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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 27.08.2003
Aktenzeichen: 2 R 404/03
Rechtsgebiete: LSA-SG, VwGO, LSA-Verf


Vorschriften:

LSA-SG § 6
LSA-SG § 13
LSA-SG § 22 V
LSA-SG § 23 I
LSA-SG § 35 I Nr. 1
LSA-SG § 35 I Nr. 2
LSA-SG § 76 III
LSA-SG § 77 III
LSA-SG § 78 II
LSA-SG § 82 III Nr. 1
VwGO § 47 VI
VwGO § 61 Nr. 3
VwGO § 78
VwGO § 91
LSA-Verf Art. 79 I 2
LSA-Verf Art. § 79 I 3
1. Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz sind wie der Normenkontrollantrag selbst gegen das Land zu richten. Ein gegen das die Verordnung verantwortende Ministerium gerichteter Antrag ist ohne Antragsänderungsverfahren auf das Land umzustellen.

2. Ist die getroffene Regelung über Aufnahmebedingungen nicht offenkundig nichtig, so führt der Umstand, dass Eltern und Schüler keinen Rechtsanspruch auf den Besuch eines bestimmten Gymnasiums haben, bei der Interessenabwägung dazu, dass die Verordnung zunächst befolgt werden muss.

3. Zur Frage evtl. verletzter Anhörungsrechte beim Erlass der Verordnung.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 R 404/03

Datum: 27.08.2003

Gründe:

Die Antragstellerin zu 1 hat die vierte Jahrgangsstufe der Grundschule durchlaufen und den gymnasialen Bildungsgang gewählt. Sie möchte zu diesem Zweck vom ...-Gymnasium ... aufgenommen werden. Diesem Wunsch wurde nicht entsprochen, weil dort die Zahl der Anmeldungen nicht die von der Schulverwaltung zunächst durch ministeriellen Erlass festgelegten Richtzahlen erreichte. Dem dagegen eingereichten Antrag auf einstweilige Anordnung hat der Senat, welcher die entgegen stehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG Magdeburg, Beschl. v. 23.07.2003 - 5 B 428/03 -) geändert hatte, nicht entsprochen (OVG LSA, Beschl. v. 14.08.2003 - 2 M 350/03 -, bezogen auf die Antragstellerin zu 1), weil es an einem Anordnungsanspruch fehle, dass an einem bestimmten Gymnasium Eingangsklassen geschaffen werden müssten. Auf diese Entscheidung wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

In einem Parallelverfahren in Bezug auf das Gymnasium ... hat der Senat diese Auffassung bestätigt (OVG LSA, Beschl. v. 20.08.2003 - 2 M 386/03 -) und darüber hinaus erkannt, auch das verfassungsrechtliche Elternrecht gebe keinen Anspruch.

Das Kultusministerium erließ auf der Grundlage der §§ 35 Abs. 1 Nrn. 1, 2; 82 Abs. 3 Nr. 1 des Schulgesetzes (i. d. F. vom 27.02.2003) die "Verordnung zur Aufnahme in die Eingangsklassen der Schulen der Sekundarstufe I" vom 11.08.2003 - Verordnung -, die in der Ausgabe vom 13.08.2003 des Gesetz- und Verordnungsblatts verkündet worden und nach ihrem § 6 am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten ist. § 4 Abs. 2 dieser Verordnung legt i. V. m. der Anlage zu dieser Bestimmung "Mindestschülerzahlen" zur Jahrgangsstufenbildung fest, die für Gymnasien 50 beträgt - diese Mindestzahl stimmt mit der früheren Erlasslage überein -; nach § 4 Abs. 3 ist die Aufnahme abzulehnen, wenn an der betreffenden Schule die nach Absatz 2 erforderliche Zahl von Anmeldungen nicht vorliegt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Verordnung Bezug genommen.

Der Senat hat in einem Parallelverfahren einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen einer Normenkontrollklage gegen diese Verordnung versagt (OVG LSA, Beschl. v. 20.08. 2003 - 2 R 390/03 -), weil die Normenkontrolle nicht offensichtlich Erfolg haben werde und weil die deshalb notwendige Abwägung ergebe, dass die Verordnung zunächst bis zur Klärung in der Hauptsache zu befolgen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss verwiesen. Über die Hauptsache ist bislang nicht entschieden.

Die Antragsteller haben in Kenntnis der genannten Entscheidungen - an den Verfahren (außer im Fall 2 M 386/03) sind die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller dieses Rechtsstreits beteiligt gewesen - Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verordnung gestellt. Sie führen aus:

Der Beschluss im Parallelverfahren gehe von falschen Tatsachen aus. Im ...-Gymnasium könne jederzeit ordnungsgemäß der Unterricht für die fünfte Jahrgangsstufe aufgenommen werden. Die Schule habe sich nach der für die Eltern positiven Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg darauf eingestellt. Es sei auch ein Stundenplan erstellt worden; und es könnten jederzeit Lehrmittel besorgt werden, die notfalls per Boten vom Gymnasium in O. nach S. gelangen könnten. Auch Lehrkräfte seien vorhanden; denn sie unterrichteten in O. und müssten dem Gymnasium in S. lediglich zugewiesen werden, wenn die gerichtliche Anordnung ergangen sei.

Die Verordnung sei bereits deshalb offensichtlich nichtig, weil sie eine echte Rückwirkung zur Folge habe, sich aber keine Rückwirkung beilege; denn sie sei erst nach Beginn des Schuljahrs in Kraft getreten. Für die Verordnung seien die notwendigen Anhörungen nicht einwandfrei durchgeführt worden. Die zitierten gesetzlichen Grundlagen trügen die Verordnung nicht, weil das Gesetz selbst Vorschriften für Klassenkapazitäten und Mindestschülerzahlen enthalte. Durch die Verordnungsregelung solle in Wahrheit die Schließung von Gymnasien herbeigeführt werden, ohne dass die Gemeinden, Schülerräte, Elternräte und Personalvertretungen gehört würden.

Die Antragsteller beantragen,

die "Verordnung zur Aufnahme in die Eingangsklassen der Schulen der Sekundarstufe I" vom 11. August 2003 bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.

Der Antragsgegner ist nicht gehört worden.

II

A. Der gegen das "Kultusministerium" gerichtete Antrag ist auf das "Land Sachsen-Anhalt" umzustellen, weil das "Behörden-Privileg" des § 61 Nr. 3 VwGO kraft Landesrechts nach § 8 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung und des Bundesdisziplinargesetzes - LSA-AG-VwGO - vom 28.01.1992 [LSA-GVBl., S. 36]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [130, 163 <Nr. 372>]), nur gilt, wenn über "Verwaltungsakte" zu entscheiden ist. Aus der Sonderregelung des § 10 LSA-AG-VwGO über Normenkontrollverfahren folgt nichts Abweichendes.

Die bloße Umstellung ist ohne Antragsänderung i. S. des § 91 VwGO möglich, weil auch in den Fällen des § 8 LSA-AG-VwGO (i. V. m. § 61 Nr. 3 VwGO) die Landesbehörden die Körperschaft "Land Sachsen-Anhalt" repräsentieren und keine von dieser getrennte Selbständigkeit aufweisen.

B. Die begehrte einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO kann nicht erlassen werden, weil es nicht "zur Abwehr schwerer Nachteile" oder aus anderen "wichtigen Gründen" geboten ist, den Vollzug der angegriffenen "Verordnung zur Aufnahme in die Eingangsklassen der Schulen der Sekundarstufe I" vom 11.08.2003 (LSA-GVBl., S. 204) - LSA-Sek-I-AufnVO - vorläufig auszusetzen.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist diese Verordnung nicht offensichtlich nichtig (1.), so dass es bei dem vom Senat im Parallelverfahren vorgenommenen Abwägungsergebnis verbleiben muss (2.).

1. Offenkundig zur Nichtigkeit führende formelle (1.1.) oder materielle (1.2.) Fehler sind gegenwärtig nicht festzustellen.

1.1. Auf der Hand liegende formelle Fehler ergeben sich weder aus den allgemeinen Anforderungen an Verordnungen (1.1.1.) noch aus dem eingeschlagenen Verfahren zum Erlass dieser Verordnung (1.1.2.).

Die Verordnung verletzt weder das Zitiergebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-Verf - vom 16.07.1992 (LSA-GVBl., S. 600), noch fehlt es der gesetzlichen Ermächtigung an der notwendigen Bestimmtheit (Art. 79 Abs. 1 Satz 2 LSA-Verf).

Die Verordnung zitiert zu Recht § 35 Abs. 1 Nrn. 1, 2 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - LSA-SG - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1996 (LSA-GVBl., S. 281), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.02.2003 (LSA-GVBl., S. 42); denn nicht die allgemeine Überschrift, aus welcher die Antragsteller ihre gegenteilige Auffassung herleiten, ist maßgeblich, sondern die einzelnen Regelungen des Paragraphen. Nummer 1 des Absatzes 1 verhält sich eindeutig zur "Aufnahme" in Schulen auch des Sekundarbereichs I, und Nummer 2 des selben Absatzes betrifft die "Übergänge". Soweit auch § 82 Abs. 3 Nr. 1 LSA-SG berücksichtigt ist, handelt es sich um die Zuständigkeitsregelung innerhalb der Schulverwaltung zum Erlass dieser Verordnung.

Diese Ermächtigung ist eindeutig genug, setzt den notwendigen Rahmen und enthält die erforderlichen Grenzen.

Die Antragsteller können dem nicht mit Erfolg entgegen setzen, die Materie sei bereits abschließend gesetzlich geregelt; denn § 13 LSA-SG ermächtigt die Schulverwaltung, Einzelfallregelungen zu treffen, ohne eine dem § 35 Abs. 1 LSA-SG entsprechende Ermächtigung für eine Verordnungsregelung zu enthalten. Das gilt gerade auch mit Blick auf § 13 Abs. 4 LSA-SG. Soweit dort Aufnahmen in Jahrgangsstufen in Relation zu Mindestjahrgangsstärken gesetzt sind, handelt es sich nur um die Möglichkeit einer Schranke, ohne dass eine abschließende Regelung getroffen ist; dies gibt Raum für eine Verordnung auf der Grundlage des § 35 Abs. 1 Nr. 1 LSA-SG.

Auch § 6 LSA-SG steht nicht entgegen; denn die materiellen Regelungen der Absätze 1 bis 5 betreffen die hier streitige Übergangssituation nicht, und die Verordnungsermächtigung des Absatzes 6 bezieht sich lediglich auf die Grundsätze der Absätze 3 und 4.

1.1.2. Nicht so eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob für die hier streitige Verordnung das notwendige Anhörungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen worden ist.

Ob das durch § 22 Abs. 5 LSA-SG vorgeschriebene Verfahren einzuhalten war, ist zwar offen; Überwiegendes spricht aber gegen die von den Antragstellern lediglich vermutete, aber nicht belegte Auffassung, die Verordnung verfolge einen anderen als den deklarierten Zweck, nämlich den der Schulschließung.

Zweifelhafter ist, ob die Anhörungsrechte der §§ 76 Abs. 3; 77 Abs. 3; 78 Abs. 2 LSA-SG ausreichend gewahrt worden sind. Indessen ist auch hier nicht offenkundig, dass die zu beteiligenden Stellen schlechthin gehindert gewesen wären, ihre Auffassungen zur Geltung zu bringen. Dass ablehnende Stellungnahmen zum Verordnungsentwurf abgegeben worden sind, hindert den Erlass des Rechtssatzes nicht; denn Anhörungsrechte bedeuten keine "Veto-Rechte".

1.2. Auch die in erster Linie vorgebrachte materielle Rüge, die Verordnung enthalte eine verfassungswidrige Rückwirkung, ist nicht offensichtlich begründet, sondern wird sich bei der im einstweiligen Rechtsschutz nur möglichen summarischen Betrachtung wohl als erfolglos erweisen.

Es ist schon zweifelhaft, ob die Verordnung sich überhaupt hätte Rückwirkung beimessen müssen. Zwar enthält das Schulgesetz Regelungen über den Beginn und das Ende eines Schuljahres (§ 23 Abs. 1 LSA-SG); dies sagt aber nichts über den tatsächlichen Beginn des Schulbetriebs aus, der - wie auch die Antragsteller nicht bestreiten - in diesem Jahr mit dem 21.08.2003 anzusetzen war. Tatsächlich müssen bis zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für den weiter führenden Schulbesuch in der fünften Jahrgangsstufe erfüllt sein. Soweit die § 6 Satz 2 LSA-Sek-I-AufnVO bestimmt, die Regelungen der Verordnung gälten erstmals für Schüler(innen), welche zum 31.07. 2003 den vierten Schuljahrgang abgeschlossen hätten, liegt darin wohl weniger eine "Rück-"Anknüpfung von den Rechtsfolgen her, sondern eher die "nunmehr künftige" Geltungsanordnung für das beginnende Schuljahr.

Abgesehen davon ist nicht einsichtig, dass bereits vorhandene Ansprüche durch die Verordnungsregelung beseitigt worden wären. Immerhin hat der Senat bereits festgestellt, dass auch in der Zeit vor Erlass der Verordnung kein Rechtsanspruch der Antragstellerin zu 1 auf die Einrichtung einer fünften Klasse am ...-Gymnasium bestanden hätte (OVG LSA, Beschl. v. 14.08.2003 - 2 M 350/03 -, Beschluss-Abdruck, S. 4).

2. Die danach notwendige Interessen-Abwägung führt dazu, dass die erlassene Verordnung zunächst zu befolgen ist.

Das gilt unabhängig von der Frage, ob Stundenpläne bereits vorhanden sind oder alsbald erstellt werden könnten, ob Sachmittel per Boten nach S. transportiert werden könnten oder ob das Land in O. tätige Lehrkräfte nach S. abordnen müsste; denn die Abwägung der unterschiedlichen Interessen kann nicht unberücksichtigt lassen, was rechtens wäre, wenn sich die Verordnung tatsächlich als nichtig erwiese. Auch dann nämlich hätte die Antragstellerin zu 1 kein sich aus dem Schulrecht oder der Verfassung ergebendes Recht, ihrer Schulpflicht gerade am ...-Gymnasium nachzukommen (OVG LSA, Beschl. v. 14.08.2003 - 2 M 350/03 -, Beschluss-Abdruck, S. 4), und der Antragsteller zu 2 könnte das Ergebnis nicht durch Berufung auf sein Elternrecht erreichen (OVG LSA, Beschl. v. 20.08.2003 - 2 M 386/03 -, S. 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2; 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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