Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 26.05.2008
Aktenzeichen: 3 M 445/08
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
Wegen der Besonderheit des materiellen Rechts kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis nach der Systematik und dem Sinn und Zweck der in § 4 StVG getroffenen Regelung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe einer solchen Verfügung an (im Anschluss an BayVGH, Beschl. v. 8.6.2007 - 11 CS 06.3037 - juris).
Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass.

Der Antragsteller trägt vor, auch wenn im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 13. Februar 2008 die Entscheidung des Antragsgegners (über die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Aufforderung zur Herausgabe des Führerscheins) rechtmäßig gewesen sein sollte, sei dies mittlerweile nicht mehr der Fall, weil hinsichtlich des Verkehrsverstoßes vom 10. Februar 2003 am 25. April 2008 Tilgungsreife eingetreten sei. Der Antragsgegner sei gehindert, bei Erlass des Widerspruchsbescheides die (für die Ordnungswidrigkeit vom 10. Februar 2003 verhängten drei) Punkte zu berücksichtigen, so dass er im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt - d. h. bei Erlass des noch ausstehenden Widerspruchsbescheides - nicht mehr die für die Entziehung der Fahrerlaubnis erforderliche Punktzahl von 18 oder mehr Punkten habe. Als Berufskraftfahrer sei er auf die Fahrerlaubnis dringend angewiesen; da er vorsorglich zur Vermeidung einer Strafbarkeit nicht fahre, entstehe ihm ein erheblicher Schaden.

Das Beschwerdevorbringen greift nicht durch. Soweit ersichtlich geht mittlerweile die überwiegende Anzahl der Oberverwaltungsgerichte davon aus, dass es abweichend von dem Grundsatz, dass über die Rechtmäßigkeit einer Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, regelmäßig also des Widerspruchsbescheids, zu befinden ist (vgl. BVerwG v. 27.09.1995, BVerwGE 99, 249), - wegen der Besonderheit des materiellen Rechts - für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis - wie hier - nach der Systematik und dem Sinn und Zweck der in § 4 StVG getroffenen Regelung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe einer solchen Verfügung ankommt. Der Senat schließt sich im Ergebnis der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschl. v. 08.06.2007 - 11 CS 06.3037 - juris), des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 17.02.2005 - 10 S 2875/04 - DÖV 2005, 746), des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 24.05.2006 - 16 B 1093/05 - DÖV 2006, 924) und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Beschl. v. 23.11.2006 - 1 M 140/06 - juris) sowie dem zur Anordnung eines Aufbauseminars gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergangenen Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. November 2005 (- 3 BS 232/05 - juris) an. Die vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 19.07.2006 - 10 B 10750/06 - DÖV 2006, 834) geäußerten Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsprechung teilt der Senat nicht, zumal das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz bei noch ausstehendem Widerspruchsbescheid den Ausgangsbescheid als maßgebliche letzte Behördenentscheidung ansieht und über eine Interessenabwägung zum gleichen Ergebnis (Zurückweisung der Beschwerde) gelangt wie auch die anderen Oberverwaltungsgerichte. Das Oberverwaltungsgericht Bremen (Beschl. v. 29.06.2006 - 1 B 167/06 - NJW 2007, 394) stützte seine Auffassung zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung auf Sinn und Zweck des Widerspruchsverfahrens; dies überzeugt den Senat im Hinblick auf die Besonderheiten der materiellen Rechtslage indes nicht. Zu letzterer führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 8. Juni 2007 (a. a. O.) aus:

"Dabei kann dahinstehen, ob, ... bereits der Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG dafür spricht, dass über die Rechtmäßigkeit einer auf diese Vorschrift gestützten Entziehungsverfügung auf der Grundlage der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten bei ihrer Bekanntgabe zu befinden ist. Jedenfalls folgt dieses Ergebnis aus der Systematik und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Betroffene, wenn sich für ihn 18 oder mehr Punkte ergeben, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Unter der genannten Voraussetzung wird als unwiderlegbar vermutet, dass er nicht (mehr) fahrgeeignet ist. Das Gesetz knüpft daran die Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde, dem Betroffenen ohne weitere Ermittlungen die Fahrerlaubnis zu entziehen (vgl. Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Auflage 2004, Erl. 19 a zu § 4 StVG). Die Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG ist kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 7 Satz 2 StVG) sofort vollziehbar. Das weist auf den Willen des Gesetzgebers hin, Personen, die sich wegen ihres Punktestandes als fahrungeeignet erwiesen haben, rasch und wirksam von der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr auszuschließen. Nach § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG darf einem Betroffenen, dem die Fahrerlaubnis wegen der von ihm erreichten 18 oder mehr Punkte gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG entzogen worden ist, eine neue Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach Wirksamkeit der Entziehung erteilt werden. Unbeschadet der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis hat die Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG zum Nachweis, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder hergestellt ist, in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen. Bei dieser Regelung ist der Gesetzgeber ersichtlich davon ausgegangen, dass die bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten unwiderleglich vermutete Fahrungeeignetheit mindest sechs Monate lang fortbesteht und mit dem Ablauf dieser Frist nicht ohne weiteres, sondern erst dann endet, wenn ein durch ein Fahreignungsgutachten nachzuweisender Einstellungs- und Verhaltenswandel eingetreten ist. Diesen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung würde es zuwiderlaufen, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber, der sich durch Erreichen von 18 oder mehr Punkten als ungeeignet erwiesen hat und dem deshalb gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen war, wegen einer nach einer solchen Entscheidung während des Widerspruchsverfahrens eingetretenen Tilgungsreife von Eintragungen im Verkehrszentralregister und der damit einhergehenden Unverwertbarkeit dieser Eintragungen für die Entscheidung über den Widerspruch und eine nachfolgende Anfechtungsklage ohne Rücksicht auf den Ablauf der Frist des § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG und auf die Vorlage eines die Wiederherstellung der Fahreignung nachweisenden Gutachtens gem. § 4 Abs. 10 Satz 3 StVG als wieder fahrgeeignet angesehen werden müsste".

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ergänzt diese Argumente in seinem Beschluss vom 17. Februar 2005 (a. a. O.) noch um folgenden Hinweis:

"Zudem hinge, würde auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids abgestellt, die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung von Zufälligkeiten ab; auch hätte es der Betroffene durch sein Verhalten während des Vorverfahrens in der Hand, den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hinauszuzögern und damit der auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Verfügung die rechtliche Grundlage zu entziehen".

Diese Rechtsauffassungen hält der Senat für überzeugend und folgt ihnen im vorliegenden Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

Ende der Entscheidung

Zurück