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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 03.07.2006
Aktenzeichen: 3 R 120/06
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 43
VwGO § 47
Ein von Antragstellern bzw. Klägern geltend gemachter Gleichheitsverstoß infolge eines Unterlassens des Normgebers kann grundsätzlich (nur) im Wege einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 R 120/06

Datum: 03.07.2006

Gründe:

Die Anträge der Antragsteller, welche den gleichen Gegenstand betreffen und daher gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden können, haben keinen Erfolg.

Die darauf gerichteten Anträge, die Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen der Sekundarstufe I an Freien Waldorfschulen (WaldorfVO) vom 22. Juli 2005 (GVBl. LSA S. 381) bis zur Entscheidung über den jeweiligen Normenkontrollantrag im Hauptsachverfahren (3 K 120/06 u. a.) außer Vollzug zu setzen, sind mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.

Einstweiliger Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung wird im Normenkontrollverfahren gem. § 47 Abs. 6 VwGO auf Antrag gewährt, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen Gründen dringend geboten ist. Dabei sind an den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Normenkontrollverfahren entsprechend § 32 BVerfGG hohe Anforderungen zu stellen. Wegen der weit reichenden Folgen, die die Aussetzung des Vollzugs einer Rechtsnorm für eine unbestimmte Anzahl von Personen und Behörden hat, ist an die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei ist zu beachten, dass der in § 47 Abs. 6 VwGO verwendete Begriff des "schweren Nachteils" enger ist als der Begriff "wesentliche Nachteile" in § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO. Schon der abweichende Wortlaut der Norm verlangt die Anwendung eines strengeren Maßstabs als im Anwendungsbereich von § 123 VwGO. In Anlehnung an § 32 BVerfGG ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung, da er zumindest teilweise die begehrte Entscheidung in der Hauptsache vorweg nimmt, daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn Rechte oder rechtlich geschützte Interessen des Antragstellers in ganz besonderem Maße beeinträchtigt oder den Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden. Die für den Erlass sprechenden Gründe müssen so schwer wiegen, dass die einstweilige Anordnung gleichsam unabweisbar erscheint. Diejenigen Nachteile, die sich regelmäßig aus dem Vollzug der angefochtenen Rechtsnorm ergeben, falls sich der Normenkontrollantrag in der Hauptsache als begründet erweist, müssen dabei außer Betracht bleiben (vgl. Verfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 24.07.2001 - LVG 10/01 -; OVG Greifwald, Beschl. v. 23.02.2006 - 4 M 136/05 -, juris; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 47 Rn. 148).

Der Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt weiter für seine Zulässigkeit - wie der Normenkontrollantrag - das Vorliegen eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses voraus. Darunter ist das normativ anerkannte Interesse des Antragstellers zu verstehen, zur Erreichung seines (Rechtsschutz-)Zieles ein Gericht in Anspruch zu nehmen. Erweist sich die Inanspruchnahme des Gerichts als nutzlos, weil der Antragsteller seine Rechtsstellung bei einem Erfolg seines Antrages nicht verbessern kann, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.1999 - 4 CN 5.99 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 134).

Die Antragsteller begehren zwar nach dem ausdrücklich formulierten Sachantrag im Schriftsatz vom 21. Juni 2006 die vorläufige Suspendierung des Vollzuges der Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen der Sekundarstufe I an Freien Waldorfschulen (WaldorfVO) vom 22. Juli 2005 (GVBl. LSA S. 381). Der Senat ist gemäß § 88 VwGO aber nicht an die Fassung der Anträge gebunden, er hat vielmehr das im Sachantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.04.2003 - 3 B 141.02. - m. w. N., juris).

Bei der insoweit vorzunehmenden Gesamtschau des Vorbringens der Antragsteller ist ihr Rechtsschutzziel tatsächlich nicht auf die im Wege eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO nur zu erreichende Kassation der Verordnung vom 22. Juli 2005 bzw. (hilfsweise) Feststellung der Unwirksamkeit derselben gerichtet. Die Antragsteller sehen nämlich einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darin, dass die aus ihrer Sicht günstige Übergangsvorschrift in § 31 Abs. 2 der Verordnung über die Abschlüsse in der Sekundarstufe I vom 20. Juli 2004 (GVBl. LSA S. 476), welche nur für die Schüler an staatlichen Schulen und staatlich anerkannten Ersatzschulen i. S. d. § 17 Abs. 1 SG LSA gilt, nicht in die nur für die Schüler an den staatlich genehmigten Freien Waldorfschulen geltende streitgegenständliche Verordnung vom 22. Juli 2005 aufgenommen worden ist. Die Antragsteller sehen daher die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nicht primär durch die Rechtsverordnung bzw. deren Vollzug selbst, welcher durch eine Kassation nach § 47 Abs. 5 VwGO bzw. eine vorläufige Außervollzugssetzung nach § 47 Abs. 6 VwGO begegnet werden könnte, sondern darin, dass es der streitgegenständlichen Rechtsverordnung an einer - aus ihrer Sicht gebotenen - spezifischen Übergangsregelung fehlt. Im Übrigen wollen die Antragsteller die Rechtsverordnung gerade nicht infrage stellen, denn sie wirkt sich für sie nicht nur belastend aus, sondern enthält insofern auch begünstigende Regelungen, als die in der Verordnung näher bezeichneten Abschlüsse an den staatlich genehmigten Freien Waldorfschulen mit Abschlüssen an staatlichen Schulen bzw. anerkannten Ersatzschulen gleichgestellt werden. Es ist der Antragsbegründung ferner nicht zu entnehmen, dass das Begehren der Antragsteller tatsächlich darauf gerichtet ist, (vorläufig) die Vorgängerregelung der hier streitigen Verordnung, nämlich die Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen des Sekundarbereichs I an Freien Waldorfschulen (WaldorfVO) vom 24. Februar 1997 (GVBl. LSA S. 424), welche gemäß § 20 Satz 2 WaldorfVO vom 22. Juli 2005 außer Kraft getreten ist, wieder in Vollzug zu setzen. Die Antragsteller legen nicht dar, dass durch die Anwendbarkeit der zeitlich vorgehenden Regelung der durch die Anwendung der Verordnung vom 22. Juli 2005 aus ihrer Sicht gegebene Nachteil nicht mehr bestehen würde.

Das Begehren der Antragsteller ist daher nicht auf eine Kassation der WaldorfVO vom 22. Juli 2005, sondern vielmehr auf Normerlass bzw. Normergänzung gerichtet, welche indes nicht im Wege eines Normenkontrollantrages nach § 47 VwGO begehrt werden kann. Insofern fehlt auch für den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Selbst wenn nämlich im vorliegenden Fall durch das von den Antragstellern geltend gemachte Unterlassen des Verordnungsgebers eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Schülern an den staatlichen Schulen bzw. den Schülern an den staatlich anerkannten Ersatzschulen vorliegen würde, bliebe es zunächst regelmäßig dem Ermessen des Normgebers überlassen, wie die aus der Verfassungswidrigkeit resultierende Lücke zu schließen wäre. Kann der Normgeber zwischen mehreren denkbaren und verfassungsrechtlich gleichermaßen zulässigen Lösungen wählen, griffe eine Ausdehnung der begünstigenden Regelung in die dem Verordnungsgeber vorbehaltene Gestaltungsfreiheit ein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.01.2006 - 1 BvR 541/02 u. a., veröffentlicht im Internet unter www.bundesverfassungsgericht.de).

Während das Bundesverfassungsgericht bei Gleichheitsverstößen die Möglichkeit hat, den Normgeber durch eine mit der Unvereinbarkeitserklärung verbundene Anordnung einer Neuregelung zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung zu zwingen, ist dies den Verwaltungsgerichten im Rahmen einer Verpflichtungsklage bzw. eines nur auf Kassation gerichteten Normenkontrollantrages nach § 47 VwGO nicht möglich.

Nach der auch vom Senat zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts kann der von den Antragstellern geltend gemachte Gleichheitsverstoß infolge eines Unterlassens des Normgebers vielmehr (nur) im Wege einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden. Diese Überprüfung der Rechtmäßigkeit untergesetzlicher Rechtssätze im Wege der Feststellungsklage rechtfertigt sich im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG daraus, dass Streitgegenstand die Anwendung der Rechtsnorm auf einen bestimmten Sachverhalt ist, so dass die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Norm lediglich als - wenn auch streitentscheidende - Vorfrage aufgeworfen wird (vgl. BVerfG, a. a. O.). Es handelt sich bei einer solchen, auf Feststellung einer Rechtsverletzung gerichteten Klage gegen den Normgeber nicht um eine Umgehung der in § 47 VwGO nur für Landesrechtsverordnungen vorgesehenen prinzipalen Normenkontrolle, denn § 47 VwGO entfaltet gegenüber der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung im Wege der Feststellungsklage keine Sperrwirkung (vgl. BVerfG, a. a. O.). Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes kann nicht entnommen werden, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.12.1982 - 5 C 103.81 -, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 78). Auf dieser Grundlage kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegenüber dem Normgeber grundsätzlich auch die Feststellung begehrt werden, dass das Recht der Antragsteller auf Gleichbehandlung den Erlass oder die Änderung einer Rechtsverordnung gebiete (vgl. BVerwG, Urteil v. 04.07.2002 - 2 C 13.01 -, NVwZ 2002, 1505 m. w. N).

Eine Umdeutung des aus den vorgenannten Gründen nicht statthaften Antrages nach § 47 Abs. 6 VwGO in einen Antrag nach § 123 VwGO kommt schon wegen der fehlenden instanziellen Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichtes für ein solches Begehren, aber auch aufgrund des Umstandes, dass die Antragsteller auch nach einem telefonisch erfolgten Hinweis des Berichterstatters auf die o. g. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2006 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2002 an dem schriftsätzlich formulierten Antrag festgehalten haben, nicht in Betracht.

Die Höhe des Streitwertes folgt aus den §§ 52 Abs. 2, 39 Abs. 1 GKG. Danach ist der Auffangstreitwert anzunehmen, wenn der bisherige Sach- und Streitstand - wie hier - keine genügenden Anhaltspunkte dafür bietet, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag des jeweiligen Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Da es sich bei den Antragstellern, die sich gegen denselben Rechtsakt wenden, nicht um eine Rechtsgemeinschaft handelt, sind die Werte der einzelnen Anträge gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2004, Ziffer II., 1.1.3, NVwZ 2004, 1327). Eine Reduzierung des Streitwertes im Hinblick auf den Charakter des Verfahrens als vorläufiges Rechtsschutzverfahren kommt nicht in Betracht, da faktisch eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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