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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 29.01.2007
Aktenzeichen: 3 L 200/06
Rechtsgebiete: BSHG, VO


Vorschriften:

BSHG § 76 Abs. 1
VO § 8 Abs. 1 zu § 76 BSHG
VO § 8 Abs. 2 zu § 76 BSHG
Erstattung von Betriebskosten im Rahmen eines Mitverhältnisses stellt kein Einkommen i.s.d. § 76 BSHG dar.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 L 200/06

Datum: 29.01.2007

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Die vom Beklagten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

"Ernstliche Zweifel" an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen nur dann, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg; ist hingegen der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens lediglich offen, rechtfertigt dies die Zulassung der Berufung nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Mai 1997, DVBl. 1997, 1327; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. November 1997, NVwZ 1998, 530; Beschluss vom 22. April 1998, DVBl. 1999, 120; std. Rspr. des Senats, etwa: Beschlüsse vom 26. Januar 1998 - A 3 S 197/97 -, vom 19. Februar 1999 - A 3 S 71/97 - und vom 22. April 2004 - 3 L 228/02 -). Gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ist der Zulassungsgrund zudem in der gebotenen Weise darzulegen. Dies erfordert, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Mithin ist zugleich erforderlich, dass sich der Zulassungsantrag substantiiert inhaltlich mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt und u. a. konkret ausgeführt wird, dass die erhobenen Einwände entscheidungserheblich sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Mai 1997 - 11 B 799/97 -, DVBl. 1997, 1344; Beschluss vom 9. Juli 1997 - 12 A 2047/97 -, DVBl. 1997, 1342; OVG LSA, Beschluss vom 22. April 2004 - 3 L 228/02 -; vgl. auch zu den entsprechenden Anforderungen an eine Revisionsbegründung: BVerwG, Beschluss vom 23. September 1999 - 9 B 372.99 -; Urteil vom 30. Juni 1998 - 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117; Urteil vom 3. März 1998 - 9 C 20.97 -, BVerwGE 106, 202; Urteil vom 25. Oktober 1988 - 9 C 37.88 -, BVerwGE 80, 321). An die Begründung des Antrags im Zulassungsverfahren sind insoweit keine geringeren Anforderungen zu stellen als an die Revisionsbegründung (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 1997 - Bs IV 2/97 -, NVwZ 1997, 689; OVG LSA, Beschluss vom 22. April 2004 - 3 L 228/02 -; BVerwG, Beschluss vom 23. September 1999, a. a. O. [m. w. N.]). Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses bestehen, muss der Rechtsmittelführer ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 11. April 2000 - A 3 S 218/97 - und Beschluss vom 4. Juni 1998 - B 2 S 194/98 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 20. Februar 1997 - Bs IV 19/97 -, DVBl. 1997, 1333).

In Anlegung dieser Maßstäbe lässt sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Rechtsmittels nicht feststellen, denn aufgrund der Darlegungen in der Antragsschrift sind "überwiegende" Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Beschluss (s. S. 4 d. UA) zur Frage, ob die der Klägerin zugeflossene Betriebskostenerstattung als auf den Bedarfszeitraum aufzuteilendes (Jahres-)Einkommen i. S. d. § 76 Abs. 1 BSHG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 76 BSHG - VO zu § 76 BSHG - anzusehen ist, die Auffassung vertreten, dass zum berücksichtigungsfähigen Einkommen gem. § 76 Abs. 1 BSHG alle Einkünfte in Geld und Geldeswert mit Ausnahme bestimmter - hier nicht einschlägiger - Leistungen gehören und dementsprechend auch die Rückerstattung der im Jahr zuvor überzahlten, pauschalierten Betriebskosten für die Wohnung der Klägerin und ihres Lebensgefährten Einkommen sei. Unter § 76 BSHG würden alle Einkünfte fallen, die dem Hilfesuchenden zuflössen, ohne Rücksicht auf ihre Art und auf die Tatsache, ob sie laufend oder einmalig anfallen. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2003 stelle einen solchen - einmaligen - Vermögenszuwachs dar, der ihr auch tatsächlich zugeflossen sei. Allerdings sei davon auszugehen, dass das Guthaben aus der Betriebskostenerstattung für das Jahr 2003 nicht gemäß der Verordnung des § 76 BSHG auf einen längeren Zeitraum zu verteilen sei. In der genannten Verordnung seien die Einkunftsarten in §§ 3 bis 7 a. a. O. abschließend geregelt. Die Erstattung eines Betriebskostenguthabens sei unter diese Vorschriften nicht subsumierbar; auch sei - wie sich ebenfalls aus der Kommentierung in Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG 16. Aufl. § 8 VO zu § 76, Rn. 2 ergebe - § 8 Abs. 1 der Verordnung nicht einschlägig, da es sich vorliegend nicht um Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen handele.

Der Beklagte wendet hiergegen mit seiner Antragsschrift zu Recht ein, dass § 8 Abs. 1 VO zu § 76 BSHG die (sog.) "anderen Einkünfte" im Sinne der genannten Vorschrift nicht benennt und zu den angeführten "anderen Einkünften" auch Einnahmen gehören können, die nicht bereits von den §§ 3, 4, 6 und 7 der Verordnung zu § 76 BSHG erfasst werden. § 8 Abs. 1 Satz 2 VO stellt überdies - wie der Beklagte ebenfalls zutreffend ausführt - lediglich fest, dass zu den anderen Einkünften auch die in § 19 Abs. 1 Ziff. 2 EStG genannten Bezüge sowie Renten und sonstigen wiederkehrenden Leistungen zählen; eine ausschließliche Anwendbarkeit der Vorschrift des § 8 Abs. 1 VO zu § 76 BSHG auf die in Satz 2 a. a. O. genannten Einkunftsarten ist hingegen nicht ersichtlich. Schließlich lässt sich der im angefochtenen Beschluss angeführten Fundstelle nicht entnehmen, dass es sich bei den "anderen Einkünften" stets um Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen handeln muss und die Vorschrift des § 8 Abs. 1 der VO zu § 76 BSHG bereits deshalb nicht einschlägig ist.

Dennoch rechtfertigen die vom Beklagten erhobenen Einwendungen nicht die Annahme, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen. Denn hierfür kommt es nicht darauf an, ob die im angefochtenen Beschluss vom Verwaltungsgericht angeführte Begründung und tragenden Erwägungen zutreffend sind; entscheidend ist vielmehr im Hinblick auf die erforderliche Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Zulassungsgrundes die Ergebnisrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung, so dass eine Zulassung des Rechtsmittels auch dann ausscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung zumindest im Ergebnis keinen ernstlichen Zweifeln begegnet (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21. April 1997 - 12 M 126/97 -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. März 1997 - 12 M 1731/97 - NvwZ 1997, 1225 f.). So verhält es sich hier. Denn jedenfalls kann nach Auffassung des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass die an die Klägerin erfolgte Rückerstattung der im Jahr zuvor überzahlten, pauschalierten Betriebskosten für ihre Wohnung Einkommen i. S. d. § 76 BSHG darstellt und als solches unter den Begriff der "anderen Einkünfte" i. S. d. § 8 Abs. 1 VO zu § 76 BSHG zu subsumieren ist. Eine gegenteilige Annahme rechtfertigt sich auch nicht - wie der Beklagte meint - im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach "der ähnliche Fall einer Steuererstattung" in den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 VO zu § 76 BSHG fällt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in der vom Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung vom 18. Februar 1999 - 5 C 35/97 - u. a. ausgeführt:

"Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, ist weiter zu berücksichtigen, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (z. B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung; hier: Steuererstattung als Erfüllung des Steuererstattungsanspruchs). Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z. B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate; dagegen baut sich die Gehaltsforderung für den laufenden Monat erst auf), zu seinem Vermögen. Das führt aber nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Vielmehr ist der Regelung zu § 76 BSHG zu entnehmen, dass im Falle der Erfüllung einer (Geld-)Forderung sozialhilferechtlich grundsätzlich nicht das Schicksal der Forderung interessiert, sondern das Gesetz insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen abstellt. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z. B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend gilt § 76 BSHG auch nicht für die Auszahlung solcher Forderungen, die als fällige und liquide Forderungen bewusst nicht geltend gemacht, sondern angespart wurden (Hervorhebungen durch d. Senat)."

Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht zu der vorgenommenen Differenzierung zwischen Vermögen und Einkommen in der vom Beklagten ebenfalls in Bezug genommenen Entscheidung vom selben Tage - 5 C 14/98 - ergänzend ausgeführt:

"Steht ...der Vermögenswert einer Schadensersatzforderung nicht entgegen, die Schadensersatzleistung als Einkommen i. S. des § 76 BSHG zu verstehen (§ 76 Abs. 1 BSHG nimmt nicht generell Renten und Beihilfen für Schäden an Leben sowie an Körper und Gesundheit vom Einkommen aus), so gilt § 76 BSHG doch für solchen Schadensersatz nicht, der lediglich eine frühere Vermögenslage wiederherstellt (z. B. Schadensersatz für die Beschädigung oder den Verlust einer Sache). Denn der bloße Ersatz für etwas, was jemand bereits hatte, bewirkt keinen Zufluss, ist keine Einnahme, sondern, wie das Ersetzte, wiederum unmittelbar Vermögen. Andernfalls werte man den Ersatz eines bereits früher Erlangten unzulässig erneut als Einkommen (Hervor-hebungen durch d. Senat). Dagegen sind alle diejenigen Schadensersatzleistungen Einkommen i. S. d. § 76 BSHG, mit denen kein zuvor vorhandenes Vermögen ersetzt wird, sondern mit denen der Berechtigte erstmals eine Leistung in Geld oder Geldeswert erhält. Hierzu gehört die im Streit stehende Schadensersatzleistung. Mit ihr erhielt die Klägerin nicht einen Ersatz für einen bereits erworbenen Vermögensgegenstand, sondern erstmals eine Leistung für ihr bisher nicht ausgezahltes Kindergeld (das, wäre es seinerzeit ausgezahlt worden, - damals - ebenfalls Einkommen gewesen wäre)."

In Anlegung dieser Maßstäbe ist - im Unterschied zu Steuererstattungen - davon auszugehen, dass eine Betriebskostenerstattung nicht als Einkommen, sondern als Vermögen anzusehen ist. Zwar interessieren auch bei Betriebskostenerstattungen nicht das Schicksal und der Rechtsgrund der Forderung, sondern abzustellen ist insoweit grundsätzlich auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen. Dies gilt nach der zuvor zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings dann nicht, wenn - wie hier - die Forderung bzw. (zurückerstattete) Einnahmen mit bereits zuvor erlangten Einkünften finanziert und die insoweit erzielte Einnahme dem Empfänger aus bereits vorhandenem Einkommen wieder zufließt; andernfalls würde man den Rückgriff auf diese finanziellen Mittel in unzulässiger Weise erneut als Einkommen werten. Insoweit besteht ein Unterschied zu Steuerrückerstattungen, welche der Empfänger bis zum Auszahlungszeitpunkt noch nicht erlangt hat und welche ihm erstmalig zufließen. Demgegenüber handelt es sich bei Betriebskostenerstattungen um Einnahmen, die aufgrund von Vereinbarungen aus eigenem Einkommen des Mieters dem Vermieter für Leistungen im Rahmen des Mietverhältnisses (Betriebskosten) vorab zur Verfügung gestellt werden und die, soweit etwa durch einen geringeren Verbrauch ein entsprechendes Betriebskostenguthaben erwirtschaftet bzw. im weiteren Sinne "angespart" wird, wieder zur Auszahlung gelangen. D. h. es handelt sich bei der Betriebskostenerstattung um etwas, was der Empfänger bereits hatte, so dass hierdurch kein erneuter finanzieller Zufluss bewirkt wird. Eine solche Einnahme lässt sich daher im Wesentlichen vergleichen mit Fällen, in denen der Kaufpreis aufgrund eines fehlgeschlagenen Vertrages (ganz oder teilweise) zurückerstattet wird; da der Kaufpreis insoweit ebenfalls aus bereits erlangten Einkünften finanziert wurde, kann auch in diesen Fällen bei einer Rückerstattung nicht von Einkommen i. S. d. § 76 BSHG gesprochen werden.

Anzumerken bleibt, dass die Frage, ob eine Betriebskostenerstattung Einkommen i. S. d. § 76 BSHG bzw. "andere Einkünfte" i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 1 VO zu § 76 BSHG darstellt, hier keiner abschließenden Beantwortung bedarf. Denn es lässt sich - was im vorliegenden Zusammenhang für eine Zulassung des Rechtsmittels wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderlich wäre - jedenfalls aufgrund des Vortrags der Beklagten keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Rechtsmittels feststellen. Die Einwendungen des Beklagten gegen die rechtliche Wertung des Verwaltungsgerichtes laufen allenfalls darauf hinaus, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens offen wäre. Dies reicht jedoch zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht aus.

Ob und inwieweit hinsichtlich der streitgegenständliche Frage ein grundsätzlicher Klärungsbedarf im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 4 VwGO besteht - zumal die angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 19 B 303/06 AS ER - Juris) abweicht -, kann hier dahin gestellt bleiben, denn jedenfalls hat der Beklagte seinen Zulassungsantrag nicht auf diesen Zulassungsgrund gestützt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO I. V. m. § 206 Abs. 1 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 124 a Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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