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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 21.04.2009
Aktenzeichen: 4 L 360/06
Rechtsgebiete: LSA-GO


Vorschriften:

LSA-GO § 22 Abs. 1
Ob der Abwasserbeseitigungspflichtige bei der Planung und Herstellung der Kanalisation in jeder Hinsicht die zweckmäßigste und kostengünstigste Lösung gewählt hat, steht nicht zur Entscheidung des Gerichts. Ihm kommt ein regelmäßig als Planungsermessen bezeichneter Gestaltungsspielraum zu, der seine Grenze erst im Willkürverbot findet. Grundsätzlich liegt es daher auch im Gestaltungsermessen der Gemeinde, für welches technische System sie sich bei der Abwasserbeseitigung entscheidet; sie ist insbesondere nicht verpflichtet, ein System durchgängig für alle Gemeindeteile zu wählen.
Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine in der Entwässerungsgenehmigung erteilte Auflage.

Sie ist Eigentümerin des Grundstücks C-Straße in A-Stadt. Nach dem Abzweig der F-Straße von der K-Straße verläuft diese in nordöstlicher Richtung in einer Länge von ca. 300 m und knickt sodann in südöstliche Richtung ab. Das Grundstück der Klägerin liegt etwa 120 m von dem "Abknick" entfernt und bildet das letzte bebaute Grundstück in diesem Bereich. Zwischen dem "Abknick" der F-Straße und dem Grundstück der Klägerin befindet sich eine Gaststätte und nachfolgend die Anlage eines Hundevereins. Die F-Straße selbst ist an ihrer südlichen Seite in aufgelockerter Bebauung mit Wohnhäusern bebaut, die - ebenso wie die Grundstücke in der K-Straße - im Freigefälle entwässert werden. Für das Grundstück der Klägerin beabsichtigt der Beklagte die Entwässerung im Drucksystem.

Auf den Antrag der Klägerin erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2004 eine Entwässerungsgenehmigung mit der Auflage, dass die Einleitung des anfallenden Schmutzwassers in die zentrale öffentliche Abwasseranlage des Beklagten über eine Hebeanlage erfolgen müsse. Gegen diese Auflage legte die Klägerin mit Schreiben vom 23. November 2004 Widerspruch mit der Begründung ein, die Planungsentscheidung sei unzweckmäßig, unverhältnismäßig und nicht nachvollziehbar, weil eine Freigefälleerschließung technisch ohne Weiteres möglich sei. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2005 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, der Herstellungs- und Unterhaltungsaufwand bei einer Freigefälleerschließung sei wesentlich höher als bei der Druckentwässerung.

Die Klägerin hat am 15. April 2005 Klage bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben und beantragt,

die Entwässerungsgenehmigung des Beklagten vom 22. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. März 2005 insoweit aufzuheben, als die Genehmigung mit der Auflage versehen worden ist, dass die Einleitung des anfallenden Schmutzwassers in die zentrale öffentliche Abwasseranlage des Beklagten über eine Hebeanlage erfolgen muss.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat der Klage mit Urteil vom 3. August 2006 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Auflage nicht erforderlich gewesen sei. Da die Art und Weise der Herstellung der öffentlichen Schmutzwassereinrichtung unmittelbare Folgen für einen Grundstückeigentümer habe, müsse sie - auch unter Berücksichtigung des dem Beklagten insoweit grundsätzlich zuzubilligenden weiten Organisationsermessens - auf sachlichen Erwägungen beruhen, um sich nicht als unverhältnismäßig darzustellen.

Habe sich, wie vorliegend, ein zur Beseitigung des Abwassers verpflichteter Einrichtungsträger grundsätzlich dazu entschlossen, Grundstücke, die im Freigefälle entsorgt werden können, auch durch eine Freigefälleleitung zu erschließen, so habe er die getroffene Systementscheidung für diese Grundstücke auch gleichsam umzusetzen. Er könne sich insoweit weder darauf berufen, dass die Herstellung eines Drucksystems im Einzelfall für ihn Kostenvorteile mit sich brächte, noch, dass auch in anderen Fällen von dieser Grundsatzentscheidung abgewichen worden sei. Zwar könne sich aus der Lage eines Grundstücks (Situationsgebundenheit) ein Grund ergeben, von dem gewählten Freigefällesystem für die so erschließbaren Grundstücke abzuweichen. Ausnahmen könnten auch dann gerechtfertigt sein, wenn die Erschließung mit erheblichen Kosten verbunden sei. Der von dem Beklagten dargelegte Kostenvorteil in Höhe von 100,00 Euro/lfd. Meter rechtfertige indes weder vor dem Hintergrund der Lage des Grundstücks der Klägerin noch der übrigen Verhältnisse im Verbandsgebiet eine Abweichung von der getroffenen Entwässerungssystementscheidung.

Auf Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 17. Dezember 2008 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.

Zur Begründung der Berufung macht der Beklagte geltend: Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts habe er eine wie auch immer ausgestaltete Entwässerungssystementscheidung für die zentrale Abwasserbeseitigung zu keinem Zeitpunkt getroffen. Die Abwasserbeseitigungssatzung lasse vielmehr ausdrücklich offen, mit welchem System die zentrale Abwasserbeseitigung im Einzelfall erfüllt werde. Er habe sich aus wirtschaftlichen Gründen dafür entschieden, das klägerische Grundstück mittels Druckentwässerung zu entsorgen, da der Bau eines Freigefällekanals höhere Kosten verursachte als die Verlegung einer Druckentwässerungsleitung. Diese Entscheidung sei auch sachgerecht, da andere anzuschließende Grundstücke nicht vorhanden seien - die weitere vorhandene Bebauung weise keinen Anschlussbedarf auf - und das Grundstück an Waldflächen angrenze, so dass eine Inanspruchnahme des möglichen Freigefällekanals durch mehrere Grundstücke im vorliegenden Fall nicht gegeben sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 3. August 2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert: Entgegen der Ansicht des Beklagten beruhe die Entscheidung zu Gunsten des Drucksystems nicht auf sachlich nachvollziehbaren Erwägungen. Technische Gründe habe der Beklagte bisher nicht anführen können, weil ihr Grundstück auch im Freigefällesystem entwässert werden könne. Ein fiskalisches Interesse an einer möglichst wirtschaftlichen Lösung, welche aber nicht außer Verhältnis zu den Belastungen stehen dürfe, die ihr durch die Entscheidung zu Gunsten des Drucksystems auferlegt würden (6.000,00 Euro), habe der Beklagte nicht dargelegt. Eine für den Beklagten lediglich geringfügige Kostenersparnis könne es jedenfalls nicht rechtfertigen, ihr ohne zusätzliche technische Gründe ein System aufzudrängen, was nicht nur zu weit höheren Investitionskosten (Pumpe), sondern auch zu laufenden Betriebskosten (Strom) zwinge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben; denn die streitbefangene Auflage des Beklagten in dem Bescheid vom 22. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die der Klägerin erteilte Auflage findet ihre Rechtsgrundlage in § 36 Abs. 1 VwVfG LSA. Danach darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Der Anspruch der Klägerin auf Einleitung von Schmutzwasser in die öffentliche Abwasseranlage des Beklagten ergibt sich aus § 22 Abs. 1 GO LSA i.V.m. § 6 Abs. 1 der Satzung über die Abwasserbeseitigung und den Anschluss an eine öffentliche Abwasserbeseitigungsanlage des Beklagten (Abwasserbeseitigungssatzung) vom 20. September 2004 - ABS -. Danach ist die Klägerin berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen des Beklagten, wozu nach § 1 Abs. 1 Ziff. 1 ABS auch die Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung im Gebiet der Stadt A-Stadt gehört, zu benutzen. Nähere Einzelheiten der Benutzung regeln die §§ 6 ff. ABS. Danach ist die öffentliche Einrichtung i.S.v. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 ABS so zu benutzen, wie es der Zweck der Einrichtung erfordert. Dazu gehört u. a., dass bei einer Entwässerung im Drucksystem entsprechende Einrichtungen auf dem Grundstück vorgehalten werden (vgl. § 9 Abs. 1 ABS).

Wie das Verwaltungsgericht im Übrigen zu Recht ausgeführt hat, ist die geforderte Hebeanlage nicht bereits Bestandteil der öffentlichen Einrichtung des Beklagten, denn die öffentliche Einrichtung für die Schmutzwasserbeseitigung im Drucksystem endet, wie sich aus § 2 Abs. 4 ABS ergibt, an der Grenze des zu entwässernden Grundstücks. Da im Falle der Druckentwässerung der Grundstücksanschluss lediglich aus einer Druckleitung besteht (vgl. § 9 Abs. 1 ABS), kann die Hebestelle nur Bestandteil der Grundstückentwässerungsanlage sein.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die streitgegenständliche Auflage auch nicht wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig.

Ob der Abwasserbeseitigungspflichtige bei der Planung und Herstellung der Kanalisation in jeder Hinsicht die zweckmäßigste und kostengünstigste Lösung gewählt hat, steht nicht zur Entscheidung des Gerichts (vgl. OVG NW, Urt. v. 18.06.1997 - 22 A 1406/96 -, zitiert nach juris). Er hat bei der Ausgestaltung einer Abwasseranlage eine Vielzahl objektiver Gegebenheiten wie Bodenverhältnisse, Topographie, Straßen- und Leitungsverläufe, aber auch ein Geflecht teilweise widerstreitender öffentlicher und privater Interessen zu berücksichtigen. Diesen vielfältigen Interessen kann er nur gerecht werden, wenn es ihm überlassen bleibt, wo und wie er seine Kanalisation baut. Ihm kommt mithin ein regelmäßig als Planungsermessen bezeichneter Gestaltungsspielraum zu, der seine Grenze erst im Willkürverbot findet (OVG NW, Urt. v. 18.06.1997, a.a.O.; NdsOVG, Urt. v. 13.08.1991 - 9 L 274/89 -, Beschl. v. 03.04.1997 - 9 L 179/96 , jeweils zitiert nach juris; Klausing in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 960a). Grundsätzlich liegt es daher auch im Gestaltungsermessen der Gemeinde, für welches technische System sie sich bei der Abwasserbeseitigung entscheidet; sie ist insbesondere nicht verpflichtet, ein System durchgängig für alle Gemeindeteile zu wählen (BayVGH, Beschl. v. 09.01.2006 - 4 CS 05.2798 -, Urt. v. 16.07.2007 - 4 B 06.1953 -, jeweils zitiert nach juris; Dietzel in: Driehaus, a.a.O., § 8 Rdnr. 516).

Hiernach bewegt sich der Beklagte im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsermessens. Gemäß § 6 Abs. 3 ABS entscheidet der Verband, ob und in welcher Weise das Grundstück anzuschließen ist. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass sich der Beklagte aus wirtschaftlichen Gründen für eine Verlegung der Abwasserleitung nach dem Druckentwässerungssystem entschieden hat.

Dem von dem Beklagten vorgenommenen Kostenvergleich zwischen einer Entwässerung durch Freispiegelkanal und durch Druckentwässerungsleitung (Anlage zum Schriftsatz vom 13.03.2006) lässt sich - wie von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung des Senats auch unstreitig gestellt - entnehmen, dass die Kosten für die Herstellung eines Freigefällekanals in dem Bereich zwischen dem "Abknick" der F-Straße bis zum Grundstück der Klägerin insgesamt ca. 1000,00 Euro höher wären als die Verlegung einer Druckentwässerungsleitung. Wie der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, führte die Verlegung eines Freigefällekanals in der vorliegend erforderlichen Länge von 120 m zudem aufgrund des nur von dem Grundstück der Klägerin verursachten geringen Abwasseraufkommens zu Ablagerungen und - bedingt durch das erhöhte Spülregime - zu höheren Unterhaltungskosten.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte insbesondere nicht gehindert, bei seiner Entscheidung für das in dem Straßenabschnitt vor dem Grundstück der Klägerin zu installierende Entwässerungssystem vorrangig die aus seiner Sicht kostengünstigste Lösung zu wählen und das gegenläufige Kosteninteresse der daran angrenzenden Grundstückseigentümer hintanzustellen (OVG NW, Urt. v. 18.06.1997, a.a.O.).

In diesem Zusammenhang sind die von der Klägerin angegebenen (Mehr-)Belastungen in Höhe von ca. 6.000 Euro für die Anschaffung, den Einbau und den jährlichen Betrieb der Hebeanlage im Vergleich zum Grundstückswert auch nicht unzumutbar, so dass die streitbefangene Auflage auch deshalb keinen rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BayVGH, Beschl. v. 09.01.2006, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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