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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 15.10.2008
Aktenzeichen: 3 M 536/08
Rechtsgebiete: LSA-SchulG
Vorschriften:
LSA-SchulG § 41 Abs. 1 |
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers, deren Überprüfung im Beschwerdeverfahren sich gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt, ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, wonach er vorläufig bis zu einer Entscheidung im Klageverfahren 7 A 277/08 MD bzw. hilfsweise bis zur Erstattung eines kinderpsychologischen Gutachtens in der Sekundarschule "Ernst Bansi" in A-Stadt im Schuljahr 2008/2009 zu beschulen ist.
Der Antragsteller hat den für die begehrte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 ff. ZPO nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 924 ZPO glaubhaft zu machen. Da mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, welche die Beschulung in einer Sekundarschule betrifft, aufgrund des mit der Entscheidung im Klageverfahren verbundenen Zeitablaufes die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen wird, kann eine Regelung nur ergehen, wenn das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und er schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. Beschl. d. Senates v. 14.11.2003 - 3 M 309/03 - und v. 16.12.2004 - 3 M 384/04 -).
In Anlegung der aufgezeigten Maßstäbe sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben.
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf die begehrte Aufnahme in die Sekundarschule "Ernst Bansi" in A-Stadt hat. Der Antragsgegner hat nach der nur gebotenen summarischen Prüfung den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 3 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - SchulG LSA - i. d. F. d. Bek. v. 11. August 2005 (GVBl. LSA, S. 520), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Juli 2008 (GVBl. LSA S. 280) - rechtsfehlerfrei abgelehnt, da die Voraussetzungen für eine solche Ausnahmegenehmigung durch den Antragsteller nicht dargetan sind.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA sind dabei nicht mit denen einer Abweichung von der Schulorganisation gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 SchulG LSA identisch. Das folgt auch künftig aus der unterschiedlichen Wortwahl ("Ausnahme" statt "besonderer Grund"), nachdem der Gesetzgeber mit der ab dem 1. August 2008 geltenden Einfügung von § 41 Abs. 2a SchulG LSA den Schulträgern die Möglichkeit eröffnet hat, nunmehr auch auf die Festlegung von Schulbezirken für Grund- und Sekundarschulen gänzlich zu verzichten (vgl. hierzu Begründung des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, LT-Drucksache 5/998, S. 14).
Die Ausnahme des § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA ist daher weiterhin für den Fall vorgesehen, dass im Einzelfall Gründe bestehen, die auch angesichts der Überlegungen für den Regelfall als unzumutbar gelten müssen, mithin für die Betroffenen als "Härte" zu gelten haben (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 31.08.2007 - 3 M 223/07 -; Beschl. v. 08.08.2001 - 2 M 225/01 -). Bloße "Unbequemlichkeiten" hingegen oder Schwierigkeiten, die eine größere Zahl von schulpflichtigen Kindern und ihre Eltern in gleicher oder ähnlicher Weise betreffen oder die in dem Umstand liegen, dass der Schulträger von seiner Wahlfreiheit Gebrauch gemacht und einen Schulbezirk festgelegt hat, stellen keine "Härte" im vorgenannten Sinne dar. Mit der Bildung von Schulbezirken (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG LSA) und der sich daraus für die Schülerin und den Schüler ergebenden Pflicht zum Besuch der für ihren oder seinen Wohnsitz zuständigen Sekundarschule wird nicht nur in das Grundrecht der Schülerin und des Schülers auf Erziehung und Bildung in der Schule (Art. 25 VerfLSA), sondern auch in das Grundrecht der Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder eingegriffen. Die Eingriffe sind jedoch zulässig, weil aus der staatlichen Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) die ausschließliche Befugnis des Staates folgt, zu bestimmen, auf welcher Schule in räumlicher Hinsicht die Schulpflicht erfüllt werden soll. Die genannten Grundrechte geben den Schülern und Eltern keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer ihren Wünschen entsprechenden Schule (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 15.08.2006 - 19 B 1256/06 -, juris m. w. N.). Als Gründe, die eine "Härte" im vorgenannten Sinne begründen können, können daher nur solche Umstände gelten, die einen sachlichen Bezug zur Schulbezirkseinteilung, mithin zum Wohnort des Schülers bzw. seiner Erziehungsberechtigten, dem täglichen Schulweg bzw. dem Standort der Schule aufweisen (vgl. zur besonderen Gefährlichkeit eines Schulweges als denkbarem Grund für die Erteilung einer Ausnahme nach § 41 Abs. 1: Beschl. d. Senates v. 11.10.2007 - 3 M 233/07 -).
Die vom Antragsteller vorgetragenen Umstände, die sich auf die individuelle Unzumutbarkeit der Beschulung in der Sekundarschule "Bosseschule" in A-Stadt lediglich aufgrund des Namens der Schule beziehen, sind nicht in erster Linie bei der Frage der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung i. S. d. § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA zu würdigen, sondern aufgrund anderweitiger gesetzgeberischer Leitentscheidungen primär im Rahmen anderer gesetzlicher Regelungen zu berücksichtigen. Soweit der Antragsteller unter Vorlage der Stellungnahmen des Kinderarztes Dr. K. vom 25. Juli 2008 und der Kinderärztin Dipl.-Med. L. vom 15. September 2008 sowie des Schreibens des Pfarrers Dr. S. vom 19. September 2008 ausführt, dass mit einer sehr negativen Entwicklung seiner Persönlichkeit zu rechnen wäre, wenn er in den nächsten Jahren die Schule besuchen müsste, die den Namen "Bosse" und damit den Namen des ehemaligen Ehemannes seiner Mutter trägt, zu welchem er eine innige persönliche Beziehung aufgebaut hatte und der diese Beziehung unter ihn sehr belastenden Umständen beendet habe, stellt dies in Anwendung der vorstehenden Grundsätze keinen Grund für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA dar. Die mögliche Konfrontation mit dem Namen "Bosse" im Schulnamen steht - selbst bei Anwendung eines großzügigen Maßstabes - nicht im Zusammenhang mit der räumlichen Einteilung des Schulbezirkes. Der Antragsgegner verweist insofern auch zutreffend darauf, dass eine Auseinandersetzung mit dem Namen "Bosse" für den Antragsteller auch im Alltag außerhalb des schulischen Lebens nicht zu vermeiden sein dürfte und bereits aus diesem Grund eine Beschulung an der Sekundarschule "Ernst Bansi" nur sehr eingeschränkt zur Lösung des vom Antragsteller aufgezeigten Problems beitragen dürfte. Vor dem Hintergrund, dass der Namensgeber der Schule, der ehemalige preußische Kultusminister Julius Robert Bosse, Ehrenbürger der Stadt A-Stadt ist (vgl. Nachweis im Internet bei de.wikipedia.org) und sich zudem die Berufsbildenden Schulen A-Stadt, welche für die spätere Ausbildung des Antragstellers durchaus von Bedeutung sein könnten, in der Bossestraße 3 in A-Stadt befinden, ist diese Argumentation des Antragsgegners plausibel.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers führt die oben dargestellte Auslegung der Ausnahmeregelung des § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA auch nicht dazu, dass die Gefahr des Eintritts einer seelischen Störung bei einem Besuch der Bosseschule völlig unberücksichtigt bliebe. Der Antragsteller ist hierbei aufgrund der Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst vorrangig auf schulische Leistungen und Verpflichtungen, etwa im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung nach Maßgabe der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 2. August 2005 (GVBl. LSA S. 482) bzw. Leistungen der Schulsozialarbeit (vgl. hierzu Runderlass des MK und des MS v.18.02.1998, SVBl. LSA S. 80) zu verweisen. Die vom Antragsteller geschilderten Umstände können ggf. auch dazu führen, dass er einen (nachrangigen) Anspruch auf Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach Maßgabe von § 35a SGB VIII gegenüber dem zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben könnte. Nach § 35a Abs. 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn erstens ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und zweitens daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Nach § 35 a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind von einer seelischen Behinderung bedroht - i. S. d. Achten Buch Sozialgesetzbuch - Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder teilen, sind zwar noch keine behinderungsrelevanten seelischen Störungen; dies gilt allerdings nicht mehr für auf Versagensängsten beruhende Schulphobien, totale Schul- und Lernverweigerung, Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und Vereinzelung in der Schule, die bereits behinderungsrelevant sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.1998 - 5 C 38.97 - FEVS 49, 487). Ob der Antragsteller im vorbenannten Sinne von einer seelischen Behinderung bedroht ist, - in diese Richtung geht jedenfalls die fachliche Einschätzung von Dipl.-Med. L. vom 15. September 2008 - ist dabei in dem in § 35a Abs. 1 a SGB VIII geregelten Verfahren durch den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu klären.
Der Antragsteller hat damit auch unter Berücksichtigung der vorgenannten gesetzgeberischen Wertungen und dem Kindeswohl keine "Härtesituation" dargelegt, welche das Ermessen des Antragsgegners hinsichtlich der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA in einer Weise reduziert, dass allein die vorläufige Beschulung in der Sekundarschule "Ernst Bansi" in A-Stadt ermessensgerecht wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
Ende der Entscheidung
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