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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.05.2008
Aktenzeichen: 3 M 169/06
Rechtsgebiete: SGB VIII, VwGO
Vorschriften:
SGB VIII § 92 | |
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1 |
2. Der Senat geht (ebenso: BayVGH, Beschl. v. 19.12.2007 - 12 CS 07.2895 - JAmt 2008, 39; OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2006 - 4 ME 188/06 - JAmt 2007, 163) davon aus, dass die Kostenbeiträge nach §§ 91 ff SGB 8 eine Finanzierungsfunktion haben, welche nicht eine völlige Nebenfolge bei der Verfolgung anderer Zwecke ist.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Antragsteller und das Verwaltungsgericht gehen zunächst zu Unrecht davon aus, dass die Klage des Antragstellers (Aktenzeichen 4 A 212/06 HAL) nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat. Der Kostenbeitrag nach den §§ 91 f. SGB VIII, der nach § 92 Abs. 2 SGB VIII durch Leistungsbescheid festgesetzt wird, ist als öffentliche Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu qualifizieren, bei dessen Anforderung die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. wie hier der Klage entfällt (so auch: BayVGH, Beschl. v. 19.12.2007 - 12 CS 07.2895 - JAmt 2008, 39; OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2006 - 4 ME 188/06 - JAmt 2007, 163; a. A.: OVG Münster, Beschl. v. 17.12.2007 - JAmt 2008, 40 unter Bezugnahme auf den hier angefochtenen Beschluss; VGH Kassel, Beschl. v. 05.09.2006 - 10 TG 1915/06 -, NJW 2007, 241).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 17.12.1992 - 4 C 30.90 - NVwZ 1993, 1112) soll nicht jeder Verwaltungsakt, der eine Geldleistung zum Gegenstand hat, sofort vollziehbar sein, sondern nur die hoheitlich geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, die von allen erhoben werden, die einen normativ bestimmten Tatbestand erfüllen und die zur Deckung des Finanzbedarfs des Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen (vgl. auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008 Rdnr. 681). Nicht maßgeblich ist, ob die Tatbestandsmerkmale der Steuer, der Gebühr oder des Beitrages erfüllt sind. Muss ein Hoheitsträger in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben finanzielle Mittel aufwenden, so kann er auch auf sonstige Abgaben mit einer Finanzierungsfunktion angewiesen sein. Diese ist gegeben, wenn sich der Hoheitsträger damit eine Einnahmequelle erschließt, die es ihm ermöglicht, seine Aufgaben voll oder jedenfalls teilweise zu decken. Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 17.12.1992, a. a. O.) geht somit von einem weiten Begriff der öffentlichen Abgabe aus.
Der Senat geht (ebenso BayVGH, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.; OVG Lüneburg v. 10.11.2006, a. a. O.) davon aus, dass die Kostenbeiträge nach §§ 91 ff. SGB VIII eine Finanzierungsfunktion haben, die nicht lediglich eine bloße Nebenfolge bei der Verfolgung anderer Zwecke ist. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dient nämlich der Sicherheit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Im Interesse der Allgemeinheit und der öffentlichen Haushaltsführung soll eine stetig fortlaufende Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs sichergestellt sein, damit die Finanzierung und Durchführung notwendiger öffentlicher Aufgaben nicht gefährdet wird. Nach dieser Zweckbestimmung des Gesetzes erstreckt sich der Wegfall der aufschiebenden Wirkung auf alle sonstigen Abgaben, die - wie Steuern, Gebühren und Beiträge - dazu bestimmt sind, bereits entstandene oder bevorstehende, gesetzlich oder sonst festgelegte Aufwendungen der öffentlichen Hand abzudecken und bei denen der Abgabengläubiger deshalb auf die regelmäßige und pünktliche Erfüllung der Zahlungspflichten der Abgabenschuldner angewiesen ist, um seine öffentlichen Aufgaben erfüllen zu können (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 15.03.2006 - 4 M 307/05 - juris). Diese Voraussetzung erfüllt der Kostenbeitrag nach den §§ 91 f SGB VIII. Er hat ersichtlich Finanzierungsfunktion. Dafür spricht bereits die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3676, S. 48), wonach die Vereinfachung der Berechnung der Kostenbeiträge zum einen den Verwaltungsaufwand deutlich senken und andererseits zur Steigerung der Einnahmen aufgrund höherer Elternbeiträge führen soll (jährlich in Höhe von 100 Mio. Euro). Die Änderungen sollen nachhaltig kostenmindernd wirken und das Leistungssystem stabilisieren (BT-Drs. 15/3676, S. 45). Die Heranziehung sollte systematisch neu geregelt und im Hinblick auf die Kostenberechnung wesentlich vereinfacht werden. Die bisherige Heranziehung der Kostenschuldner zu den Kosten stationärer Leistungen der Jugendhilfe sowie vorläufiger Maßnahmen in drei verschiedenen Formen der Heranziehung aus dem Einkommen (Öffentlich-rechtlicher Kostenbeitrag, Übergang des Unterhaltsanspruches kraft Gesetzes und Überleitung des Unterhaltsanspruches) ist durch das neue System der öffentlich-rechtlichen Heranziehung ausschließlich durch einen Kostenbeitrag ersetzt worden. Dabei geht die Gesetzesbegründung ausdrücklich auch vom Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO aus (BT-Drs. 15/3676, S. 41). Dieser gesetzgeberische Wille wird durch das Verwaltungsgericht nicht hinreichend gewürdigt, wenn es ausführt, durch die Neufassung der §§ 91 f. SGB VIII durch das Gesetz vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729) sei insoweit keine Änderung eingetreten. Zwar wurde auch schon nach der früheren Rechtslage der Kostenbeitrag durch Leistungsbescheid geltend gemacht (§ 93 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII a. F., vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 06.12.2006 - XII ZR 197/04 - FamRZ 2007, 377), mit der Neufassung wurde jedoch die Heranziehung - wie oben dargelegt - systematisch neu geregelt, wozu vor allem auch die auf der Rechtsgrundlage des § 94 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII neu erlassene Kostenbeitragsverordnung vom 1. Oktober 2005 (BGBl I S. 2907) dient. Danach werden für die Festsetzung der Kostenbeiträge nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt. Dass daneben auch individuelle Umstände berücksichtigt werden (§ 92 Abs. 4, § 92 Abs. 5, § 93 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII), steht dem nicht entgegen. Solche individuellen Umstände sind auch sonst im Abgabenrecht (z.B. Erschließungs- oder Straßenausbaubeitragsrecht) zu berücksichtigen, dem Abgabenrecht somit nicht fremd (so auch BayVGH, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Damit ist die Finanzierungsfunktion ein wesentlicher Hauptzweck der Neuregelung der §§ 91 ff. SGB VIII. Der vom Verwaltungsgericht vorgenommene Rückgriff auf die obergerichtliche Rechtsprechung zur früheren Rechtslage (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 03.03.1999 - 1 M 4/99 - NVwZ-RR 2000, 63; OVG Hamburg, Beschl. v. 25.07.1990 - Bs IV 180/90 - FamRZ 1991, 358) vermag ein abweichendes Ergebnis nicht zu begründen.
Maßgeblich ist neben der Finanzierungsfunktion nunmehr auch die normative Festlegung des Kostenbeitrages durch die §§ 91 f. SGB VIII i. V. mit den Bestimmungen der Kostenbeitragsverordnung und damit seine hinreichende Berechenbarkeit (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Der Antragsgegner darf sich auf den Eingang der Kostenbeiträge auch verlassen. Ziel der Neuregelung war es nämlich auch, den Nachrang der öffentlichen Jugendhilfe im Hinblick auf die Heranziehung der leistungsbegünstigten Personen zu den Kosten der Hilfen zu verschärfen und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit anzupassen (vgl. BT-Drs. 15/3676, S. 2). Soweit dem entgegengehalten wird, die Gesetzesbegründung sei nicht in Gesetzeskraft erwachsen und damit nicht rechtsverbindlich, da der Gesetzgeber in Kenntnis der streitigen Rechtsauffassungen keine Klarstellung vorgenommen habe (so VGH Kassel, Beschl. v. 05.09.2006, a. a. O.), vermag dies nach Auffassung des Senats die gegenteilige Auffassung nicht zu tragen. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Kostenbeiträge eine Finanzierungsfunktion im vorbenannten Sinne erfüllen, kann der in der Gesetzesbegründung eindeutig niedergelegte Zweck der Neuregelung nicht außer Acht gelassen werden (ebenso BayVGH, Beschl. v. 19.12.2007, a. a. O.). Die Kostenbeiträge haben keine sonstige besondere Funktion im Sinne von Lenkungs-, Zwangs- oder Straffunktion (ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2006, a. a. O.). Sie dienen der Finanzierung der öffentlichen Jugendhilfe und sind deshalb Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Die vom Antragsteller erhobene Klage hat somit keine aufschiebende Wirkung.
Der gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) ist zwar zulässig, insbesondere hat der Antragsteller auch gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO die Aussetzung der Vollziehung des genannten Bescheides ohne Erfolg bei dem Antragsgegner beantragt; er ist jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. der hier entsprechend anwendbaren Regelung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides über öffentliche Abgaben und Kosten nur erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, wenn die insbesondere mit der Klage geltend gemachten Bedenken (vgl. Bl. 4 f. GA im Verfahren 4 A 212/06 HAL) an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes derart gewichtig sind, dass ein Obsiegen des Betroffenen im Klageverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (OVG LSA, Beschl. v. 19.03.2002 - 2 M 293/01 -; Beschl. v. 02.02.2001 - 2 M 451/00 -). Eine unbillige Härte bei der Vollziehung der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten liegt insbesondere vor, wenn durch die sofortige Zahlung ein auch durch spätere Erstattung nicht wieder gut zumachender Schaden, etwa Insolvenz oder Existenzvernichtung, entstehen würde. Die Härte darf nicht durch überwiegende öffentliche Interessen geboten sein (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 19.02.2004 - 2 M 333/03 -; Beschl. v. 19.06.2003 - 2 M 198/02 -).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 11. April 2006 bestehen nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht.
Soweit der Antragsteller gegen die Inanspruchnahme durch den Kostenbeitragsbescheid zunächst einwendet, dass er gegenüber seinem Sohn R. nicht mehr im Sinne von § 10 Abs. 2 SGB VIII unterhaltspflichtig sei und daher auch nicht (mehr) zu einem Kostenbeitrag nach § 92 Abs. 2 SGB VIII herangezogen werden könne, da sein Sohn die ihm unterhaltsrechtlich auferlegte Ausbildungs- bzw. Erwerbsobliegenheit nicht erfüllt habe, sind diese Bedenken nicht durchgreifend.
Der Senat lässt es zunächst offen, ob die in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Auslegung des § 1610 Abs. 2 BGB in vollem Umfang auf die Fragestellung übertragbar sind, inwieweit sich der Träger der öffentlichen Jugendhilfe eine Ausbildungsobliegenheitsverletzung eines von ihm im Rahmen der Jugendhilfe betreuten Kindes bei der Erhebung eines Kostenbeitrages entgegenhalten lassen muss.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners auf Ermöglichung einer Berufsausbildung steht auf Seiten des unterhaltsberechtigten Kindes die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Unterhaltsleistungen nach § 1610 Abs. 2 BGB sind zweckgebunden und werden nur insoweit geschuldet, als sie für eine angemessene Vorbildung zu einem Beruf erforderlich sind. Der Unterhaltsverpflichtete muss nach Treu und Glauben auch Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Verletzt dieses aber nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (vgl. BGH, Urt. v. 04.03.1998 - XII ZR 13/96 - FamRZ 1998, 671, Urt. v. 14.07.1999 - XII ZR 230/97 - FamRZ 2000, 420, jeweils m. w. N.). Die Verletzung des dem § 1610 Abs. 2 BGB innewohnenden Gegenseitigkeitsverhältnisses führt also von selbst zum Wegfall des Unterhaltsanspruchs, ohne dass dies an die besonderen Verwirkungsvoraussetzungen des § 1611 Abs. 1 BGB gebunden wäre. Auch ein Schulabgänger muss sich daher im Verhältnis zum Unterhaltspflichtigen in angemessener Zeit darüber klar werden, welche Ausbildungsmöglichkeiten ihm nach seinem jeweiligen Schulabschluss zur Verfügung stehen. Er muss sich alsbald um einen entsprechenden Ausbildungsplatz bemühen und die Ausbildung zielstrebig angehen (vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 24.09.1985 - 8 UF 106/83 - FamRZ 1986, 201). Zwar ist einem jungen Menschen eine gewisse Orientierungsphase zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet. Je älter er bei Schulabgang ist und je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet, desto mehr tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg. Selbst wenn er bisher noch keine Berufsausbildung erfahren hat, kann eine zu lange Verzögerung dazu führen, dass sein Ausbildungsanspruch entfällt und er sich daher seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabungen und Fertigkeiten verdienen muss (OLG Hamm, Urt. v. 07.12.1994 - 8 UF 359/94 - FamRZ 1995, 1007). § 1610 Abs. 2 BGB mutet den Eltern nicht zu, sich gegebenenfalls nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung der Hochschulreife und der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einem Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass es sich dabei um Zeiträume handelt, in denen steuerliche Erleichterungen, Kindergeld oder kindbezogene Gehaltsbestandteile aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Kindes unabhängig von seinem Ausbildungsstand wegfallen (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 08.02.1994 - 4 UF 30/92 - FamRZ 1994, 1611). Für die Gewichtung der Obliegenheitsverletzung ist in diesem Zusammenhang wesentlich, in welchem Umfang von dem Unterhaltsberechtigten die nötige Einsicht in seine Ausbildungsobliegenheit erwartet werden kann, wofür das Alter ein wesentliches Kriterium bildet (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 26.10.1999 - 3 Wf 142/99 - FamRZ 2001, 440). Soweit sich ein Jugendlicher - wie hier der Sohn des Antragstellers - im Alter von 14 bis 18 Jahren möglicherweise nicht nachhaltig um eine Erwerbsmöglichkeit bemüht hat, wiegt ein solcher Umstand geringer als nach Eintritt der Volljährigkeit. Dies gilt vor allem dann, wenn in dieser Phase ein erzieherisches Einwirken auf den Jugendlichen, sich um zügige Ausbildung zu bemühen, nicht nachgewiesen ist. Gestörte häusliche Verhältnisse und ein dadurch eingetretenes Erziehungsdefizit können sich vielfach nachteilig auf den schulischen Weg eines Kindes auswirken und im Ergebnis dazu führen, dass es einem Unterhaltsverpflichteten nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich gegenüber dem Unterhaltsberechtigten auf eine Ausbildungsverzögerung zu berufen (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.1999, a. a. O.).
Gerade die letztgenannten Einschränkungen der Ausbildungsobliegenheit sind in besonderem Maße bei der Erhebung von Kostenbeiträgen nach § 91 f. SGB VIII zu berücksichtigen. Die der vorgenannten zivilgerichtlichen Rechtsprechung offenkundig überwiegend zugrunde liegende Situation, dass der Jugendliche trotz ausreichender erzieherischer Einwirkung der Personensorgeberechtigten und ausreichender Gelegenheit zur schulischen bzw. beruflichen Orientierung den von ihm zu erfüllenden Ausbildungs- bzw. Erwerbsobliegenheiten nicht nachkommt, liegt in den Sachverhalten, die der Erhebung von Kostenbeiträgen nach § 91 f. SGB VIII zugrunde liegen, in aller Regel nicht vor. Die Erhebung von Kostenbeiträgen für die in § 91 SGB VIII aufgeführten vollstationären und vorläufigen Maßnahmen setzt vielmehr gerade eine Defizitsituation voraus, bei der infolge erzieherischen Handelns bzw. Unterlassens eine Fehlentwicklung bzw. Rückstand in der Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen eingetreten ist und damit ein erzieherischer Bedarf für das Einsetzen für Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe entstanden ist (vgl. Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 27 Rdnr. 23). Auch im vorliegenden Fall ist ein "vorwerfbares" Verhalten des Sohnes des Antragstellers im Sinne der oben zitierten zivilgerichtlichen Rechtsprechung nach der nur gebotenen summarischen Prüfung nicht erkennbar. Die Ehe des Antragstellers mit der Kindesmutter wurde 1994 geschieden. Der am 6. September 1988 geborene Sohn R. lebte seitdem mit der allein sorgeberechtigten Mutter in einem Haushalt zusammen. Seit der Trennung hatte der Antragsteller nach eigenen Angaben keinen persönlichen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Am 22. März 2005 wandte sich R. selbst an das Jugendamt des Antragsgegners mit der Bitte um Inobhutnahme, da er sich durch das Zusammenleben mit seiner seit längerem alkoholkranken Mutter überfordert fühlte. Er ist dann zunächst in eine Einrichtung des Paritätischen Sozialwerkes aufgenommen worden. Er hat dann den Hauptschulabschluss mit guten und befriedigenden Leistungen absolviert. Einen Ausbildungsplatz hat er trotz nach Aktenlage erfolgter Bemühungen nicht erhalten. Am 17. September 2005 hat er einen berufsvorbereitenden Lehrgang begonnen, welchen er am 8. Februar 2006 infolge einer Drogenabhängigkeit (Cannabis) abgebrochen hat. Seit dem 2. März 2006 hat er sich nach Aktenlage bis zum Eintritt der Volljährigkeit am 6. September 2006 in einer stationären Therapie befunden. Nach den vom Antragsteller bislang nicht näher bestrittenen Feststellungen des Antragsgegners ist der Grund für die Drogenabhängigkeit von R. gerade in dessen vormaliger häuslichen Situation zu sehen, da er seit frühester Kindheit für seine Mutter Sorge und Verantwortung tragen musste und sich bei ihm über Jahre hinweg eine Co-Abhängigkeit entwickelt hatte.
Soweit der Antragsteller (sinngemäß) weiter einwendet, dass die oben aufgezeigte Betrachtungsweise wegen einer Art Doppelbelastung durch die weiterhin bestehende Unterhaltspflicht und die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag ihn in unzumutbarer Weise belasten würde, ist dieser Einwand nicht durchgreifend. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII ordnet nunmehr in der Neufassung ausdrücklich an, dass der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach dem SGB VIII gedeckt ist und dies bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt werden muss. Zwar entfällt der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch dadurch nicht dem Grunde nach. Die mit den Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechts verbundene Bedarfsdeckung kann aber die Höhe des Unterhaltsanspruchs reduzieren oder zu seiner Erfüllung führen. Soweit der Unterhalt im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB VIII sichergestellt ist, ist auch der unterhaltsrechtliche Bedarf des Leistungsempfängers in aller Regel gedeckt. Dadurch wird der Unterhaltspflichtige seiner materiellen Verantwortung gegenüber dem jungen Menschen zwar nicht enthoben, weil er durch die Erhebung eines Kostenbeitrags in die Pflicht genommen werden kann. Eine doppelte Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen mittels Kostenbeitrags einerseits und Unterhaltsanspruchs andererseits ist aber ausgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2006, a. a. O.).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers war auch keine (fiktive) Anrechnung des Kindergeldes auf den vom Antragsteller zu zahlenden Kostenbeitrag geboten. Der Gesetzgeber hat sich dabei in § 94 Abs. 3 SGB VIII hinsichtlich der Inanspruchnahme des Kindergeldes für eine steuerrechtliche Betrachtungsweise entschieden (vgl. BT-Drucksache 15/3676, S. 42).
Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Abs. 2 Satz 1); bis zur Inobhutnahme des Sohnes des Antragstellers war dies nach Aktenlage die Kindesmutter. Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, so erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind eine Unterhaltsrente zahlt (Abs. 3 Satz 1). Zahlen mehrere Berechtigte dem Kind Unterhaltsrenten, so erhält das Kindergeld derjenige, der dem Kind die höchste Unterhaltsrente zahlt (Abs. 3 Satz 2). Werden gleich hohe Unterhaltsrenten gezahlt oder zahlt keiner der Berechtigten dem Kind Unterhalt, so bestimmen die Berechtigten untereinander, wer das Kindergeld erhalten soll (Abs. 3 Satz 3). Wird eine Bestimmung nicht getroffen, bestimmt das Vormundschaftsgericht auf Antrag den Berechtigten (Abs. 3 Satz 4 i. V. m. Abs. 2 Satz 3). Nachdem der Sohn des Antragstellers den Haushalt seiner Mutter im März 2005 verlassen hatte, lagen die Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vor. Ein Kindergeldanspruch des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG, da er nach den vorliegenden Akten bereits seit dem 1. September 2005 keinen Unterhalt mehr für seinen Sohn zahlt.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung darüber, ob eine Berechtigtenbestimmung durch die Kindergeldberechtigten selbst oder das Vormundschaftsgericht zu treffen ist, nicht den Kindergeldberechtigten oder dem Vormundschaftsgericht obliegt, sondern vielmehr der Familienkasse oder dem Finanzgericht. Liegen die Voraussetzungen für eine Berechtigtenbestimmung nach § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG nicht vor, bleibt eine einvernehmliche Regelung der Berechtigten untereinander oder eine Bestimmung durch das Vormundschaftsgericht ohne Wirkung (vgl. BFH, Urt. v. 02.06.2005 - III R 66/04 - NJW 2005, 3742).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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