl. v. 16.04.2009 - 13 S 565/09 -, AuAS 2009, 136). Nichts anderes gilt, wenn der Ausländer die beabsichtigte Eingehung einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft verschweigt. So dürfte der Fall hier liegen. Nach einem Aktenvermerk vom 15.12.2008 teilte das Standesamt A-Stadt der Antragsgegnerin auf Nachfrage mit, dass die Lebenspartnerin der Antragstellerin bereits am 20.05.2008 beim Standesamt vorgesprochen und sich nach den Modalitäten zum Schließen der Lebenspartnerschaft erkundigt habe; der Name der zukünftigen Lebenspartnerin sei bereits bekannt gewesen. Nach einem weiteren Aktenvermerk vom 02.02.2009 soll am gleichen Tag der Termin für die "Eheschließung" vereinbart worden sein. Am 15.10.2008 beantragte die Antragstellerin bei der belgischen Botschaft in Moskau die Erteilung eines Schengen-Visums für touristische Zwecke, und am 05.12.2008 schloss sie vor dem Standesamt A-Stadt die lebenspartnerschaftliche Gemeinschaft.

Zwar kann gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 AufenthG von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden. Ist aber ein Ermessensspielraum der Ausländerbehörde eröffnet, liegt ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG selbst dann nicht vor, wenn das Ermessen auf "Null" reduziert ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 04.10.2006 - 2 O 210/06 - Juris, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 17.03.2004 - 1 C 11.03 -, DVBl 2004, 906, zu § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG; OVG BBg, Beschl. v. 06.10.2006 - 7 S 32.06 -, DVBl 2007, 68, m. w. Nachw.).

Anhaltspunkte dafür, dass die Nachholung des Visumverfahrens i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar sein könnte, hat die Antragstellerin auch in der Beschwerde nicht dargelegt. Allein der durch die vorübergehende Rückreise in ihre Heimat entstehende zeitliche und finanzielle Aufwand sowie die vorübergehende Trennung von ihrer Lebenspartnerin begründen noch keine Unzumutbarkeit in diesem Sinne.

Eine Befreiung von der Visumspflicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV kommt ebenfalls nicht in Betracht. Ob für das "Entstehen eines Anspruchs" im Sinne dieser Regelung eine Ermessensreduzierung auf "Null" genügen würde oder ob auch diese Vorschrift einen strikten gesetzlichen Rechtsanspruch fordert, ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Dies bedarf jedoch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn das hier aller Voraussicht nach gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen dürfte auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Schutzwirkungen jedenfalls solange nicht Gunsten der Antragstellerin "auf Null" reduziert sein, als sie das für die Familienzusammenführung erforderliche Visumverfahren nicht nachgeholt hat (vgl. VGH BW, Beschl. v. 16.04.2009, a. a. O.). Grundsätzlich ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen; der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.12.2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239; Beschl. v. 10.05.2008 - 2 BvR 588/08 -, InfAuslR 2008, 347). Es besteht kein Anlass, die lebenspartnerschaftliche Gemeinschaft, die nicht dem Schutzbereich des Art. 6 GG, sondern nur dem des Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem konventionsrechtlichen Schutz des Art. 8 EMRK unterfällt (vgl. Marx in: GK-AufenthG II - § 27 RdNrn. 237), besser zu stellen (vgl. Beschl. d. Senats v. 22.06.2009 - 2 M 86/09 -, Juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

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