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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 28.08.2009
Aktenzeichen: 4 L 192/07
Rechtsgebiete: KAG LSA


Vorschriften:

KAG LSA § 5 Abs. 1 S. 1
KAG LSA § 5 Abs. 3 S. 5
Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten und im Interesse einer praktikablen Handhabung gehört zum Begriffsmerkmal "Wohnung" im Abwassergrundgebührenrecht, dass sie gegen andere Wohnungen und Wohnräume in sich abgeschlossen ist und einen selbständigen Zugang aufweist.
Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Nacherhebung von Trink- und Abwassergrundgebühren für die Jahre 2001 bis 2004.

Sie sind Eigentümer eines Grundstücks, das sowohl an die zentrale Trink- als auch an die zentrale Schmutzwasseranlage des Beklagten angeschlossen ist und diese in den Jahren 2001 bis 2004 auch in Anspruch genommen hat. Hierfür brachte der Beklagte gemäß § 3 Abs. 1 und 2 seiner Wasser- bzw. Abwassergebührensatzung zunächst Grundgebühren für eine Grundeinheit (Wohnung) in Ansatz. Am 15. Juni 2005 stellte der Beklagte fest, dass sich im Dachgeschoss des sich auf dem klägerischen Grundstück befindlichen Gebäudes Wohn- und Schlafräume nebst Kochnische und Bad befinden und von einer Hauswasseranlage Schmutzwasser in die zentrale Schmutzwasseranlage des Beklagten eingeleitet wird. Die Räume im Dachgeschoss sind räumlich nicht von den Räumen in der unteren Etage und dem von den Klägern im Dachgeschoss genutzten Raum abgeschlossen. Mit Bescheid vom 16. Dezember 2005 erhob der Beklagte daraufhin für die Abrechnungsjahre 2001 bis 2004 u. a. Grundgebühren für eine weitere Grundeinheit in Höhe von insgesamt 608,20 Euro nach. Hiergegen erhoben die Kläger am 2. Januar 2006 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2006 zurückwies.

Am 20. Oktober 2006 haben die Kläger Klage bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Räumlichkeiten im Dachgeschoss seien an nahe Verwandte untervermietet und stellten keine abgeschlossene Wohnung dar. Sie verfügten auch über keinen eigenen Eingang. Auf dem Grundstück befänden sich lediglich ein Hausanschluss und ein Wasserzähler.

Die Kläger haben beantragt,

die im Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2006 festgesetzten Grundgebühren aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 9. Mai 2007 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe den Grundgebührenfestsetzungen zu Recht zwei Grundeinheiten zu Grunde gelegt, weil es sich - neben der unstreitig vorhandenen Wohnung im Erdgeschoss - bei den im Dachgeschoss des klägerischen Grundstücks befindlichen Räumlichkeiten um eine Wohnung im Sinne der §§ 50, 52 Abs. 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt in der bis zum 14. März 2006 geltenden Fassung - BauO LSA a. F. - handele; insbesondere spiele die fehlende Abgeschlossenheit dieser Wohnung gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA a. F. im Gegensatz zu steuerrechtlichen Bewertungen für die Bemessung des Umfanges der Inanspruchnahme der Vorhalteleistungen einer öffentlichen Einrichtung keine entscheidende Rolle. Ebenso sei unerheblich, wie viele Hausanschlüsse und Wasserzähler sich auf dem Grundstück befänden; denn der Satzungsgeber habe sich in der Satzung nicht dafür entschieden, den Umfang der jeweiligen Vorhalteleistung nach der Anzahl der Hausanschlüsse oder Wasserzähler, sondern nach der Anzahl der Grundeinheiten zu bemessen.

Auf den Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 23. Februar 2009 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger im Wesentlichen vor, zur Auslegung des Begriffs der Wohnung sei die Definition des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt heranzuziehen. Dieses definiere den Begriff "Wohnung" als eine Summe der Räume, die die Führung eines Haushalts ermöglichten, darunter stets eine Küche bzw. ein Raum mit Kochgelegenheit. Eine Wohnung habe stets einen eigenen abschließbaren Zugang unmittelbar vom Freien, einem Treppenhaus oder einem Vorraum, ferner Wasserversorgung, Ausguss und Toilette, die auch außerhalb des Wohnungsabschlusses liegen könnten. Aus diesem Grund und aufgrund der finanzrechtlichen Rechtsprechung zum Wohnungsbegriff sowie der Regelung in § 7 des Wohnungseigentumsgesetzes bedarf es daher einer Abgeschlossenheit, um vom Vorliegen einer Wohnung ausgehen zu können. Diese sei hier jedoch nicht gegeben.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Gebührenbescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2006 hinsichtlich der nacherhobenen Grundgebühren aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt im Wesentlichen aus, er habe der Grundgebührennacherhebung zu Recht zwei Grundeinheiten zugrunde gelegt, weil die Grundgebühr für die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung, unabhängig vom Verbrauch, erhoben werde. Der Maßstab der Wohneinheit sei insoweit ein geeigneter Maßstab für die Berechnung der Grundgebühren. Entscheidend für das Vorhandensein eines Haushalts, also einer Wohnung, und für die Inanspruchnahme der Vorhalteleistung sei das Vorhandensein von Küche und Waschraum/Toilette. Auf die Abgeschlossenheit der Wohnung komme es dagegen überhaupt nicht an. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen; diese waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

II.

Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden dazu angehört (§ 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die Berufung der Kläger hat Erfolg; denn der angefochtene Gebührenbescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2006 ist rechtswidrig, soweit der Beklagte Grundgebühren in Höhe von insgesamt 608,20 Euro für die im Dachgeschoss des klägerischen Wohnhauses befindlichen Räumlichkeiten nacherhoben hat, und verletzt insoweit die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Erhebung von Grundgebühren ist § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 5 des Kommunalabgabengesetzes - KAG LSA - i. V. m. § 3 der Satzung des Beklagten über die Erhebung von Gebühren für die öffentliche Wasserversorgung - Wassergebührensatzung - bzw. § 3 Abs. 9 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentralen Abwasserentsorgungsanlagen - Abwassergebührensatzung - in den jeweils geltenden Fassungen. Danach erfolgt die Berechnung der Grundgebühr auf der Grundlage von Grundeinheiten, wobei im Wohnhausbereich - wie hier - je Wohnung eine Grundeinheit zugrunde zu legen ist.

Dieser von dem Beklagten gewählte Maßstab ist grundsätzlich ein geeigneter Maßstab für die Berechnung der Grundgebühren.

Der Erhebung der nach § 5 Abs. 3 Satz 5 KAG LSA zulässigen Grundgebühr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es bei der Unterhaltung einer öffentlichen Einrichtung Betriebskosten gibt, die generell anfallen und deren Höhe vom Verbrauchsverhalten der einzelnen Nutzer der öffentlichen Einrichtung unabhängig ist (sog. Fixkosten oder Vorhaltekosten) und solche, deren Höhe unmittelbar von der jeweiligen Benutzung abhängt (sog. variable Kosten). Von diesem Verständnis her wird allgemein als Grundgebühr eine Benutzungsgebühr bezeichnet, die für die Inanspruchnahme der Liefer- und Betriebsbereitschaft einer öffentlichen Einrichtung erhoben wird. Mit ihr werden die durch das Bereitstellen und ständige Vorhalten der Einrichtung entstehenden verbrauchsunabhängigen Betriebskosten ganz oder teilweise abgegolten, und sie wird deshalb nicht - verbrauchsabhängig - nach dem Maß der Inanspruchnahme, sondern - verbrauchsunabhängig - nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab bemessen, der sich an Art und Umfang der aus der Lieferbereitschaft folgenden abrufbaren Arbeitsleistung als Anhalt für die vorzuhaltende Höchstlastkapazität zu orientieren hat (vgl. OVG LSA, Urt.: v. 08.04.2008 - 4 L 181/07 - und Urt. v. 06.03.2007 - 4 L 321/06 -, beide zit. nach juris; BVerwG, Urt. v. 01.08.1986 - BVerwG 8 C 112.84 -, KStZ 1987, 11).

Unter Beachtung dieser Vorgaben ist die Wahl eines Grundgebührenmaßstabs, der - wie hier - an die "Wohnung" als "Grundeinheit" anknüpft, nicht zu beanstanden; denn die Bemessung nach Wohnungen ist von der zulässigen Erwägung getragen, dass das mögliche Maß der Inanspruchnahme der Einrichtung mit der Zahl der Wohnungen steigt (vgl. schon OVG LSA, Urt. v. 30.01.2003 - 1 L 362/01 -, zit. nach JURIS).

Dabei versteht der beschließende Senat unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Grundsätzlich erfordert die Annahme einer Wohnung danach das Vorhandensein der notwendigen Nebenräume, wie Küche, Toilette und eine besondere Waschgelegenheit (vgl. BFH, Urt. v. 15.03.1974 - III R 11/73 -, zit. nach JURIS). Anders als das Verwaltungsgericht und der Beklagte ist der Senat darüber hinaus der Auffassung, dass zum Begriffsmerkmal "Wohnung" (vgl. dazu auch die Definition des Statistischen Landesamtes unter: www.statistik.sachsen-anhalt.de/Definitionen/W/Wohnung.html) zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten und im Interesse einer praktikablen Handhabung gehört, dass sie gegen andere Wohnungen und Wohnräume in sich abgeschlossen ist und einen selbständigen Zugang aufweist (BFH, Urt. v. 26.09.2007 - II R 74/05 -, zit. nach JURIS; OVG LSA, Urt. v. 30.01.2003, a. a. O.; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 24.08.2001 - 2 M 65/01 -, zit. nach JURIS). Die Ausnahmevorschrift des § 50 Abs. 1 Satz 2 BauO LSA, auf die sich die Auffassung der Vorinstanz maßgeblich stützt, findet schon deswegen keine Anwendung, weil diese von bauordnungsrechtlichen Erwägungen (Gefahrenabwehr; Brandschutz, Schutz vor unzumutbaren Belästigungen) geprägt ist, die auf das Grundgebührenrecht nicht ohne Weiteres übertragbar sind.

Da die Räumlichkeiten im Dachgeschoss der klägerischen Wohnung unstreitig nicht räumlich abgeschlossen von den Räumen in der unteren Etage und dem von den Klägern im Dachgeschoss genutzten Raum sind, konnte der Beklagte für diese Räume auf der Grundlage seines Satzungsrechts keine Grundgebühren nacherheben mit der Folge, dass der streitgegenständliche Gebührenbescheid insoweit aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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