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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 31.07.2009
Aktenzeichen: 4 O 127/09
Rechtsgebiete: GO LSA


Vorschriften:

GO LSA § 42 Abs. 3
GO LSA § 44 Abs. 6
1. Das in den §§ 42 Abs. 3 Satz 2, 44 Abs. 6 GO LSA normierte Auskunftsrecht muss umfassend dahingehend verstanden werden, dass es für alle Angelegenheiten der Gemeinde besteht, soweit der Bürgermeister im Rahmen seiner Zuständigkeit als Leiter der Gemeindeverwaltung oder, soweit die Gemeinde selbst betroffen ist, als deren gesetzlicher Vertreter nach außen Kenntnis von der Angelegenheit erlangt hat oder erlangen kann.

2. Funktion des Fragerechts ist es, Auskunft über Fakten zu gewinnen, damit die Mitgliedschaft im Gemeinderat und in den Ausschüssen effektiv wahrgenommen werden kann. Weder aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 6 Satz 1 GO LSA noch aus der Sinn und Zweck der Regelung lässt sich eine formelle Begründungspflicht mit der Erwägung belegen, es müsse verhindert werden, dass einzelne Ratsmitglieder "Anfragen ins Blaue hinein'" stellten.


Gründe:

I.

Der Kläger, der als Mitglied der Unabhängigen Wählergemeinschaft Salzland dem Stadtrat der Stadt A. angehört, begehrt vom beklagten Bürgermeister Auskünfte gemäß den §§ 42 Abs. 3 Satz 2, 44 Abs. 6 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt - GO LSA - i. V. m. § 6 der Geschäftsordnung des Stadtrates der Stadt A..

Nach dem Vorbringen des Klägers soll "im Zuge der Aufklärung der amtlichen Wahlbeeinflussung durch den ehemaligen Bürgermeister der Stadt A. aus dem Bereich der Stadtverwaltung bekannt geworden sein, dass Personalunterlagen aus der Stasi-Überprüfung von Mitarbeitern der Stadtverwaltung rechtswidrig vernichtet wurden."

Der Kläger stellte daher zusammen mit drei weiteren Mitgliedern des Stadtrates am 11. September 2008 einen Antrag auf Akteneinsicht in das Dokumentenbestandsverzeichnis, in sämtlichen (inkl. personenbezogenen) Schriftverkehr zwischen den Stellen der BStU/Gauck-Behörde und der Stadt A. seit dem 3. Oktober 1990 und in die Schreiben und Aktenkopien der BStU/AfNS im Ergebnis der MfS/IM-Überprüfung sowie bei der Stadt A. geführten Personalakten der ehemaligen MfS/AfNS-Mitarbeiter. Die Akteneinsicht wurde am 16. September 2008 wahrgenommen. In dem von dem Kläger dazu verfassten Bericht heißt es u. a.: "Anlass dieses Vorgehens war eine Aussage vom Hörensagen, dass Unterlagen über die IM-Tätigkeit auch ehem. Bediensteter der Stadt A. entgegen den Vorschriften der Ablageordnung gelagert werden und unter Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen beseitigt oder unterschlagen wurden (Missstände)." Weiter heißt es in dem Bericht: "Den anwesenden Stadträten wurde von den beiden Verwaltungsmitarbeitern offeriert, dass es die Akten nicht mehr gäbe, weil sie vernichtet wurden...Als Begründung für die Vernichtung wurde angegeben, dass die Aufbewahrungsfrist abgelaufen sei und dass der ehemalige Bürgermeister angeblich eine telefonische Genehmigung der BStU-Außenstelle Magdeburg eingeholt hätte."

Ausweislich eines Vernichtungsprotokolls vom 10. Juni 2008, unterzeichnet von dem ehemaligen Bürgermeister der Stadt A., "wurden alle beantragten und eingegangenen Kopien von Unterlagen des Landesbeauftragten für Stasi von Rat und Verwaltung einschließlich der Protokolle der Bewertung durch den Hauptausschuss vernichtet." Daraufhin hat der Kläger Strafanzeige gegen den ehemaligen Bürgermeister der Stadt A. wegen des Verdachts des Verwahrungsbruchs und der Urkundenunterdrückung gestellt.

Mit Schreiben vom 18. September 2008 bat der Kläger den Beklagten des Weiteren um Beantwortung folgender Fragen:

"1) Wie sind die Personalakten in der Stadtverwaltung gegliedert (z. B. P-Grundakte, P-Teilakten, P-Nebenakte, P-Sachakte) und gruppiert (z. B. PTA-Bez, PTA-Ü, PTA-D) und auf welcher Grundlage? Gibt es eine Aktenrichtlinie oder Aktenordnung, wenn ja - von wem und von wann erlassen?

2) Befinden sich in den vorhandenen Personalakten der ausgeschiedenen und noch tätigen Angestellten und Beamten die Überprüfungsergebnisse oder -protokolle, die auf der Grundlage der Personalüberprüfung mit dem BStU-Auskünften in den 90er Jahren angefertigt wurden (z. B. als PTA-Ü)? - Wenn nicht, warum nicht?

3) Wenn zu 2. ja, welche Mitarbeiter (aktive, abgeordnete, versetzte und in ATZ) wurden als IM des MfS erkannt? 4) Wer führte die Personalakte des ehem. Bürgermeisters...und wo wurde und wird diese gelagert? 5) Befinden sich in der Personalakte zu 4. ein Überprüfungsergebnis der BStU-Überprüfung, wenn ja wie lautet diese und wer hat diese ausgestellt bzw. unterzeichnet?"

Mit Schreiben vom 25. September 2008 stellte der Kläger ergänzend folgende Anfragen:

"1) Wie viel Dienst- und Organisationsanweisungen gibt es in der Stadt A., welchen Regelungstitel haben diese und wann wurden diese in Kraft gesetzt (nummerierte Bestandsübersicht)?

2) Wann (ab 1990) und mit welchen Dienst-/Organisationsanweisungen oder sonstigen Anweisungen wurde die Aktenordnung und/oder Schriftgutordnung sowie deren Änderungen in Kraft gesetzt? Welche Aufbewahrungsfristen wurden dabei festgelegt (tabellarische Auflistung nach Schriftgutart)?

3) Welche konkrete Aktenordnung wurde dafür als Vorbild/Vorlage genommen und von wann stammt diese?

4) Wer ist für den Vollzug und die Einhaltung der Aktenordnung verantwortlich?"

Mit E-Mail vom 7. Oktober 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Aufbewahrungsfrist der Akten abgelaufen sei. Schlussfolgernd daraus sei der Grund für die Fragen somit entfallen. Die Einsicht in bzw. Auskunft aus Personalakten sei nicht möglich. Stasiunterlagen seien keine Personal-, sondern Verwaltungsakten und seien deshalb den Personalakten nicht beigelegt worden. Eine weitere Beantwortung der Anfragen erfolgte nicht.

Der Kläger hat daraufhin am 13. November 2008 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Klage beantragt. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Beschluss vom 11. Mai 2009 mit der Begründung ab, die von dem Kläger gestellten Fragen dienten nicht der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Mitgliedschaftsrechte bzw. der Wahrnehmung von Rechten im Zusammenhang mit der Allzuständigkeit des Gemeinderates; denn die Führung der Personalakten gehöre zu den personalwirtschaftlichen Routineangelegenheiten, die in die ausschließliche Kompetenz des Bürgermeisters fielen und beträfen nicht das jeweilige Beamten- oder Angestelltenverhältnis in ihrem Bestand. Die Antworten hätten insoweit weder für den einzelnen Gemeinderat noch für das Organ Bedeutung, weshalb es den Fragen des Klägers an der erforderlichen Mandatsrelevanz fehlen dürfte. Hinsichtlich des jedenfalls den Fragen vom 18. September 2008 zugrunde liegenden Sachverhalts der allgemeinen Personalaktenführung (Frage 1 und teilweise Frage 2) lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger selbst unter Berücksichtigung eines ihm insoweit zur Seite zu stellenden Einschätzungsspielraums zu Recht vom Vorliegen von Anhaltspunkten für das Bestehen eines diesbezüglichen Missstandes ausgegangen sei. Die Fragen zu 2 (teilweise) bis 5 seien aber auch nicht geeignet, der weiteren Aufklärung des Umgangs mit Auskünften des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR zu dienen. Sofern sie nicht bereits beantwortet seien, beträfen sie personenbezogene Daten, die nicht Gegenstand einer Missstandskontrolle des Gemeinderates seien. Die Anfragen von 25. September 2008 wiesen schließlich keinen Bezug zu einem konkreten Missstandssachverhalt auf.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 29. Mai 2009 Beschwerde mit der Begründung erhoben, sein Auskunftsanspruch ergebe sich aus der Dienstvorgesetzteneigenschaft über den Bürgermeister (§ 44 Abs. 4 Satz 1 GO LSA), der für die Aktenführung verantwortlich sei und daher einer Kontrolle des Gemeinderates unterliege. Auch sei er als Gemeinderat zuständig für den Erlass einer Archivsatzung nach dem Landesarchivgesetz, so dass er die fehlenden Informationen über die Struktur und den Zustand der Aktenorganisation zur Vorbereitung einer Sachantragstellung nach § 42 Abs. 3 GO LSA benötige. Die Nichtbeantwortung der Fragen verletze ihn in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 42 Abs. 3 GO LSA und Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. §§ 1-3 IZG LSA.

II.

Die gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht gerichtete Beschwerde hat Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Klageverfahrens, mit der der Kläger die Durchsetzung seines Fragerechts als Stadtrat hinsichtlich der mit Schreiben vom 18. September 2008 gestellten Fragen 1 und 4 und der mit Schreiben vom 25. September 2008 gestellten Fragen 1 bis 4 mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt hat (1.); im Übrigen (hinsichtlich der Fragen zu 2, 3 und 5 vom 18. September 2008) hat die Beschwerde keinen Erfolg (2.).

I. Dabei lässt der Senat offen, ob dem Kläger schon deswegen kein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zusteht, weil ihm ohnehin als Kommunalorgan möglicherweise auf der Grundlage des § 33 GO LSA oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Kosten aus einem Kommunalverfassungsstreitverfahren von der Gebietskörperschaft zu erstatten sind (vgl. dazu die Darstellung des Meinungsstands in VGH Bayern, Urt. v. 14.08.2006 - 4 B 05.939 -, zit. nach JURIS; OVG Saarland, Beschl. v. 05.10.1981 - 3 R 87/80 -, NVwZ 1982, 140; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.05.1987 - 7 A 90/86 -, NVwZ 1987, 1105; OVG Bremen, Beschl. v. 31.05.1990 - 1 B 18/90 -, NVwZ 1990, 1195; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.11.1991, NVwZ-RR 1993, 283; OVG Sachsen, Beschl. v. 31.07.1996 - 3 S 274/96 -, NVwZ-RR 1997, 665 [666]); denn die Frage einer etwaigen Kostenerstattungspflicht der Gemeinde ist eine schwierige Rechtsfrage, die im Senat noch nicht geklärt ist und daher nicht abschließend in Prozesskostenhilfeverfahren zu erörtern ist.

II. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. des § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO ist dann gegeben, wenn mehr als eine theoretische Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Rechtsschutzbegehrens spricht (BVerfG, Beschl. v. 04.02.1997 - 1 BvR 391/93 -, NJW 1997, 2102, 2103), d. h. wenn der Rechtsstandpunkt des Rechtsschutzsuchenden ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint (OVG Sachsen-Anhalt in st. Rspr.). Sie liegt nicht vor, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 07.05.1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, 2745). Die Prüfung der Erfolgsaussichten des Anordnungsbegehrens darf allerdings nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschl. v. 30.10.1991 - 1 BvR 1386/91 -, NJW 1992, 889).

1. In Anwendung dieser Maßstäbe bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung des Klägers - jedenfalls teilweise - hinreichende Aussicht auf Erfolg; denn die Auffassung des Klägers, er habe gemäß den §§ 42 Abs. 3 Satz 2, 44 Abs. 6 Satz 1 GO LSA einen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihm auf die mit Schreiben vom 18. September 2008 gestellten Fragen 1 und 4 und die mit Schreiben vom 25. September 2008 gestellten Fragen 1 bis 4 Auskunft erteilt, erscheint zumindest vertretbar und lässt eine Erfolgschance nicht gänzlich ausgeschlossen erscheinen.

Nach § 44 Abs. 6 Satz 1 GO LSA kann jeder Gemeinderat an den Bürgermeister schriftliche oder in einer Sitzung des Gemeinderates mündliche Anfragen über einzelne Angelegenheiten der Gemeinde und ihrer Verwaltung richten, die binnen angemessener Frist zu beantworten sind; dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen (§ 44 Abs. 7 i. V. .m § 5 Abs. 5 GO LSA). § 42 Abs. 3 Satz 2 GO LSA bestimmt darüber hinaus, dass der Bürgermeister ihm (d. h. dem Gemeinderat) Auskunft erteilen muss.

Das Auskunftsrecht des Gemeinderates zum Zwecke der Unterrichtung ist - wie der Informationsanspruch von Abgeordneten gegenüber der Landesregierung (vgl. dazu: Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urt. v. 31.10.2002 - Lv 1/02 -, NVwZ-RR 2003, 81; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung. v. 17.07.2001 - Vf. 56-IVa-00 -, NVwZ 2002, 715) - Ausfluss der Mitgliedschaft im (Kommunal-)Parlament, dem im demokratischen Rechtsstaat vor allem die Aufgabe zukommt, an der Gesetzgebung mitzuwirken und die Kontrolle über die Exekutive auszuüben. Dem Ratsmitglied kommen aufgrund seines Mandats das Recht und die Pflicht zu, eigenverantwortlich an den Aufgaben mitzuwirken, die der Gemeinderat zu erfüllen hat. Zu einer effektiven Wahrnehmung der Aufgaben im Gemeinderat sowie in dessen Ausschüssen, mit denen Gemeinderäte vom Wähler beauftragt sind, sind Ratsmitglieder auf kommunaler Ebene angesichts der Vielzahl und Komplexität der dort zu beurteilenden Gegenstände auf Informationen aus dem Bereich der Verwaltung angewiesen (vgl. dazu ausführlich OVG Niedersachsen, Urt. v. 03.06.2009 - 10 LC 217/07 -, zit. nach JURIS).

Eine weitere Kompetenz des Gemeinderates ist seine Kontrollbefugnis, d. h. er hat die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen und die Gemeindeverwaltung zu kontrollieren (Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., Rdnr. 316). In diesem Zusammenhang sorgt der Gemeinderat beim Auftreten von Missständen in der Gemeindeverwaltung auch für deren Beseitigung durch den Bürgermeister (§ 44 Abs. 2 Satz 2 GO LSA). Da jedenfalls für Personalangelegenheiten gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 GO LSA (Ernennung, Einstellung und Entlassung von Gemeindebediensteten) die Organkompetenz beim Gemeinderat liegt, soweit durch die Hauptsatzung dem Bürgermeister nicht die Entscheidung übertragen wurde oder diese zur laufenden Verwaltung gehört, und sich die in der Anfrage vom 18. September 2008 gestellten Fragen 1 und 4 des Klägers unzweifelhaft auf die Kontrolle der Personalverwaltung im weiteren und der Personalaktenführung der Stadt A. im engeren Sinne bezieht, ist es jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass sein Auskunftsbegehren von der Ausübung der dem Gemeinderat obliegenden allgemeinen Kontrollbefugnis (noch) gedeckt ist; denn vor dem Hintergrund eines ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Informationsanspruchs eines jeden Ratsmitglieds gegenüber seinem Bürgermeister muss das in den §§ 42 Abs. 3 Satz 2, 44 Abs. 6 GO LSA normierte Auskunftsrecht umfassend dahingehend verstanden werden, dass es für alle Angelegenheiten der Gemeinde besteht, soweit der Bürgermeister im Rahmen seiner Zuständigkeit als Leiter der Gemeindeverwaltung oder, soweit die Gemeinde selbst betroffen ist, als deren gesetzlicher Vertreter nach außen Kenntnis von der Angelegenheit erlangt hat oder erlangen kann. Auch könnte sich die Berechtigung zu den Fragen 1 und 4 vom 18. September 2008 aus der Eigenschaft des Gemeinderates als Dienstvorgesetzter des Bürgermeisters gemäß § 44 Abs. 4 Satz 1 GO LSA ergeben. Gleiches gilt für die Fragen 1 bis 4 vom 25. September 2008, die die Aktenordnung und -führung der Stadt A. betreffen. Es ist jedenfalls nicht fernliegend, dass sich der Informationsanspruch des Klägers - neben seiner allgemeinen Kontrollbefugnis - auch aus den §§ 11, 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Landesarchivgesetzes - ArchG LSA - ergibt, wonach die Gemeinden ihr Archivgut in eigener Verantwortung und Zuständigkeit als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises archivieren.

Soweit das Verwaltungsgericht an die Begründung des in § 44 Abs. 2 Satz 2 GO LSA bestimmten Tatbestandsmerkmals "Auftreten von Missständen" eine erhöhte Begründungspflicht verlangt und insoweit feststellt, dass das in § 44 Abs. 6 GO LSA normierte Fragerecht nicht zur Aufdeckung von Missständen, sondern allenfalls der Verschaffung weitergehender Sachinformationen bei hinreichenden Anhaltspunkten für einen bestehenden Missstand dienen dürfe, lassen sich weder der Gemeindeordnung noch der Geschäftsordnung der Stadt besondere Begründungspflichten entnehmen, deren "Verletzung" die um Antwort angegangene Stelle bereits zum Anlass nehmen könnte, von einer Antwort überhaupt abzusehen. Soweit der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. v. 30.03.1992 - 1 S 1762/91 -, DÖV 1992, 838 [838]) für das dortige Kommunalrecht aus der Funktion des Fragerechts Einschränkungen für dessen Ausübung gewonnen hat, findet das Ergebnis im Kommunalrecht von Sachsen-Anhalt keine hinreichende Stütze (so schon OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 10.12.1998 - A 2 S 502/96 -, zit. nach JURIS; a. A. offenbar: Wiegand/Grimberg, GO LSA, § 44 Rdnr. 12 [S. 236]). Insoweit dürfte auch die von dem Verwaltungsgericht zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urt. v. 22.02.2001 - 1 S 786/00 -, zit. nach JURIS) auf den vorliegenden Fall nicht ohne Weiteres übertragbar sein, weil das dortige Verfahren die Frage der Kontrollkompetenz des Gemeinderates über die Einhaltung der beamtenrechtlichen Verpflichtungen des Bürgermeisters gegenüber der Dienstaufsichtsbehörde zum Gegenstand hatte.

Funktion des Fragerechts ist es, Auskunft über Fakten zu gewinnen, damit die Mitgliedschaft im Gemeinderat und in den Ausschüssen effektiv wahrgenommen werden kann. Weder aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 6 Satz 1 GO LSA noch aus der Sinn und Zweck der Regelung lässt sich eine formelle Begründungspflicht mit der Erwägung belegen, es müsse verhindert werden, dass einzelne Ratsmitglieder "Anfragen ins Blaue hinein'" stellten (so aber: Wiegand/Grimberg, a. a. O.). § 44 Abs. 6 Satz 1 GO LSA legt den Fragesteller formell lediglich auf die Schriftlichkeit seiner Anfrage fest und gestattet Mündlichkeit nur im Rahmen einer Sitzung; inhaltlich wird der Fragekanon ausschließlich durch die Reichweite der "Angelegenheiten" der Gemeinde oder ihrer Verwaltung begrenzt. Auch lassen sich dem Gemeinderecht Sachsen-Anhalts Einschränkungen hinsichtlich des Kontrollrechts von Gemeinderäten im Zusammenhang mit der Personaktenführung, wie sie z. B. in § 30 Abs. 2 Satz 2 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein vorgesehen sind, nicht entnehmen. Insoweit dürfte sich der von dem Verwaltungsgericht verfolgte Ansatz, das Fragerecht könne nicht zur Aufdeckung von Missständen eingesetzt werden, und Fragen, die auf die (schlichte) Ausforschung eines Sachverhalts im Zuständigkeitsbereich des "anderen" Organs gerichtet seien, jedenfalls nicht zwingend aus § 44 Abs. 6 GO LSA ergeben. Würden an die Begründung der Fragen erhöhte Anforderungen gestellt, über deren Vorliegen zudem der Bürgermeister zu entscheiden hat, könnten damit die "Kontrollrechte" obsolet werden, die dem einzelnen Ratsmitglied gerade auch "gegen" die Verwaltung zustehen.

Letztlich ist der von dem Kläger aufgezeigte "Missstand" der Aktenvernichtung auch nicht als völlig "aus der Luft gegriffen" anzusehen, sondern der von ihm aufgezeigte Sachverhalt wird durch das Vernichtungsprotokoll vom 10. Juni 2008 bestätigt. Insoweit könnte ausgehend von den vom Kläger aufgezeigten Hintergrundinformationen um den ehemaligen Bürgermeister der Stadt A. durchaus die Auffassung vertreten werden, "die Anfragen dienten der Verschaffung weitergehender Sachinformationen bei hinreichenden Anhaltspunkten für einen bestehenden Missstand".

2. Hinsichtlich der mit Schreiben vom 18. September 2008 gestellten Fragen 2, 3 und 5 bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung des Klägers hingegen schon deswegen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil ihm die Fragen 2 und 5 mit der E-Mail des amtierenden Bürgermeisters der Stadt A. vom 7. Oktober 2008 bereits beantwortet worden sind: So ergibt sich sinngemäß aus dieser Antwort, dass sich in den Personalakten keine Überprüfungsergebnisse oder -protokolle, die auf der Grundlage der Personalüberprüfung mit dem BStU-Auskünften in den 90er Jahren angefertigt wurden, befinden. Da Frage 3 nur im Falle der Bejahung von Frage 2 zu beantworten war, erübrigen sich auch insoweit weitere Auskünfte. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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