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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 05.03.2007
Aktenzeichen: 3 O 97/06
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG, LSA-VwVfG


Vorschriften:

VwGO § 162 Abs. 1
VwVfG § 80 Abs. 1
VwVfG § 80 Abs. 2
LSA-VwVfG § 1 Abs. 1
LSA-VwVfG § 2 Abs. 1 S. 1
Anders als im isolierten Vorverfahren besteht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens auch in Verfahren betreffend die Rundfunkgebührenbefreiung, wenn durch gerichtliche Entscheidung die Hinzuziehung einer Bevollmächtigen im Vorverfahren für notwendig erklärt wird.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 O 97/06

Datum: 05.03.2007

Gründe:

Die Beschwerde des Beklagten ist zulässig. Beim Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO handelt es sich nicht um einen Teil der Kostenentscheidung, welche die Kostenerstattungspflicht des Beklagten dem Grunde nach regelt (Kostengrundentscheidung), sondern um eine die Kostenfestsetzung betreffende Entscheidung über den Umfang der Kostenerstattungspflicht, die vom Rechtsmittelausschluss des § 158 VwGO nicht erfasst wird (vgl. HessVGH, Beschl. v. 8.9. 1995 - 14 TE 788/95 -, NVwZ-RR 1996, 616 (617); OVG Greifswald, Beschl. v. 30.4.2002 - 2 O 42/00 -, NVwZ 2002, 1129 m. w. N.). Diese Kostenfestsetzungsentscheidung ist - unabhängig von der Frage, ob sie im Urteil in der Hauptsache oder nachträglich durch Beschluss ergeht - eine Entscheidung über Kosten im Sinne des § 146 Abs. 3 VwGO, denn sie ist eine kostenrechtliche Nebenentscheidung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.4.1967 - VII C 128.66 -, BVerwGE 27, 39 (40); Urt. v. 18.2.1981 - 4 C 75.80 -, DÖV 1981, 343: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 18.4.1996 - 2 S 928/96 - Juris; HessVGH, Beschl. v. 8.9.1995 - 14 TE 788/ 95 -, DVBl. 1996, 113; ThürOVG, Beschl. v. 19.10.2000 - 4 VO 117/00 - NVwZ-RR 2001, 487 f.). Da die im Rahmen des Kostenfestsetzungsantrags des Bevollmächtigten der Klägerin geltend gemachten Kosten des Vorverfahrens in Höhe von 258,89 € die Beschwerdesumme von 200, - € erreichen, ist die Beschwerde statthaft.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren zu Recht für notwendig erklärt. Der Beklagte rügt diese Entscheidung mit dem Hinweis, dass eine gesetzliche Grundlage für die materielle Kostentragungspflicht im Verwaltungsverfahren im Verwaltungsverfahrensrecht des Landes Sachsen-Anhalt fehle, weil gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 VwVfG-LSA in der geltenden Fassung vom 18. November 2005 (GVBl. LSA S. 698, 699) das Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes Sachsen-Anhalt für die Tätigkeit des Beklagten nicht anwendbar sei und demzufolge im Vorverfahren auch kein Kostenerstattungsanspruch gem. § 80 Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG-LSA bestehe. Im Rahmen eines sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens könne insoweit nichts anders gelten. Der Beklagte vermag mit diesem Einwand jedoch nicht durchzudringen.

Zwar trifft es zu, dass in Verwaltungsverfahren, welche - wie hier - gebührenrechtliche Streitigkeiten mit der Beklagten betreffen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen und auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht zu erstatten sind, selbst wenn der Widerspruch erfolgreich und die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, weil die Vorschriften des § 80 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG-LSA in Verwaltungsverfahren der in Rede stehenden Art nicht anwendbar sind. Hingegen ist im vorliegenden gerichtlichen Verfahren davon auszugehen, dass es auf die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 VwVfG-LSA i. V. m. § 80 VwVfG im Verwaltungsverfahren nicht ankommt. Denn nachdem die Klägerin gegen den Rundfunkgebührenbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage erhoben und das Verwaltungsgericht Magdeburg bzw. - unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung - das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hierüber entschieden hatte, war über die Kostenerstattungspflicht und hinsichtlich der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht nach § 1 Abs. 1 VwVfG-LSA i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG, sondern ausschließlich gem. § 162 Abs. 1 und 2 Satz 2 VwGO durch das Gericht zu entscheiden. D. h. die (landesrechtliche) Regelung des Verwaltungsverfahrensgesetzes hat nur für das sog. isolierte Widerspruchsverfahren im Rahmen von Verwaltungsverfahren Bedeutung, in denen der Beklagte beteiligt ist, also nur dann, wenn sich an das Widerspruchsverfahren kein Klageverfahren gegen den Ausgangs- und Widerspruchsbescheid anschließt. Ist jedoch gegen den Ausgangs- und Widerspruchsbescheid Klage erhoben worden, so ist Rechtsgrundlage für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten allein die Vorschrift des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, wonach ein Ausschluss des Kostenerstattungsanspruchs in Verfahren der vorliegenden Art nicht vorgesehen ist. Es entspricht insoweit anerkannter Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 29.6.2006 - 7 C 14/05 - NVwZ 2006, 1294 f.; OVG NRW, Beschl. v. 15.6.2001 - 3 E 529/00 - NVwZ-RR 2002, 77; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 3.4.1989 - 11 S 3133/88 - VBlBW 1989, 294; Thür OVG, Beschl. v. 19.10.2000 - 4 VO 117/00 - NVwZ-RR 2001, 487; BSG, MDR 19977, 84; BFH, NJW 1992, 272) und der ganz herrschenden Meinung in der Literatur (Dolde, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 73 Rdnr. 55; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO 2. Aufl. 2006 § 162 Rdnr. 14 ff.; Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 6.Aufl. 2001 § 80 Anm. 3), dass eine gerichtliche Kostenentscheidung nach § 162 Abs. 1 VwGO infolge der dortigen Bezugnahme auf die Kosten des Vorverfahrens die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides unmittelbar ("automatisch") ersetzt bzw. verdrängt. Hat sich an das Vorverfahren ein gerichtliches Hauptsacheverfahren angeschlossen, entfällt somit die Anwendbarkeit des § 80 VwVfG; eine im Widerspruchsverfahren getroffene Kostengrundentscheidung wird hinfällig; einer darauf gestützten Kostenfestsetzung gem. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG wird die Grundlage entzogen. Hinter der Vorschrift des § 162 Abs. 1 VwGO steht insoweit die Überlegung, dass erst im anhängig gemachten Hauptsacheverfahren - endgültig - entschieden wird, wie im Verwaltungsverfahren richtigerweise hätte entschieden werden müssen mit der Folge, dass erst jetzt die "richtige" Kostenentscheidung getroffen wird und die im gerichtlichen Verfahren unterliegende Partei sämtliche Verfahrenskosten zu tragen hat. D. h. die gerichtliche Kostenentscheidung ersetzt somit - in vollem Umfang - die verwaltungsbehördliche Kostenentscheidung (BVerwG, Urt. v. 29.6.2006, a. a. O.). Dabei kommen - wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt hervorgehoben hat - hinsichtlich des Umfangs der Kostenerstattungspflicht im Rahmen des § 80 Abs. 1 VwVfG und des § 162 Abs. 1 VwGO unterschiedliche Grundsätze zur Anwendung; namentlich ist die Vorschrift des § 162 Abs. 1 VwGO nicht - auch nicht analog - auf die Entscheidung über das Bestehen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 80 Abs. 1 VwVfG anwendbar (std. Rspr. d. BVerwG, BVerwGE 62, 2001 (204 f.); 70, 58 (61 ff.); 77, 268 ff.; Urt. v. 10.6.1981 - 8 C 29.80 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 6). Dabei lassen sich für die Ungleichbehandlung des Widerspruchsführers, der bereits im Vorverfahren Erfolg hat, gegenüber dem Kläger, der erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegt, auch sachliche Gründe anführen, denn die Voraussetzungen für den Erfolg eines Rechtsbehelfs im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren sind nicht deckungsgleich (vgl. hierzu ThürOVG, Beschl. v. 17.11.2004 - 4 KO 97/93 - ThürVBl. 2005, 70 ff. - Juris). Entscheidend ist zudem allein, ob die Ungleichbehandlung willkürlich ist; dies aber lässt sich nicht feststellen (s. hierzu BVerfG, Beschl. v. 29.10.1969 - 1 BvR 65/68 - BVerfGE 27, 175). Hat das Gericht mithin allein auf der Grundlage der bestehenden Regelung in der Verwaltungsgerichtsordnung über den Kostenerstattungsanspruch zu entscheiden, ist ein Rückgriff auf die verfahrensrechtliche Vorschrift des Landes Sachsen-Anhalt weder veranlasst noch erscheint ein solcher zulässig, da in diesem Fall die Vorschrift des § 162 VwGO, die keinen Ausnahmetatbestand vorsieht, durch die Sonderregelung des Landesgesetzgebers eine vom Bundesgesetzgeber nicht normierte Einschränkung erfahren würde. Im Übrigen vermag der Senat auch keine Gesetzeslücke zu entdecken, welche eine analoge Anwendung der landesrechtlichen Regelung - soweit zu-lässig - im Rahmen der gerichtlichen Kostenentscheidung gebieten würde (s. zu den Voraussetzungen einer Analogie im Einzelnen BVerwG, Urt. v. 14.3.1994 - II C 33.72 -, BVerwGE 45, 85 (90)). Aus im Wesentlichen denselben rechtlichen Erwägungen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch in kommunalabgabenrechtlichen Verfahren, in denen nach dem Ladesverwaltungsverfahrensgesetz die Abgabenordnung zur Anwendung gelangt und ein Kostenerstattungsanspruch im Verwaltungsverfahren nicht vorgesehen ist, sich im gerichtlichen Verfahren der Umfang der Erstattungspflicht - ohne Rückgriff auf die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts - allein nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO und damit danach bestimmt, ob das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt (vgl. insoweit zum thüringischen Landesrecht: Thür OVG, Beschl. v. 19. 10.2000 - 4 VOP 117/00 - NVwZ-RR 2001, 487 f. und zum inhaltsgleichen hessischen Landesrecht: HessVGH, Beschl. v. 23.11.2004 - 5 TJ 3282/04 - NVwZ-RR 2005, 581 f. - Juris; vgl. auch Kopp, VwVfG, 9. Aufl. § 80 Rdnr. 3 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall, in dem das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 22. September 2005 unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg den Ausgangsbescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben und zugleich entschieden hat, dass der Beklagte die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt, bestimmt sich somit der Umfang der Erstattungspflicht - ohne Rückgriff auf die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts des Landes Sachsen-Anhalt - allein nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO und damit danach, ob das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat. Dies ist hier der Fall.

Gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es handele sich vorliegend um eine Rechtssache von erheblichem Schwierigkeitsgrad, so dass die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, dass sie zur persönlichen Führung des Widerspruchsverfahrens die erforderlichen Rechtskenntnisse nicht besitze, hat weder der Beklagte Einwände erhoben noch hat der Senat hiergegen etwas zu erinnern.

Soweit der Beklagte hingegen einwendet, die Zuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin habe nicht für notwendig erklärt werden dürfen, weil es der Klägerin zumutbar gewesen sei, anstelle des Bevollmächtigten an ihrem Konzernsitz in B-Stadt einen Rechtsbeistand am Ort der Klinik in Bad S. zu beauftragen, vermag er hiermit im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht durchzudringen. Die Frage nämlich, ob im Falle der notwendigen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts die geltend gemachten Aufwendungen ihrer Höhe nach, d. h. im Umfang der in Rechnung gestellten Gebühren und Auslagen, notwendig waren, richtet sich nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO (vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, a. a. O. § 162 Rdnr. 63) und ist im Kostenfestsetzungsverfahren vom Kostenbeamten zu entscheiden; d. h. diese Frage ist nicht Gegenstand der Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Bei der Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO geht es lediglich um die Frage, ob die im Vorverfahren durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten entstandenen Kosten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Ob und inwieweit Aufwendungen erstattungsfähig sind, ist im Übrigen eine vom Kostenbeamten im Kostenfestsetzungsverfahren zu entscheidende Frage. Dass über die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren entstandenen Kosten nicht durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, sondern durch das Gericht entschieden wird, hat seinen Grund allein darin, dass das Gericht diese Frage besser beurteilen kann (vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 47 GKG in der ab dem 1. Juli 2004 geltenden Fassung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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