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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.05.2005
Aktenzeichen: 5 B 452/03
Rechtsgebiete: AbwAG, VwGO


Vorschriften:

AbwAG § 4
AbwAG § 4 Abs. 1 Satz 2
AbwAG § 4 Abs. 4 Satz 2
AbwAG § 4 Abs. 4 Satz 3
AbwAG § 4 Abs. 4 Satz 4
AbwAG § 6
AbwAG § 6 Abs. 2
AbwAG § 7
VwGO § 132 Abs. 2
VwGO § 155 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 5 B 452/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abwasserabgabe

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2005

am 25. Mai 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 29. Oktober 2001 - 6 K 1768/99 - wird geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 1999 und sein Widerspruchsbescheid vom 1. September 1999 werden insoweit aufgehoben, als die festgesetzte Abwasserabgabe den Betrag von 568.920,- DM übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 45 % und der Beklagte zu 55 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 15 % und der Beklagte zu 85 %.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die auf der Grundlage erhöhter Schadeinheiten erfolgte Festsetzung einer Abwasserabgabe.

Mit Bescheid vom 30.6.1999 setzte der Beklagte, handelnd durch das Regierungspräsidium Leipzig, hinsichtlich der von der Klägerin betriebenen Kläranlage W. die Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1996 auf 660.900,- DM fest. Unter Abzug eines verrechenbaren Anteils von 494.280,- DM ergab sich ein zu zahlender Betrag von 166.620,- DM. Bei der Berechnung der Abgabe nahm der Beklagte eine Erhöhung der auf oxidierbare Stoffe in chemischem Sauerstoffbedarf (CSB) und Phosphor (P) entfallenden Schadeinheiten vor, weil die insoweit maßgebenden Überwachungswerte nach den Ergebnissen der staatlichen Gewässerüberwachung im Veranlagungsjahr nicht eingehalten wurden. Die Überwachungswerte für CSB und Phosphor hatte die Klägerin in einer an den Beklagten gerichteten Erklärung mit 170 bzw. 3 mg/l angegeben. Im Veranlagungsjahr wurden im Rahmen der Gewässerüberwachung vier Messungen durchgeführt. Diese ergaben am 18.1.1996 eine Schadstoffkonzentration (in mg/l) von 152 (für CSB) bzw. 4,04 (für Phosphor), am 24.4.1996 von 85 bzw. 1,86, am 13.8.1996 von 308 bzw. 5,36 und am 9.10.1996 von 186 bzw. 4,66. Damit war der Überwachungswert für CSB tatsächlich zweimal (am 13.8. und 9.10.1996) und derjenige für Phosphor tatsächlich dreimal (am 18.1., 13.8. und 9.10.1996) überschritten. Da nach den Ergebnissen der vor der Messung vom 13.8.1996 erfolgten vier Messungen der Überwachungswert für CSB jeweils eingehalten war - die ersten beiden dieser Messungen hatten noch im Jahr 1995 stattgefunden -, betrachtete der Beklagte ihn nach der so genannten 4 von 5-Regelung (Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV) auch bei der fünften Messung vom 13.8.1996 als eingehalten. Er ging daher von nur einer Überschreitung im Veranlagungsjahr aus und wandte insoweit § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG an, nach dem die Zahl der Schadeinheiten bei nur einmaliger Überschreitung des Überwachungswerts im Veranlagungsjahr um die Hälfte des Vomhundertsatzes der Überschreitung zu erhöhen ist. Diese Bestimmung bezog er jedoch auf den höchsten tatsächlich gemessenen Einzelwert, d.h. den am 13.8.1996 ermittelten Wert von 308 mg/l. Das führte zu einer Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten um 40,59 %, d.h. um den halben Vomhundertsatz der Überschreitung des Überwachungswerts (170), die 138 (die Differenz zwischen 308 und 170) betrug. In Bezug auf den Schadstoff Phosphor legte er nach § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG wegen mehrmaliger Überschreitung den vollen Vomhundertsatz der höchsten Überschreitung zugrunde und erhöhte die Zahl der Schadeinheiten demgemäß um 78,67 %, den Quotienten von 2,36 (die Differenz zwischen 5,36 und 3) und 3. Dementsprechend wurden die der Schadstoffgruppe CSB und dem Schadstoff Phosphor - ohne Erhöhung - zuzuordnenden Teilbeträge der Abwasserabgabe in Höhe von 260.580,- DM bzw. 76.620,- DM um 104.220,- DM bzw. 59.760,- DM angehoben.

Die Klägerin erhob mit der Begründung Widerspruch, der Beklagte dürfe die am 13.8.1996 gemessenen Werte nicht berücksichtigen, weil es an diesem Tag geregnet habe, die Abwasserabgabe aber auf den Trockenwetterfall zu beziehen sei. Die Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten könne deshalb nur an die (nächsthöheren) Messergebnisse vom 9.10.1996 mit der Folge einer deutlichen Reduzierung der Abwasserabgabe anknüpfen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1.9.1999 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte aus, dass nur der Berechnungsfaktor der Jahresschmutzwassermenge allein das Schmutzwasser betreffe. Die Schadstoffkonzentration sei demgegenüber auf das gesamte Abwasser unter Einschluss des Niederschlagswassers zu beziehen; sie dürfe darum auch an Regentagen gemessen werden. Ergänzend fügte er hinzu, die 4 von 5-Regelung habe hier nur zur Folge, dass die Zahl der CSB-Schadeinheiten nicht um den vollen, sondern lediglich um die Hälfte des Vomhundertsatzes der höchsten Überschreitung des Überwachungswerts zu erhöhen sei. Insoweit sei aber auf den höchsten gemessenen CSB-Einzelwert von 308 mg/l unbeschadet dessen abzustellen, dass in seiner Hinsicht der Überwachungswert nach der 4 von 5-Regelung als eingehalten gelte.

Mit ihrer am 29.9.1999 erhobenen, auf Aufhebung des Festsetzungsbescheids gerichteten Klage trug die Klägerin vor, wenn der Abgabenberechnung die Jahresmenge des Schmutzwassers zugrunde zu legen sei, müsse auch die Messung der Schadstoffkonzentration auf das Schmutzwasser beschränkt bleiben. Da der Überwachungswert von 170 mg/l bei der Messung vom 13.8.1996 als eingehalten gelte, sei der tatsächlich gemessene Wert von 308 mg/l in keiner Weise, auch nicht bei der konkreten Berechnung der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten, zu berücksichtigen. Der Beklagte wiederholte im Wesentlichen die Begründung seines Widerspruchsbescheids.

Mit Urteil vom 29.10.2001 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hieß es, die Einhaltungsfiktion nach der 4 von 5-Regelung wirke sich nach § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG nur auf die Höhe des bei der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten anzuwendenden Vomhundertsatzes aus. Für die Berechnung im Einzelnen sei hingegen nach § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG der höchste gemessene Einzelwert maßgeblich. Der Gesetzgeber habe mit diesem Begriff verdeutlichen wollen, dass es im Rahmen dieser Vorschrift auf den tatsächlichen Aspekt der Messung ankomme und die Fiktion als normative Bewertung im Gegensatz zu den anderen Bestimmungen des Gesetzes, in denen vom nicht eingehaltenen Überwachungswert oder vom höchsten Messergebnis die Rede sei, hier keine Rolle spiele. Dafür spreche auch die Funktion der Abwasserabgabe, einen Ausgleich für die Einleitung von Schadstoffen herbeizuführen. Die 4 von 5-Regelung solle daher nur zur Vermeidung von Härten bei einmaliger Überschreitung des Überwachungswerts, nicht aber bei dessen mehrfacher Überschreitung eingreifen. Außerdem beziehe das Gesetz die Schadstoffkonzentration ausdrücklich auf das Abwasser und fasse darunter das Schmutzwasser ebenso wie das Niederschlagswasser. Die Überwachungswerte seien folglich jederzeit einzuhalten. Eine wetterbedingte Differenzierung sei insoweit im Unterschied zur Ermittlung der Jahresschmutzwassermenge nicht vorgesehen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 17.6.2003 (5 B 60/02) die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, die Wirkungen der Einhaltungsfiktion nach der 4 von 5-Regelung in Bezug auf den den Überwachungswert tatsächlich überschreitenden fünften gemessenen Wert würden nicht beseitigt, wenn auch der sechste Wert den Überwachungswert überschreite und damit eine zweimalige Überschreitung vorliege. Die Messungen dürften nur bei Trockenwetter erfolgen, weil das Niederschlagswasser die Messergebnisse verfälsche. Es führe nicht etwa zu einer "Verdünnung" der Schadstofffrachten, sondern habe regelmäßig einen Spülstoßeffekt zur Folge. Durch eine schlagartige Erhöhung der Mischwassermenge würden die Schadstoffablagerungen im Kanalnetz fortgespült. Zudem führe die höhere hydraulische Belastung zu einer Verkürzung der Aufenthaltszeiten in den einzelnen Teilen der Kläranlage sowie zu weiteren Beeinträchtigungen ihrer Funktionsfähigkeit und derart zu einem weiteren Anstieg der Schadstoffkonzentration. Angesichts dessen könne die ordnungsrechtliche Funktion der Abwasserabgabe, zu einer Verringerung der Einleitung von Schadstoffen anzuhalten, gar nicht erfüllt werden. Überdies würde die Klägerin durch Messungen an Regentagen doppelt belastet, weil sie bereits eine gesonderte Abgabe für die Einleitung von gesammeltem Niederschlagswasser entrichte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 29.10.2001 - 6 K 1768/99 - zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 30.6.1999 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 1.9.1999 insoweit aufzuheben, als die festgesetzte Abwasserabgabe den Betrag von 551.520,- DM übersteigt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsvorgänge, die Akte des Verwaltungsgerichts und die Verfahrensakten im Berufungs- und Zulassungsverfahren verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit die festgesetzte Abwasserabgabe den Betrag von 568.920,- DM übersteigt. In diesem Umfang ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten.

1. Der Beklagte hat für die Berechnung der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten für oxidierbare Stoffe in chemischem Sauerstoffbedarf (CSB) das Messergebnis vom 13.8.1996 über eine Schadstoffkonzentration von 308 mg/l herangezogen und sich insoweit auf § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG gestützt, wonach sich die Erhöhung nach dem höchsten den maßgebenden Überwachungswert überschreitenden gemessenen Einzelwert richtet. Damit hat er diese Bestimmung materiell fehlerhaft angewandt, weil der Überwachungswert im Hinblick auf den am 13.8.1996 gemessenen Wert als eingehalten gilt. Der Erhöhung durfte daher nur der am 9.10.1996 gemessene CSB-Einzelwert von 186 mg/l zugrunde gelegt werden.

Die Abwasserabgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers, die unter Zugrundelegung der oxidierbaren Stoffe, des Phosphors sowie weiterer Stoffe und ihrer Verbindungen in Schadeinheiten bestimmt wird (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Die der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde zu legende Schadstofffracht errechnet sich, wenn nicht der die Abwassereinleitung zulassende Bescheid die erforderlichen Festlegungen trifft (§ 4 Abs. 1 AbwAG), nach der vom Einleiter gegenüber der zuständigen Behörde abzugebenden Erklärung über die maßgebenden Überwachungswerte, die er im Veranlagungszeitraum einhalten wird (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG). Die Klägerin hat den CSB-Überwachungswert für das Veranlagungsjahr 1996 mit 170 mg/l angegeben. Ergibt die staatliche Überwachung, dass ein der Abgabenberechnung zugrunde zu legender Überwachungswert im Veranlagungszeitraum nicht eingehalten ist und auch nicht als eingehalten gilt, wird die Zahl der Schadeinheiten erhöht (§ 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG). Diese Vorschrift und die gesetzlichen Bestimmungen über den Umfang der Erhöhung (§ 4 Abs. 4 Satz 3 und 4 AbwAG) gelten hinsichtlich der vom Einleiter - mangels durch Bescheid getroffener Festlegungen - erklärten Überwachungswerte entsprechend (§ 6 Abs. 2 AbwAG).

Die Zahl der CSB-Schadeinheiten ist hier zu erhöhen, weil der maßgebende Überwachungswert im Veranlagungsjahr 1996 nicht durchweg eingehalten ist oder als eingehalten gilt. Eingehalten ist er bei den Messungen vom 18.1. und 24.4.1996, die eine CSB-Konzentration von 152 bzw. 85 mg/l ergaben. Als eingehalten gilt der Überwachungswert in Bezug auf die Messung einer CSB-Konzentration von 308 mg/l am 13.8.1996, obwohl darin eine erhebliche tatsächliche Überschreitung liegt. Denn insoweit greift zugunsten der Klägerin die Fiktion nach Nr. 2.2.4 Satz 2 der Allgemeinen Rahmen-Verwaltungsvorschrift über die Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer - Rahmen-AbwasserVwV - in der Neufassung vom 31.7.1996 (GMBl. S. 729) ein, die erst am 1.4.1997 durch den inhaltsgleichen § 6 Abs. 1 der Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer - Abwasserverordnung (AbwV) vom 21.3.1997 (BGBl. I S. 566) abgelöst wurde und im Jahr 1996 noch in Kraft stand. Danach gilt ein Wert auch als eingehalten, wenn die Ergebnisse der letzten fünf im Rahmen der staatlichen Gewässeraufsicht durchgeführten Überprüfungen in vier Fällen diesen Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis diesen Wert um mehr als 100 % übersteigt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Nach den Ergebnissen der vor der Messung vom 13.8.1996 erfolgten vier Messungen einschließlich der zwei noch im Jahr 1995 durchgeführten Messungen ist der Überwachungswert für CSB jeweils eingehalten. Das bei der fünften Messung festgestellte Ergebnis von 308 mg/l übersteigt den Überwachungswert von 170 mg/l auch nicht um mehr als 100 %. Die Bestimmung in Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV stellt zwar keine Außenrechtsnorm dar, doch entfaltet sie ausnahmsweise als generelle verwaltungsinterne Festlegung auf dem Gebiet des Umweltrechts gesetzeskonkretisierende Wirkung (vgl. näher BVerwG, Urt. v. 28.10.1998, BVerwGE 107, 338 [340 ff.]). Indem § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG der Einhaltung des Überwachungswerts die Fiktion seiner Einhaltung gleichstellt, wird die 4 von 5-Regelung aus Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV in den gesetzlichen Regelungszusammenhang inkorporiert. Die Fiktionswirkung erfasst jedoch nicht das weitere tatsächlich über dem Überwachungswert liegende Messergebnis vom 9.10.1996 (186 mg/l), so dass die Zahl der Schadeinheiten grundsätzlich zu erhöhen ist.

Die Erhöhung richtet sich nach dem Vomhundertsatz, um den der höchste gemessene Einzelwert den Überwachungswert überschreitet (§ 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG). Dabei handelt es sich um den am 9.10.1996 gemessenen CSB-Wert von 186 mg/l. Der am 13.8.1996 gemessene noch höhere Wert von 308 mg/l muss entgegen der Auffassung des Beklagten außer Betracht bleiben, weil in seiner Hinsicht der Überwachungswert nach der in Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV enthaltenen Fiktion als eingehalten gilt.

Gilt der maßgebende Überwachungswert für einen Schadstoff oder eine Schadstoffgruppe trotz tatsächlicher Überschreitung durch einen Einzelwert als eingehalten, vermag diese Überschreitung eine Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG zufolge nicht zu rechtfertigen, weil danach die Fiktion der Einhaltung des Überwachungswerts seiner tatsächlichen Einhaltung gleichsteht. Scheidet ein solcher den Überwachungswert tatsächlich überschreitender Einzelwert mithin als Anknüpfungspunkt für die Frage nach dem "Ob" der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten aus, kann er auch für die logisch nachrangige Frage nach dem Umfang der Erhöhung nicht herangezogen werden. Der Gesetzgeber bringt das betreffende Rangverhältnis klar zum Ausdruck, indem er zunächst in § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG die Entscheidung über die Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten als solche vorgibt und darauf aufbauend in § 4 Abs. 4 Satz 3 und 4 AbwAG die konkrete Berechnung der Erhöhung regelt. Kommt dem Einleiter nach der übergreifenden Vorschrift des § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG eine Einhaltungsfiktion zugute, müssen ihm die Wirkungen dieser Fiktion im Anwendungsbereich der diese Vorschrift ausfüllenden Bestimmung des § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG nach dem Grundsatz normativer Konsequenz erhalten bleiben. Beide Regelungen bilden zusammen mit § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG, der den anzuwendenden Vomhundertsatz der Überschreitung festlegt, einen Regelungskomplex, dessen Einzelbestimmungen inhaltlich auf das engste miteinander verzahnt sind. Es würde daher auch dem Prinzip der Systemgerechtigkeit zuwiderlaufen, wollte man innerhalb dieses Normenverbunds eine tatsächliche Überschreitung des Überwachungswerts einerseits für unbeachtlich, andererseits aber für beachtlich erklären. Ein derartiges Vorgehen würde den einheitlichen Regelungszusammenhang des § 4 Abs. 4 Satz 2 bis 4 AbwAG zerreißen. Die durchgängige, § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG einschließende Anwendung der Einhaltungsfiktion setzt im Übrigen nicht voraus, dass ihre Gleichstellung mit der tatsächlichen Einhaltung des Überwachungswerts in dieser Vorschrift ausdrücklich wiederholt wird. Es entspricht vielmehr einer allgemeinen Übung des Gesetzgebers, eine generelle Festlegung, die für eine in sich geschlossene Normengruppe gelten soll, nur einmal, regelmäßig in der einleitenden Bestimmung, zu treffen; auf diese Weise wird eine Überladung des Gesetzestextes vermieden. Außerdem liegt es im Wesen einer normativ begründeten Fiktion, dass diese unbeschränkte Wirkungen entfaltet. Sie gilt prinzipiell in allen rechtlichen Beziehungen. Die Figur einer gespaltenen Fiktion ist der Rechtsordnung fremd; es kann sie erst recht nicht im engen Kontext unmittelbar einander zugeordneter Vorschriften geben (das wird von Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl. 1995, S. 93 f., übersehen).

Auch der Sinn und Zweck der 4 von 5-Regelung nach § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG in Verbindung mit Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV schließt es aus, ihre Wirkungen dem Einleiter im Rahmen des § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG vorzuenthalten. Sie soll die Schwierigkeiten ausnahmsloser Einhaltung der Überwachungswerte angesichts durch die tatsächlichen Verhältnisse bedingter Schwankungen oder technischer Fehlfunktionen dadurch erleichtern, dass ein nach vier Überprüfungen einmal vorkommender "Ausreißer" unberücksichtigt bleibt (vgl. BR-Drucks. 198/89, S. 41). Diese Zielsetzung würde weitgehend verfehlt, wenn die Aussage des § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG, nach der im Hinblick auf einen als eingehalten geltenden Wert keine Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten stattfindet, bei der konkreten Berechnung der Erhöhung wieder vollständig zurückgenommen würde. Ein solcher Wertungswiderspruch wäre auch nicht mit der Erwägung aufzulösen, dass nach § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG eine Erhöhung vorzunehmen ist, wenn im Veranlagungszeitraum außer der aufgrund der Fiktion unbeachtlichen Überschreitung des Überwachungswerts eine weitere Überschreitung eintritt, die nicht von der Einhaltungsfiktion erfasst wird, der Einleiter bei zwei tatsächlichen Überschreitungen aber keinen Schutz verdiente und sich eine Erhöhung unter Heranziehung des höchsten tatsächlich gemessenen Einzelwerts auch dann gefallen lassen müsste, wenn der Überwachungswert insoweit (eigentlich) als eingehalten gilt. Gegen diese Überlegung spricht, dass die Anwendung der 4 von 5-Regelung nur den in Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV genannten Voraussetzungen unterliegt. Dass die den fünf Messungen folgenden Überprüfungen erneut eine tatsächliche Überschreitung ergeben mögen, schließt die Einhaltungsfiktion nicht - auch nicht partiell - mit Rückwirkung aus. Nach Inhalt und Regelungszweck von § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG in Verbindung mit Nr. 2.2.4 Satz 2 Rahmen-AbwasserVwV verbietet sich die Hypothese, die normativ nicht beachtliche Überschreitung des Überwachungswerts lebe bei Hinzutreten einer weiteren Überschreitung im Geltungsbereich des § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG tatsächlich wieder auf.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, der Gesetzgeber habe in § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG mit dem Begriff des höchsten gemessenen Einzelwerts den tatsächlich höchsten Messwert für relevant erklären und damit die Ebene der Fiktion verlassen wollen. Abgesehen davon, dass es nach den vorstehenden Ausführungen keinen Grund für eine solche Annahme gibt, die § 4 Abs. 4 Satz 3 AbwAG überdies als Fremdkörper in einem allgemein anders gearteten Normensystem erscheinen ließe, kann auf das Messergebnis von 308 mg/l zudem deshalb nicht abgestellt werden, weil der höchste gemessene Einzelwert - mag man diesen Begriff auch für sich betrachtet rein tatsächlich verstehen - nicht, wie diese Bestimmung zusätzlich fordert, den Überwachungswert überschreitet. Denn in seiner Hinsicht gilt der Überwachungswert nach der unmittelbar vorangehenden Vorschrift des § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG gerade als eingehalten. Die Erhöhung richtet sich mithin zwar grundsätzlich nach dem höchsten Einzelwert (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2002, BVerwGE 115, 339 [345]). Das gilt aber nicht, wenn für ihn die Einhaltungsfiktion nach § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG eingreift.

Das gefundene Ergebnis wird bei Einbeziehung des § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG zusätzlich bestätigt. Für die Feststellung, ob der Überwachungswert im Veranlagungszeitraum nur einmal nicht eingehalten wird und somit die Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten lediglich die Hälfte des Vomhundertsatzes der Überschreitung beträgt, bleibt kraft der durch § 4 Abs. 4 Satz 2 AbwAG erfolgten Gleichstellung eine von der Einhaltungsfiktion erfasste tatsächliche Überschreitung unbeachtlich (ebenso Köhler, Abwasserabgabengesetz, 1999, § 4 RdNr. 152). Davon geht auch der Beklagte aus. Liegt danach hier im Veranlagungsjahr 1996 nur eine einzige - bei der Messung vom 9.10.1996 ermittelte - Überschreitung des Überwachungswerts vor, kann auch nur diese einmalige Überschreitung mit dem halben Vomhundertsatz in Ansatz gebracht werden. Der Beklagte will den halben Vomhundertsatz demgegenüber auf den zweiten, am 13.8.1996 gemessenen tatsächlichen Überschreitungswert von 308 mg/l anwenden, obwohl der Überwachungswert insoweit als eingehalten gilt. Damit löst er sich zugleich von seiner eigenen - zutreffenden - Prämisse ab, wonach der Überwachungswert nur einmal nicht eingehalten ist. Auch das belegt die Widersprüchlichkeit seines Ansatzes.

Der halbe Vomhundertsatz der einmaligen Überschreitung des Überwachungswerts ist mithin auf den am 9.10.1996 gemessenen CSB-Einzelwert von 186 mg/l zu beziehen. Er beträgt 4,71 % (die Hälfte von 16 : 170). Die Zahl der Schadeinheiten (4.343,50) ist folglich um 204 und der auf CSB entfallende Teilbetrag der Abgabe von 260.580,- DM um 12.240,- DM zu erhöhen. Die Gesamtsumme der Abwasserabgabe beläuft sich damit nur auf 568.920,- DM.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet, soweit die Klägerin eine weitere Reduzierung der Abgabe auf 551.520,- DM mit der Begründung begehrt, der Beklagte habe als höchsten gemessenen Einzelwert für Phosphor nur die am 9.10.1996 gemessene Schadstoffkonzentration von 4,66 mg/l, nicht aber die am 13.8.1996, einem Regentag, gemessene Konzentration von 5,36 mg/l der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten zugrunde legen dürfen. Weder dem Abwasserabgabengesetz noch einer anderen abwasserrechtlichen Bestimmung ist ein Verbot zu entnehmen, die Einhaltung der Überwachungswerte bei Regenwetter zu überprüfen. § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG trifft seit seiner - am 1.1.1989 in Kraft getretenen - Neufassung durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2619) vielmehr umgekehrt eine positive Aussage über die Berechtigung der Behörde, die Überwachung unabhängig von den Witterungsverhältnissen durchzuführen, indem er die Konzentration von Schadstoffen und Schadstoffgruppen auf das Abwasser im Ganzen bezieht; nach der Legaldefinition dieses Begriffs (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AbwAG) gehört dazu sowohl das Schmutzwasser als auch das Niederschlagswasser.

Mit der Neufassung des § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG führte der Gesetzgeber eine grundlegende Änderung der Rechtslage herbei. Zuvor wurde nach § 4 Abs. 1 Satz 2 in der Urfassung des Abwasserabgabengesetzes vom 13.9.1976 (BGBl. I S. 2721) ein System praktiziert, das nach im Mittel einzuhaltenden Werten (Regelwerten) und in keinem Fall zu überschreitenden Werten (Höchstwerten) unterschied. Der Ermittlung der Zahl der Schadeinheiten waren dabei die Regelwerte, mindestens die halben Werte der Höchstwerte (Bezugswerte), zugrunde zu legen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 AbwAG a.F.). Da § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG a.F. als Berechnungsfaktoren außer diesen für die absetzbaren und oxidierbaren Stoffe einzuhaltenden Werten nur die Jahresschmutzwassermenge anführte, war es konsequent, die Konzentration allein auf das Schmutzwasser zu beziehen; dementsprechend durfte die Einhaltung der Werte bei einer Mischwasserkanalisation nur im Trockenwetterfall kontrolliert werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.8.1986, DVBl. 1987, 690). Mit der durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Abwassergesetzes erfolgten Umstellung auf das Modell einheitlicher Überwachungswerte wurde jedoch auch das betreffende Bezugsobjekt ausgewechselt. Zwar gibt § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG (n.F.) nach wie vor die Jahresschmutzwassermenge als Berechnungsfaktor an; die Konzentration hinsichtlich der einzelnen Schadstoffe und Schadstoffgruppen ist hingegen nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift in einem bestimmten Zeitraum "im Abwasser" einzuhalten. Davon ist auch das in einer Mischwasserkanalisation mitgeführte Niederschlagswasser umfasst (ebenso BVerwG, Beschl. v. 26.2.2004, NVwZ 2004, 1249; Nisipeanu, Abwasserabgabenrecht, 1997, S. 60 ff.; Dahme, in: Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz, Band 2, Stand Dezember 2004, § 4 AbwAG RdNr. 13). Die Vereinfachungen und Erleichterungen vorsehende Regelung des § 7 AbwAG hat hingegen nur das Niederschlagswasser für sich genommen mit seiner spezifischen Verschmutzung zum Gegenstand. Sollte die Klägerin zu einer gesonderten Abwasserabgabe für die Einleitung von Niederschlagswasser herangezogen werden - ihr dahin gehendes Vorbringen ist unsubstantiiert geblieben -, hindert das somit bei einem Mischsystem wie bei der Kläranlage W. nicht die Einbeziehung von Niederschlagswasser in die Feststellung der Schadstoffkonzentration des Abwassers im Ganzen; darin liegt keine unzulässige Doppelveranlagung. Das gilt auch, wenn die Überwachungswerte - wie hier - in einer Erklärung des Einleiters statt durch Bescheid niedergelegt sind. Zwar verweist § 6 Abs. 2 AbwAG ausdrücklich nur auf Abs. 2 bis 5 des § 4 AbwAG. Da der Begriff des Überwachungswerts aber in § 4 Abs. 1 Satz 2 AbwAG übergreifend beschrieben und insoweit das Abwasser als relevante Bezugsgröße vorgegeben wird, ist diese Bestimmung auch im Zusammenhang mit § 6 AbwAG heranzuziehen.

Die Auffassung der Klägerin, wenn die Abwasserberechnung auf der Jahresschmutzwassermenge aufbaue, sei auch die Messung der Schadstoffkonzentration - zumal im Hinblick auf Spülstoßeffekte, d. h. das Fortspülen von Schadstoffablagerungen im Mischwasserkanalnetz, sowie eine geringere Leistungsfähigkeit von Kläranlagen bei hohen Regenwassermengen - auf das Schmutzwasser im Trockenwetterfall zu beziehen, geht fehl. Mit der Abwasserabgabe soll ein Ausgleich für die Einleitung von schadstoffhaltigem Abwasser in ein Gewässer erbracht werden (vgl. BT-Drucks. 7/2272, S. 22). Bei Regenwetter ist im Mischwassersystem aber gerade das gesamte Abwasser einschließlich des mitgeführten Niederschlagswassers mit Schadstoffen belastet. Kommt es daher zu einer besonders hohen Schadstoffkonzentration und infolge dessen nach § 4 Abs. 4 Satz 2 bis 4 AbwAG zu einer Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten, liegt darin eine dem Mischwassersystem immanente Konsequenz, die sich problemlos in die normative Zielsetzung einfügt. Auch für die mit der Abwasserabgabe zusätzlich verbundene (ordnungsrechtliche) Funktion des Anreizes zur Verringerung der Schadstoffbelastung (vgl. BT-Drucks. 7/2272, aaO) bleibt ausreichend Raum (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 26.2.2004, aaO). Der Einleiter wird prüfen müssen, welche reinigungstechnologischen Verbesserungen entwickelt und umgesetzt werden können, um die Kläranlagen im Blick auf verstärkt anfallendes Niederschlagswasser weiter zu ertüchtigen, und ob langfristig Mischsysteme durch Trennsysteme ersetzt werden sollten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kosten sind im Verhältnis des jeweiligen Unterliegens zu teilen. Die Klägerin unterliegt im Berufungsverfahren in Höhe von 17.400,- DM bezogen auf einen streitigen Betrag von 109.380,- DM und im erstinstanzlichen Verfahren in Höhe von 74.640,- DM bezogen auf einen streitigen Betrag von 166.620,- DM; sie hatte sich dort gegen den Gesamtbetrag der Abgabe abzüglich des verrechenbaren Anteils gewandt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 55.925,11 € festgesetzt (§ 72 Nr. 1 GKG n.F. in Verbindung mit § 13 Abs. 2 GKG a.F.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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