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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.07.2007
Aktenzeichen: 4 O 172/07
Rechtsgebiete: LSA-KAG


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 Abs. 1 S. 1
1. Die Berücksichtigung der Grundstücksfläche als Faktor innerhalb des Vollgeschossmaßstabes verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.

2. Bei den Fördermitteln des Landes zur (Teil)Entschuldung eines Abwasserzweckverbandes besteht offensichtlich eine Zweckbestimmung durch den Zuschussgeber, dass der Verband im öffentlichen Interesse von (Alt)Schulden entlastet wird und nicht, dass diese Mittel auf den beitragsfähigen Aufwand angerechnet werden und so unmittelbar den Beitragspflichtigen zugute kommen.

3. Mit der Möglichkeit der Anschlussnahme an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung ist trotz einer bestehenden dezentralen Entsorgung nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt eine grundsätzliche Erhöhung des Gebrauchs- und Nutzungswertes und dadurch des Verkehrswertes des Grundstückes verbunden.

Ob diese Erhöhung des Verkehrswertes konkret realisiert werden kann und ob der Grundstückseigentümer auf Grund der von ihm zu tragenden Anschlusskosten und laufenden Entwässerungsgebühren lieber auf die Herstellung einer Anschlussmöglichkeit verzichtet hätte, steht dem nicht entgegen.

4. Stundungs- und Erlassanträge (vgl. § 13a KAG LSA) müssen mit einer gesonderten Verpflichtungsklage verfolgt werden. Entsprechende Ansprüche können nicht im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO bietet.

Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann gegeben, wenn mehr als eine theoretische Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage spricht (BVerfG, Beschl. v. 4. Februar 1997 - 1 BvR 391/93 -, NJW 1997, 2102, 2103), d.h. wenn der klägerische Rechtsstandpunkt ohne Überspannung der Anforderungen zutreffend oder bei schwieriger Rechtslage zumindest vertretbar erscheint (OVG Sachsen-Anhalt in st. Rspr.). Sie liegt nicht vor, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, 2745). Die Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage darf allerdings nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschl. v. 30. Oktober 1991 - 1 BvR 1386/91 -, NJW 1992, 889).

Es ist schon fraglich, ob die Klägerinnen überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung des "Teilrücknahmebescheides" des Beklagten vom 11. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2006 haben. Denn mit diesem Bescheid wurde lediglich ein gegenüber den Klägerinnen ergangener Beitragsbescheid vom 27. Oktober 2004 in einer Höhe von 120,70 € zurückgenommen. Gegen diesen ursprünglichen Bescheid haben die Klägerinnen nach eigenem Vortrag einen bislang nicht beschiedenen Widerspruch eingelegt.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass mit dem Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2006 eine Beitragsfestsetzung in Form eines Zweitbescheides erfolgen sollte, gegen den erneut eine Widerspruchsmöglichkeit gegeben war, sind in Anwendung der oben genannten Prüfungsmaßstäbe Fehler der Beitragsfestsetzung weder ersichtlich noch hinreichend geltend gemacht.

1. Ohne Erfolg rügen die Klägerinnen, dass die Berücksichtigung der Grundstücksfläche als Faktor innerhalb des vom Beklagten verwendeten Vollgeschossmaßstabes gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Bei dem in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Vollgeschossmaßstab (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30. April 1996 - 8 B 31.96 -, zit. nach JURIS; Driehaus, Kommunalabgabenrecht Bd. III, § 8 Rdnr. 1024 m.w.N.) ist die Verknüpfung der Zahl der - tatsächlichen bzw. zulässigen - Vollgeschosse auf einem Grundstück mit einem Flächenfaktor zwingend notwendiger Bestandteil. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung, dass eine von den Klägerinnen angesprochene Berücksichtigung allein der Zahl oder der Fläche der bestehenden Vollgeschosse angesichts der unterschiedlichen Größe von Grundstücken und der darauf zulässigen Bebauung den mit einem Anschluss oder einer Anschlussmöglichkeit verbundenen Vorteil nicht adäquat erfassen kann. Denn bei der Vorteilsbemessung ist den Unterschieden in der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der öffentlichen leitungsgebundenen Einrichtung Rechnung zu tragen. Der Umfang der wahrscheinlichen Inanspruchnahme hängt in erster Linie von der baulichen oder gewerblichen Nutzbarkeit des Grundstücks ab. Dem liegt der Erfahrungssatz zugrunde, dass der Abwasseranfall umso größer sein kann, je mehr Bausubstanz auf dem Grundstück verwirklicht werden darf. Die Verwendung des Vollgeschossmaßstabes knüpft daher an die bauliche Ausnutzbarkeit des Grundstücks an und geht von der Erfahrung aus, dass mit zunehmender Zahl der zulässigen bzw. tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse und der damit verbundenen Zunahme der zulässigen baulichen Nutzfläche das Maß der (möglichen) Inanspruchnahme der Einrichtung infolge der intensiveren Nutzbarkeit steigt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23. November 2006 - 4 L 359/06 -; Urt. v. 6. Dezember 2001 - 1 L 321/01 -).

Dass teilweise bebaute Grundstück, deren Grundstücksfläche in vollem Umfang berücksichtigt wird, möglicherweise tatsächlich nicht weiter bebaut werden, ändert nichts daran, dass nicht die tatsächliche Nutzung, sondern die Nutzbarkeit Anknüpfungspunkt für die Vorteilsbemessung ist. Ob Grundstücke im Einzelfall (teilweise) nicht bebaubar bzw. abwasserrechtlich relevant nutzbar sind, ist bei der Ermittlung der jeweils maßgeblichen Grundstücksfläche zu berücksichtigen. Das Grundstück der Klägerinnen ist bebaut und wurde darüber hinaus auf Grund der Tiefenbegrenzung nur teilweise herangezogen.

Soweit die Klägerinnen im Übrigen darauf abstellen, die Grundstücksfläche würde bei ihrem Grundstück doppelt gewertet, nämlich mit einem Faktor aus der tiefenbegrenzten Grundstücksfläche und dem dahinter liegenden restlichen Grundstücksteil als weiteren Bemessungsfaktor, lässt sich dies der Beitragsberechnung nicht entnehmen. Der unter "Ermittlung der anrechenbaren Grundstücksfläche" gegebene Hinweis bezieht sich auf die Billigkeitsregelung des § 11 Abs. 1 der Abwasserbeitragssatzung des Beklagten i.d.F. der letzten Änderungssatzung vom 14. November 2005 - BS - i.V.m. § 6c Abs. 2 KAG LSA.

2. Die Klägerinnen können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beklagte Zuwendungen durch das Land Sachsen-Anhalt zur Entschuldung erhalten hat. Bei den Fördermitteln des Landes zur (Teil)Entschuldung eines Abwasserzweckverbandes besteht offensichtlich eine Zweckbestimmung durch den Zuschussgeber, dass der Verband im öffentlichen Interesse von (Alt)Schulden entlastet wird und nicht, dass diese Mittel auf den beitragsfähigen Aufwand angerechnet werden und so unmittelbar den Beitragspflichtigen zugute kommen. (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 16. Januar 2006 - 4 O 387/05 -).

3. Mit der Möglichkeit der Anschlussnahme an die zentrale Schmutzwasserbeseitigung wird den Klägerinnen weiterhin ein (wirtschaftlicher) Vorteil i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 KAG LSA geboten. Denn damit ist trotz der bestehenden dezentralen Entsorgung nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt eine grundsätzliche Erhöhung des Gebrauchs- und Nutzungswertes und dadurch des Verkehrswertes des Grundstückes verbunden (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 26. Juni 2007 - 4 L 425/06 -; Urt. v. 6. Januar 2004 - 1 L 146/03 -, zit. nach JURIS).

Ob diese Erhöhung des Verkehrswertes konkret realisiert werden kann und ob der Grundstückseigentümer auf Grund der von ihm zu tragenden Anschlusskosten und laufenden Entwässerungsgebühren lieber auf die Herstellung einer Anschlussmöglichkeit verzichtet hätte, steht dem nicht entgegen. Dass der Anschluss an die bestehende Bebauung auf dem Grundstück möglicherweise mit erheblichem Kostenaufwand verbunden ist, ändert grundsätzlich nichts daran, dass jedenfalls dem Grundstück ein (wirtschaftlicher) Vorteil geboten wird (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 21. März 2006 - 4 L 377/05 -; vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 1. Oktober 2004 - 1 M 322/04 -; Driehaus, a. a. O. Bd. III, § 8 Rdnr. 1056). Der Einwand der Klägerinnen, sie seien durch den Anschlussbeitrag dazu gezwungen, sich von ihrem Grundstück zu trennen, betrifft ihre allgemeine wirtschaftliche Lage und kann der Festsetzung des Anschlussbeitrages nicht entgegen gehalten werden (vgl. auch VGH Bayern, Beschl. v. 23. Oktober 2006 - 23 ZB 06.1956 -, zit. nach JURIS). Insoweit sind sie auf die in Betracht kommenden Billigkeitsmaßnahmen (vgl. § 13a KAG LSA; § 11 Abs. 3 BS) verwiesen.

Im Übrigen ist es zum einen nur sehr schwer vorstellbar, dass sämtliche Kosten der dezentralen Schmutzwasserentsorgung eines Wohngrundstückes im Durchschnitt pro Jahr unter 80,- € liegen. Zum anderen dürfte bei einem Wohngrundstück im Regelfall auch aus wasserrechtlichen Gründen eine fortgesetzte Wohnnutzung den Anschluss an eine zentrale Entsorgungseinrichtung erfordern, sobald diese vor dem Grundstück betriebsbereit vorhanden ist.

4. Aus der Tatsache, dass zu einem Grundstück im Verbandsgebiet kein Abwasseranschluss gelegt worden ist, lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass kein Anschlussbeitrag erhoben worden ist. Die Beitragspflicht entsteht gem. § 7 BS nämlich auch ohne die Fertigstellung des Grundstücksanschlusses.

Zudem können sich die Klägerinnen nicht darauf berufen, wenn der Beklagte einen oder mehrere Beitragspflichtige fehlerhaft nicht veranlagt hätte. Beruht diese Ungleichbehandlung auf einem sachlichen Grund, so ist sie gerechtfertigt. Besteht hingegen kein sachlicher Grund, so ist das Vorgehen des Beklagten zwar möglicherweise rechtswidrig. Dennoch können die Klägerinnen nicht verlangen, dann ebenfalls rechtswidrig behandelt zu werden. Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte gibt es gerade keine "Gleichheit im Unrecht".

5. Die von den Klägerinnen gestellten Stundungs- und Erlassanträge müssen sie mit einer gesonderten Verpflichtungsklage verfolgen. Sie können entsprechende Ansprüche nicht im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Beitragserhebung geltend machen (vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 15. September 2006 - 4 M 306/06 - m.w.N.; VGH Bayern, Beschl. v. 23. Oktober 2006, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9. Oktober 2002 - 15 E 980/02 -, zit. nach JURIS) .

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO, 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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