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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 24.04.2007
Aktenzeichen: 1 D 12/05
Rechtsgebiete: VwGO, BauNVO


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 1
BauNVO § 7 Abs. 4
1. Festsetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO können grundsätzlich nicht in einem einfachen Bebauungsplan getroffen werden. Sie setzen vielmehr voraus, dass der Bebauungsplan die zulässige Geschossfläche ebenfalls festsetzt oder dass sich diese wenigstens mittelbar aus den Festsetzungen des Bebauungsplans ergibt.

2. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO kann der Anteil der Geschossfläche für Wohnungen nicht von der tatsächlich errichteten Geschossfläche abhängig gemacht werden.

3. § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB erlaubt es nicht, die mit einem Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit zu belastende Fläche deutlich breiter als im Ergebnis gewollt festzusetzen und in den textlichen Festsetzungen zu bestimmen, dass innerhalb dieser festgesetzten Fläche tatsächlich nur ein Teil für eine Passage benötigt wird. Dies läuft auf die Festsetzung eines Korridors für ein Gehrecht hinaus und verstößt gegen das Festsetzungsfindungsverbot.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Normenkontroll-Urteil

Az.: 1 D 12/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 45.2 "Nutzungsarten im Stadtzentrum"

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Dahlke-Piel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und Dehoust aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 24. April 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bebauungsplan Nr. 45.2 "Nutzungsarten im Stadtzentrum" der Antragsgegnerin vom 15. Juli 1998 wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 45.2 "Nutzungsarten im Stadtzentrum", weil dieser für ihre Grundstücke im Erdgeschoss selbstständig ein Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit festsetzt. Mit dem Bebauungsplan werden im Übrigen ein Kerngebiet - bestehend aus den Teilgebieten MK 1, MK 2 und MK 3 - sowie Sondergebiete für Hochschul- und Messezwecke festgesetzt.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin der im Geltungsbereich des genannten Bebauungsplans liegenden Grundstücke Grimmaische Straße 2 - 4 und Neumarkt 14 (Flurstücke Nr. F1 und F2 der Gemarkung Leipzig). Auf den Grundstücken befindet sich die M., die ein Kulturdenkmal im Sinne von § 2 Abs. 1 Sächsisches Denkmalschutzgesetz - SächsDSchG - ist. Bei ihr handelt es sich um ein Passagenmessehaus auf einem Grundriss in Form eines "L". Die Zugänge zur M. befinden sich an den Außenfassaden zur Grimmaischen Straße und zum Neumarkt sowie im Inneren der Passage beim Übergang zum "Messehaus am Markt" (Flurstück Nr. F3 der Gemarkung Leipzig).

Dem Bebauungsplan liegt folgendes Verfahren zugrunde:

Die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin fasste am 18.12.1991 den Beschluss (Nr. 381/91 und 382/91) zur Aufstellung eines Bebauungsplans für das Stadtzentrum. Am 16.8.1995 erfolgte durch die Ratsversammlung der Billigungs- und Auslegungsbeschluss für den Planentwurf (Beschluss Nr. 314/95). Die erste öffentliche Auslegung fand in der Zeit vom 26.9.1995 bis zum 25.10.1995 statt. Die daraufhin vorgetragenen Bedenken und Anregungen von Bürgern und Trägern öffentlicher Belange führten zu Planänderungen. Am 20.11.1997 fasste die Ratsversammlung der Antragsgegnerin den Beschluss (Nr. 1051/97) zur Billigung und erneuten Auslegung. Die zweite öffentliche Auslegung fand in der Zeit vom 16.12.1997 bis zum 15.1.1998 statt.

Am 15.7.1998 beschloss die Ratsversammlung der Antragsgegnerin den Bebauungsplan Nr. 45.2 "Nutzungsarten im Stadtzentrum" als Satzung.

Der Geltungsbereich des Bebauungsplans umfasst eine Fläche von 44,3 ha. Er wird begrenzt im Norden von der Richard-Wagner-Straße, im Osten von der Goethestraße und deren Verlängerung bis zum Universitätshochhaus, im Süden von einer Linie zwischen Universitätshochhaus und Schillerstraße, von der Schillerstraße, Markgrafenstraße und Lotterstraße mit den zum Bebauungsplan 45.1 "Burgplatzpassagen" gehörenden Flächen und im Westen vom Martin-Luther-Ring, Dittrichring, Goerdelerring und Richard-Wagner-Platz. Vom Geltungsbereich ausgenommen ist die Freifläche östlich der Thomaskirche (begrenzt durch Thomaskirchhof, Thomasgasse, Petersstraße und die im Süden angrenzende bestehende Bebauung) sowie der Sachsenplatz (begrenzt durch Katharinenstraße, Brühl, frühere Reichsstraße und früheres Böttchergässchen).

In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans heißt es:

"II. Art der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB)

...

Kerngebiet MK 1 (§ 7 Abs. 2 BauNVO)

A. Zulässig sind

1. Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude

2. Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, Vergnügungsstätten sowie sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, sofern keine Einschränkung nach B.1. besteht.

3. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und ausnahmsweise für sportliche Zwecke

4. Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie Betriebsinhaber und Betriebsleiter

B. Unzulässig sind (§ 1 Abs. 5, § 1 Abs. 6 Nr. 1, § 1 Abs. 9, § 12 Abs. 6 BauNVO)

1. Einrichtungen mit überwiegend sexgewerblichem Charakter (z. B. Sex-Shops, PeepShows, Sex-Kinos, bordellartige Betriebe, Unterkünfte für Prostituierte, Striptease-Lokale) sowie Spiel- und Automatenhallen aller Art

2. Oberirdische Parkhäuser, Garagen und Großgaragen sowie Stellplätze außerhalb des öffentlichen Straßenraums

3. Tankstellen aller Art

4. Sonstige Wohnungen

Kerngebiet MK 2 (§ 7 Abs. 2 BauNVO)

C. Zulässig sind (§ 1 Abs. 7, § 7 Abs. 2, § 7 Abs. 4 Nr. 2 BauNVO) alle Nutzungsarten nach Festsetzung A und Wohnungen oberhalb des Erdgeschosses mit der Maßgabe:

Mindestens 20 % der zulässigen Geschossfläche sind für Wohnungen zu verwenden. Die begrenzenden Bauteile der Wohnungen müssen ausreichende Schalldämmwerte nach DIN 4109 aufweisen (§ 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB).

Ausnahmsweise kann auf die Wohnnutzung verzichtet werden, wenn die entsprechende Wohnfläche auf einem anderen Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans hergestellt und durch Baulast gesichert wird.

D. Unzulässig sind alle Nutzungsarten nach Festsetzung B. und Räume für freie Berufe in den nach Festsetzung C. für Wohnungen verwendeten oder zu verwendenden Geschossflächen.

Eingeschränktes Kerngebiet MK 3 (§ 7 i. V. m. § 1 Abs. 4 BauNVO)

Diese Gebiete dienen vorrangig dem Wohnen.

E. Zulässig sind

Die nach Festsetzung A. zugelassenen Nutzungen, soweit die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans vorhandenen Wohnflächen (vgl. Hinweis unter VII.) mindestens erhalten bleiben oder neu errichtet werden. Als neu errichtete Wohnfläche gelten 80 % der tatsächlich errichteten Geschossfläche.

Die begrenzenden Bauteile der Wohnungen müssen ausreichende Schalldämmwerte nach DIN 4109 aufweisen (§ 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB).

Ausnahmsweise kann auf die Wohnnutzung verzichtet werden, wenn die entsprechende Wohnfläche auf einem anderen Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans hergestellt und durch Baulast gesichert wird.

F. Unzulässig sind

alle Nutzungsarten nach Festsetzung B. und Räume für freie Berufe in den nach Festsetzung E. für Wohnungen verwendeten oder zu verwendenden Geschossflächen.

IV. Gebiete mit eingeschränkter Erdgeschossnutzung (§ 1 Abs. 7 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 8 BauNVO)

In den straßen- bzw. passagenseitigen Gebäudefronten sind in Geschossen, deren Fußbodenoberkante höchstens 1,0 Meter über- oder unterhalb des angrenzenden Gehniveaus liegen, nur Einzelhandelsbetriebe, ladenmäßig betriebene Handwerksbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften sowie Einrichtungen für kirchliche und kulturelle Zwecke entsprechend den Festsetzungen des jeweiligen Gebietes nach II. zulässig.

...

V. Besonderer Nutzungszweck von Flächen, der durch besondere städtebauliche Gründe erfordert wird (§ 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB)

...Gaststätte

...

G 13 Thomaskirchhof 11

G 14 Thomaskirchhof 12

G 15 Thomaskirchhof 13

...

VI. Mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zu belastende Flächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB)

Die exakte Lage neu anzulegender Passagen ist innerhalb der festgesetzten Kriterien variabel; dabei ist eine freie Durchgangsbreite von mindestens 6,0 Metern und eine lichte Höhe von 4,5 Metern einzuhalten. ..."

In der Begründung zum Bebauungsplan vom 27.2.1998, die dem Rat bei seiner Beschlussfassung am 15.7.1998 vorlag, wird ausgeführt:

"2.1. Sicherung der Wohnnutzung

Die Durchsetzung des in der Beratung zum Rahmenplan für die Innenstadt von den Stadtverordneten geäußerten Wunsches, bestehenden Wohnraum im Stadtzentrum zu erhalten und neuen zu schaffen, stößt bei vielen Bauherren auf Widerstand. Von einzelnen Investoren wurde die Absicht geäußert, bestehende Wohngebäude zugunsten von Geschäftshäusern abzubrechen. Die Wohnnutzung trägt jedoch erheblich zur Vitalität und Attraktivität der Innenstadt bei und ist daher insgesamt auch ein wichtiger Faktor zur längerfristigen Stabilisierung der Grundstückswerte. Hier bedarf es der planungsrechtlichen Regulierung, da die Gesamtentwicklung sich nicht an Partikularinteressen einzelner Grundstückseigentümer orientieren kann.

...

2.2. Sicherung anderer Nutzungsarten

In zunehmendem Maße dringen in die zentralen Räume der Leipziger Innenstadt Nutzungen (z. B. Banklokale) ein, die mit ihrer ökonomischen Potenz dort vorhandene traditionsreiche Nutzungen verdrängen. Dies ist besorgniserregend, da gerade die renditeschwächeren Nutzungen die Attraktivität des Stadtzentrums sichern. Die fast durchgängige Einzelhandelsnutzung im Erdgeschoss ist ein wesentliches Charakteristikum des Leipziger Stadtzentrums und bildet eine wichtige Voraussetzung für die Anziehungskraft der Innenstadt. Aus diesem Grunde schlug der Fremdenverkehrsverein Leipzig e. V. 1993 vor, hier bei Investitionen in der Erdgeschosszone die Einrichtung von Einzelhandelsgeschäften und gastronomischen Betrieben zu fördern. Diese Forderung erscheint umso dringlicher, als in den vergangenen Jahren bereits die Schließung von traditionsreichen Läden und Cafés verzeichnet werden musste.

...

Eine Gefährdung traditionsreicher Standorte ist auch bei den im Stadtzentrum liegenden Messehäusern abzusehen. Der Bebauungsplan trifft zur Sicherung solcher Nutzungen, die zur Identität Leipzigs beitragen, zweckmäßige Festsetzungen.

...

2.4. Sicherung von Arkaden und Blockdurchquerungen

Der Fortbestand der in einige Gebäude eingebauten Arkaden, die auf privaten Grundstücksflächen liegen, kann mit den derzeit zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln nicht gesichert werden. Ausgehend von vorliegenden Bauanträgen, die die Schließung vorhandener Arkaden zur Erweiterung der Verkaufsraumfläche zum Inhalt haben, ist ein schrittweiser Verlust sämtlicher Arkaden im Leipziger Stadtzentrum zu befürchten. Die zahlreichen Blockdurchquerungen sind bisher nur aufgrund eines geschichtlich entstandenen Gewohnheitsrechts für die Öffentlichkeit zugänglich. Auf Veranlassung des Fachausschusses Planung vom 5.10.1993 wird die öffentliche Nutzung städtebaulich sinnvoller Arkaden und Blockdurchquerungen planungsrechtlich gesichert bzw. neu festgesetzt.

3. Bestandsaufnahme und -analyse

3.1. Wohnnutzung

...

Die Einwohner des Stadtzentrums verteilen sich auf 114 Gebäude mit 1.584 Wohnungen und 80.989 m² Wohnfläche. ...

3.3. Arkaden und Blockdurchquerungen

Wenngleich Arkaden ursprünglich nicht ortstypisch sind, besitzen sie für das heutige Leipzig einen unübersehbaren Milieuwert. Die ersten Arkaden im Stadtzentrum entstanden in den Jahren 1906-08 bei der Sanierung des Alten Rathauses als Ersatz für hölzerne Vorbauten. Zur selben Zeit wurden Arkaden in die Nordseite der Alten Börse eingebaut. Wenig später entstanden Arkaden beim Neubau Markt 9/Ecke Barfußgasse, die eine Erweiterung der engen Gasse bei Erhalt der ursprünglichen Platzöffnung ermöglichten. Die übrigen Arkaden wurden auf der Grundlage des Bebauungsplans von 1949 bei der Umgestaltung vorhandener Gebäude eingebaut ...

Das Leipziger System der Blockdurchquerungen ist in seiner Komplexität einmalig in Deutschland ...

5.2. Regelungsinhalt

Der Bebauungsplan trifft als 'einfacher Bebauungsplan' im Sinne von § 30 Abs. 3 BauGB ausschließlich Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, er trifft keine Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen ... Da sich das städtebaulich notwendige Maß der baulichen Nutzung, insbesondere Gebäudehöhe und die Traufhöhe mit großer Präzision aus der vorhandenen Nachbarbebauung herleiten lässt, ist die rechtliche Qualität des 'einfachen Bebauungsplans' zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung ausreichend.

5.3. Baugebietstypen

...

Die Abgrenzung der vier Baugebietstypen mit ihren weiteren Untergliederungen folgt im Plan dem Verlauf der vor den Kriegszerstörungen bestehenden Bebauungskanten. Die Gebietsgrenzen stellen jedoch keine Baulinien bzw. Baugrenzen im Sinne von § 23 BauNVO dar und nehmen somit keine Entscheidung über die städtebauliche Gestalt einzelner Baublöcke oder Straßenzüge vorweg.

...

5.6. Flächen, die mit Gehrechten zugunsten der Allgemeinheit zu belasten sind

In einzelnen Baublöcken (vgl. Kap. 4.4.) werden Arkaden und Blockdurchquerungen als Flächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB festgesetzt, die mit einem Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit im Erdgeschoss zu belasten sind. Die Festsetzung stimmt mit den Zielen der Gestaltungssatzung (§ 2 Abs. 2.e.) überein. Bei neu anzulegenden Blockdurchquerungen wird ein 10 Meter bzw. 20 Meter breiter Korridor festgesetzt, der die Richtung des Passagenverlaufs kennzeichnet. Die exakte Lage und Breite der Passage bleibt dem jeweiligen Entwurfsverfasser überlassen; es ist jedoch eine Mindestbreite von sechs Metern und eine lichte Höhe von mindestens 4,5 Metern zu gewährleisten.

6. Kosten

...

Die Festsetzung von Gehrechten zugunsten der Allgemeinheit kann Entschädigungsansprüche nach § 41 Abs. 1 BauGB nach sich ziehen. Ist es hiernach dem Eigentümer einer betroffenen Fläche wirtschaftlich nicht zuzumuten, sein Grundstück entschädigungslos zu nutzen, kann dieser die entschädigungspflichtige Begründung von Dienstbarkeiten (§§ 1018, 1090 BGB) verlangen. Auch hier ist die Opfergrenze nach einem subjektiven Maßstab zu bestimmen. Ist die Belastung mit einer Dienstbarkeit ausnahmsweise dem Eigentümer wirtschaftlich nicht zuzumuten, z. B. weil die Festsetzung des Gehrechts die für die Rentabilität seines Betriebes erforderliche Erweiterung ausschließt, so besteht in Anwendung von § 92 Abs. 2 BauGB ein Anspruch auf Übernahme des ganzen Grundstücks.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Entstehen von Entschädigungsansprüchen an die Stadt Leipzig in Einzelfällen nicht völlig ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich ist."

Die Bekanntmachung der Satzung vom 15.7.1998, ausgefertigt am 10.8.1998, erfolgte im Leipziger Amtsblatt Nr. 17 vom 15.8.1998.

Die Antragstellerin hat am 7.8.2000 einen Normenkontrollantrag gestellt (1 D 36/00). Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 22.5.2002 ruhend gestellt und am 15.7.2005 wieder angerufen (1 D 12/05).

Die Antragstellerin trägt vor, der Bebauungsplan verletze sie in ihren Rechten. Er treffe Festsetzungen für ihr Grundstück. Die Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB sei zu unbestimmt. Es fehle die konkrete Benennung des Begünstigten, hier des Repräsentanten der Allgemeinheit. Die Lage des festgesetzten Rechts sei ebenfalls nicht hinreichend bestimmt. Dabei impliziere bereits die Verwendung des Begriffs "Erdgeschoss" das Vorhandensein weiterer Geschosse. Auch hinsichtlich der Breite - von bis zu 20 Metern - der Korridore im Bebauungsplan sei die Festsetzung fehlerhaft. Sie stehe nicht mit der textlichen Festsetzung, die nur eine Mindestbreite von 6 m vorsehe, in Einklang.

Es liege eine unzulässige Atomisierung des Plangebiets vor. Bei der Vielzahl der einzelnen Flächen, die jeweils als Kerngebiete festgesetzt seien, handele es sich in Wahrheit um verdeckte Mischgebiete. Es werde gegen § 1 Abs. 3 und 4 BauNVO sowie § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB verstoßen. Das Vorliegen eines Mischgebiets ergebe sich aus dem erheblichen Anteil an Wohnnutzung. Die Antragsgegnerin habe eine Gliederung sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Hinsicht vorgenommen. Aufgrund des Überschneidens beider Gliederungsarten sei hier eine Anwendung von § 7 Abs. 4 BauNVO nicht mehr möglich. Dies werde besonders bei dem Kerngebiet MK 3 deutlich, das vorwiegend dem Wohnen diene. Fehlerhaft seien ferner die Festsetzungen zu den Grundstücken Thomaskirchhof 11, 12 und 13. Die Festsetzung des besonderen Nutzungszwecks "Gaststätte" verstoße gegen § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB, weil die Thomaskirche in Bezug auf ihre Nutzung nicht auf die festgesetzte Gaststättennutzung angewiesen sei. Die Abwägung sei defizitär, weil sie Einwendungen der B. GmbH & Co. KG sowie der Landeszentralbank vom 20.5.1996 in Bezug auf die eingeschränkte Erdgeschossnutzung nicht berücksichtige.

Die Antragstellerin beantragt,

den Bebauungsplan Nr. 45.2 "Nutzungsarten im Stadtzentrum" der Antragsgegnerin vom 15. Juli 1998 für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, der Bebauungsplan sei wirksam. Die Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB sei hinreichend bestimmt. Es genüge, wenn als Begünstigter die Allgemeinheit genannt werde. Die Passagen und Arkaden hätten für die Stadt einen herausragenden Milieuwert. Die Durchgangsbreite sei hinreichend bestimmt, da ein Mindestwert von sechs Metern genannt werde. Der genaue Verlauf der Korridore könne von den Bauherren bestimmt werden. Die Festsetzung der Kerngebiete sei rechtmäßig. Es liege keine Atomisierung vor. Der Bebauungsplan beziehe sich auf das Gebiet innerhalb des Stadtringes und setze für die Universität und die Messe Sondergebiete fest. Die Überplanung des Sachsenplatzes als auch des Thomaskirchhofes in gesonderten Bebauungsplänen ergebe sich aus der besonderen Lage dieser Plätze. Die Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB berücksichtigten die Stadtgeschichte und die exponierte Lage der Gaststätten zur Thomaskirche. Die Abwägungsentscheidung sei nicht defizitär. Die B. GmbH & Co. KG sowie die Landeszentralbank hätten Einwendungen nur im Rahmen der ersten Offenlegung erhoben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten (1 D 12/05, 1 D 36/00 und 1 B 444/00) und den zugrunde liegenden Behördenvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig.

1. Die Antragstellerin ist antragsbefugt, da der Bebauungsplan das ihr gehörende Grundstück mit einem Gehrecht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB belastet.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung sind dieselben Anforderungen wie an die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zu stellen. Es ist daher ausreichend, wenn der Antragsteller hinreichend substanziiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird (BVerwG, Urt. v. 30.4.2004, NVwZ 2004, 1120; Urt. v. 26.2.1999, NVwZ 2000, 197; Urt. v. 17.2.2005, UPR 2005, 344, [345]). Vorliegend setzt der Bebauungsplan der Antragsgegnerin für das Grundstück der Antragstellerin und die auf ihm befindliche Passage im Erdgeschoss ein Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit fest. Dies hat zur Folge, dass die Antragstellerin ihr durch Art. 14 GG geschütztes Eigentum insoweit für die vorgesehene Nutzung vorzuhalten hat (vgl. Gierke in: Brügelmann, BauGB, Stand September 2006, § 9 RdNr. 388). Der Festsetzung widersprechende Nutzungen können von ihr damit nicht mehr durchgeführt werden (vgl. Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 388).

2. Die Antragstellerin hat auch ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans, da sich ihre Rechtsstellung verbessert, wenn ihr Grundstück nicht mehr mit einem Gehrecht belastet ist. Der Rechtsstreit hat nicht nur - wie in einem Schriftsatz der Antragstellerin angedeutet - symbolische Bedeutung.

Das Rechtsschutzinteresse für einen Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz fehlt nur, wenn die Inanspruchnahme des Gerichts für den Antragsteller nutzlos erscheint, weil er mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung seine derzeitige Rechtsstellung nicht verbessern kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.2.2004, BauR 2004, 1264; BayVGH, Beschl. v. 9.3.2006 - 1 NE 05.2570 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.1.2006 - 2 A 7.05 -). Eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor. Zwar handelt es sich bei der M. um ein Kulturdenkmal im Sinne von § 2 Abs. 1 SächsDSchG, das ohnehin nur aufgrund einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung oder mit der Zustimmung der Denkmalbehörde in seinem Erscheinungsbild beeinträchtigt werden darf (vgl. in diesem Zusammenhang Urt. des Senats vom 18.1.2006 - 1 B 444/05 -). Dies bedeutet aber nicht, dass der Bebauungsplan, der sich grundsätzlich nur auf neu zu errichtende Passagen bezieht, keine Festlegungen für die streitgegenständlichen Flurstücke mehr treffen kann, die das Eigentum der Antragstellerin beschränken. Durch die Festsetzung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB wird die Privatnützigkeit des Grundstücks der Antragstellerin eingeschränkt. Dies gilt - sofern das Gehrecht begründet wird - vor allem für die Ausübung ihres Hausrechtes gegenüber den Nutzern ihrer Passage. Im Übrigen kann die Festsetzung des Gehrechtes auch Grundlage für eine spätere Enteignung sein (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.1.2006 - 2 A 7.05 -; Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 388).

II.

Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.

Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin vom 15.7.1998 ist unwirksam (§ 47 VwGO n. F). Nach der Änderung von § 47 Abs. 5 VwGO - mit Wirkung vom 20.7.2004 - durch Artikel 4 des Europarechtsanpassungsgesetzes vom 24.6.2004 sind Satzungen für unwirksam zu erklären. Eine Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit wird nicht mehr vorgenommen. Mangels einer Übergangsregelung ist unter Berücksichtigung der Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts das neue Verfahrensrecht anzuwenden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 195).

Der Bebauungsplan verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen höherrangiges Recht.

1. Seine Festsetzungen zur allgemeinen Zulässigkeit von Wohnnutzung im MK 2 (mindestens 20 % der zulässigen Geschossfläche oberhalb des Erdgeschosses sind für Wohnungen zu verwenden) können nicht in einem einfachen Bebauungsplan zum Gebietscharakter festgesetzt werden. Diese Festsetzung betrifft nicht allein die Art der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BauGB), sondern auch das Maß der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. BauGB).

Der vorliegende Bebauungsplan trifft Festsetzungen im Zusammenhang mit der Art der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. BauGB, vgl. S. 19 der Begründung zum Bebauungsplan). Er setzt die Baugebiete fest. Es handelt sich um einen einfachen Bebauungsplan (§ 30 Abs. 3 BauGB), da er die Mindestvoraussetzungen, die an einen qualifizierten Bebauungsplan gestellt werden, nicht erfüllt (§ 30 Abs. 1 BauGB). Mit einem solchen Bebauungsplan, der allein den Gebietscharakter festlegen will, kann eine Festsetzung über den prozentualen Anteil der Wohnnutzung (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. BauNVO) nicht erfolgen, da diese nicht nur die Gebietsart, sondern - jedenfalls mittelbar - auch das Maß der baulichen Nutzung betrifft (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. BauGB, § 30 Abs. 1 BauGB). Eine Festsetzung nach § 7 Abs. 4 BauNVO setzt nämlich voraus, dass sich die Geschossfläche (§ 20 Abs. 2 BauNVO) mit Hilfe des Bebauungsplans bestimmen lässt. Es bedarf deshalb entweder der Festsetzung der Geschossflächenzahl oder der Grundflächenzahl in Verbindung mit der Zahl der Vollgeschosse gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 4a RdNr. 33), um eine maßgenaue Berechnung des prozentualen Anteils zu ermöglichen oder zumindest der Festsetzung von Angaben im Bebauungsplan, mittels derer die Geschossfläche bestimmbar ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Geschossfläche lässt sich weder unmittelbar aus den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO) noch mittelbar aus anderen Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 23 BauNVO), so etwa aus der Zahl der Vollgeschosse (vgl. in diesem Zusammenhang auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Dezember 2006, § 4a BauNVO RdNr. 63), entnehmen. Dies hat die Vertreterin der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung mittelbar bestätigt. Sie hat nämlich angegeben, dass sich die Geschossfläche gemäß § 34 Abs. 1 BauGB unter Heranziehung der tatsächlichen Umgebungsbebauung bestimmen lasse (vgl. auch Ziffer 5.2 der Begründung des Bebauungsplans). Indes muss sich die zulässige Geschossfläche aus den Festsetzungen des Bebauungsplans selbst ergeben.

2. Darüber hinaus ist die genannte Festsetzung zum MK 2 - mindestens 20 % der zulässigen Geschossfläche oberhalb des Erdgeschosses sind für Wohnungen zu verwenden - auch nicht von § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. BauNVO gedeckt. Sie steht der Zweckbestimmung des Gebietscharakters entgegen.

Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. BauNVO kann für Teile eines Kerngebietes, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Abs. 3 BauGB) festgesetzt werden, dass in Gebäuden ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche oder eine bestimmte Größe der Geschossfläche für Wohnungen zu verwenden ist. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dass vorhandene Wohnbebauung erhalten werden kann und sichergestellt wird, dass auch künftig ein Anteil des MK-Gebietes bewohnt bleibt. Die Vorschrift entspricht in Satz 1 wörtlich § 4a Abs. 4 BauNVO mit der Einschränkung, dass die Wohngebietsfestsetzungen nur für Teile eines Kerngebietes möglich sind (vgl. Fickert/Fieseler, aaO, § 7 RdNr. 15).

Fraglich ist hier aber bereits, ob nach § 7 Abs. 4 Satz 1 2. Alt. BauNVO das Erdgeschoss ausgenommen werden kann. Eine Festsetzung zu bestimmten Geschossen dürfte vielmehr nur nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauNVO in Betracht kommen, wonach festgesetzt werden kann, dass oberhalb eines im Bebauungsplan bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind. Ob beide Festsetzungsarten nach § 7 Abs. 4 Satz 1 BauNVO miteinander verknüpft werden können, braucht nicht entschieden zu werden, da nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. BauNVO in Gebäuden nur ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche für Wohnungen festgesetzt werden kann (vgl. Ziegler in: Brügelmann, aaO, § 7 BauNVO RdNr. 33). Diesen Anforderungen genügt die Festsetzung, dass "mindestens" 20 % der zulässigen Geschossfläche oberhalb des Erdgeschosses für Wohnungen zu verwenden sind, nicht (vgl. in diesem Zusammenhang Ziegler in: Brügelmann, aaO, § 7 BauNVO RdNr. 33). Durch die Verwendung des Begriffs "mindestens" bleibt die konkrete Obergrenze des Anteils der Geschossfläche, die für Wohnungen zu nutzen ist, offen. Der Anteil der Wohnnutzung könnte danach auch auf 100 % der Geschossfläche ausgedehnt werden, was dem festgesetzten Gebietscharakter aufgrund der Größe des MK 2 im Vergleich zu den sonstigen MK-Flächen widerspricht.

§ 7 Abs. 4 Satz 2 BauNVO räumt zwar ein, dass in dem nach Satz 1 festgesetzten Teil des Gebiets die eigentliche städtebauliche Funktion des Kerngebietes hinter dem Wohnen zurückstehen darf und im Bebauungsplan ein bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche für Wohnungen bestimmt werden kann. § 7 Abs. 4 Satz 2 BauNVO besagt im Umkehrschluss aber auch, dass der Gebietscharakter in seiner Gesamtheit nicht verloren gehen darf. Die Gemeinde ist nämlich bei der bauplanerischen Festsetzung der Nutzungsart an die Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung gebunden. Daraus folgt, dass alle zum Zwecke der Modifizierung der Baugebietsvorschriften vorgesehenen differenzierenden Festsetzungsmöglichkeiten die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes wahren müssen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.12.1989, BRS 49 Nr. 74; SächsOVG, Urt. v. 3.3.3005, BauR 2005, 1062; OVG NW, Urt. v. 19.2.2001, BRS 64 Nr. 24; Urt. v. 18.3.2004 - 7a D 52/03.NE -, Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO, § 1 BauNVO RdNr. 9; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, 3. Aufl., § 1 RdNr. 60, jeweils m.w.N.). Dies gilt nicht nur dort, wo die Bewahrung der allgemeinen Zweckbestimmung ausdrücklich gesetzlich gefordert wird (z. B. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauNVO), sondern als übergeordneter Grundsatz bei allen Modifizierungen der Zulässigkeitsregeln und auch für Festsetzungen nach § 7 Abs. 4 BauNVO (vgl. in diesem Zusammenhang Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO, § 7 BauNVO RdNr. 11 und 37; Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 1999 § 7 RdNr. 34; Fickert/Fieseler, aaO, § 7 RdNr. 12.2).

Die Zweckbestimmung eines Kerngebietes ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 6.12.2000, NVwZ-RR 2001, 217) aus der allgemeinen Umschreibung in § 7 Abs. 1 BauNVO, die in § 7 Abs. 2 BauNVO konkretisiert wird. Danach haben Kerngebiete zentrale Funktionen. Sie bieten vielfältige Nutzungen und ein urbanes Angebot an Gütern und Dienstleistungen für die Besucher der Stadt und die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereiches. Dieser Charakter umfasst auch nach Maßgabe des Bebauungsplanes oder ausnahmsweise zulässige Wohnnutzung. Der Plangeber hat bei der Festsetzung von Wohnungen im Kerngebiet jedoch zu beachten, dass dieses in erster Linie und im Unterschied zu anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung den vorgenannten zentralen Funktionen und Einrichtungen zu dienen bestimmt ist. Diese Prägung des Gebietes durch kerngebietstypische Nutzungen wird nach den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht mehr gewahrt.

Das Kerngebiet besteht aus MK 1, MK 2, MK 3 sowie den Sondergebieten der Nutzungen zu Universitätszwecken und Messezwecken, dazwischen liegen die Bebauungspläne Nr. 45.1 "Burgplatzpassagen", Nr. 45.3 "Thomaskirchhof" und Nr. 45.4 "Sachsenplatz". Die prozentualen Festsetzungen in Bezug auf die Wohnnutzung beziehen sich zwar nur auf das MK 2 (mindestens 20 % der zulässigen Geschossflächen oberhalb des Erdgeschosses) und MK 3 (80 % der tatsächlich errichteten Geschossfläche). Insbesondere das MK 2 betrifft aber den flächenmäßig ganz überwiegenden Teil des Kerngebiets. Unter Berücksichtigung einer im Wesentlichen fünfgeschossigen Bebauung steht der prozentuale Anteil der Wohnnutzung, der aufgrund der gewählten Formulierung zwischen 20 % und 100 % liegen kann, nicht mehr mit dem Gebietscharakter eines Kerngebietes in Einklang. Zu berücksichtigen ist auch, dass das eigentliche Kerngebiet MK 1 im Vergleich zum MK 3, das überwiegend dem Wohnen dienen soll, nur einen sehr viel geringeren Flächenanteil betrifft und dass die Antragsgegnerin in Ziffer II. Buchst. D in Bezug auf das MK 2 auch noch mehrere allgemein zulässige kerngebietstypische Nutzungen ausgeschlossen und damit das Gewicht nochmals zugunsten einer kerngebietsuntypischen Festsetzung verschoben hat.

3. Die Festsetzungen zum MK 2 finden auch keine Rechtfertigung in § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO oder § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO.

Nach § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO sind in Kerngebieten sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans zulässig. Mit "sonstigen" Wohnungen sind solche ohne die Zweckbestimmung des § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO gemeint. Die Vorschrift gestattet jedoch keine unbeschränkte Festsetzung von Wohnungen für einzelne Teile des Kerngebietes oder das gesamte Kerngebiet. Erlaubt sind nur Festsetzungen, bei denen die allgemeine Zweckbestimmung gewahrt bleibt.

§ 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO kommt bereits deshalb nicht zum Tragen, weil Wohnungen danach nur ausnahmsweise zugelassen werden können (vgl. hierzu OVG NW, Urt. v. 19.2.2001, BRS 64 Nr. 24). Eine allgemeine Festsetzung für bestimmte Geschosse oder Anteile der Geschosse ist aufgrund dieser Regelung nicht möglich (Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO, § 7 BauNVO RdNr. 45).

4. Die textlichen Festsetzungen zum MK 3 unter Buchstabe E genügen nicht dem Bestimmtheitserfordernis und verstoßen gegen § 7 Abs. 4 BauNVO. Dabei ist die Formulierung "Als neu errichtete Wohnfläche gelten 80 % der tatsächlich errichteten Geschossfläche" unverständlich. Aus ihr lässt sich bereits nicht entnehmen, ob auf die Geschossfläche aller errichteten Neubauten einschließlich von Nebengebäuden abgestellt wird, oder ob nur Gebäude, die für Wohnzwecke vorgesehen sind, von ihr erfasst werden. Des Weiteren darf im Rahmen des § 7 Abs. 4 BauNVO nicht darauf abgestellt werden, welche Geschossfläche tatsächlich errichtet wird (vgl. Ziegler in: Brügelmann, aaO, § 4a BauNVO RdNr. 110; Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO, § 4a BauNVO RdNr. 63). Maßgebend ist - wie bereits dargelegt - vielmehr die zulässige Geschossfläche sowie dass sich diese anhand des Bebauungsplans und der dort genannten Bezugsgrößen eindeutig bestimmen lässt.

5. Die Festsetzung der Gaststättennutzung für einzelne Gebäude unter anderem auf den Grundstücken Thomaskirchhof 11, 12 und 13 verstößt gegen höherrangiges Recht. Sie ist nicht von § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB gedeckt, da mit dieser Vorschrift nicht das Ziel verfolgt werden kann, alle anderen kerngebietstypischen Nutzungen zu verhindern, um eine bestimmte Nutzung zu sichern.

Eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB ist auf Flächen mit einem besonderen Nutzungszweck beschränkt. Sie enthält eine Festsetzungsmöglichkeit, mit der dem städtebaulich begründeten Nutzungszusammenhang zwischen zwei Flächen Rechnung getragen werden kann, wenn keine der speziellen Nutzungsmöglichkeiten des § 9 BauGB eingreift (vgl. Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 9 RdNr. 36). Sie ist nur zulässig, wenn die Festsetzung eines Baugebietes nicht ausreicht, um eine entsprechende Nutzung zu ermöglichen (vgl. Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 188 f.). Entscheidend für eine Nutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB ist stets, dass eine bestimmte Nutzung einer Fläche aus städtebaulichen Gründen in der konkreten Situation auf einer anderen Fläche eine Folgenutzung oder komplementäre Nutzung erfordert, mithin ein enger räumlicher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Nutzungen besteht, wie beispielsweise bei einer Fläche für ein Parkhaus und einer daneben liegenden Fläche für die Ein- und Ausfahrt (vgl. Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, aaO, § 9 RdNr. 37). Die Festsetzung dient aber nicht dazu, gebietstypische Nutzungen auszuschließen, um bestimmte andere zu privilegieren.

Daran gemessen ist die streitige Festsetzung nicht zulässig. Eine Gaststättennutzung ist bereits durch die Kerngebietsfestsetzung (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) möglich, und zwischen der Nutzung der Fläche der Thomaskirche und der für die Gaststättennutzung vorgesehenen Fläche besteht der erforderliche Nutzungszusammenhang nicht.

Nicht zuletzt bewirkt diese Festsetzung überdies - entgegen § 9 Abs. 1 Nr. 9 BauGB -, dass die Eingruppierung nach der Baunutzungsverordnung (sog. "Nummerndogma") nicht beachtet wird und andere nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO vorgesehenen Nutzungen ausgeschlossen werden.

6. Der Bebauungsplan ist weiterhin deshalb zu beanstanden, weil er die im Festsetzungsgebiet liegenden Straßen ebenfalls als Kerngebiet ausweist. Zwar dürfen in einem einfachen Bebauungsplan die örtlichen Verkehrsflächen nicht festgesetzt werden. Sie können aber nicht als Kerngebiet ausgewiesen werden, da dort die kerngebietstypischen Nutzungen (§ 7 Abs. 2 BauNVO) nicht stattfinden können.

7. Die Festsetzung von Gehrechten zugunsten der Allgemeinheit verstößt gegen das Festsetzungsfindungsverbot, da es aufgrund von § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB nicht möglich ist, Korridore vorsorglich - mit einer maximalen Breite von 20 m - für in ihnen liegende Passagen festzulegen.

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB können im Bebauungsplan die aus städtebaulichen Gründen mit einem Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit zu belastenden Flächen festgesetzt werden. Es handelt sich dabei um eine Festsetzung, die je nach der Ausgestaltung als selbstständige Festsetzung - wie hier - oder als die Gebietsfestsetzung überlagernde Festsetzung getroffen werden kann (vgl. Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 24, 25 und 382).

Zwar ist der Begünstigte in der Festsetzung anzugeben. Die hier getroffene Angabe, dass das Gehrecht zugunsten der Allgemeinheit begründet wird, genügt aber entgegen der Auffassung der Antragstellerin den gesetzlichen Anforderungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB). Eine namentliche Benennung ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.1987, NVwZ 1988, 822; OVG Berlin, Urt. v. 22.5.2003, OVGE BE 24, 228; OVG NW, Beschl. v. 19.6.2002 - 10a D 115/99 -. NE; Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 385; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aaO, § 9 BauGB RdNr. 165/166). Die Antragsgegnerin wird von dem Begriff "Allgemeinheit" im Sinne der Vorschrift erfasst. Mit Allgemeinheit meint der Gesetzgeber nach Wahl des Plangebers die Allgemeinheit im Sinne eines unbeschränkten Personenkreises oder wie hier im Sinne der öffentlichen Hand, also die Gemeinde (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 22.5.2003, OVGE BE 24, 228; OVG NW, Beschl. v. 19.6.2002 - 10a D 115/99. NE -; Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 385).

Die Festsetzung der Korridore im Bebauungsplan mit einer Breite von bis zu 20 m verstößt aber gegen das Festsetzungsfindungsverbot, denn § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB sieht eine solche Festsetzungsmöglichkeit nicht vor.

Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB können für Geh- und Fahrrechte benötigte Flächen, beispielsweise für Wege zu Garagen oder Stellplätzen, für Arkaden, Passagen oder Hofdurchfahrten festgesetzt werden (vgl. Gierke in: Brügelmann, aaO, § 9 RdNr. 381). Eine solche Festsetzung ist - öffentlich-rechtliche - Grundlage, um das Grundstück zur Begründung eines derartigen Rechts notfalls im Enteignungswege in Anspruch zu nehmen. Die Vorschrift ermöglicht aber nicht die Festsetzung von in diesem Umfang nicht benötigten Flächen durch Korridore. Die Breite der festgesetzten Korridore im Bebauungsplan schwankt zwischen sechs und 20 m. Unter Ziffer 5.6 der Begründung des Bebauungsplans wird insoweit ausgeführt, dass bei neu anzulegenden Blockdurchquerungen ein 10 Meter und/oder 20 Meter breiter Korridor festgesetzt wird, der die Richtung des Passagenverlaufs kennzeichnet. Die exakte Lage und Breite der Passage bleibt danach dem jeweiligen Bauherrn überlassen. Nach den textlichen Festsetzungen ist jedoch eine Mindestbreite von sechs Metern und eine lichte Höhe von mindestens 4,5 Metern zu gewährleisten (vgl. Ziffer VI. der textlichen Festsetzungen). In der Konsequenz heißt das, dass die im Bebauungsplan festgesetzten - teilweise 20 m - breiten Korridore letztlich weder insgesamt für den Passagenverlauf benötigt werden noch verbindlich sein sollen. Mit der Festsetzung wird deshalb kein Gehrecht für eine Passage bestimmt, sondern ein Korridor, der eine Passage - deren Verlauf später vom Eigentümer zu bestimmen ist - aufnehmen soll.

Diese Festsetzung ist im Übrigen auch unverhältnismäßig, weil einige Eigentümer aufgrund der Breite der Korridore - gewissermaßen auf Vorrat - überflüssig viel Fläche vorhalten müssen und damit ihr Eigentum insoweit nicht unbelastet nutzen können. Da es sich um eine selbstständige Festsetzung handelt, dürfte eine Nutzung des "überschießenden" Teils als Kerngebiet nur schwerlich möglich sein.

Die vorstehend dargestellten Festsetzungsmängel führen zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 10.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG - a. F., der hier gemäß § 72 Nr. 1 GKG anwendbar ist. Dabei orientiert sich der Senat entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung an den Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, nach dessen bei Antragseingang veröffentlichter Fassung von 1996 (Abdruck etwa in NVwZ 1996, 563) der Streitwert in Normenkontrollverfahren gegen Bebauungspläne zwischen 10.000,- DM und 100.000,- DM anzusetzen ist (Streitwertkatalog 1996, Teil II Nr. 7.7). Mangels weiterer substanzieller Darlegung ist hier unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten im Zusammenhang mit der Streitwertfestsetzung im Rahmen des Ruhens des Verfahrens von einem Wert von 10.000,- € für das Begehren des Antragstellers gegen den einfachen Bebauungsplan auszugehen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 4 GKG a. F.).

Ende der Entscheidung

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