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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 18.09.2007
Aktenzeichen: 2 O 218/07
Rechtsgebiete: LSA-SOG, StPO, VwGO, ZPO


Vorschriften:

LSA-SOG § 35 Abs. 1 S. 2
StPO § 81b 2. Alt
VwGO § 166
ZPO § 114
1. Für eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Sie ist mithin in der Regel bereits dann zu bejahen, wenn der Rechtsstandpunkt des Rechtsschutzsuchenden ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint (ständige Rechtsprechung des Senats).

2. Die Vorladung zu einer "freiwilligen" erkennungsdienstlichen Maßnahme unter Androhung der zwangsweisen Durchsetzung der Vorladung erledigt sich nicht dadurch, dass der in der Vorladung bestimmte Termin verstrichen ist.

3. Bei der Auslegung der Willenserklärung einer Behörde ist nicht der innere Wille der Behörde maßgebend, sondern der in der Erklärung zum Ausdruck kommende, erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung.

4. § 81b 2. Alt. StPO ermächtigt die Polizeibehörden nicht, in eigener Zuständigkeit die Entnahme von Körperzellen (Speichelprobe) anzuordnen; hierfür stehen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die Verfahren nach §§ 81a, 81e StPO bzw. das Verfahren nach § 81g StPO zur Verfügung.

5. Darf die Polizei in eigener Zuständigkeit eine Körperzellenentnahme gegen den Willen des Betroffenen nicht vornehmen, erscheint zumindest zweifelhaft, ob sie den Betroffenen zu einer freiwilligen Körperzellenentnahme unter Androhung der zwangsweisen Durchsetzung vorladen darf.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für eine hinreichende Erfolgsaussicht genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs (BVerwG, Beschl. v. 08.03.1999 - BVerwG 6 B 121.98 -, NVwZ-RR 1999, 587). Sie ist mithin in der Regel bereits dann zu bejahen, wenn der Rechtsstandpunkt des Rechtsschutzsuchenden ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschl. v. 01.06.2007 - 2 O 86/07 -). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat sich der angefochtene Bescheid nicht bereits vor Klageerhebung am 02.05.2007 erledigt. Der Regelungsgehalt des Bescheids umfasst die Vorladung zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers gemäß § 81b 2. Alt. StPO in Gestalt einer "freiwilligen Körperzellenentnahme (DNA)" am 18.04.2007 sowie die Androhung, die Vorladung zwangsweise durchzuführen, wenn dieser ohne hinreichenden Grund nicht Folge geleistet wird. Eine Vorladung ist das rechtliche Gebot an eine bestimmte, namentlich bekannte Person, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu erscheinen und dort bis zur Erledigung der in der Vorladung bezeichneten Angelegenheit zu verweilen (vgl. Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., F 427). Sie ist damit als Verwaltungsakt zu qualifizieren (vgl. Meixner/Martell, SOG LSA, 3. Aufl., § 35 RdNr. 7). Durch Verstreichen des in der Vorladung bestimmten Termins ist keine Erledigung eingetreten. Die Erledigung eines Verwaltungsakts setzt nämlich voraus, dass die mit der Verfügung verbundene rechtliche oder sachliche Beschwer weggefallen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Aus der Sicht des Klägers stellte der Umstand, dass in der Vorladung ein genau bestimmter Zeitpunkt festgelegt wurde, keine zeitliche Beschränkung des Gebots dar, auf der Polizeidienststelle zu erscheinen. Der Kläger musste die Verfügung vielmehr so verstehen, dass sein Erscheinen bei fortdauernder Weigerung - wie angedroht - durch Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden kann und der festgelegte Zeitpunkt ihm nur die Möglichkeit eröffnen soll, durch sein freiwilliges Erscheinen die Anwendung von Zwangsmitteln zu verhindern (vgl. VGH BW, Urt. v. 22.12.1992 - 14 S 2326/91 -, GewArch 1993, 205). Auch die Androhung eines Zwangsmittels stellt regelmäßig einen (belastenden) Verwaltungsakt dar (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 35 RdNr. 67, m. w. Nachw.). Die Androhung, die Vorladung zwangsweise durchzusetzen, hat sich ebenfalls nicht durch Zeitablauf erledigt; sie gewinnt vielmehr gerade dann Bedeutung, wenn der Betroffene den im Bescheid bestimmten Termin verstreichen lässt.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte in ihrer Klageerwiderung angegeben hat, der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene "standardmäßige" Hinweis auf die Zulässigkeit einer zwangsweisen Durchführung der Vorladung trete auf Grund der Freiwilligkeit der Maßnahme "selbstverständlich" zurück. Bei der Auslegung der Willenserklärung einer Behörde ist nicht der innere Wille der Behörde maßgebend, sondern der in der Erklärung zum Ausdruck kommende, erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (vgl. OVG NW, Urt. v. 12.10.2004 - 15 A 4023/02 -, Juris, m. w. Nachw.). Für den Kläger war auf Grund der Androhung der zwangsweisen Durchsetzung der Vorladung objektiv nicht erkennbar, dass - wie die Beklagte den Bescheid offenbar interpretiert - nicht nur die Abgabe einer DNA-Probe, sondern auch das Erscheinen in der Polizeidienststelle freiwillig sein sollte. Zumindest war der Bescheid in diesem Punkt unklar. Diese Erklärung in der Klageerwiderung dürfte auch nicht als Rücknahme oder Änderung des Bescheids oder als Heilung eines Bestimmtheitsmangels zu verstehen sein, die zur Erledigung des Verfahrens führen könnte. Die Beklagte hat damit lediglich zum Ausdruck gebracht, wie sie den Regelungsgehalt des Bescheids auslegt, und im Übrigen die Abweisung der Klage beantragt.

Der angefochtene Bescheid begegnet auch materiell-rechtlich erheblichen Bedenken.

§ 81b 2. Alt. StPO dürfte als Rechtsgrundlage für die Vorladung nicht in Betracht kommen. Die Vorladung zum Zwecke der erkennungsdienstlichen Behandlung setzt voraus, dass die Voraussetzungen zur Durchführung dieser Maßnahme vorliegen (Lisken/Denninger, a. a. O., RdNr. 434). Nach dieser Regelung dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. § 81b 2. Alt. StPO ermächtigt die Polizeibehörden indes nicht, in eigener Zuständigkeit die Entnahme von Körperzellen (Speichelprobe) anzuordnen; hierfür stehen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die Verfahren nach §§ 81a, 81e StPO bzw. das Verfahren nach § 81g StPO, letzteres ausdrücklich zu präventiv-polizeilichen Zwecken, zur Verfügung (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 23.05.2007 - 5 A 14/06 -, Juris; VG Aachen, Beschl. v. 06.04.2006 - 6 L 63/00 -, Juris). Diese Verfahren, für deren Anordnung das Gericht und nur bei Gefahr im Verzug die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten i. S. v. § 152 GVG zuständig ist, sind zum Schutze des Betroffenen an strengere Voraussetzungen gebunden, die durch die Einbindung in eine auf der Grundlage des § 81b 2. Alt. StPO angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung nicht unterlaufen werden dürfen (vgl. VG Braunschweig, a. a. O.). Darf aber die Polizei in eigener Zuständigkeit eine Körperzellenentnahme gegen den Willen des Betroffenen nicht vornehmen, erscheint zumindest zweifelhaft, ob sie den Betroffenen zu einer "freiwilligen" Körperzellenentnahme unter Androhung der zwangsweisen Durchsetzung vorladen darf.

Auch § 35 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA, der bestimmt, dass die Polizei eine Person vorladen kann, wenn dies zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen erforderlich ist, dürfte als Rechtsgrundlage nicht in Betracht kommen. Diese Vorschrift dürfte sich allein auf ernennungsdienstliche Maßnahmen beziehen, die auf der Grundlage von § 21 SOG LSA vorgenommen werden sollen. § 21 SOG LSA wird jedoch für eine erkennungsdienstliche Behandlung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten nur heran gezogen werden können, soweit nicht schon die konkurrierende Vorschrift des § 81b 2. Alt. StPO anlässlich eines Strafverfahrens gegen einen "Beschuldigten" zur Gewinnung erkennungsdienstlicher Daten für präventiv-polizeiliche Zwecke ermächtigt (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 06.12.2005 - 10 Wx 14/05 -, NStZ-RR 2006, 179, m. w. Nachw.). Die Vorschrift enthält keine sich mit § 81b StPO überschneidende Regelung, sondern ermächtigt ausschließlich zu solchen erkennungsdienstlichen Maßnahmen, die - anders als hier - nicht aus Anlass eines konkreten Strafverfahrens von der Polizei für präventiv-polizeiliche Zwecke vorgenommen werden (OLG Naumburg, a. a. O.). Im Übrigen wird auch im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA eine Vorladung nur dann in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen für die Durchführung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme vorliegen.

Aus der vom Kläger vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den beigefügten Anlagen ergibt sich auch, dass er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 1 des GKG sowie aus § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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