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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 28.09.2005
Aktenzeichen: 4 M 80/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 105 II
Zur Verwendung des Stückzahlmaßstabs für Gewinnspielautomaten in einer Vergnügungssteuersatzung.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 M 80/05

Datum: 28.09.2005

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht stattgegeben. Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Vergnügungssteuerbescheide der Antragsgegnerin ist unbegründet, weil an der Rechtmäßigkeit der Bescheide ernstliche Zweifel nicht bestehen und Anhaltspunkte dafür, dass die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO), nicht vorliegen. Es ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass sich die angefochtenen Bescheide im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen werden.

Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der in § 8 der Vergnügungssteuersatzung der Antragsgegnerin vom 21. September 2001 (VS 2001) festgelegte pauschalierte Steuermaßstab nach der Anzahl der aufgestellten Spielgeräte unwirksam sein dürfte: Zwar scheide der pauschalierte Stückzahlmaßstab nicht von vornherein als untauglicher Maßstab für die Bemessung des Vergnügungsaufwands aus. Er verstoße indessen unter Berücksichtigung der den Gemeinden mittlerweile zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bei der Ermittlung der konkreten Einspielergebnisse gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Mitteilung der monatlichen Einspielergebnisse durch die Automatenaufsteller begegne weder bei diesen noch bei den Gemeinden besonderen Schwierigkeiten, zumal die Automatenaufsteller bereits in anderem Zusammenhang verpflichtet seien, die Beträge der unterschiedlichen Leerungen auf den Monatszeitraum aufzuaddieren und sie in die monatlich abzugebende Umsatzsteuervoranmeldung einzustellen. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigten Praktikabilitätserwägungen den pauschalierten Stückzahlmaßstab und die damit einhergehende Ungleichbehandlung der verschiedenen Automatenaufsteller daher heute nicht mehr. Dieser Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Verwendung des Stückzahlmaßstabs generell unzulässig ist, vermag der Senat nicht zu folgen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 13. April 2005 (10 C 5.04) im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung (Urt. v. 22.12.1999 - 11 CN 1.99 -, BVerwGE 110, 237) ), wie die Antragsgegnerin zu Recht einwendet, grundsätzlich bestätigt, dass die Verwendung des Stückzahlmaßstabs für Gewinnspielautomaten in einer Vergnügungssteuersatzung nach wie vor verfassungsgemäß ist, sofern der lockere Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler vorliegt. Der durch Art. 105 Abs. 2 a GG für eine Aufwandsteuer, wie sie die Spielautomatensteuer darstelle, geforderte zumindest lockere Bezug des verwendeten Steuermaßstabs nach der Stückzahl der Spielautomaten zu dem letztlich zu besteuernden Vergnügungsaufwand der Spieler sei (noch) gewahrt, wenn die Einspielergebnisse von Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit nicht mehr als 50 % von dem Durchschnitt der Einspielergebnisse dieser Automaten im Satzungsgebiet abwichen. Ob dies der Fall sei, könne spätestens seit 1997 jedenfalls für Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit hinreichend zuverlässig anhand der seit dem flächendeckend in diese Automaten eingebauten "manipulationssicheren" Zählwerke festgestellt werden. Die Vereinbarkeit einer nach dem Stückzahlmaßstab erhobenen Vergnügungssteuer mit dem Gleichheitssatz sei im Ausgangspunkt nach vergleichbaren Grundsätzen zu beurteilen wie ihre Übereinstimmung mit Art. 105 Abs. 2 a GG (Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 -). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne regelmäßig nicht allein durch den Nachweis einzelner mehr oder minder stark voneinander abweichender Einspielergebnisse von Gewinnspielautomaten begründet werden. Es bedürfe hierzu vielmehr eines Vergleichs mit dem hinreichend aussagekräftig ermittelten Durchschnitt der Einspielergebnisse von Gewinnspielautomaten in der betreffenden Gemeinde.

Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Pauschalierung nach herkömmlicher Art wegen der nach wie vor indirekten Besteuerung weiterhin gerechtfertigt sei, steht zwar unter dem Vorbehalt, dass die dem Stückzahlmaßstab zugrundeliegende Prämisse eines zumindest lockeren Bezugs dieses Maßstabs zum Vergnügungsaufwand der Spieler nicht widerlegt wird. Die Bestimmung des hierfür maßgeblichen Durchschnitts der Einspielergebnisse einer Gerätegruppe setzt indes hinreichend aussagekräftige Erkenntnisse über die Einspielergebnisse der einzelnen Automaten dieser Gruppe im Satzungsgebiet voraus (BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 5.04 -, UA S. 14). Für das Gebiet der Antragsgegnerin, in dem neben der Antragstellerin ein weiterer Automatenaufsteller tätig ist, liegen solche Erhebungen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss nicht vor. Die unter Berufung auf Entscheidungen anderer Gerichte begründete Annahme des Verwaltungsgerichts, es könne nicht (mehr) ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die Unterschiede bei den Einspielergebnissen in der Regel noch innerhalb des von der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung für zulässig gehaltenen Rahmens bewegten, ist mangels entsprechender Erhebungen für das in Rede stehende Satzungsgebiet nicht geeignet, einen offenkundigen Mangel der Vergnügungssteuersatzung der Antragsgegnerin und damit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Vergnügungssteuerbescheide zu begründen.

Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang einwendet, sie habe bereits im Hauptsacheverfahren dargelegt, dass die Einspielergebnisse einzelner Geräte mehr als 50 % von den Durchschnittseinspielungen abwichen, vermag sie mit ihrem Vorbringen bereits deshalb nicht durchzudringen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 -) ein Verstoß der nach einem Stückzahlmaßstab erhobenen Vergnügungssteuer gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht schon durch den Nachweis einzelner mehr oder minder stark voneinander abweichender Einspielergebnisse unter Berufung auf die damit einhergehende ungleiche Besteuerung ungleicher Sachverhalte begründet werden kann. Diese Ungleichbehandlungen seien die grundsätzlich hinzunehmende Folge aus der Verwendung des für die Gemeinden mit erheblichen Praktikabilitätsvorteilen verbundenen pauschalen Stückzahlmaßstabs.

Auch die von der Antragstellerin nunmehr im Beschwerdeverfahren erstmalig vorgelegte statistische Auswertung der Kasseneinnahmen für die Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit in den beiden von der Antragstellerin im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin betriebenen Spielhallen lassen entgegen der Auffassung der Antragstellerin einen tragfähigen Schluss auf das durchschnittliche Einspielergebnis der Automaten mit Gewinnmöglichkeit im (gesamten) Gemeindegebiet nicht zu. Auch wenn die Daten, wie die Antragstellerin einwendet, eine Vielzahl der Geräte betreffen, stellen sie lediglich die Einspielergebnisse der von der Antragstellerin betriebenen Spielautomaten dar und gewährleisten bereits deshalb keine ausreichende Grundlage für die Ermittlung des maßgeblichen Durchschnitts der Einspielergebnisse im Satzungsgebiet, weil die - möglicherweise abweichenden - Einspielergebnisse des weiteren, in dem Gemeindegebiet der Antragsgegnerin tätigen Automatenaufstellers unberücksichtigt bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 - ). Um Verzerrungen durch jahreszeitliche Schwankungen in der Automatennutzung und sporadische Gewinnausschüttungen zu vermeiden, sollten die Angaben über die einzelnen Spielautomaten zudem einen jeweils längeren Zeitraum von in der Regel acht bis zwölf Monaten umfassen (BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 - ). Die von der Antragstellerin erhobenen Daten betreffen hingegen, auch wenn sie einen statistischen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren umfassen, sowohl Geldspielgeräte, die deutlich mehr als 500 Tage als auch Automaten, die nur etwa 50 Tage oder nur 24 Tage betrieben worden sind, so dass sie eine verlässliche Beantwortung der Frage, ob die Einspielergebnisse von Gewinnspielautomaten im Satzungsgebiet der Antragsgegnerin nicht nur in atypischen Einzelfällen mehr als 50 % von dem Durchschnitt abweichen, nicht ermöglichen. Anhaltspunkte dafür, dass Besonderheiten im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin auch bei Vorliegen der Angaben nur eines Aufstellers und zudem starker Schwankungen der jeweiligen Betriebsdauer der Gewinnspielautomaten gleichwohl einen hinreichend begründeten Schluss auf die maßgebliche Schwankungsbreite der Einspielergebnisse zulassen könnten, sind nicht erkennbar und von der Antragstellerin auch nicht dargelegt.

Soweit die Antragstellerin darauf verweist, es sei Aufgabe der Antragsgegnerin nachzuweisen, dass die tatsächlichen Verhältnisse derart beschaffen seien, dass die Anwendung des Stückzahlmaßstabs aus Gründen der Praktikabilität noch gerechtfertigt sei und die Antragsgegnerin insoweit die Feststellungslast trage, ob die von ihr angewandte satzungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage rechtmäßig sei, bleibt ihr Einwand ohne Erfolg. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 -) besteht eine allgemeine prozessuale Beweisführungslast der Gemeinden zur Rechtmäßigkeit ihrer Vegnügungssteuersatzung nicht. Die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes auf die in Streit stehende Frage nach der Schwankungsbreite der Einspielergebnisse von Gewinnspielautomaten habe dem Umstand Rechnung zu tragen, dass dem klagenden Automatenaufsteller grundsätzlich nur Zahlen über die Einspielergebnisse seiner eigenen Geräte vorliegen werden und er auch keinen Auskunftsanspruch gegenüber den anderen Automatenaufstellern hinsichtlich ihrer Einspielergebnisse habe. Die beklagte Gemeinde werde ebenfalls in aller Regel auf der Grundlage einer am Stückzahlmaßstab orientierten Vergnügungssteuersatzung nicht über Einspielergebnisse der Geräte der Aufsteller verfügen und sie nach Maßgabe einer solchen Satzung grundsätzlich auch nicht zur Vorlage entsprechender Daten verpflichten können (BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 -). Bestehen allerdings - wie vorliegend - aus Anlass der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten Daten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass im Hinblick auf stark schwankende Einspielergebnisse eines Automatenaufstellers Zweifel daran bestehen, ob der Stückzahlmaßstab rechtmäßig aufrechterhalten werden kann, ist die Antragsgegnerin verpflichtet, dem nachzugehen; denn sie hat als Satzungsgeber die Norm unter Kontrolle zu halten, wenn Unklarheiten an ihren tatsächlichen Voraussetzungen oder Auswirkungen bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.04.2005 - 10 C 8.04 -). Erst wenn ein (gerichtlicher) Aufklärungsversuch keine ausreichende Datengrundlage zur Beantwortung der Frage erbringt, ob die zulässige Schwankungsbreite der Einspielergebnisse von Gewinnspielautomaten im Satzungsgebiet der Antragsgegnerin überschritten ist, sei Raum für eine Beweislastentscheidung. Die hierfür erforderlichen Ermittlungen sind indes nicht Sache eines Eil- und Beschwerdeverfahrens (ThürOVG, Beschl. v. 29.11.2004 - 4 EO 645/02 -, [juris]). Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ist mithin von der Gültigkeit der Vergnügungssteuersatzung der Antragsgegnerin auszugehen, deren Stückzahlmaßstab für Spielautomaten ohne Gewinnmöglichkeit ohnehin unbedenklich erscheint (Nolte, PR-BVerwG 19/2005 v.12.09.2005, Anm. 3 [juris]).

Dass die Vollziehung des Vergnügungssteuerbescheides eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO), ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und erfolgte in Anlehnung an den sog. Streitwertkatalog 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.) Nr. 1.5 Satz 1.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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