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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 20.03.2007
Aktenzeichen: 4 L 470/06
Rechtsgebiete: LSA-VwVfG, VwVfG, AO


Vorschriften:

LSA-VwVfG § 2 Abs. 2 S. 1 a. F.
LSA-VwVfG § 55 a. F.
VwVfG § 55
AO § 85 1
Vertragliche Vereinbarungen über Kommunalabgaben sind grundsätzlich unwirksam. Eine Ausnahme vom Verbot der vertraglichen Vereinbarung über Kommunalabgaben gilt einzig für den Fall, dass das Gesetz die Regelung durch Vertrag, wie in dem § 6 Abs. 7 Satz 5 KAG LSA, ausdrücklich zulässt.

Als vertragliche Vereinbarungen in diesem Sinne sind jedoch Vergleichsverträge nach § 55 VwVfG LSA a.F. (§ 55 VwVfG) zumindest im kommunalen Gebühren- und Beitragsrecht nicht anzusehen. Es kann offen bleiben, ob dies - über den Fall der sog. "tatsächlichen Verständigung" (vgl. dazu Tipke/Kruse, FGO/AO, Vor §§ 118 AO Rdnr. 10 ff. m.w.N) hinaus - auch für das kommunale Steuerrecht gilt.


Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Es bestehen im Ergebnis an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht die vom Beklagten geltend gemachten ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Jedenfalls im kommunalen Gebühren- und Beitragsrecht sind Vergleichsverträge, durch die eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage zwischen den Beteiligten bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird, erlaubt. Es kann offen bleiben, ob dies - über den Fall der sog. "tatsächlichen Verständigung" (vgl. dazu Tipke/Kruse, FGO/AO, Vor §§ 118 AO Rdnr. 10 ff. m.w.N) hinaus - auch für das kommunale Steuerrecht gilt.

Zwar sind vertragliche Vereinbarungen über Kommunalabgaben grundsätzlich unwirksam, weil ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts gemäß § 54 Satz 1 VwVfG LSA i.d.F. vor Inkrafttreten des Ersten Rechts- und Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 18. November 2005 (GVBl. LSA S. 698 ff.) - VwVfG LSA a.F. -, der wie die sonstigen Regelungen über öffentlich-rechtliche Verträge im VwVfG LSA a.F. durch § 2 Abs. 2 Satz 1 VwVfG LSA a.F. (... soweit ..) im Bereich des kommunalen Abgabenrechts nicht ausgeschlossen war (vgl. Allesch, DÖV 1990, 270, 276 m.w.N.; Tiedemann, DÖV 1996, 594, 598; vgl. auch § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a KAG LSA i.V.m. § 78 Nr. 3 AO), durch Vertrag nur begründet, geändert oder aufgehoben werden konnte, wenn Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Einer vertraglichen Vereinbarung über Kommunalabgaben steht § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KAG LSA i.V.m. § 85 Satz 1 AO entgegen. Danach haben die abgabenerhebenden Behörden die Kommunalabgaben nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Aus dieser Regelung folgt, dass der Gesetzesvollzug nicht zur Disposition der Verwaltung steht. Die Behörden sind nicht lediglich befugt, sondern verpflichtet, Abgaben nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen und zu erheben. Eine Ausnahme vom Verbot der vertraglichen Vereinbarung über Kommunalabgaben gilt einzig für den Fall, dass das Gesetz die Regelung durch Vertrag, wie in § 6 Abs. 7 Satz 5 KAG LSA, ausdrücklich zulässt (vgl. OVG LSA, Beschlüsse v. 14. Dezember 2005 - 4 M 395/05 -; v. 17. Oktober 2005 - 4 L 310/05 - und v. 21. Dezember 2004 - 1 L 233/03 -; vgl. weiter BVerwG, Urt. v. 21. Oktober 1983 - 8 C 174/81 - zit. nach JURIS).

Als vertragliche Vereinbarungen in diesem Sinne sind jedoch Vergleichsverträge nach § 55 VwVfG LSA a.F. (§ 55 VwVfG) zumindest im kommunalen Gebühren- und Beitragsrecht nicht anzusehen (so auch für das gesamte kommunale Abgabenrecht: VGH Hessen, Urt. v. 15. Februar 1996 - 5 UE 2836/95 -, NVwZ 1997, 618, 619, das sich ausdrücklich auf Vergleichsverträge bezieht und sogar eine entsprechende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes insoweit ablehnt; VGH Bayern, Urt. v. 29. Juli 1987 - Nr. 23 B 86.02281 -, BayVBl. 1988, 721 f.; Driehaus, Kommunalabgabenrecht Bd. I, § 1 Rdnr. 58, § 4 Rdnr. 19; Rosenzweig/Freese, NdsKAG § 2 Rdnr. 50; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 18. November 1977 - IV C 104.74 -, DÖV 1978, 611; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11. April 1986 - 2 S 2061/85 -, VwBlBW 1987, 142, 145; a.M.: Tiedemann, DÖV 1996, 594, 599 ff. m.w.N. zum Meinungsstand in Fn. 47, 53). Das § 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a KAG LSA i.V.m. § 85 Satz 1 AO zugrunde liegende Legalitätsprinzip (vgl. dazu umfassend Tiedemann, DÖV 1996, 594, 600 ff.) schließt dies nicht aus. Es ist schon sehr fraglich, ob mit einem Vergleichsvertrag überhaupt die Höhe der Abgabe abweichend vom Gesetz festgesetzt wird (vgl. Driehaus, a.a.O. § 1 Rdnr. 58). Auf Grund der auch für die Behörde bestehenden Unsicherheit dürfte es - anders als bei einem vertraglichen Verzicht (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 14. Dezember 2005 - 4 M 395/05 -) - gerade nicht zu einer gesetzwidrigen Begünstigung des Vertragspartners kommen. Dies muss aber nicht abschließend entschieden werden. Da jedenfalls das kommunale Gebühren- und Beitragsrecht - im Gegensatz zum kommunalen Steuerrecht - durch das Merkmal des Gegenleistungscharakters geprägt ist (vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA; vgl. auch Heun, DÖV 1989, 1053, 1060 ff.), ist im Hinblick auf eine vergleichsweise Regelung eine strikte Durchsetzung des Legalitätsprinzips nicht geboten. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass § 13 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA ausdrücklich nur eine entsprechende Anwendung einzelner Regelungen der AO anordnet. Unzulässig sind solche Vergleichsverträge jedoch dann, wenn sie nur in die äußere Form eines Vergleichs gekleidete Abmachungen darstellen, durch die ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen ganz oder teilweise auf einen Anspruch verzichtet werden soll (vgl. Driehaus, a.a.O. § 4 Rdnr. 19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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