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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 24.11.2004
Aktenzeichen: 3 L 150/03
Rechtsgebiete: KiBeG, SGB VIII, GG, LSA-Verf


Vorschriften:

KiBeG § 8 I Nr. 1
KiBeG § 8 I Nr. 2
KiBeG § 17 V
KiBeG § 17 VII
SGB VIII § 5
SGB VIII § 80
GG Art. 3 I
GG Art. 28 II
LSA-Verf § 2 III
LSA-Verf § 87 I
LSA-Verf § 87 III
Wird ein Krippenkind in einer Kindertageseinrichtung außerhalb der Wohnsitzgemeinde betreut, so ist die Wohnsitzgemeinde gegenüber der aufnehmenden Gemeinde dann nicht gem. § 17 Abs. 5 Satz 1 KiBeG i. d. F. v. 31. März 1999, GVBl. LSA 125 zum zwischengemeindlichen Defizitausgleich verpflichtet, wenn das Kind in einer Einrichtung der Wohnsitzgemeinde hätte betreut werden können.

Für die Befreiung vom Defizitausgleich ist es unerheblich, ob die auswärtige Betreuung auf das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten gem. § 5 SBG VIII zurückgeht.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 3 L 150/03

Datum: 24.11.2004

Gründe:

I.

Die klagende Stadt begehrt von der beklagten Gemeinde einen Defizitausgleich für die Betreuung eines im Gemeindegebiet wohnhaften Kindes in einer Kindertagesstätte im Stadtgebiet. Träger dieser Einrichtung (Kindertagesstätte "Wawuschel", Triftstraße 2 in C-Stadt) ist der AWO Ortsverein der Arbeiterwohlfahrt e. V., mit dem die Klägerin am 20. Dezember 1999 einen Betreibervertrag abgeschlossen hat. Die Klägerin zahlt dem Träger seither einen pauschalierten Zuschuss zu den Betriebskosten in Höhe von 360,00 DM monatlich je Kindergartenplatz und 420,00 DM monatlich je Kinderkrippenplatz. Nach der Abrechnung des Rechnungsprüfungsamts der Klägerin für das Haushaltsjahr 2000 vom 24. August 2001 wurden in der Einrichtung - aufgeschlüsselt nach Monaten - insgesamt 426 nicht behinderte Kinder betreut, davon 29 Krippenkinder aus umliegenden Gemeinden des Landkreises. Hinzu kamen 290 behinderte Kinder aus Stadt- und Landkreis. Für die nicht behinderten Kinder ermittelte das Rechnungsprüfungsamt Ausgaben von 487.699,60 DM (je Kind und Monat 1.093,50 DM), denen Einnahmen von 475.948,05 DM bei einem Fehlbetrag von 11.751,55 DM (je Kind: 26,35 DM) gegenüber standen. Als Abrechnungsbetrag für die nicht behinderten Krippenkinder aus den Landkreisgemeinden ergab sich ein Gesamtbetrag von 12.944,15 DM monatlich (Zuschuss gem. Betreibervertrag 420,00 DM zuzüglich Fehlbetrag 26,35 DM = 446,35 DM, multipliziert mit 29).

Im Haushaltsjahr 2000 wurde in der Einrichtung u. a. das im Gebiet der Beklagten wohnhafte Krippenkind P. S. für einen Teilzeitraum von 10 Monaten betreut, woraus sich für die Klägerin Kosten von insgesamt 4.463,50 DM ergaben (Zuschuss gem. Betreibervertrag 420,00 DM zuzüglich Fehlbetrag 26,35 DM, multipliziert mit 10).

Am 30. Oktober 2002 hat die Klägerin Leistungsklage gegen die Beklagte erhoben. Zur Begründung ist vorgetragen, die Beklagte sei gem. § 17 Abs. 5 Kinderbetreuungsgesetz - KiBeG - zum Defizitausgleich verpflichtet. Zwar habe sie erklärt, sie habe selbst ausreichend Krippenplätze vorgehalten, um auch das Kind P. S. zu betreuen. Es könne jedoch nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass die Beklagte von der Verpflichtung zum Defizitausgleich befreit sei, wenn Kinder aus dem Gemeindegebiet unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts der Eltern in einer Einrichtung im Stadtgebiet betreut würden. Dem Wunsch- und Wahlrecht der Eltern solle gem. § 5 SGB VIII entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei. Hier habe die Betreuung des Kindes P. S. in der Einrichtung der AWO im Ergebnis zu einer Ersparnis geführt, da diese Einrichtung wirtschaftlicher betrieben werden könne als die Einrichtung der Beklagten.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie - die Klägerin - 2.282,15 € nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie bestreite nicht die sachliche Richtigkeit der klägerseitigen Kostenaufstellung. Sie sehe jedoch keine Verpflichtung zum Defizitausgleich, da sie i. S. des § 17 Abs. 5 KiBeG selbst eine ausreichende Zahl von Plätzen vorgehalten habe. In der gemeindlichen Einrichtung habe es 25 Plätze gegeben, davon fünf Plätze für Kinder unter drei Jahren. Durchschnittlich seien 17 Plätze belegt gewesen, davon drei Krippenplätze. Das Kind P. S. hätte daher in der Einrichtung betreut werden können. Wenn die Eltern das Kind in Ausübung ihres Wahlrechts gleichwohl in die AWO-Einrichtung gegeben hätten, so begründe dies keine Verpflichtung zum Defizitausgleich. Dies entspreche auch Sinn und Zweck des § 17 Abs. 5 KiBeG, mit dem eine Entlastung kleinerer Gemeinden im Umkreis der Städte angestrebt sei. Der Gesetzgeber wolle verhindern, dass kleine Gemeinden die eigenen Einrichtungen aus finanziellen Gründen schließen müssten.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 26. Februar 2003 verurteilt, an die Klägerin 2.282,15 € nebst Zinsen seit dem 30. Oktober 2002 zu zahlen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Beklagte sei gem. § 17 Abs. 5 KiBeG zum Defizitausgleich verpflichtet. Sie sei hiervon nicht deshalb befreit, weil sie selbst eine ausreichende Zahl von Plätzen in ihrer Kindertagesstätte vorgehalten habe. Das Gericht verstehe die Verweisung des § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG auf das Wahlrecht der Eltern gem. § 5 SGB VIII dahin, dass bei Ausübung dieses Wahlrechts die Erstattungspflicht zum Tragen kommen soll. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber lediglich einen deklaratorischen Hinweis habe geben wollen. Der Landesgesetzgeber habe die bundesrechtliche Regelung in § 5 SGB VIII schon aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz nicht ändern können, ein entsprechender Hinweis erweise sich als überflüssig. § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG sei deshalb dahin auszulegen, dass es bei Ausübung des Wahlrechts bei dem landesrechtlichen Grundsatz des Defizitausgleichs bleiben solle. Dieses Auslegungsergebnis werde auch durch die Beratungen des Gesetzes im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Bl. 46 f. PA) bestätigt. Im Ausschuss sei es nicht um die Wahlfreiheit der Eltern, sondern allein um die Erstattung der Pauschalen gegangen. Im Rahmen des Ausgleichs zwischen den Landkreise als den örtlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gem. § 17 Abs. 2 KiBeG sei man von einer Erstattungspflicht bei Ausübung des Wahlrechts ausgegangen. Nichts anderes habe auch im Rahmen des § 17 Abs. 5 KiBeG dem Willen des Ausschusses entsprochen.

Die Klägerin habe das Kind P. S. im Rechtssinne auch aufgenommen. Das Kind sei in einer Einrichtung im Stadtgebiet betreut worden, wobei die Klägerin dem freien Träger die betriebsnotwendigen Kosten erstatte. Fehler bei der Errechnung des Zahlungsbetrages seien nicht ersichtlich. Die Zinsen seien als Prozesszinsen gem. § 191 Satz 1 BGB zu zahlen.

Gegen dieses ihr am 3. März 2003 zugestellte Urteil richtet sich die mit Senatsbeschluss vom 21. August 2004 zugelassene Berufung der Beklagten. Zur Begründung trägt sie vor, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Defizitausgleich für die Betreuung des Kindes P. S. in der AWO-Einrichtung gem. § 17 Abs. 5 KiBeG zu, denn sie - die Beklagte - habe selbst eine ausreichende Anzahl von Plätzen vorgehalten. Das Verwaltungsgericht ziehe aus der Verweisung auf das Wahlrecht der Leistungsberechtigten gem. § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG i. V. m. § 5 SGB VIII falsche Schlussfolgerungen. Zwar habe das Gesetz insoweit nur eine deklaratorische Bedeutung. Deklaratorische Hinweise des Gesetzgebers seien aber nicht von vornherein überflüssig. Sie dienten der Klarstellung und fänden sich in vielen Gesetzeswerken. Die Auslegung des § 17 Abs. 5 KiBeG durch das Verwaltungsgericht lasse sich weder mit dem Regelungszusammenhang noch mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbaren. Die Absicht des Gesetzgebers, diejenigen Gemeinden, die ihrer Verpflichtung zur Schaffung eines ausreichenden Platzangebots nachkämen, von der Zahlungspflicht freizustellen, werde "konterkariert". Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens. Wenn die Absicht bestanden habe, die Erstattung der Betreuungspauschalen zu regeln, so besage dies nichts über die Verfahrensweise bei Ausübung des Elternwahlrechts. Letztlich sei das Verwaltungsgericht eine nachvollziehbare Begründung für sein Auslegungsergebnis schuldig geblieben. Es sei im Übrigen auch ungeklärt, woraus das Verwaltungsgericht eine Erstattungspflicht für das über die Pauschale hinausgehende Defizit von monatlich 26,35 DM im Betreibervertrag der Klägerin mit der AWO-Einrichtung herleite.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts B-Stadt - 6. Kammer - vom 26. Februar 2003 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Gesetzgeber habe an der Verpflichtung zum Defizitausgleich der Wohnsitzgemeinde festhalten wollen, wenn das Kind in Ausübung des Wahlrechts in einer anderen Gemeinde betreut werde. Es könne nicht gewollt gewesen sein, dass die Betreuungsgemeinde in diesem Falle eigene Haushaltsmittel aufwenden müsse. Dies würde eine ungerechtfertigte Haushaltsbelastung der Betreuungsgemeinde bedeuten. Demgegenüber erwachse der Beklagten ein ungerechtfertigter Vorteil. Die Beklagte habe das Kind P. S. nicht betreuen müssen. Sie habe deshalb ihre Vorhaltekosten entsprechend reduzieren können.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird ergänzend auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Verwaltungsvorgang der Klägerin (Beiakte A) Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. Februar 2003 ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Defizitausgleich für die Betreuung des Kindes P. S. in der Kindertagesstätte "Wawuschel" zu. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin leitet den geltend gemachten Anspruch aus § 17 Abs. 5 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen vom 26. Juni 1991 (GVBl. LSA 126) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 31. März 1999 (GVBl. LSA 125) ab. Die Vorschrift lautet wie folgt:

Gemeinden, in denen keine Kindertageseinrichtung oder keine ausreichende Zahl an Plätzen in Kindertageseinrichtungen vorgehalten wird, erstatten den Gemeinden, die Kinder ihrer Gemeinde aufnehmen, das pro Kind entstehende anteilige Defizit. § 5 SGB VIII bleibt unberührt.

Die Anwendung dieser Vorschrift im vorliegenden Falle wirft bereits dem Grunde nach Zweifelsfragen auf. Die Gemeinden sind in unterschiedlicher Weise in die Finanzierung der Kindertagesstätten eingebunden. Sie können gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 KiBeG selbst Träger einer Einrichtung sein und tragen dann auch selbst das verbleibende Defizit beim Betrieb, dass weder durch die Pauschalen gem. § 17 Abs. 1, 2 KiBeG noch durch Elternbeiträge abgedeckt werden kann. Die Gemeinden können aber auch auf eigene Einrichtungen zugunsten freier Träger gem. § 8 Abs. 1 Nr. 2 KiBeG verzichten und sind in diesem Falle als kommunale Körperschaft verpflichtet, einen ergänzenden Kostenzuschuss gem. § 17 Abs. 7 KiBeG zu leisten. Diese Finanzierung der freien Einrichtungen ist mit § 17 Abs. 7 KiBeG gesetzestechnisch in einem eigenen Abschnitt geregelt, ohne dass dabei auf den kommunalen Defizitausgleich des § 17 Abs. 5 KiBeG verwiesen wird (anders noch § 17 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. § 17 Abs. 3 KiBeG i. d. F. des Gesetzes vom 17.12.1996, GVBl. LSA S. 416). Rechtssystematische Gründe können deshalb dafür sprechen, dass der Betrieb der freien Einrichtungen vom Defizitausgleich des § 17 Abs. 5 KiBeG ausgenommen sein soll. Eine Neuerung gegenüber § 17 Abs. 5 KiBeG i. d. F. des Gesetzes vom 17. Dezember 1996 liegt auch darin, dass in § 17 Abs. 7 KiBeG i. d. F. des Gesetzes vom 31. März 1999 die bisherige "Ausgleichsvereinbarung" mit dem freien Träger nicht mehr erwähnt wird. Es lässt sich deshalb nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der gesetzliche Kostenzuschuss gem. § 17 Abs. 7 KiBeG einer vertraglichen Regelung zugänglich sein soll.

Der Senat sieht indes keinen Anlass, auf diese Rechtsfragen im Einzelnen einzugehen. Sollte § 17 Abs. 5 KiBeG sich auf den Kostenzuschuss beim Betrieb einer freien Einrichtung gem. § 17 Abs. 7 KiBeG erstrecken und der Betreibervertrag vom 20. Dezember 1999 insoweit als Berechnungsgrundlage zu akzeptieren sein, ist jedenfalls den weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Auslegung des § 17 Abs. 5 KiBeG nicht zu folgen.

Der zwischengemeindliche Defizitausgleich gem. § 17 Abs. 5 Satz 1 KiBeG knüpft an die Aufnahme eines Kindes aus einer Gemeinde an, in denen keine Kindertageseinrichtung oder keine ausreichende Anzahl an Plätzen vorgehalten wird. Die Regelung ist nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Gesetzes eindeutig. Es wird ein Zahlungsanspruch der aufnehmenden Gemeinde gegenüber der "säumigen" Wohnsitzgemeinde begründet und damit zugleich ein Anreiz für den Betrieb eigener Einrichtungen in den Wohnsitzgemeinden geschaffen. Unter den Prozessbeteiligten besteht insoweit kein Streit und auch aus dem erstinstanzlichen Urteil ergibt sich nichts anderes.

Die Auffassungen zum Verständnis des § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG gehen dagegen nach wie vor auseinander. Der dort genannte § 5 SGB VIII begründet ein Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten zwischen Einrichtungen und Dienststellen verschiedener Träger (Abs. 1). Der Wahl und den Wünschen soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (Abs. 2). Nach § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG bleibt diese Regelung unberührt. Die Klägerin und ihr folgend das Verwaltungsgericht verstehen dies als Einschränkung des § 17 Abs. 5 Satz 1 KiBeG. Die Verpflichtung zum Defizitausgleich soll trotz eines ausreichenden Platzangebots in der Wohnsitzgemeinde dann bestehen, wenn die auswärtige Betreuung auf das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zurückgeht. Betrachtet man den Defizitausgleich bei auswärtiger Betreuung als Grundsatz und die Freistellung der Wohnsitzgemeinde bei ausreichendem Platzangebot als Ausnahme, würde dies auf eine Gegenausnahme (Ausnahme von der Ausnahme) hinauslaufen. Demgegenüber hält sich die Beklagte an den Wortlaut des § 17 Abs. 5 Satz 1 KiBeG. § 17Abs. 5 Satz 2 KiBeG habe nur eine klarstellende Bedeutung und schränke den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 5 Satz 1 KiBeG nicht ein. Dieser letzteren Rechtsauffassung ist der Vorzug zu geben. Das Auslegungsergebnis des Verwaltungsgerichts ist mit den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung unvereinbar.

Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des im Gesetzeswortlaut objektivierten Willens des Gesetzgebers (BVerfGE 1, 199, 312). Diesem Auslegungsziel dienen als Auslegungsmethoden die Auslegung nach der Wortbedeutung (sprachlich-grammatikalische Auslegung), die Auslegung nach dem Bedeutungszusammenhang (systematische Auslegung), die Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes (teleologische Auslegung) sowie die Auslegung anhand der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. Übersicht bei Palandt, BGB, 60. Aufl., Einleitung Rdnr. 34 ff. m. w. N.). Der Wille des historischen Gesetzgebers ist bei der Auslegung nur insoweit zu berücksichtigen, als er im Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat. Die Motive der Beteiligten am Gesetzgebungsverfahren können als Bestätigung eines Auslegungsergebnisses dienen. Sie können aber den in der Gesetzesvorschrift objektivierten Willen des Gesetzgebers nicht ersetzen.

Die genannten Auslegungsmethoden dürfen nicht verabsolutiert werden, sondern unterstützen und ergänzen sich gegenseitig. Ausgangspunkt jeder Auslegung bleibt jedoch der Gesetzeswortlaut, denn in ihm konkretisiert sich der Wille des Gesetzgebers. Ein eindeutiger Wortsinn ist grundsätzlich bindend (Palandt, a. a. O., Einleitung Rdnr. 35 m. H. auf BGH 46, 76). Eine Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift im Wege der Rechtsfortbildung kommt nur in Betracht, wenn eine gesetzliche Regelung entgegen ihrem Wortsinn, aber in Übereinstimmung mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziel der Einschränkung bedarf (sog. teleologische Reduktion). Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts besteht außerdem dann, wenn der Gesetzgeber eine weitergehende Wirkung beabsichtigt, als sie nach der Verfassung zulässig ist (BVerwG, Urt. v. 9.3.1995 - 9 C 389.94 -, EZAR 215 Nr. 9 m. w. N.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 29.7.2004 - 1 BvR 737/00 -, NJW 2004, 2662).

Das Verwaltungsgericht entfernt sich mit seiner Auslegung vom eindeutigen Wortsinn des § 17 Abs. 5 KiBeG, ohne sich dabei auf systematische, teleologische oder sonstige Auslegungskriterien stützen zu können. Die Bezugnahme des Abs 5 Satz 2 auf § 5 SGB VIII lässt sich schon bei wörtlicher Auslegung nicht als Einschränkung des Abs. 5 Satz 1 KiBeG begreifen. Regelungsgegenstand des Abs. 5 Satz 2 KiBeG ist das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten. Wenn dieses "unberührt" bleiben soll, so besagt dies, dass es durch den vorangestellten Defizitausgleich gem. Abs. 5 Satz 1 KiBeG weder beschränkt noch erweitert wird; m. a. W.: Der Blick des Gesetzgebers ist hier nicht auf den Defizitausgleich, sondern auf das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten gerichtet. Dieses wird in seiner ungeschmälerten Bedeutung herausgestellt, nicht hingegen eine weitere Variante für den Defizitausgleich des Abs. 5 Satz 1 KiBeG eingeführt.

Die gegenläufigen rechtssystematischen Erwägungen des Verwaltungsgerichts gehen in die Irre. Es trifft zwar zu, dass § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG bei dem im Wortsinn angelegten Verständnis nur eine deklaratorische Bedeutung hat. Eine Einschränkung der bundesrechtlichen Regelung in § 5 SGB VIII stand dem Landesgesetzgeber nicht zu. Deklaratorische Hinweise des Gesetzgebers sind aber keineswegs von vornherein überflüssig, sondern gehören zum gesetzestechnischen Standardrepertoire. Sie dienen der Klarstellung und der Vermeidung von Missverständnissen bei der Gesetzesanwendung. Der Gesetzgeber konnte einen klarstellenden Hinweis auch im vorliegenden rechtlichen Zusammenhang für geboten halten. Es liegt auf der Hand, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten in einem Zielkonflikt zu dem angestrebten ortsnahen Angebot an Kindertageseinrichtungen steht. Denn diese Zielvorstellung basiert auf der Annahme, dass die im Ort bestehenden Kindertageseinrichtungen von der einheimischen Bevölkerung auch in Anspruch genommen werden. Ein klarstellender Hinweis konnte dazu beitragen, Pressionen auf diejenigen Leistungsberechtigten auszuschließen, die eine auswärtige Betreuung anstreben. Indem das Verwaltungsgericht diese gesetzestechnische Bedeutung des § 17 Abs. 5 Satz 2 KiBeG von vornherein ausschloss, hat es sich den Blick auf den eigentlichen Sinnzusammenhang von Abs. 5 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 verstellt. Die Anreizfunktion, die der Gesetzgeber mit der Privilegierung ausreichend ausgestatteter Wohnsitzgemeinden im Rahmen des Defizitausgleichs anstrebt, würde weitgehend entwertet, wenn davon auswärtige Betreuungen ausgenommen blieben, die auf das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern zurückgehen. Die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts dürfte der Hauptfall, wenn nicht der einzige Fall sein, in dem Leistungsberechtigte statt einer örtlichen Einrichtung eine auswärtige Einrichtung in Anspruch nehmen. Bliebe es hier bei dem Defizitausgleich, würde für die Wohnsitzgemeinde der wesentliche haushaltsrechtliche Gesichtspunkt für die Schaffung örtlicher Einrichtungen entfallen. Dies verfehlt den Gesetzeszweck.

Das Verwaltungsgericht zieht auch aus den beigezogenen Protokollen des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Bl. 82 f. PA) falsche Schlussfolgerungen. Die damaligen Erörterungen betrafen die landkreisübergreifende Unterbringung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 KiBeG und die daraus folgende Ausgleichspflicht der örtlichen Träger. Erkenntnisse über den Umfang der zwischengemeindlichen Erstattungsansprüche gem. § 17 Abs. 5 KiBeG lassen sich daraus schon wegen der unterschiedlichen Aufgaben der örtlichen Träger und der Gemeinden im Rahmen des Gesetzesvollzugs nicht gewinnen. Im Ausschuss war im Übrigen nur die Frage aufgetaucht, ob mit der Neufassung des § 17 KiBeG nicht das Wunsch- und Wahlrecht eingeschränkt werde. Diese Frage wurde mit dem Zusatz verneint, es gehe um die Erstattung der Pauschale. Daraus lässt sich nicht herleiten, dass die Erstattungspflicht in eine rechtliche Abhängigkeit zum Wunsch- und Wahlrecht gebracht werden sollte.

§ 17 Abs. 5 KiBeG lässt auch keinen Spielraum für eine sog. teleologische Reduktion oder eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung. Der Wille des Gesetzgebers lässt sich anhand von Wortlaut und Sinn der Vorschrift eindeutig ermitteln: Gemeinden mit einem ausreichenden eigenen Platzangebot sollen vom Defizitausgleich bei auswärtiger Unterbringung ausgenommen sein. Die Auslegung stößt hier an eine Grenze. Hält das Gericht die Lösung des Gesetzgebers für verfassungswidrig, lässt sich dies nicht gegen den Willen des Gesetzgebers im Wege der Auslegung korrigieren. Das Gericht muss die Sache vielmehr dem Bundes- oder Landesfassungsgericht vorlegen.

Im Falle der Klägerin besteht hierfür kein Anlass, denn Anhaltspunkte für einen Verstoß des § 17 Abs. 5 KiBeG gegen höherrangiges Recht sind nicht ersichtlich. Die Klägerin ist nicht in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 2 Abs. 3, 87 Abs. 1 Verf LSA verletzt. Der Ausschluss des Defizitausgleichs gegenüber Gemeinden mit ausreichendem eigenen Platzangebot zieht eine haushaltsrechtliche Belastung für die Klägerin nach sich. Nimmt sie Kinder aus diesen Gemeinden auf, verbleiben ihr die Betriebskosten, soweit sie nicht durch die Pauschalen des § 17 Abs. 1, 2 KiBeG sowie die Elternbeiträge abgedeckt sind. Wie sich aus Art. 87 Abs. 3 Verf LSA ergibt, kann die Gemeinde in ihrem Selbstverwaltungsrecht betroffen sein, wenn ihr neue Pflichtaufgaben auferlegt werden, ohne dass zugleich für eine ausreichende Finanzausstattung gesorgt wird. So gesehen begründet die Ausgleichspflicht des § 17 Abs. 5 KiBeG eine mittelbare Zwangslage zum Vorhalten gemeindeeigener Einrichtungen, die sich an Art. 87 Abs. 3 Verf LSA wird messen lassen müssen. Diese Zwangslage besteht hier aber nur für die Beklagte als abgebende Gemeinde und nicht für die Klägerin als aufnehmende Gemeinde. Ihr bleibt es selbst überlassen, in welchem Umfang sie über den örtlichen Bedarf hinaus zusätzliche Plätze für auswärtige Kinder bereit hält. Es wird bei dieser Entscheidung eine Rolle spielen, ob sie einen Defizitausgleich gem. § 17 Abs. 5 KiBeG zu erwarten hat. Scheut sie das haushaltsrechtliche Risiko, steht es ihr aber frei, auf solche zusätzlichen Plätze zu verzichten. Nachteile für ihren Gemeindehaushalt sind damit nicht verbunden, denn die durch § 17 Abs. 5 KiBeG begründete Zwangslage beschränkt sich auf die Schaffung eines ausreichenden örtlichen Angebots.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine gleichmäßige, allein am örtlichen Bedarf ausgerichtete Finanzlast aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG findet auf juristische Personen des öffentlichen Rechts keine Anwendung (BVerfGE 21, 372). Ob sich eine klagefähige Rechtsposition der Klägerin aus Art. 28 Abs. 2 GG i. V. m. dem allgemeinen legislatorischen Gebot einer willkürfreien, an der Sachgerechtigkeit orientierten Lösung herleiten lässt (vgl. dazu BVerfG, a. a. O.), bedarf keiner näheren Erörterung. Der Gesetzgeber hat sich dieser Aufgabe in rechtlich nicht zu beanstandender Weise unterzogen. Dem Gesetzgeber ist in diesem Zusammenhang ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen (BVerfGE 80, 109, 118). Es ist nicht zu prüfen, ob er in jeder Hinsicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gewählt hat (BVerfGE 84, 348, 359; vgl. auch Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl., Art. 3 Rdnr. 15, 26). Der Defizitausgleich des § 17 Abs. 5 KiBeG verfolgt vorrangig eine strukturpolitische Zielsetzung. Die Gemeinden sollen dazu bewegt werden, zwecks Vermeidung der Ausgleichspflicht örtliche Einrichtungen anzubieten. Dies dient einer gleichmäßigen örtlichen Belastung der Gemeinden und hilft zugleich, lange Anfahrtswege der Kinder zu vermeiden. Diese strukturpolitische Zielsetzung ist allerdings auch bei sorgfältiger Planung gem. § 80 SGB VIII nur bedingt zu verwirklichen. Denn weder lässt sich das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten gem. § 5 SGB VIII ausklammern noch die Gründung freier Einrichtungen zuverlässig steuern (vgl. dazu Beschl. d. Senats v. 27.9.2002 - 3 M 239/02 -). Der Gesetzgeber konnte diese systemimmanenten Unsicherheitsfaktoren nicht voll ausgleichen. Er musste sich damit begnügen, den Defizitausgleich bei ausreichendem örtlichen Angebot auszuschließen und hat damit im Rahmen des Möglichen eine sachgerechte Lösung gefunden. Diese Lösung schließt es ein, dass das finanzielle Risiko einer auswärtigen Betreuung nach Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts bei der betreuenden Gemeinde verbleibt. Wollte man dieses Risiko der Wohnsitzgemeinde aufbürden, hätte sie neben den systembedingten Vorhaltekosten der eigenen Einrichtung auch noch die Betreuungskosten zu tragen, obwohl sie die Betreuung tatsächlich gar nicht erbracht hat. Unter dem Gesichtspunkt einer ausgleichenden Gerechtigkeit wäre diese Lösung noch weniger befriedigend.

Die Beklagte hat dargelegt, dass sie das Krippenkind P. S. in ihrer Einrichtung zusätzlich habe betreuen können. Von den fünf vorgehaltenen Krippenplätzen seien nur drei belegt gewesen. Der Senat hat keinen Anlass, diese Angaben in Zweifel zu ziehen. Auch die Klägerin ist ihnen nicht entgegengetreten. Damit ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Befreiung der Beklagten vom Defizitausgleich auch in der Sache vorgelegen haben. Da dem Kind P. S. ein Platz zu Verfügung hätte gestellt werden können, kann auch auf sich beruhen, ob das "ausreichende" Platzangebot i. S. des § 17 Abs. 5 KiBeG an den geplanten Zahlen oder aber an der tatsächlichen Nachfrage zu messen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zulassen, weil keiner der in § 132 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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