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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 24.09.2009
Aktenzeichen: 3 M 308/09
Rechtsgebiete: SchulG LSA


Vorschriften:

SchulG LSA § 72a
Zu den Voraussetzungen für die Teilhabe an einer kostenlosen Schulspeisung gem. § 72a Satz 3 SchulG LSA.
Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerinnen hat Erfolg.

Der Antrag der Antragstellerinnen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts begründet.

Gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gem. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 940 ZPO glaubhaft zu machen. Die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Antragstellerinnen haben mit ihrem Vortrag im Beschwerdeverfahren insbesondere auch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie besitzen bei der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage gem. § 72 a Satz 3 SchulG LSA einen Anspruch auf einen sog. Freitisch, d. h. die kostenlose Teilhabe an der an ihrer Schule vorgesehenen Schulspeisung.

Gem. § 72 a Satz 1 SchulG LSA sollen die Schulträger "im Benehmen mit dem Schülerrat und dem Schulelternrat schultäglich eine warme Vollwertmahlzeit für alle Schülerinnen und Schüler vorsehen"; dabei soll gem. § 72 a Satz 2 SchulG LSA "ein sozial angemessener Preis gewährleistet werden." Nach § 72 a Satz 3 SchulG LSA sind darüber hinaus "in besonderen Fällen Freitische zur Verfügung zu stellen".

Wann ein "besonderer Fall" i. S. d. § 72 a Satz 3 SchulG LSA vorliegt, lässt sich nicht allgemein verbindlich feststellen; entscheidend ist insoweit auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen. Vom Vorliegen eines besonderen Falles ist indes regelmäßig dann auszugehen, wenn eine "besondere soziale Notlage" besteht. Hierfür reicht es im Allgemeinen nicht schon aus, dass die Familie zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Sozialleistungen angewiesen ist oder sich etwa aufgrund einer (hohen) Schuldenlast in einer schwierigen finanziellen Situation befindet. Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die über das Bestehen einer sozialen Notlage hinausgehen und welche es - speziell auch unter Berücksichtigung der Belange des Kindes und der familiären Gesamtsituation - unverhältnismäßig oder gar unzumutbar erscheinen lassen, die Kinder hinsichtlich der von der vom Schulträger zur Verfügung gestellten "Vollwertmahlzeit" auf die Entrichtung eines (sozial angemessenen) Preises für die Schulspeisung zu verweisen.

In Anlegung dieses Maßstabes sind bei überschlägiger Prüfung im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen Falles i. S. d. § 72 a Satz 3 SchulG erfüllt. Es liegt hier eine besondere soziale Notlage der Familie vor. Neben den eingeschränkten finanziellen Verhältnissen der Familie (Bezug von Leistungen nach SGB II) und einer nicht unerheblichen Schuldenlast liegt diese vorliegend zugleich darin begründet, dass laut Feststellungen des Schulverwaltungsamtes die alleinerziehende Mutter der Antragstellerinnen eine 9-köpfige Familie zu versorgen hat, wobei die häusliche Ernährung allem Anschein nach nicht ausreichend und unausgewogen ist (siehe S. 17 d. Verwaltungsvorgangs - Beiakte A), ausweislich der Bescheinigung des Amtsgerichts Schönebeck - Vormundschaftsgerichts - vom 26. November 2008 für die erziehungsberechtigte Mutter der Antragstellerinnen ein Berufsbetreuer bestellt werden musste (Bl. 9 d. Gerichtsakte) und nach Auskunft des Betreuers vom 11. August 2009 die Familie mit der Erziehung der acht Kinder "völlig überfordert" ist, so dass auch seitens des Jugendamtes seit vielen Jahren Hilfe zur Erziehung nach SGB VIII in verschiedener Form geleistet werden muss (Bl. 74 d. Gerichtsakte). Unter Berücksichtigung der genannten Umstände erscheint dem Senat eine ausreichende Versorgung der Antragstellerinnen mit einer warmen Vollwertmahlzeit ohne die Inanspruchnahme eines Freitisches nicht gewährleistet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nebst Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten war zu entsprechen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den zuvor genannten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. d. §§ 166 VwGO, 114 ZPO bietet.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, wobei der Senat eine Reduzierung des Streitwertes für das vorläufige Rechtsschutzverfahren als angemessen erachtet (vgl. Ziff. 1.5 Satz 2 d. Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 - abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO 14. Aufl. Anh. § 164).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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