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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 21.11.2003
Aktenzeichen: A 2 S 171/99
Rechtsgebiete: LSA-BauO


Vorschriften:

LSA-BauO § 3 I 1
LSA-BauO § 15
LSA-BauO § 16 1
LSA-BauO § 16 2
§ 16 Satz 2 BauO LSA verlangt, dass der Baugrund ausreichend tragfähig ist. Dies kann in einem Bergsenkungsgebiet der Fall sein, wenn ein Tagesbruch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit plötzlich zu erwarten ist und geeignete Sicherungsmaßnahmen für die Standsicherheit des Gebäudes getroffen werden können.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: A 2 S 171/99

Datum: 21.11.2003

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten (nunmehr) die Erteilung eines Bauvorbescheids über die Bebaubarkeit des Grundstücks mit einem Wohn- und Geschäftshaus.

Am 15.09.1995 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines ein- bis dreistöckigen Gebäudes "A." in K-Straße (...), mit Ladenzeile und sechzehn Wohneinheiten auf einer Fläche von 2.727 m². Das Baugrundstück liegt in der Innenstadt ... im Einwirkungsbereich der ehemaligen Kali- und Steinsalzschachtanlagen an der Südwestflanke des Staßfurter Sattels. Die Gruben auf dieser Südwestflanke sind nach der Jahrhundertwende unter Ausbildung eines bis jetzt noch aktiven Bergschadensgebietes wild ersoffen. Der Einwirkungsbereich dieser Grubenbaue besteht heute in einem aktiven Senkungsgebiet mit einer Fläche von 200 ha und in einem darin eingeschlossenen Teilgebiet "latenter Bruchgefahr" mit einer Fläche von ca. 70 ha.

Nachdem das (...) Bergamt ... - nunmehr der Beigeladene zu 2. - in schriftlichen Stellungnahmen (Bl. 13 der Beiakte A und Bl. 8 der Beiakte B) im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens auf diese Umstände hingewiesen hatte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01.1997 die beantragte Baugenehmigung unter Hinweis auf die Nicht-Eignung des Baugrundstücks zur Bebauung ab. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 30.01.1997 Widerspruch mit der Begründung, die Gefährdung durch die Lage im latent bruchgefährdeten Gebiet sei als gering einzuschätzen, da ein tagesbruchartiges Ereignis sehr unwahrscheinlich sei und sich das geplante Gebäude zudem außerhalb des kritischen Höhenlinienbereichs befinde. Sie könne die Standsicherheit durch geeignete statische Konstruktionen und den Einbau wasserbeständiger Materialien gewährleisten. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.1997 wies das Regierungspräsidium Magdeburg den Widerspruch der Klägerin zurück.

Am 30.09.1997 hat die Klägerin bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, sie habe einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, da dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstünden. Die Stellungnahmen des Bergamtes seien nicht geeignet, das Bauvorhaben insgesamt in Frage zu stellen, zumal nur von einer latenten Bruchgefahr ausgegangen werde. Nach heutigem Stand der Technik sei die Problematik der Bebauung in einem Bergschadensgebiet dauerhaft zu bewältigen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 1997 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Magdeburg vom 3. September 1997 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Baugenehmigung für ein Wohn- und Geschäftshaus entsprechend dem Bauantrag vom 15. September 1995 zu erteilen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die ablehnenden Bescheide verteidigt und ergänzend ausgeführt, gemäß einer erstellten Vernässungsprognose sei im Jahr 2025 für einen Teil des Grundstücks damit zu rechnen, dass die Senkungen ein Absinken der Tagesoberfläche auf das Niveau des Grundwasserspiegels verursachten. Sollte die Pumpstation "Z-Straße", die das Grundwasser ständig absenke, nicht weiterbetrieben werden, sei mit einem noch schnelleren Anstieg des Grundwassers zu rechnen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Mit Baugenehmigung vom 24.11.1998 genehmigte der Beklagte der Klägerin auf ihren (neuen) Antrag vom 22.07.1998 den Neubau eines Geschäftshauses auf einer Teilfläche des streitigen Baugrundstücks, der allerdings hinsichtlich des Ausmaßes und der Geschossigkeit hinter dem am 15.09.1995 zur Genehmigung gestellten Gebäude zurückbleibt und an anderer Stelle errichtet wurde.

Mit Urteil vom 1. Dezember 1998 - A 4 K 371/97 - hat das Verwaltungsgericht Magdeburg der Klage stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24.01.1997 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Magdeburg vom 03.09.1997 verpflichtet, der Klägerin eine Baugenehmigung entsprechend ihrem Bauantrag vom 15.09.1995 zu erteilen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dem Vorhaben stünden keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 74 BauO LSA entgegen; insbesondere bestünden keine Zweifel an der Eignung des Baugrundstückes für das von der Klägerin geplante Bauvorhaben. Nach dem Gutachten der Ingenieurgesellschaft R. vom 04.12.1996 zur bergbaulichen Situation am geplanten Standort sei der Standort für eine Bebauung als kritisch zu betrachten, so dass Gebäudeschäden in Form von Rissen und Deformationen unvermeidbar seien. Jedoch sei eine Neubebauung mit vertretbaren Schädigungen nach den Regeln der modernen Baukunst möglich, so dass die Standsicherheit, wie auch die Funktionssicherheit des Baukörpers gewährleistet sei. Auch nach den vom Bergamt während des Baugenehmigungsverfahrens und in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Stellungnahmen sei das Gericht davon überzeugt, dass die Versagung der Baugenehmigung am geplanten Standort unrechtmäßig erfolgt sei. Der Beigeladene zu 2. habe nicht generell eine Bebauung verneint, sondern schätze die Gefährdung als äußerst gering ein. Zudem bestehe ein über die Stadt ... verteiltes Beobachtungs- und Messungssystem, welches noch weiter ausgebaut werden solle, um Gefährdungen frühzeitig zu analysieren.

Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 22.03.2001 zugelassen. Zur Begründung seiner Berufung trägt der Beklagte vor, der Erteilung der Baugenehmigung stehe § 15 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA entgegen, da das Bauvorhaben nicht die speziellen Anforderungen an bauliche Anlagen in Bergsenkungsgebieten hinsichtlich der Wahl des Bauplatzes, der Baugestaltung des Baukörpers, der Gründungsart sowie der Bauarten und Baustoffe erfülle. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass das von ihr beantragte Bauvorhaben standsicher sei. Vielmehr lasse sich der von ihr vorgelegten "Baufachlichen Stellungnahme" der IPB Ingenieurgesellschaft R. entnehmen, dass das Bauvorhaben gerade nicht standsicher sei, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen gebaut werden könne. Diese Veränderungen könnten auch nicht als Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung aufgenommen werden, weil sie die Grundkonzeption der Bauart, der Bauweise sowie der Baukonstruktion beträfen und damit eine völlig neue Prüfung notwendig machten. Auch könnten die Ausführungen des Vertreters des Beigeladenen zu 2. zur Standsicherheit nicht zum Maßstab einer bauordnungsrechtlichen Beurteilung gemacht werden, weil dieser nicht die erforderliche Sachkunde besitze. Schließlich könnten aus dem Umstand, dass der auf dem Grundstück sich befindende Speicher bisher standsicher gewesen sei, keine Zukunftsprognosen für das von der Klägerin geplante Bauvorhaben abgegeben werden. Weiter stehe der Erteilung der Baugenehmigung § 16 Satz 2 BauO LSA entgegen, weil das Grundstück wegen der kontinuierlichen Absenkung der Geländeoberfläche zunehmend vernässen werde. Die für die Erteilung einer Baugenehmigung erforderliche Sicherheit, dass dauerhaft keine Gefahr für das beantragte Bauvorhaben bestehe, liege damit nicht vor. Weiter bestehe die Möglichkeit, dass auf dem Baugrundstück ein Tagesbruch entstehe, der zu erheblichen Schäden an Leib und Leben sowie Eigentum führen könne. Letztlich bestätige das im Berufungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten, dass das von der Klägerin beabsichtigte Bauvorhaben derzeit nicht genehmigungsfähig sei.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit Einwilligung des Beklagten ihre Klage dahingehend geändert, dass sie nunmehr (nur noch) die Erteilung eines Bauvorbescheids über die grundsätzliche Bebaubarkeit ihres Grundstücks mit dem von ihr am 15.09.1995 beantragten Wohn- und Geschäftshaus begehrt, und die Klage im Übrigen zurückgenommen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Mit Beschluss vom 14.11.2001 hat der Senat Beweis erhoben über die Frage, ob der Baugrund für die laut Baugenehmigungsantrag vom 15.09.1995 geplante Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses "A." in ..., K-Straße (...), angesichts seiner Lage im Bergbausenkungsgebiet der Stadt ... tragfähig und standsicher ist, durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf das Gutachten des Sachverständigen L. vom Juni 2002 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 18.08.2003 verwiesen.

Die Klägerin führt dazu aus, das eingeholte Sachverständigengutachtachten sei nicht überzeugend, da der Gutachter den Fehler begangen habe, die Folgen für die Standsicherheit eines Gebäudes aus gegebener Tagesbruchgefahr und gegebener Senkungsgefahr gleichzusetzen. Aber selbst wenn mit dem Gutachter die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Lastfalles Tagesbruch gleich Eins zu setzen sei, könnten gleichwohl baukonstruktiv geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Gefahr möglicher Tagesbrüche zu beherrschen. Sie habe mehrfach angeboten, die ingenieurtechnische Konzeption des Projektes so zu wählen, dass sie geeignet sei, den Erfordernissen aus Baugrund und Bergbau zu genügen. Auch habe sie vorgeschlagen, einen großflächigen Bodenaustausch vorzunehmen und durch eine neue Auffüllung mit Blähbeton eine andere Gründungsqualität zu schaffen. Folglich sei eine Bebauung unter der Maßgabe, für Standsicherheit Sorge tragen zu müssen, grundsätzlich auch auf latent bruchgefährdetem Grund möglich, zumal der Gutachter zu dem Ergebnis komme, dass die Gefahr eines zu Tage gehenden Bruchgeschehens als sehr gering einzuschätzen sei und Anzeichen für eine diesbezügliche Aktivierung des Untergrundes (Seismik, Senkungsgeschehen) nicht erkennbar seien. Weiter werde von dem Gutachter auch nicht in Frage gestellt, dass Einwirkungen auf Bauwerke aus regelmäßig verlaufenden Senkungen bautechnisch beherrschbar seien. Damit sei aber die Schlussfolgerung des Gutachters, dass sich die Charakterisierung eines Baugrundgebietes als "latent bruchgefährdet" und die Qualifizierung dieses Baugrundgebietes als "tragfähig und standsicher" unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines altbergbaubedingt zu besorgenden Tagesbruchs grundsätzlich ausschlössen, nicht nachvollziehbar.

Die Beigeladenen tragen übereinstimmend vor, zwar setze sich das Sachverständigengutachten nicht mit der Festsetzung des "latenten Bruchgebietes" und den Folgen für die Bebauung innerhalb des Stadtgebietes ... auseinander und bewerte auch nicht die Eintrittswahrscheinlichkeit und die mögliche Schadensintensität eines Tagesbruchs unter den Standortbedingungen, sondern betrachte den "worst case". Insoweit sei festzustellen, dass sich ein Bemessungstagesbruch und insbesondere ein Bemessungsdurchmesser weder für den Standort "A."/K-Straße noch an einer sonstigen Stelle innerhalb des als "latent bruchgefährdet" eingestuften Gebietes ohne eine entsprechende Bohrerkundung mit dem dazugehörigen geophysikalischen Untersuchungsprogramm definieren lasse. Die Hohlraumbruchmassenbilanz, die Teufenlage der Grubenbaue und die geologischen Deckgebirgsparameter sprächen nicht für das Entstehen eines Tagesbruchs am geplanten Standort des Bauvorhabens. Aus diesem Grund seien die durch die derzeit noch vorhandenen Bodenbewegungselemente entstehenden Beanspruchungen für ein Gebäude an diesem Standort durch entsprechende konstruktive Maßnahmen (z. B. biegsame Bodenplatte, Trennfugen bei längeren Gebäuden usw.) zu beherrschen. Allerdings sei die Versagung der Baugenehmigung aber aus bergschadenkundlicher Sicht (zu erwartende Schieflagen, Zerrungen und Pressungen, Krümmung der Tagesoberfläche, zu erwartende Vernässung des Baugrundes) für das konzipierte Gebäude (76 m lang, starrer Baukörper, drei Geschosse) gerechtfertigt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des (nunmehr) begehrten Bauvorbescheids über die Bebaubarkeit ihres Grundstücks ... der Gemarkung ..., mit einem Wohn- und Geschäftshaus entsprechend ihrem Bauantrag vom 15.09.1995 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 [BGBl I 686], in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 [BGBl I 3987]). Die nunmehr reduzierte Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

I. Die Verpflichtungsklage ist zulässig; insbesondere ist die von der Klägerin erst im Berufungsverfahren vorgenommene Klageänderung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, da der Beklagte in die Änderung eingewilligt hat. Auch fehlt der Klägerin nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse an der begehrten Entscheidung des Gerichts, weil ihr inzwischen am 24.11.1998 eine Baugenehmigung für den Neubau eines Geschäftshauses auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück erteilt worden ist. Die Klägerin hat nämlich ausdrücklich erklärt, dass sie nach wie vor die noch mögliche Umsetzung des streitgegenständlichen Bauvorhabens am geplanten Standort anstrebe, mithin ihr Interesse durch die Erteilung einer anderen Baugenehmigung gerade nicht entfallen ist.

II. Die Klage ist auch begründet.

Das gemäß § 66 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA - vom 09.02.2001 (LSA-GVBl., S. 50), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158), die hier Anwendung findet, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der anhängigen Verpflichtungsklage der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1992 - BVerwG 7 C.91 -, BVerwGE 89, 354), genehmigungsbedürftige - nicht nach §§ 68; 69 BauO LSA genehmigungsfreie - Vorhaben der Klägerin ist mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften i. S. v. §§ 72 Abs. 1 und 2 i. V. m. 77 Abs. 1 Satz 1; 16 Satz 2 BauO LSA vereinbar.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA sind bauliche Anlagen u. a. so zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, nicht gefährdet werden. Zur Gewährleistung dieser allgemeinen Anforderungen müssen auch die Baugrundstücke für bauliche Anlagen geeignet sein (§ 16 Satz 2 BauO LSA).

Unter Berücksichtigung des vorliegenden Sachverständigengutachtens L. aus dem Juni 2002 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.08.2003 und den Ausführungen des Beigeladenen zu 2. in seinem Schriftsatz vom 29.08.2002 geht der Senat davon aus, dass das streitgegenständliche Baugrundstück für das geplante Bauvorhaben der Klägerin im Sinne des § 16 Satz 2 BauO LSA nicht grundsätzlich ungeeignet ist.

§ 16 Satz 2 BauO LSA legt im Verhältnis zu § 15 BauO LSA fest, dass nicht nur die bauliche Anlage selbst in sich standsicher zu sein hat, sondern auch der Baugrund ausreichend tragfähig für die Aufnahme der Gebäudeauflasten sein muss, damit die in § 16 Satz 1 BauO LSA aufgeführten Gefahren oder unzumutbaren Belästigungen für die baulichen Anlagen nicht entstehen. So können künstliche Hohlräume, wie sie in Bereichen stillgelegter Bergwerksanlagen wie Schächten, oberflächennahen Stollen und Grubenräumen vorhanden sind, aber auch natürliche Hohlräume, wie z. B. über Salzstöcken, beim Einsturz Bodensenkungen hervorrufen oder kontinuierlich verlaufende Senkungen bzw. diskontinuierlich ablaufende Sackungen (Tagesbrüche) zur Folge haben. Dabei ist ein Bergsenkungsgebiet gekennzeichnet durch Einwirkungen auf Bauwerke aus regelmäßig verlaufenden Senkungen und salzhaltigen Grundwässern, die bautechnisch durch entsprechende konstruktive und baustoffbezogene Maßnahmen derart beherrschbar sind, dass standsichere und im Grundsatz funktionstüchtige Bauwerke geplant und errichtet werden können. Demgegenüber ist ein Bergschadensgebiet gekennzeichnet durch einen Baugrund, der die ihm aufgeprägten Lasten/Deformationen dauerhaft nicht mit hinreichender Sicherheit (Tragreserven) aufnehmen kann. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der Baugrund in dem gekennzeichneten Areal zu einem ungewissen Zeitpunkt bruchhaft und im Extremfall tagesbruchartig auf die aus dem tieferen Untergrund resultierenden Beanspruchungen reagiert. Der Senat geht mit dem Gutachten des Sachverständigen L. vom Juni 2002 davon aus, dass ein derartiger partiell nicht tragfähiger Baugrund im Grundsatz für eine Bebauung ungeeignet ist und eine Bebaubarkeit ausnahmsweise nur dann möglich erscheint, wenn die Lasten (statisch, dynamisch) aus einem standortbezogen abzuleitenden Bemessungs-Tagesbruch in bauwerksbezogen ungünstigster Lage von der Gründungskonstruktion und dem umgebenden Baugrund neben dem Bemessungs-Tagesbruch standsicher ohne schädliche Bewegungen für das Bauwerk aufgenommen werden. Hinsichtlich dieses Ergebnisses besteht unter den Beteiligten auch kein Streit.

Allerdings geht der Sachverständige in seinem Gutachten von der Annahme aus, dass sich das Baugrundstück der Klägerin aufgrund des Altbergbaus und seiner Folgewirkungen in einem Gebiet mit "latenter Bruchgefahr" befinde, dessen Bruchwahrscheinlichkeit derzeit aufgrund verschiedener Indikatoren als gering eingeschätzt werde. Soweit die Klägerin und die Beigeladenen zu 1. und 2. diesbezüglich Kritik an dem Sachverständigengutachten üben und die Ergebnisse des Gutachters insgesamt in Frage stellen, kann dem nicht gefolgt werden; denn der Sachverständige hat - ausgehend von den bergbaulichen Stellungnahmen des ... Bergamtes ... (Bl. 13 der Beiakte A und Bl. 8 der Beiakte B), dass "der nachgefragte Bereich teilweise im latent bruchgefährdeten Gebiet" liege - zu Recht in seinem Gutachten das Vorliegen einer geringen latenten Bruchgefahr unterstellt und damit zugleich die Vorgaben aus dem Beweisbeschluss des Senats vom 14.11.2001 erfüllt; insbesondere war eine eigenständige Ermittlung der Tagesbruchgefahr nicht gefordert, da diese Frage angesichts der ursprünglichen Stellungnahmen des Bergamtes nicht im Streit stand.

Inzwischen hat der Beigeladene zu 2. allerdings seine Einschätzung dahingehend konkretisiert, dass sich in dem streitgegenständlichen Baugebiet ein - im Sachverständigengutachten unterstellter - Bemessungs-Tagesbruch und insbesondere Bemessungs-Durchmesser nicht definieren ließen, weil es seit 1899 zu keinen weiteren Tagesbrüchen gekommen sei. Zudem könne - trotz der geogenen und technogenen Vorbeanspruchung des Deckgebirges, die die Entstehung eines Traggewölbes nicht zulasse, mit der Folge, dass Erdmassen in die ggf. noch vorhandenen Hohlräume abgleiten könnten - ein schlagartiges Zu-Bruch-Gehen und in dessen Folge die Entstehung eines Tagesbruchs prinzipiell ausgeschlossen werden. Der Senat folgt dieser Einschätzung des Beigeladenen zu 2., da dieser seit Jahren die bergbauliche und geologische Situation im senkungsbetroffenen Gebiet an der Südwest-Flanke des Staßfurter Sattels beobachtet und bewertet und die Ergebnisse der Fachbehörde auf einer nachvollziehbaren Methodik, insbesondere Untersuchungs- und Messergebnissen, basieren, und befindet sich damit in Übereinstimmung mit allen Beteiligten des anhängigen Berufungsverfahrens.

Mithin ist davon auszugehen - und insoweit stimmt auch der Gutachter (vgl. Schreiben vom 18.08.2003) der fachlichen Stellungnahme des Beigeladenen zu 2. zu -, dass der geplante Standort des Bauvorhabens der Klägerin zwar für eine Bebauung bergschadenkundlich nicht unproblematisch, jedoch nicht grundsätzlich für eine Bebauung ungeeignet im Sinne des § 16 Satz 2 BauO LSA ist. Mit diesem Inhalt hat die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten, ihr den begehrten Bauvorbescheid gemäß § 72 Abs. 1 BauO LSA zu erteilen.

Ungeklärt bleibt in dem hier anhängigen Rechtsstreit die Frage der Standsicherheit des von der Klägerin geplanten Bauvorhabens; diese ist Gegenstand des nachfolgenden Baugenehmigungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 5; 162 Abs. 3 VwGO.

Der Klägerin waren die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Sie trägt die Kosten nicht nur im Umfang der Klagerücknahme nach § 155 Abs. 2 VwGO, sondern auch die übrigen Verfahrenskosten nach § 155 Abs. 5 VwGO deshalb, weil sie mit ihrem Begehren, ihr eine Baugenehmigung nach ihrem damaligen Antrag zu erteilen, auch im Berufungsverfahren hätte unterliegen müssen. Dass Unsicherheiten für das Gebäude an dem geplanten Standort beherrschbar sind, musste nicht zu einer entsprechenden Auflage der Baugenehmigungsbehörde führen; denn es war Sache der Bauherrin, ein genehmigungsfähiges Vorhaben zur Prüfung zu stellen. Das folgt nicht zuletzt daraus, dass es in ihrem Ermessen steht, Methoden zu wählen, welche den Ansprüchen an die konkrete Bausicherheit genügen können. Die Vorfrage der generellen Bebaubarkeit hätte die Klägerin schon vor Klageerhebung über einen Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheids klären lassen können.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keine Anträge gestellt und sich damit auch keinem Prozessrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt haben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. v. m. §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 1 VwGO gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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