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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 2 R 488/03
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB
Vorschriften:
VwGO § 47 II 1 | |
VwGO § 47 VI | |
VwGO § 161 II | |
BauGB § 14 I |
2. Eine Veränderungssperre ist als Sicherungsmittel ungeeignet, wenn sich das Planungsziel des Aufstellungsbeschlusses nicht erreichen lässt, wenn der beabsichtigte Plan einer positiven Konzeption entbehrt oder wenn rechtliche Mängel nicht behoben werden können.
3. Zur sog. "Negativ-Planung".
Der Name des künftigen Plans allein lässt keine Planungskonzeption erkennen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL
Aktenz.: 2 R 488/03
Datum: 06.10.2004
Gründe:
Das einstweilige Rechtsschutzverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, zuletzt geändert durch Gesetz 24.06.2004 (BGBl I 1359 [1381]), einzustellen, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2 VwGO.
Billigem Ermessen im Sinne dieser Vorschrift entspricht es bei Orientierung am mutmaßlichen Prozessausgang hier, die Verfahrenskosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil sie bei Fortführung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
1. Der einstweilige Rechtsschutzantrag wäre zulässig, insbesondere die Antragstellerin gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt gewesen; denn sie hat hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen, die es zumindest hätten möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Veränderungssperre in einem Recht verletzt worden wäre (zum Darlegungsmaßstab vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.07.1997 - BVerwG 4 BN 11.97 -, BauR 1997, 972; Urt. v. 10.03.1998 - BVerwG 4 CN 6.97 -, NVwZ 1998, 732; Urt. v. 24.09.1998 - BVerwG 4 CN 2.98 -, NJW 1999, 592). Insoweit sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 24.09.1998, a. a. O.) an die Geltendmachung der Rechtsverletzung keine weitergehenden Anforderungen zu stellen als sie für das Nachteilserfordernis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) galten. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte sich die Antragsbefugnis der Antragstellerin schon aus ihrer Stellung als sonstige - im Einverständnis mit den Grundstückseigentümern - Nutzungsberechtigte, der durch die Veränderungssperre eine Beschränkung der Nutzung der Grundstücke auferlegt wird, ergeben (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2002, § 47 RdNr. 54 mit Rechtsprechungshinweisen). Im Übrigen reicht es nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urt. v. 12.12.2002 - 2 K 259/01 -) für die Antragsbefugnis auch aus, dass die Antragstellerin für die Grundstücke, die im Geltungsbereich der angegriffenen Veränderungssperre liegen, einen Antrag auf Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) gestellt hat, welcher wegen der beschlossenen Veränderungssperre keinen Erfolg gehabt hätte (vgl. Schreiben des Landesverwaltungsamts vom 29.01.2004).
Die Antragstellerin hätte auch über das neben der Antragsbefugnis erforderliche Rechtsschutzinteresse verfügt; denn sie hätte durch die von ihr angestrebte Außervollzugsetzung der Veränderungssperre ihre Rechtsstellung verbessern können, wobei ausreichend ist, wenn die begehrte Entscheidung für sie aus tatsächlichen Gründen vorteilhaft gewesen wäre (BVerwG, Urt. v. 23.04.2002 - BVerwG 4 CN 3.01 -, UPR 2003, 30 [31]). Dass eine Entscheidung des Gerichts für die Antragstellerin von praktischem Nutzen zumindest im Hinblick auf die Realisierungschancen ihrer geplanten Windkraftanlagen gewesen wäre, steht außer Frage.
2. Der Antrag wäre auch begründet gewesen.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Da das Gewicht dieser Gründe ungefähr dem des schweren Nachteils entsprechen muss, ist die Aussetzung des Vollzuges aus diesem Anordnungsgrund dann in Erwägung zu ziehen, wenn der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (a.) und durch den Vollzug der Rechtsnorm vollendete, nach Lage der Dinge nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen werden (b.).
a. Eine derartig hohe Erfolgsaussicht wäre hier anzunehmen gewesen; denn die Veränderungssperre vom 03.12.2002 begegnete in materiell-rechtlicher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.
Nach § 14 Abs. 1 des Baugesetzbuchs - BauGB - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1997 (BGBl I 2141, ber.: BGBl. 1998 I 137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.06.2004 (BGBl I 1359), kann eine Gemeinde, sofern ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans - wie hier - gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden und/oder erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen von Grundstücken und baulichen Anlagen, deren Veränderungen nicht genehmigungs-, zustimmungs- oder anzeigepflichtig sind, nicht vorgenommen werden dürfen. Insoweit muss die Planung beim Erlass der Veränderungssperre einen Stand erreicht haben, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll (BVerwG, Urt. v. 10.09.1976 - BVerwG IV C 39.74 -, BVerwGE 51, 121). In jedem Fall muss die Gemeinde für das betroffene Gebiet schon positive planerische Vorstellungen entwickelt haben. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus (BVerwG, Beschl. v. 05.02.1990 - BVerwG 4 B 191.89 -, Buchholz 406.11 [BBauG/BauGB] § 15 Nr. 6). Auch eine Planung, bei der in einem raumordnerisch für die Windenergie vorgesehenen Gebiet Festsetzungen zugunsten von Windenergieanlagen von "Null bis Hundert" möglich sind, also alles noch offen ist, kann nicht durch eine Veränderungssperre gesichert werden (BVerwG, Beschl. v. 19.05.2004 - BVerwG 4 BN 22/04 -, [juris ]).
Den Mindestanforderungen ist etwa genügt, wenn die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits einen bestimmten Baugebietstyp ins Auge gefasst hat; denn die Art der Nutzung gehört zu den für die Bauleitplanung wesentlichen Festsetzungselementen (BVerwG, Beschl. v. 15.08.2000 - BVerwG 4 BN 35.00 -, PBauE § 14 Abs. 1 BauGB Nr. 17; NdsOVG, Beschl. v. 19.12.2002 - 1 MN 297/02 -, [juris]). Die Wirksamkeit einer Veränderungssperre hängt nicht davon ab, ob der noch nicht beschlossene Bebauungsplan in seinen einzelnen Festsetzungen von einer ordnungsgemäßen und gerechten Abwägung aller betroffenen Belange (vgl. § 1 Abs. 6 BauGB) getragen sein wird. Es kommt insoweit nur darauf an, ob die beabsichtigte Planung überhaupt auf ein Ziel gerichtet ist, das im konkreten Fall mit den Mitteln der Bauleitplanung zulässigerweise erreicht werden kann (BVerwG, Beschl. v. 27.07.1990 - BVerwG 4 B 156.89 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 17 Nr. 4). Es genügt, dass sich aus dem Planaufstellungsbeschluss oder weiteren Verfahrensschritten wenigstens ansatzweise ersehen lässt, was Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans sein soll. Das schließt es aus, ein detailliertes und abgewogenes Plankonzept zu fordern. Der Sinn der Veränderungssperre ist es gerade, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Als Sicherungsmittel ungeeignet ist eine Veränderungssperre deshalb nur dann, wenn sich das aus dem Aufstellungsbeschluss ersichtliche, hinreichend konkretisierte Planungsziel im Wege planerischer Festsetzung nicht erreichen lässt, wenn der beabsichtigte Bebauungsplan einer positiven Planungskonzeption entbehrt und der Förderung von Zielen dient, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind, oder wenn rechtliche Mängel schlechterdings nicht behebbar sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.12.1993 - BVerwG 4 NB 40.93 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 14 Nr. 23; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 16.12.1988 - BVerwG 4 C 48.86 -, BVerwGE 81, 111).
Ein solcher Fall lag hier vor. Der von der Antragsgegnerin beabsichtigte Bebauungsplan stellte sich nach Lage der Dinge als eine gegen § 1 Abs. 3 BauGB verstoßende und daher unzulässige Negativplanung dar.
Nach dem Aufstellungsbeschluss des Stadtrates vom 03.12.2002 sollte der Bebauungsplan "..." dazu dienen, bestehende Verkehrswege vor Negativwirkungen der Windkraftanlagen zu sichern, Behinderungen an bestehenden Versorgungstrassen zu vermeiden, die angrenzenden Wohnbebauungen vor Lärmbelästigung und Schattenwurf und das landwirtschaftliche Vorranggebiet vor Zerschneidung und Reduzierung der Flächen durch die notwendige Andienbarkeit zu schützen, wertvolle Landschafts- und Naturelemente zu schützen und zu bewahren und das Gesamtbild der Stadt durch Eingrenzung der Anlagendichte zu bewahren.
Dieser Begründung lässt sich weder eine planerische Konzeption der Antragsgegnerin entnehmen noch wird hinreichend klar, worin die städtebauliche Erforderlichkeit der genannten Zielsetzungen liegen soll, insbesondere ob eine planerische Feinsteuerung der Errichtung von Windkraftanlagen, u.a. bezüglich der Anzahl und der maximal zulässigen Höhe der Anlagen, beabsichtigt ist. Eine solche dürfte auch nicht vorliegen; denn weder unter dem Gesichtspunkt des Maßes der baulichen Nutzung noch aus den ohnehin auf regionalplanerischer Ebene bereits abgewogenen naturschutzrechtlichen Belangen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 24.04.2002 - 2 R 270/01 -) lässt sich diese im vorliegenden Fall herleiten. Auch die "anderen schützenswerten Güter" lassen mangels Konkretisierung eine planerische Zielrichtung nicht erkennen. Offen bleibt auch, welchen Baugebietstyp die Antragsgegnerin geplant hat. So werden in dem Aufstellungsbeschluss zwar Planungsziele festgeschrieben, die im Rahmen der Bauleitplanung zu berücksichtigen seien. Allerdings führt die Antragsgegnerin nicht aus, mit welchen Festsetzungen hinsichtlich der Art der Nutzung der Ausgleich der aus ihrer Sicht abwägungserheblichen Belange erreicht werden soll. Insoweit lässt sich auch dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Landschaftsplan aus dem Jahr 1999 nicht entnehmen, dass sie das Windkrafteignungsgebiet als Sondergebiet ausweisen wird. Gleiches gilt für die Definition "..."; denn dieser "Name" des Bebauungsplans allein lässt keine Planungsabsichten der Antragsgegnerin erkennen.
Die dem Senat vorliegenden Verfahrensakten lassen vielmehr der Eindruck entstehen, dass die vermeintlich städtebaulichen Ziele nur als Argumentationsmittel dienen, um die Errichtung von Windenergieanlagen in dem vorgesehenen Eignungsgebiet zu verhindern (vgl. zur Verhinderungsplanung BVerwG, Beschl. v. 18.12.1990 - BVerwG 4 NB 8.90 -, NVwZ 1991, 876). So ergibt sich bereits aus der Niederschrift zur Sitzung des Stadtrates der Antragsgegnerin vom 12.06.2002, dass "die Mitglieder sich einhellig gegen die Errichtung von weiteren Windkraftanlagen im Eignungsgebiet der Gemarkung ..." ausgesprochen haben. Auch der weitere Ablauf der Planungsarbeiten bestätigt, dass die Planungsabsichten für den ursprünglichen Planbereich nicht ernsthaft verfolgt wurden, sondern zunächst weitgehend vorgeschoben waren; denn die Antragsgegnerin hat ausweislich des Verwaltungsvorgangs nach dem Aufstellungsbeschluss am 03.12.2002 erst Mitte 2004 in Kenntnis des anhängigen Eilrechtsschutzverfahrens einen Planungsauftrag für den Bebauungsplan vergeben, dessen Abschluss und Ergebnis nicht absehbar ist. Auch nach Erlass der Veränderungssperre hat die Antragsgegnerin die Versuche der Antragstellerin, die Errichtung von Windenergieanlagen auf der Grundlage eines städtebaulichen Vertrags mit der Antragsgegnerin zu sichern, nicht konstruktiv gefördert, sondern durch zeitliche Verzögerungen schließlich den Abschluss eines Vertrages verhindert (vgl. die Darstellung der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Vertragsverhandlungen im Schreiben der Rechtsanwälte W. vom ...). Diese Planungsgeschichte belegt, dass die Antragsgegnerin die Planung nicht ernsthaft für das gesamte Plangebiet verfolgt.
b. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre schließlich geboten gewesen, weil bei Aufrechterhaltung der Veränderungssperre vollendete, nach Lage der Dinge nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen worden wären. Angesichts der großen Wahrscheinlichkeit des Erfolgs des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, wäre dies für Antragstellerin, die ihre Bauabsichten realisieren möchte, nicht zumutbar gewesen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG - in der hier noch anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) i. V. m. II. Nr. 7.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff.), wobei der Senat das Interesse der Antragstellerin mit 10.000,00 € ansetzt und diesen Wert, da mit der Entscheidung in diesem Verfahren die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird, nicht halbiert.
Ende der Entscheidung
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