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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 23.06.2004
Aktenzeichen: 3 M 269/03
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB X, KiFöG LSA, KAG-LSA, AO, GO-LSA, VwGO


Vorschriften:

SGB VIII § 90
SGB X § 45
KiFöG LSA § 13
KAG-LSA § 13a
AO § 222
AO § 227
GO-LSA § 91 II 1 Nr. 1
VwGO § 188 2
VwGO § 80 V
1. Ein Bescheid, der eine Abgabe zu niedrig festsetzt, ist im Regelfall als ausschließlich belastender Verwaltungsakt anzusehen. Das gilt auch für die Festsetzung sog. Elternbeiträge (§ 90 SGBVIII), die sich der Sache nach als Benutzungsgebühren darstellen.

2. Eine zu niedrige Abgabenfestsetzung kann Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Dies setzt allerdings eine adäquate Vertrauensbetätigung des Betroffenen, die Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung und zudem voraus, dass im Zuge der sodann gebotenen Interessenabwägung die Interessen des Betroffenen gegenüber den Interessen der Allgemeinheit überwiegen.

3. Aus den Regelungen des Haushalts- und Abgabenrechts sowie aus dem Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Abgabenerhebung ergibt sich, dass die öffentliche Hand entstandene Gebührenansprüche grundsätzlich in vollem Umfang geltend zu machen und das Gebührenschuldverhältnis auszuschöpfen hat.

4. Für die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 Abs. 1 SGB X, die grundsätzlich im Ermessen der Behörde steht, gibt das einschlägige Fachrecht mit der Gebührenausschöpfungs- und -erhebungspflicht in der Weise eine Richtung vor, dass dieses Ermessen im Regelfall nur durch eine Rücknahme einer entgegen stehenden zu niedrigen Gebührenfestsetzung ausgeübt werden kann (sog. intendiertes Ermessen). Trifft dies im Einzelfall zu und entscheidet die Behörde in dem durch das Gesetz vorgegebenen Sinne, bedarf es keiner Abwägung des Für und Wider und entfällt damit auch eine entsprechende Begründungpflicht.

5. Im Falle intendierten Ermessens liegt ein fehlerhafter Ermessensgebrauch nur vor, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt oder erkennbar geworden wären, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen ließen, sie gleichwohl aber eine entsprechende Abwägung nicht vorgenommen hat..

6. Streitigkeiten um Elternbeiträge nach § 90 SGB VIII sind gerichtskostenfrei, denn das Sachgebiet der Jugendhilfe im Sinne von § 188 Satz 2 VwGO erfasst alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit Regelungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 M 269/03

Datum: 23.06.2004

Gründe:

Die Antragsteller sind die Eltern der Kinder N. und M. K.. Unter dem 09. Juli 2002 schlossen sie mit der Antragsgegnerin eine Vereinbarung über die Aufnahme ihrer Tochter M. in die Kindertagesstätte der Antragsgegnerin ab dem 16. September 2002. Ab dieser Zeit besuchte neben ihrer Tochter M. auch ihr Sohn N. die Kindertagesstätte.

Mit an die Antragsteller gerichtetem Bescheid vom 05. August 2002 setzte die Antragsgegnerin Elternbeiträge für das Kind M. für die Zeit vom 01. September 2002 bis zum 31. Dezember 2002 in Höhe von insgesamt 182,22 Euro fest und forderte die Antragsteller auf, diese Summe in vier anteiligen Beträgen von 45,57 Euro (für September 2002) und jeweils 45,55 Euro für die Monate Oktober bis Dezember 2002 zu zahlen. Der Bescheid ist mit dem Satz überschrieben: "Dieser Bescheid ist gültig, bis ein neuer Bescheid ergeht."

Unter dem 17. September 2002 richtete die Antragsgegnerin einen weiteren Bescheid über Elternbeiträge für das Kind M. betreffend das Kalenderjahr 2002 an die Antragsteller. Darin wird der Elternbeitrag für den Monat September 2002 auf 45,56 Euro und für die Zeit vom 01. Oktober 2002 bis zum 31. Dezember 2002 auf monatlich 91,11 Euro festgesetzt. Der von den Antragstellern für das Kind M. für das Jahr 2002 zu zahlende Betrag wurde mit 318,89 Euro (45,56 Euro + 273,33 Euro) beziffert.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller mit Schreiben vom 04. Oktober 2002 Widerspruch und machten geltend, der Änderungsbescheid sei rechtswidrig, weil die Elternbeiträge für das Jahr 2002 bereits bestandskräftig durch den Bescheid vom 05. August 2002 festgesetzt worden seien. Weil ihre Kinder den Kindergarten tatsächlich nur halbtags besucht hätten, sei eine Erhöhung der Elternbeiträge auch nicht angezeigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2002 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Hierzu führte sie aus, dass ihre Gebührensatzung eine Ermäßigung für den Fall, dass die Kindertagesstätte nur halbtags besucht werde, nicht vorsehe. Für September 2002 sei nur deshalb der hälftige Monatsbetrag berechnet worden, weil das Kind M. die Kindertagesstätte erst ab der zweiten Monatshälfte besucht habe. Die Regelungen des Bescheides vom 05. August 2002 hätten sich auch nur auf den Monat September 2002 bezogen, so dass dieser Bescheid durch den nachfolgenden Bescheid vom 17. September 2002, der allein die Folgemonate regele, nicht geändert worden sei.

Die Antragsteller erhoben hiergegen unter dem 14. November 2002 Klage und suchten am 09. Januar 2003 bei dem Verwaltungsgericht Halle um einstweiligen Rechtsschutz nach. Mit Beschluss vom 12. Mai 2003 lehnte das Verwaltungsgericht ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass hinsichtlich des "überschießenden" nachträglich festgesetzten Teils der Gebühr, der im Bescheid vom 05. August 2002 nicht festgesetzt worden sei, überhaupt noch kein Verwaltungsakt ergangen sei. Insbesondere habe es deshalb nicht der Rücknahme oder des Widerrufs des früheren Bescheids, mit dem die Gebühr zu niedrig festgesetzt worden sei, bedurft.

Die Antragsteller haben am 01. Juni 2003 Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhoben. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der angefochtene Bescheid über Elternbeiträge vom 17. September 2002 bereits deshalb rechtswidrig sei, weil die Antragsgegnerin kein Ermessen ausgeübt habe. In der Sache habe die Antragsgegnerin nämlich mit diesem Bescheid, der ein Änderungsbescheid sei, den vorausgegangenen bestandskräftigen Bescheid vom 05. August 2002 aufgehoben. Unabhängig davon, ob sich diese Aufhebung als Widerruf oder als Rücknahme darstelle, habe die Antragstellerin Ermessen ausüben müssen. Dies habe sie jedoch in rechtswidriger Weise unterlassen.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 12. Mai 2003 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 14. November 2002 gegen den Elternbeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2002 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2003 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin tritt dem Vortrag entgegen und beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf die Schriftsätze der Beteiligten samt Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt. Der Antrag ist gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 VwGO zwar zulässig, aber in der Sache nicht begründet.

Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO von dem Gericht vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus. Ihr privates Interesse, von dem Vollzug des strittigen Leistungsbescheids vom 17. September 2002 vorläufig verschont zu bleiben, überwiegt nicht das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Denn eine summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass ein Unterliegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Erfolg. Gegen die Rechtmäßigkeit des Festsetzungs- und Leistungsbescheids vom 17. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2002 bestehen nämlich keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Dieser für das Verwaltungsverfahren geltende Maßstab bildet auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Grundlage der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs (vgl. Thür. OVG, Beschluss vom 23.04.1998 - 4 EO 6/97 -, ThürVBl. 1998, 184 [186]; OVG LSA, Beschlüsse vom 21.12.1998 - B 3 30/98 - und vom 28.07.1999 - B 3 S 78/99 -).

Rechtsgrundlage für den strittigen Bescheid ist die Gebührensatzung für die Kindertagesstätte der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2001, zuletzt geändert durch Satzung vom 01. Oktober 2001 (im Folgenden: KGS), in Verbindung mit § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII und § 13 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (Kinderförderungsgesetz - KiFöG) vom 05. März 2003 (LSA-GVBl., S. 48). Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Gebührensatzung der Antragsgegnerin (KGS) sind im Beschwerdeverfahren weder geltend gemacht worden noch sonst vor dem Hintergrund der genannten gesetzlichen Ermächtigungen ersichtlich.

Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2002 erweist sich als rechtmäßig. Er entspricht den Vorgaben der KGS und ist durch diese auch der Höhe nach gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin hat den Elternbeitrag, der sich der Sache nach als Benutzungsgebühr für die Inanspruchnahme der Kindertagesstätte darstellt, für das Kind M. für die Monate Oktober 2002 bis Dezember 2002 in zutreffender Höhe auf monatlich 91,11 Euro festgesetzt. Denn nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KGS war für das zweite Kind in der Betreuungseinrichtung der Stadt in dem genannten Zeitraum ein (verringerter) Betrag von monatlich 91,11 Euro zu zahlen. Der Umstand, dass die Antragsteller ihr Kind M. tatsächlich nur halbe Tage in der Einrichtung der Antragsgegnerin haben betreuen lassen, ist für die Höhe der monatlichen Gebühren nicht relevant. Denn die KGS enthält - ohne dass dies, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, in rechtlicher Weise zu beanstanden wäre - keinen Tatbestand, der hierfür eine Gebührenminderung vorsieht. Gleiches gilt für die von den Antragstellern geltend gemachte "Eingewöhnungsphase", da auch insoweit eine satzungsrechtliche Regelung, die hierfür eine Gebührenminderung normiert, nicht vorhanden ist. Da die Antragsteller Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung hatten, oblag es auch allein ihrer Entscheidung, in welchem Umfang sie diesen Anspruch ausnutzten.

Entgegen der Rechtsansicht der Antragsteller steht der Veranlagung zu Elternbeiträgen für 2002 im Bescheid vom 17. September 2002 auch der zuvor an sie gerichtete Bescheid vom 05. August 2002 nicht entgegen.

Der Sache nach handelt es sich bei der Festsetzung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2002 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2002 um eine Nacherhebung von zu gering festgesetzten Abgaben (hier Benutzungsgebühren), die nicht den verfahrensrechtlichen Einschränkungen über den Widerruf oder die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte unterfällt. Die entsprechenden Regelungen der §§ 45, 46 SGB X, die hier insoweit den allgemeinen Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG vorgehen, sind dementsprechend nicht anwendbar.

Für einen Widerruf bzw. eine Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist schon deshalb kein Raum, weil es sich bei dem ursprünglichen Bescheid der Antragsgegnerin vom 05. August 2002 nicht um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt. Denn ein Bescheid, der eine Abgabe zu niedrig festsetzt, ist im Regelfall als ausschließlich belastender Verwaltungsakt zu betrachten (OVG NW, Urteil vom 01.10.1990 - 22 A 1393/90 -, NVwZ-RR 1992, 94 [99 m.w.N.]; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 02.09.1999 - 2 C 22.98 -, BVerwGE 109, 283 ff.; Driehaus, in: ders. [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht, Stand: 2003, § 8 Rn. 30; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 48 Rn. 69). Dieser abgabenrechtliche Grundsatz gilt auch für die Erhebung von Gebühren oder Elternbeiträgen (OVG NW, Urteil vom 28.03.2001 - 16 A 4212/00 -, juris; vgl. zu Benutzungsgebühren Blomenkamp, in: Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 1477 unter Hinweis auf Thür.OVG, Beschluss vom 30.09.2003 - 4 ZEO 144/98 -).

Ein begünstigender Inhalt des Verwaltungsakts wäre ausnahmsweise nur dann anzunehmen, wenn dem Bescheid als zusätzlicher Regelungsgehalt ausdrücklich oder konkludent zu entnehmen wäre, eine höhere Festsetzung werde nicht erfolgen (vgl. OVG NW, Urteil vom 01.10.1990 - 22 A 1393/90 -, NVwZ-RR 1992, 94 [99]). Das ist aber nicht der Fall. Für einen solchen zusätzlichen Regelungsgehalt des Bescheids vom 05. August 2002, mit dem für die Monate Oktober bis Dezember 2002 ein zu niedriger Elternbeitrag festgesetzt bzw. die volle Gebührenhöhe nicht ausgeschöpft wurde, bestehen keine genügenden Anhaltspunkte. Der Bescheid enthält keine verlässliche Erklärung des Inhalts, eine weitergehende Gebührenpflicht sei nicht entstanden, sie werde erlassen oder sie werde nicht geltend gemacht. Zudem erging der Bescheid ausdrücklich unter dem Vorbehalt, er sei gültig, bis ein neuer Bescheid ergehe. Auch daraus ergibt sich, dass der Bescheid nicht als abschließende Regelung für das Abgabenschuldverhältnis zu begreifen ist. Mangels eines entsprechenden Regelungsgehalts steht daher auch der Umstand, dass der Bescheid vom 05. August 2002 in Bestandskraft erwachsen ist, der späteren Festsetzung der vollen Gebührensumme nicht entgegen.

Zwar kann auch ein Bescheid, mit dem eine zu niedrige Abgabenforderung verlangt wird und der seinem Tenor nach ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt ist, ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.02.1975 - IV C 77.74 -, BVerwGE 30, 132 [133 f.]; OVG NW, Urteil vom 28.03.2001 - 16 A 4212/00 -, juris; Driehaus, in: ders., a.a.O., § 8 Rn . 29). Allerdings setzt ein solches Vertrauen eine adäquate Vertrauensbetätigung des Betroffenen, die Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung und zudem voraus, dass im Zuge der sodann gebotenen Interessenabwägung die Interessen des Betroffenen gegenüber den Interessen der Allgemeinheit überwiegen (BVerwG, Urteil vom 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 ff.; OVG NW, Urteil vom 28.03.2001, a.a.O.). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

Zunächst lässt sich ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragsteller auf die Nichterhebung des Elternbeitrags in satzungsgemäßer Höhe nicht annehmen, da für sie erkennbar sein musste, dass die Antragsgegnerin ihren Gebührenanspruch mit dem Bescheid vom 05. August 2002 nicht ausgeschöpft hatte. So hätte sich für die Antragsteller - zumal für den juristisch ausgebildeten Antragsteller zu 2. - bereits durch einen Blick in die Gebührensatzung (KGS) die Höhe des monatlichen Elternbeitrags erschließen können, den sie ab Oktober 2002 zu zahlen hatten. Eine Regelung über einen "Eingewöhnungsrabatt" oder für den Fall, dass Kinder in zeitlich geringerem Umfang in die Kindertagesstätte gebracht werden, kennt die Satzung nicht, so dass die Antragsgegnerin einen solchen auch nicht hätte gewähren dürfen. Zudem ist der Bescheid vom 17. September 2002 bereits zu einem Zeitpunkt ergangen, als der hier strittige Veranlagungszeitraum (Oktober bis Dezember 2002) noch nicht begonnen hatte. Eine Betätigung schützwürdigen Vertrauens, etwa indem bestimmte Dispositionen über die ersparten Mittel getroffen wurden, ist vor diesem Hintergrund weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Auch soweit die Antragsteller vortragen, die Antragsgegnerin habe ihnen mit der reduzierten Gebühr für die Monate Oktober bis Dezember 2002 entsprechend einer mündlichen Vereinbarung einen Sondertarif für eine "Eingewöhnungszeit" einräumen wollen, begründet dies kein schützenswürdiges Vertrauen. Denn bei diesem Vorbringen, das die Antragsteller erst im Beschwerdeverfahren zu einem Schwerpunkt ihrer Argumentation gemacht haben, handelt es sich nach Aktenlage um eine bloße Behauptung, welche die Antragsgegnerin bestreitet und die von den Antragsgegnern weder hinreichend substantiiert noch in geeigneter Form glaubhaft gemacht worden ist. So haben die Antragsteller in keiner Weise dargelegt, mit wem und wann eine entsprechende mündliche Abrede getroffen worden sein soll. Zudem gibt auch der Bescheid vom 05. August 2002 nichts dafür her, dass die Antragsgegnerin einen solchen "Rabatt" in rechtswidriger Weise hat gewähren wollen. Die Reduzierung der Gebühr für den Monat September 2002 ist demgegenüber darauf zurückzuführen, dass für diesen Monat die Voraussetzungen des § 2 Satz 4 KGS vorlagen, weil das Kind M. erst ab der zweiten Monatshälfte (ab 16. September 2002) in der Kindertagesstätte der Antragsgegnerin betreut wurde. Dies hat die Antragsgegnerin auch in ihrem Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2002 unmissverständlich deutlich gemacht. Dieser Bescheid ist zur Auslegung des Bescheids vom 17. September 2002 mit heranzuziehen, weil Gegenstand der von den Antragstellern im Hauptsacheverfahren begehrten Anfechtung der Bescheid vom 17. September 2002 in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2002 gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Zudem scheitert ein Vertrauensschutz der Antragsteller daran, dass im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung die Interessen der Allgemeinheit überwiegen. Denn im Rahmen der Interessenabwägung müssen sich die Antragsteller entgegenhalten lassen, dass es sich bei dem Gebührenanspruch der Antragsgegnerin um eine Gegenforderung für eine von ihr für die Antragsteller erbrachte Leistung handelt. Für diese Leistung steht der insoweit die Allgemeininteressen wahrenden Antragsgegnerin - auch im Interesse der "Gebührengerechtigkeit" - die volle nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung in Form der Gebühr zu (vgl. [zum Beitragsrecht] BVerwG, Urteil vom 18.03.1988, a.a.O.; Driehaus, in: ders., a.a.O., § 8 Rn . 29).

Selbst wenn man mit den Antragstellern davon ausgeht, dass der Bescheid vom 05. August 2002 eine begünstigende Regelung durch Begrenzung auf die festgesetzte Höhe des Elternbeitrags für sie hat treffen wollen und dementsprechend in der geänderten Festsetzung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2002 eine konkludente Rücknahme des vorangegangenen Bescheids liegt, die den verfahrensrechtlichen Einschränkungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X unterfällt, kann die Beschwerde der Antragsteller keinen Erfolg haben.

Entgegen der Rechtsansicht der Antragsteller wäre der angefochtene Bescheid vom 17. September 2002 nämlich nicht deshalb fehlerhaft, weil weder er noch der Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2002 Ausführungen über eine Ermessensausübung enthalten. Zwar steht die Entscheidung über die Rücknahme eines (von Anfang an) rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 1 SGB X grundsätzlich im Ermessen der Behörde (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 17.09.1987 - 5 C 26.84 - BVerwGE 78, 101 [105]) und setzt deshalb die Rechtmäßigkeit der Rücknahme grundsätzlich eine entsprechende Ermessensausübung voraus. In dieser Beziehung gelten jedoch Besonderheiten, wenn das einschlägige Fachrecht der zu treffenden Entscheidung eine bestimmte Richtung vorgibt, d.h. wenn kraft des Fachrechts das Ermessen im Regelfall fehlerfrei nur durch eine bestimmte Entscheidung ausgeübt werden kann (sog. intendiertes Ermessen) und ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vorliegt. Trifft dies nämlich zu, bedarf es, wenn in dem durch das Gesetz vorgegebenen Sinne entschieden wird, keiner Abwägung des Für und Wider und entfällt damit zugleich auch eine entsprechende Begründungspflicht der Behörde (BVerwG, Urteil vom 05.07.1985 - 8 C 22.83 -, Buchholz 454.32 § 5 WoBindG 1974 Nr. 1 [S. 6] sowie - zu § 45 SGB X - Urteil vom 25.09.1992 - 8 C 71.90 -, NJW 1993, 747; ebenso - zu § 48 VwVfG - BVerwG, Urteil vom 16.06.1997 - 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55 ff.; OVG LSA, Urteil vom 02.12.1999 - A 1 S 89/99 -). So aber liegt es hier.

Aus den maßgeblichen Regelungen des Abgabenrechts ergibt sich, dass die öffentliche Hand ihr zustehende Gebührenansprüche grundsätzlich in voller Höhe auszuschöpfen hat. Zunächst folgt dies im Umkehrschluss aus jenen abgabenrechtlichen Regelungen, die eine Gebühren- bzw. Abgabenreduzierung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen (vgl. etwa die Regelungen über Billigkeitsentscheidungen in §§ 13a KAG LSA, 222, 227 AO sowie - hier - § 6 KGS). Der Verzicht auf eine Abgabenforderung wäre, soweit nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen für eine Billigkeitsentscheidung vorliegen, wegen Verstoßes gegen den Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Abgabenerhebung rechtswidrig (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 14.01.1976 - 6 A 53/73 -, KStZ 1977, 33 [34]; Kirchmer/Schmidt/Haack, KAG-LSA; Kommentar, 2. Aufl. 2001, § 6 Anm. 1.1.1 [S. 201]). Dieser Grundsatz verlangt, dass ein nach ortsrechtlichen Bestimmungen entstandener Abgabenanspruch geltend zu machen ist (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 26.09.2001 - A 2 S 399/99 -; Kirchmer/Schmidt/Haack, a.a.O., S. 201 f. m.w.N.). Die Verpflichtung der kommunalen Träger öffentlicher Verwaltung, die ihnen zustehenden Abgaben zu erheben, ergibt sich zudem aus dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Einnahmebeschaffung (vgl. § 91 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GO LSA), der auch verlangt, dass Einnahmemöglichkeiten aus speziellen Entgelten für die erbrachten Leistungen auszuschöpfen sind (vgl. OVG NW, Urteil vom 23.07.1991 - 15 A 1100/90 -, KStZ 1992, 144 [zur Beitragserhebungspflicht]; VG Dessau, Beschluss vom 28.07.2000 - 1 B 241/00 -, VwRRMO 2001, 164; Driehaus, in: ders. a.a.O., § 8 Rn. 14 m.w.N.).

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Verwaltung im Falle einer zu niedrigen Gebührenveranlagung im Regelfall verpflichtet ist, die volle Gebühr (noch) geltend zu machen. Dementsprechend kann im Regelfall auch das Ermessen nach § 45 SGB X nur durch eine Entscheidung für die Rücknahme eines der vollen Erhebung entgegenstehenden Bescheides ausgeübt werden. Das öffentliche Interesse, das hinter der Pflicht steht, vorhandene Gebührenansprüche grundsätzlich auszuschöpfen, überwiegt im Allgemeinen das Interesse des Begünstigten, eine geringere als die gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehene Gebühr entrichten zu müssen. Danach läge ein rechtsfehlerhafter Ermessensgebrauch nur dann vor, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt oder erkennbar geworden wären, die eine andere Entscheidung möglich erschienen ließen, sie gleichwohl aber eine entsprechende Abwägung nicht vorgenommen hätte (BVerwG, Urteil vom 16.06.1997 - 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55; OVG LSA, Urteil vom 02.12.1999 - A 1 S 89/99 -). Derartige individuelle (atypische) Besonderheiten, die geeignet wären, die gesetzlich intendierte Rücknahmeentscheidung ernsthaft in Zweifel zu ziehen, sind hier jedoch - wie oben dargelegt - nicht gegeben. Allein der Umstand, dass die Antragsteller ihr Kind M. in dem streitbefangenen Zeitraum aufgrund eigener Entscheidung nur halbe Tage in der Kindertagesstätte der Antragsgegnerin haben betreuen lassen, obgleich sie einen Anspruch auf ganztägige Betreuung hatten, reicht hierfür nicht aus, da dieser Aspekt im Satzungsrecht der Antragsgegnerin keinen gesonderten Niederschlag gefunden hat. Dementsprechend brauchte die Antragsgegnerin in den angefochtenen Bescheiden auch auf das Für und Wider einer Rücknahme nicht einzugehen. Zugleich hat sie die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens weder unter- noch überschritten noch in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise davon Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO). Vielmehr ließen die Umstände des Einzelfalles im Sinne einer Ermessensreduzierung nur die Entscheidung der Rücknahme als richtig erscheinen, so dass es hinsichtlich der mit der Ausschöpfung des vollen Gebührenanspruchs verbundenen Rücknahme der vorausgegangenen zu niedrigen Festsetzung auf eine erkennbare Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin nicht ankommt.

Schließlich greift auch der Einwand der Antragsteller, der angefochtene Bescheid vom 17. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 2002 sei rechtswidrig, weil es die Antragsgegnerin unterlassen habe, eine Ermessensentscheidung nach § 6 Satz 2 KGS zu treffen, nicht durch. Zwar können danach Gebührenansprüche ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach der Lage des Einzelfalles unbillig ist. Allerdings ist diese Billigkeitsentscheidung gegenüber der hier im Streit stehenden Gebührenfestsetzung ein selbständiger Verwaltungsakt, der gesondert zu beantragen ist und der die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheids unberührt lässt (vgl. [zum Beitragsrecht] OVG LSA, Beschluss vom 29.06.2000 - 2 M 48/00 -; Driehaus, in: ders., § 8 Rn. 48). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsteller bei der Antragsgegnerin bislang einen Antrag auf Billigkeitserlass gestellt hätten, der die Antragsgegnerin zu einer entsprechenden Ermessensentscheidung hätte veranlassen müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Denn das Sachgebiet der Jugendhilfe im Sinne dieser Vorschrift erfasst alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit Regelungen der (Kinder- und) Jugendhilfe, die im achten Buch des SGB eine zusammenfassende Normierung gefunden haben (Happ, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 188 Rn. 7). Eine Begrenzung auf bestimmte Streitigkeiten aus diesem Sachgebiet, die sich nur auf bestimmte Bereiche des SGB VIII erstreckt, lässt sich der Regelung des § 188 Satz 2 VwGO weder dem Wortlaut nach entnehmen, noch ist sie durch die Zwecksetzung der Vorschrift geboten. Die Regelung erfasst daher auch Streitigkeiten über Elternbeiträge gem. § 90 SGB VIII, obgleich insoweit ein Überschneidungsbereich zum Abgabenrecht vorliegt (im Ergebnis ebenso OVG Rh.-Pf., Urteil vom 16.05.2000 - 12 A 11586/99 -, Juris; OVG NW, Urteil vom 28.03.2001 - 16 A 4212/00 -, juris; Happ, in: Eyermann, a.a.O.; a.A. OVG NW, Beschluss vom 15.11.2002 -16 B 2228/02 -, juris).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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