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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 27.01.2009
Aktenzeichen: 4 L 238/08
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 6
GG Art. 6 Abs. 1
Eine auf dem Satzungsmuster des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt (MBl. LSA 2006, 661 f.) beruhende Ausnahmeregelung in einer Zweitwohnungssteuersatzung zu einer aus beruflichen Gründen gehaltenen Wohnung, mit der ein Verstoß der Satzung gegen Art. 6 Abs. 1 GG verhindert werden soll, erfasst nach ihrem Regelungsgehalt nicht auch Wohnungen, die zu Ausbildungszwecken unterhalten werden. Vielmehr muss dann die Ausübung eines Berufs der Anlass sein, die Zweitwohnung innezuhaben.
Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

1. An der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen die von der Beklagten geltend gemachten ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.

a) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine Verletzung subjektiver Rechte i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO schon deshalb ausgeschlossen sei, weil vorliegend eine ledige Person gegen die Zweitwohnungssteuererhebung geklagt habe, die sich nicht auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen könne. Das Verwaltungsgericht hat zum einen angenommen, dass die gewählte Definition des Steuerpflichtigen in § 2 Abs. 1 der Zweitwohnungssteuersatzung der Beklagten vom 29. März 2006 - ZwWStS - zumindest teilweise gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoße, weil dadurch Verheiratete oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft Lebende, die zu Ausbildungszwecken eine vom ehelichen Wohnsitz in einer anderen Gemeinde abweichende weitere Wohnung im Gebiet der Beklagten unterhielten, von der Zweitwohnungssteuerpflicht erfasst seien. Die Erwägungen in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 2005 (- 1 BvR 1232/00 - u.a., NJW 2005, 3556 ff.) zu aus beruflichen Gründen gehaltenen (Zweit)Wohnungen seien übertragbar. Zum anderen würde dieser Verfassungsverstoß nicht zu einer Teilnichtigkeit, sondern zu einer vollständigen Nichtigkeit des § 2 Abs. 1 ZwWStS führen. Die Beklagte hat insoweit lediglich geltend gemacht, entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts sei die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS einschlägig. Damit sind die vorgenannten Feststellungen des Verwaltungsgerichts unabhängig von möglicherweise bestehenden Zweifeln an ihrer Richtigkeit (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26. November 2007 - 1 L 280/05 -; VG Augsburg, Urt. v. 25. Juli 2007 - Au 6 K 06.1105 -; VG Ansbach, Urt. v. 24. Januar 2007 - AN 11 K 06.03749 -; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12. Juni 2006 - 14 E 1045/05 -; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 21. Mai 2008 - 2 LB 50/07 -; VG Aachen, Urt. v. 23. Oktober 2006 - 4 K 339/04 - jeweils zit. nach JURIS) der weiteren rechtlichen Prüfung im Berufungszulassungsverfahren zugrunde zu legen. Geht man aber davon aus, dass § 2 Abs. 1 ZwWStS insgesamt nichtig ist, besteht für die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer keine rechtliche Grundlage, weil es an einem nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA zwingend notwendigen Bestandteil der Satzung fehlt. Darin läge dann die Verletzung subjektiver Rechte nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sodass es nicht darauf ankäme, ob die herangezogene Person selbst verheiratet ist.

b) Die Auslegung des § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden. Nach dieser Ausnahmeregelung ist keine Zweitwohnung im Sinne der ZwWStS eine aus beruflichen Gründen gehaltene Wohnung eines nicht dauernd getrennt lebenden Verheirateten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft führenden Einwohners, dessen eheliche Wohnung oder eingetragene lebenspartnerschaftliche Wohnung sich in einer anderen Gemeinde befindet. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten erfasst § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS, der auf einem Satzungsmuster des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt beruht (Runderlass v. 18. Oktober 2006 in MBl. LSA 2006, 661 f.), nach seinem Regelungsgehalt nicht auch Wohnungen, die zu Ausbildungszwecken unterhalten werden. Berufliche Gründe i.S.d. § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS sind solche Gründe, bei denen der Beruf unmittelbare Ursache für das Halten einer weiteren Wohnung ist. Da aber unter Beruf nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit zu verstehen ist, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient (BVerfG, Beschl. v. 17. Oktober 2007 - 2 BvR 1095/05 -, zit. nach JURIS m.w.N.), folgt daraus, dass die Ausübung eines Berufs der Anlass sein muss, die Zweitwohnung innezuhaben (vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 21. Mai 2008, a.a.O.; VG Gießen, Urt. v. 26. Februar 2008 - 8 E 493/07 -, zit. nach JURIS). Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass nicht nur in Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch in anderen Normen Beruf und Ausbildung unterschiedlich geregelt und nicht zusammengefasst werden (vgl. z.B. § 60 Abs. 1 Satz 2 Infektionsschutzgesetz; § 9b Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 4 Aufenthaltsgesetz). Dementsprechend wird entgegen der Auffassung der Beklagten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Ausbildung, selbst die berufliche Ausbildung, nicht zum Beruf gezählt. Im Übrigen unterscheidet man im Zweitwohnungssteuerrecht seit der ersten Prüfung einer Zweitwohnungssteuersatzung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 6. Dezember 1983 - 2 BvR 1275/79 -, BVerfGE 65, 325 ff.) hinsichtlich der Art der Nutzung einer Zweitwohnung zwischen beruflichen Gründen und Ausbildungszwecken (vgl. zuletzt BVerwG, Urt. v. 12. April 2000 - 11 C 12/99 -, zit. nach JURIS). Eine weitergehende Auslegung des Begriffes "berufliche Gründe", die auch Ausbildungszwecke miteinschließt, lässt daher schon der Wortlaut des § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS nicht zu.

Die von der Beklagten dagegen erhobenen Einwendungen sind nicht durchgreifend. Selbst wenn man mit der Beklagten trotz des eindeutigen Wortlautes der Regelung zusätzlich noch auf ihren Sinn und Zweck abstellen würde, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Vielmehr knüpft die Regelung des § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS unstreitig an die oben zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 2005 an, in der ausdrücklich auf die Innehabung von Erwerbszweitwohnungen abgestellt worden ist und ausgeführt wird, dass es keiner Entscheidung bedürfe, ob Art. 6 Abs. 1 GG auch in anderen Fallkonstellationen der Zweitwohnungssteuererhebung verletzt sein könne. § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS sollte daher auch nach seinem Sinn und Zweck allein solche Erwerbszweitwohnungen erfassen.

Soweit sich die Beklagte auf eine verfassungskonforme Auslegung der Satzung unter Berücksichtigung des objektivierten Willens des Satzungsgebers stützt, steht dem schon entgegen, dass der von der Beklagten unterstellte Wille des Satzungsgebers, zu Ausbildungszwecken gehaltene Wohnungen ebenfalls von der Zweitwohnungssteuerpflicht auszuschließen, in der ZwWStS, insbesondere deren § 1 Abs. 5 Buchst. c, gerade keinen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat.

Schließlich kommt es für die Auslegung der ZwWStS - einer Rechtsnorm - auch nicht darauf an, wie die Beklagte selbst die Satzung anwendet.

Ob eine analoge Anwendung (vgl. dazu grundsätzlich BVerwG, Beschl. v. 11. September 2008 - 2 B 43.08 -, zit. nach JURIS m.w.N.) des § 1 Abs. 5 Buchst. c ZwWStS auf zu Ausbildungszwecken gehaltene Wohnungen möglich ist, bedarf schon deshalb keiner Entscheidung, weil die Beklagte in der Berufungszulassungsbegründung dazu nichts vorgetragen hat.

2. Die § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO unterfallende Rüge der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil es eine Satzungsregelung überprüft habe, die für den konkreten Sachverhalt gar nicht Prüfgegenstand gewesen sei, geht von vornherein ins Leere. Die Prüfung von Regelungen der vom Gericht herangezogenen Satzung, die Grundlage der Steuererhebung ist, dürfte schon nicht zur Erforschung des Sachverhalts i.S.d. § 86 Abs. 1 VwGO zu zählen sein. Jedenfalls aber ist ein Gericht verfahrensrechtlich keinesfalls an einer solchen Prüfung gehindert. Auch die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur "ungefragten" gerichtlichen Fehlersuche steht dem nicht entgegen, weil dadurch die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht in Frage gestellt wird (so BVerwG, Beschl. v. 4. Oktober 2006 - 4 BN 26.06 -, zit. nach JURIS).

3. Soweit die Beklagte hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den sonstigen Regelungen der ZwWStS eine Zulassung der Berufung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) beantragt, führt dies zu keiner Zulassung der Berufung. Da einer der tragenden Gründe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts - die Nichtigkeit des § 2 Abs. 1 ZwWStS wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG - nicht hinreichend mit Zulassungsgründen angegriffen worden ist, sind die Angriffe gegen sonstige tragende Gründe unerheblich.

Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Definition der Wohnung im Sinne der ZwWStS in § 1 Abs. 4 ZwWStS (jede Gesamtheit von Räumen, die zum Wohnen und Schlafen benutzt wird) auch auf Erstwohnungen Anwendung finde und ein Kinderzimmer in einer elterlichen Wohnung daher keine Wohnung im Sinne der ZwWStS darstelle (vgl. dazu auch OVG Sachsen, Beschl. v. 28. Januar 2008 - 5 B 537/07 -, zit. nach JURIS), ist daher nicht Gegenstand der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht gewesen. Entsprechendes gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 ZwWStS der Steuerpflichtige nicht nur die Zweitwohnung, sondern auch die Erstwohnung innehaben müsse (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 17. September 2008 - 9 C 14.07 -, zit. nach JURIS).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG und orientiert sich an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 562 ff.) II. Nr. 3.1.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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