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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 29.04.2009
Aktenzeichen: 3 M 175/09
Rechtsgebiete: VwVG LSA, ZPO


Vorschriften:

VwVG LSA § 31 Abs. 5
ZPO § 811 Abs. 1 Ziff. 5
Zur Unpfändbarkeit des technischen Geräts (Ton- und Lichttechnik) einer nebenberuflichen betriebenen "Mobilen Diskothek".
Gründe:

Die zulässige Beschwerde, mit der sich der Antragsteller gegen die Pfändung der Licht- und Tontechnik - nicht der des Motorrades - wendet, hat Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Überprüfung der Senat gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen durch.

Das im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren geltend gemachte Antragsbegehren des Antragstellers wird dahin ausgelegt, dass zunächst gem. § 66 Satz 2, 2. Halbsatz VwVG LSA i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (analog) die vorläufige Aussetzung des Sofortvollzugs der bevorstehenden Vollstreckungsmaßnahme - hier der Pfändung von technische Geräten seiner "Mobilen Diskothek" - erstrebt worden ist und nunmehr, nachdem die Vollstreckungsmaßnahme im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits vollzogen wurde, gem. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO (analog) die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung begehrt wird. Dem so verstandenen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist zu entsprechen.

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Unrecht die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen die Vollstreckungsmaßnahme des Antragsgegners nicht angeordnet (§ 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO; §§ 66 Satz 2 VwVG LSA i. V. m. § 9 VwGO AG LSA). Die Vollstreckungsmaßnahme erweist sich nämlich bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, so dass im Rahmen der gem. § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Güterabwägung das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollstreckung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt.

Gem. § 31 Abs. 5 VwVG LSA i. V. m. § 811 Abs. 1 Ziffer 5 ZPO sind bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegen-stände, der Pfändung nicht unterworfen. Der Schuldner soll damit befähigt werden, seine Arbeitskraft weiter zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen einzusetzen (Zöllner, ZPO, 27. Aufl. 2009 § 811 Rdnr. 24). Unschädlich ist, wenn die Erwerbstätigkeit vorübergehend (z. B: wegen Krankheit, mangels Aufträgen) nicht ausgeübt wird (vgl. LG Wiesbaden, Beschl. v. 10.07.1996 - 4 R 404/96 -, DGVZ 1997, 59 = Juris; ebenso Zöllner, a. a. O. § 811 Rdnr. 24a; Thomas-Putzo, ZPO 29. Aufl. 2008, § 811 Rdnr. 25 m. w. N.). Auch ist es ausreichend, wenn die Erwerbstätigkeit nur nebenberuflich ausgeübt wird (vgl. LG Rottweil, Beschl. v. 07.04.1992 - 4 T 29/92 -, DGVZ 1993, 57 ff. = Juris; Thomas-Putzo, a. a. O.). Allerdings darf der Erwerb des von der Pfändungsmaßnahme betroffenen Schuldners nicht überwiegend aus einer Kapitalnutzung der Gegenstände gezogen werden; vielmehr muss die persönliche - nicht die unternehmerische - Tätigkeit des Schuldners im Vordergrund stehen.

In Anlegung dieser Maßstäbe ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Unpfändbarkeit der von der streitbefangenen Vollstreckungsmaßnahme betroffenen technischen Geräte erfüllt sind.

Zwar ist - in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss - davon auszugehen, dass der Antragsteller in den zurückliegenden Jahren durch die Nutzung der gepfändeten technischen Geräte, zumindest soweit es den Betrieb seiner "Mobilen Diskothek" bzw. das am 28. März 2000 angemeldete Gewerbe mit dem Tätigkeitsschwerpunkt "Organisation und Durchführung von Veranstaltungen aller Art" betrifft, keine Einkünfte erzielt hat und dass er deshalb von der ARGE Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezogen hat. Dieser Sachverhalt wird auch durch die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgelegten Einkommenssteuerbescheide der Jahre 2004, 2005 und 2006 sowie durch den von ihm auf Anforderung des Senats zur Akte gereichten Bescheid der ARGE Q. vom 20. Februar 2009 bestätigt. Allerdings hat der Antragsteller mit der Beschwerde zugleich in der erforderlichen Weise glaubhaft gemacht, dass er im August 2005 einen schweren Unfall erlitten hat mit der Folge, dass er wegen einer nachgewiesenen vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit (Gutachten des Amtsärztlichen Dienstes vom 26.06.2008 - Bl. 48 d. Gerichtsakte) sowie einer amtlich festgestellten Behinderung (GdB von 40 vom Hundert lt. Bescheinigung des Amtes für Versorgung und Soziales vom 23.04.2008 - Bl. 46 d. Gerichtsakte) in den zurückliegenden Jahren - mit Ausnahme der Vermietung von technischen Geräten und wohl auch dem Handel mit technischen Geräten - keiner Erwerbstätigkeit durch den Betrieb seiner "Mobilen Diskothek" nachgehen konnte. Dies hat sich, wie der Antragsteller ebenfalls glaubhaft gemacht hat, allerdings in jüngster Zeit geändert, so dass er ab Mai 2009 wieder seiner gewerblich angemeldeten Tätigkeit als Betreiber einer "Mobilen Diskothek" - wenn auch eingeschränkt - nachgehen kann und damit aller Voraussicht nach auch Einkünfte erzielen wird. Einen entsprechenden Nachweis hat er durch Vorlage eines Auftragsbuches für Mai 2009, einer die Nebenbeschäftigung betreffende Einkommensbescheinigung und im Nachgang durch Übersendung einer Anfrage von Herrn G. von der Firma (...) erbracht; danach wird er im Mai 2009 verschiedene bezahlte Aufträge wahrnehmen (02.05.2009 Firmeneröffnung - Vergütung noch offen; 09.05.2009 Tanzveranstaltung 180, - €; 16.05.2009 Jugendweihe 250, - €; 23.05.2009 Geburtstagsfeier 250, - € und 30./31.05.2009 Schützenfest 350, - €). Bei dieser Sachlage ist im Rahmen einer allein veranlassten überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen, dass es sich bei den gepfändeten technischen Geräten um Arbeitsmittel für eine vom Antragsteller nunmehr wieder ausgeübte gewerbliche Tätigkeit handelt, die gem. § 811 Abs. 1 Ziffer 5 ZPO von der Pfändbarkeit ausgenommen sind. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es handele sich bei dem Betrieb der "Mobilen Diskothek" um eine bloße Liebhaberei, lässt sich nach allem nicht (mehr) aufrecht erhalten.

Eine andere rechtliche Beurteilung ist nach Auffassung des Senats auch nicht deshalb geboten, weil der Antragsteller nach eigenem Vortrag im Beschwerdeverfahren nicht nur in der Vergangenheit, sondern offenbar auch (noch) gegenwärtig Einkünfte aus der Vermietung bzw. Veräußerung von technischem Gerät erzielt. Da es sich hierbei hinsichtlich der diesbezüglichen technischen Geräte nicht um Arbeitsmittel handelt, die dem Antragsteller für die von ihm selbst erbrachte Tätigkeit im Rahmen des Betriebs der "Mobilen Diskothek" bzw. der "Organisation und Durchführung von Veranstaltungen aller Art" dienen, sondern um Betriebsmittel einer sonstigen unternehmerischen Tätigkeit, unterliegen sie nicht der Unpfändbarkeit gem. § 811 Abs. 1 Ziffer 5 ZPO. Allerdings vermag der Senat aufgrund der im vorliegenden Verfahren nur beschränkten Erkenntnismöglichkeit und begrenzten Pflicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht festzustellen, ob und inwieweit es sich bei den zur Vermietung bzw. zum Verkauf bereitgehaltenen Geräten und jenen, die für den Betrieb der "Mobilen Diskothek" bzw. die Organisation von Veranstaltungen benötigt werden, um dieselbe Technik handelt. Dies ist gegebenenfalls in einem sich anschließenden Hauptsacheverfahren (Anfechtungsklage) weiter abzuklären. Solange diese Frage indes nicht abschließend geklärt ist, ob zumindest einzelne Geräte in rechtlich unbedenklicher Weise pfändbar sind, hält es der Senat im Rahmen der insoweit gebotenen Güterabwägung für sachgerecht und angemessen, den besonderen wirtschaftlichen Belangen des Antragstellers in Bezug auf die Verfügbarkeit der benötigten Geräte den Vorzug gegenüber den Interessen des Gläubigers zu geben.

Schließlich ist eine andere rechtliche Beurteilung auch nicht im Hinblick darauf veranlasst, dass der Antragsteller mit seiner Beschwerdeschrift (Anlage zum Schriftsatz v. 28.04.2009 - Bl. 68 f. d. Gerichtsakte) - erstmals - vorträgt, er sei seit dem 1. März 2009 beruflich als "Sachgebietsleiter Sozialwesen" beim Hilfecenter H. in Q. tätig; überdies verkennt der Senat nicht, dass der Antragsteller ausweislich seines Internetauftritts sowie angesichts der von ihm angemeldeten sonstigen Gewerbe noch vielfältigen anderen beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeiten nachgeht. Dies erweist sich indes bei summarischer Prüfung ebenfalls als unschädlich. Denn, wie eingangs bereits erwähnt, ist es ausreichend, wenn es sich bei den in Rede stehenden technischen Geräten um Arbeitsmittel auch nur für eine nebenberufliche Tätigkeit handelt.

Dem Antragsteller ist zugleich Prozesskostenhilfe für das vorliegende Beschwerdeverfahren zu bewilligen, weil dem von ihm eingelegten Rechtsmittel aus den zuvor dargelegten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg beizumessen ist (§§ 166 ff. VwGO, 114 Satz 1 ZPO); nach der vom Kläger eingereichten Erklärung gem. § 117 ZPO liegen auch die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG, wobei der Senat eine Reduzierung des Streitwertes für das vorläufige Rechtsschutzbegehren im vorliegenden Vollstreckungsverfahren für angemessen erachtet (vgl. Ziffern 1.6.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 7./8. Juli 2004 - abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. Anh. § 164).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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