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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 17.10.2007
Aktenzeichen: 2 P 237/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 167 Abs. 1
ZPO § 709
ZPO § 718 Abs. 1
1. Im Verfahren auf Zulassung der Berufung ist über § 167 Abs. 1 VwGO die entsprechende Anwendung des § 718 Abs. 1 ZPO geboten; eine Entscheidung im Beschlusswege ist möglich (wie ThürOVG, Beschl. v. 06.03.2002 - 1 ZKO 743/01 -, NVwZ-RR 2002, 907).

2. Der Zweck des § 169 ZPO liegt in der Festlegung des Vollstreckungsweges für die durch einen Titel nach § 168 Abs. 1 VwGO begründeten Forderungen des Staats gegenüber Privatpersonen. Das Verwaltungsvollstreckungsgesetz ist nur hinsichtlich der Durchführung der Vollstreckung in Bezug genommen, nicht hinsichtlich der dafür erforderlichen Voraussetzungen.

3. Auch im Verwaltungsstreitverfahren sind die Vorschriften der §§ 709, 711 ZPO über die Sicherheitsleistung entsprechend anzuwenden, wenn der Fiskus Vollstreckungsschuldner oder Vollstreckungsgläubiger ist.


Gründe:

I.

Mit Urteil vom 28.02.2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage der Antragstellerin abgewiesen, mit der sie begehrt hat, Bescheide des Antragsgegners über die Erhebung von Fleischuntersuchungsgebühren in Höhe von insgesamt 182.864,63 € insoweit aufzuheben, als darin Gebühren von mehr als 48.916,70 € festgesetzt wurden. Die Verfahrenskosten hat es der Antragstellerin auferlegt, das Urteil hinsichtlich Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt und der Antragstellerin eine Abwendungsbefugnis gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags zugesprochen. Den Streitwert hat es auf 182.864,63 € festgesetzt. Die Antragstellerin hat einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, über den noch nicht entschieden ist. Auf den Antrag des Antragsgegners hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 08.05.2007 die von der Antragstellerin dem Antragsgegner zu erstattenden Kosten auf 5.197,33 € festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 11.07.2007 hat der Antragsgegner beim Verwaltungsgericht die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen beantragt.

Am 03.08.2007 hat die Antragstellerin beim beschließenden Senat beantragt, im Wege der Vorabentscheidung die verwaltungsgerichtliche Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit abzuändern und das Urteil des Verwaltungsgerichts nur gegen eine der Höhe nach vom Gericht festzusetzende Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

II.

Der Antrag der Antragstellerin auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege der Vorabentscheidung ist nach § 167 VwGO i. V. m. § 718 Abs. 1 ZPO zulässig (vgl. NdsOVG, Beschl .v. 16.05.2003 - 4 LB 569/02 -, Juris).

Gemäß § 718 Abs. 1 ZPO ist in der Berufungsinstanz über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf Antrag vorab zu verhandeln und zu entscheiden. Im Verfahren auf Zulassung der Berufung ist die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift geboten, weil anderenfalls eine Regelungslücke entstünde, die dem Sinn der vorläufigen Vollstreckbarkeit und dem Normzweck des § 718 Abs. 1 ZPO widerspräche (vgl. ThürOVG, Beschl. v. 06.03.2002 - 1 ZKO 743/01 -, NVwZ-RR 2002, 907). Der eine Vorabentscheidung begehrende Vollstreckungsschuldner müsste - je nach Fehler im erstinstanzlichen Ausspruch - die Zwangsvollstreckung gegen sich hinnehmen, bis über den Antrag auf Zulassung der Berufung entschieden ist, obwohl der Gesetzgeber dem Rechtsmittelgericht mit § 718 Abs. 1 ZPO erkennbar ein Mittel an die Hand gegeben hat, Fehler der ersten Instanz im Zusammenhang mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit seinerseits möglichst rasch zu korrigieren. Die Befugnis zur Entscheidung des Senats im Beschlusswege folgt bei der gebotenen entsprechenden Anwendung des § 718 Abs. 1 ZPO im Verfahren auf Zulassung der Berufung daraus, dass in diesem Verfahren prozessual nur die Handlungsmöglichkeit des Beschlusses zur Verfügung steht (vgl. ThürOVG, Beschl. v. 06.03.2002, a. a. O.).

Die entsprechende Anwendung des § 718 Abs. 1 ZPO scheidet entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht deshalb aus, weil nach § 167 VwGO die Vorschriften des 8. Teils der ZPO nur dann entsprechend gelten, wenn sich aus der VwGO nichts anderes ergibt, und § 169 VwGO bestimmt, dass sich die Vollstreckung gegen die öffentliche Hand nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG) richtet. Der Zweck des § 169 ZPO liegt in der Festlegung des Vollstreckungsweges für die durch einen Titel nach § 168 Abs. 1 VwGO begründeten Forderungen des Staats gegenüber Privatpersonen (Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 169 RdNr. 6). Das VwVG ist nur hinsichtlich der Durchführung der Vollstreckung in Bezug genommen, nicht hinsichtlich der dafür erforderlichen Voraussetzungen (Bader in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 169 RdNr. 2). Die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urteils betrifft indes die Voraussetzungen für eine Vollstreckung und nicht ihre Durchführung.

Der Antrag nach § 718 Abs. 1 ZPO ist auch begründet.

Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO zur vorläufigen Vollstreckbarkeit seiner Kostenentscheidung § 709 Satz 1 VwGO nicht beachtet. Nach dieser Vorschrift sind andere Urteile als die in § 708 Nr. 1 bis 11 ZPO genannten, die ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären sind, (nur) gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt ein solches "anderes Urteil" dar, weil die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die nach § 167 Abs. 2 VwGO nur wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar ist, eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500,00 €, nämlich laut Kostenfestsetzungsbeschluss 5.197,33 € ermöglicht.

Dem Antragsgegner ist nicht darin zu folgen, § 709 Satz 1 ZPO sei nicht anzuwenden, wenn Vollstreckungsgläubiger die öffentliche Hand ist, die nicht insolvent werden könne. Zwar trifft es zu, dass diese Regelung das Ziel verfolgt, den Vollstreckungsschuldner vor Schaden zu bewahren. Dessen ungeachtet werden die Vorschriften der §§ 709, 711 ZPO über die Sicherheitsleistung auch dann angewendet, wenn der Fiskus Vollstreckungsschuldner oder Vollstreckungsgläubiger ist (vgl. Pietzner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 167 RdNr. 143; Münzberg in: Stein-Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 709 RdNr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., Einf. § 708 RdNr. 11; § 709 RdNr. 9; BGH, Beschl. v. 10.12.1962 - AnwZ (B) 20/62 -. NJW 1963, 445). Der Gesetzgeber hat abschließend geregelt, wann von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abzusehen ist, etwa in den Fällen des § 710 ZPO, wenn der Gläubiger die Sicherheit nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten kann. Zwar ist verschiedentlich die Auffassung vertreten worden, der für den Zivilprozess entwickelte Grundsatz, dass bei Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit die Sicherheitsleistung auch dem Fiskus obliege, lasse sich auf das verwaltungs- bzw. finanzgerichtliche Verfahren nicht übertragen (vgl. HessVGH, Teilurt. v. 19.09.1989 - 2 S 576/89 -, NVwZ 1990, 272 [274]; VG Ansbach, Urt. v. 01.02.1977 - 1 K 390/75 -, GewArch 1977, 306 [307]; FG BW, Urt. v. 26.02.1992 - 4 K 23/90 -, EFG 1991, 338; FG Nürnberg, Urt. v. 11.04.2006 - II 356/2004 - EFG 2006, 1708). Der Senat vermag sich dem aber nicht anzuschließen. Der Gesetzgeber hat der Leistungsfähigkeit der Kostenschuldners oder -gläubigers keine Bedeutung beigemessen (vgl. BFH, Beschl. v. 20.12.1993 - VIII S 10/93 -, BFH/NV 1994, 335; Sodan/Ziekow, a. a. O., § 167 RdNr. 24, Fußn. 45). Die Finanzlage ist nach dem Willen des Gesetzgebers gar nicht zu prüfen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., Einf. § 708 RdNr. 11). Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass die Vorschriften des 8. Buchs der ZPO gemäß § 167 Abs. 1 VwGO nur "entsprechend" anzuwenden sind. Soweit § 167 Abs. 1 VwGO eine "entsprechende" Anwendung dieser Bestimmungen vorsieht, bedeutet dies, dass bei deren Auslegung und Anwendung die besondere Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.06.1998 - 6 AV 2.98 -, NVwZ 1998, 1177). Als Besonderheit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist es nicht anzusehen, dass auf Beklagtenseite in der Regel eine Behörde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts steht, die finanziell leistungsfähig ist. Auch im Zivilprozess kann Kostenschuldner oder Kostengläubiger eine Behörde oder Körperschaft des öffentlichen Rechts sein; gleichwohl hat der Gesetzgeber davon abgesehen, diese hinsichtlich der Sicherheitsleistung zu privilegieren. Dem entsprechend kann der Antragsgegner auch nicht mit dem Einwand durchdringen, es sei zweifelhaft, ob eine Sicherheitsleistung sich überhaupt mit den Grundsätzen der Haushaltswirtschaft vereinbaren lasse. Würde man der öffentlichen Hand im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit die Sicherheitsleistung erlassen, würde dies zudem zu einer Störung der prozessualen Waffengleichheit führen (Pietzner, a. a. O., w. m. Nachw.).

Für die gemäß § 709 Satz 1 ZPO als Voraussetzung für die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung zu bestimmende Sicherheit bedarf es keiner Bezifferung der Sicherheitsleistung. Die durch Gesetz vom 27.07.2001 (BGBl I 1887) eingefügte, am 01.01.2002 in Kraft getretene Vorschrift des § 709 Satz 2 ZPO sieht nunmehr (ausdrücklich) vor, dass es bei der Vollstreckung wegen einer Geldforderung genügt, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Diese Regelung lässt es zu, dass Urteile, die wegen einer Geldforderung für vorläufig vollstreckbar zu erklären sind, gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags zuzüglich eines prozentualen Zuschlags für Schäden des Schuldners, die über den beizutreibenden Betrag hinausgehen, für vollstreckbar erklärt werden können (vgl. Begründung der Ausschussempfehlung, BT-Drucks. 14/6036, S. 125). Diese Regelung ist insbesondere auch von Bedeutung bei der Vollstreckung der Kosten (Kindl in: Sänger (Hrsg.), ZPO, § 709 RdNr. 3). Je nach Sachlage wird ein Zuschlag von 10 bis 20 % für angemessen gehalten (vgl. Krüger in: Münchner Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 709 RdNr. 5, m. w. Nachw.). Im konkreten Fall hält der Senat einen Zuschlag von 10 % des vollstreckungsfähigen Betrags für ausreichend.

Eine Kostenentscheidung entfällt, da das Verfahren auf Erlass einer Zwischenentscheidung keine eigenständige Kostenfolge auslöst (vgl. ThürOVG, Beschl. v. 06.03.2000, a. a. O.).

Ende der Entscheidung

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