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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.09.2007
Aktenzeichen: 3 BS 100/07
Rechtsgebiete: VwGO
Vorschriften:
VwGO § 47 Abs. 6 |
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss
Az.: 3 BS 100/07
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Polizeiverordnung "Alkoholabgabeverbot Neustadt"
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO
hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald, den Richter am Sozialgericht Tischer, den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein
am 27. September 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 40.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die am 1.4.2007 unbefristet in Kraft getretene Polizeiverordnung der Antragsgegnerin über das Verbot der Alkoholabgabe an jedermann über die Straße durch Schank- und Speisewirtschaften in der Äußeren Neustadt vom 12.12.2006 (PolVO Alkoholabgabeverbot Neustadt; im Folgenden: PolVO).
Mit dieser Polizeiverordnung (Dresdner Abl. Nr. 3/2007 v. 18.1.2007, S. 9) wird in einem Bereich Dresdens, der durch die Bautzner Straße, die Königsbrücker Straße, den Bischofsweg und die Prießnitzstraße unter Einschluss dieser Straßenzüge begrenzt ist (Örtlicher Geltungsbereich, § 1 PolVO), den Inhabern und Betreibern von Schank- und Speisewirtschaften untersagt, in den Nächten von Freitag auf Sonnabend und von Sonnabend auf Sonntag jeweils von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr alkoholische Getränke an jedermann über die Straße abzugeben (Alkoholabgabeverbot, § 2 PolVO). Die vorsätzliche oder fahrlässige Alkoholabgabe entgegen diesem Verbot ist gemäß § 3 PolVO als Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 17 des Sächsischen Polizeigesetzes (SächsPolG) eingestuft und kann mit einer Geldbuße bis zu 1.000,00 € geahndet werden.
Die Antragsteller betreiben im räumlichen Geltungsbereich dieser Polizeiverordnung mit entsprechender gewerbe- und gaststättenrechtlicher Erlaubnis Schank- und Speisewirtschaften in Form sog. Spätshops, die wochentags ab 16:00 Uhr (Antragsteller zu 1) bzw. 18:00 Uhr (Antragsteller zu 2) und am Wochenende jeweils ab 14:00 Uhr geöffnet sind sowie um 2:00 Uhr nachts (Antragsteller zu 1) bzw. 1:00 Uhr nachts (Antragsteller zu 2) schließen. Zu ihrem Geschäftsbetrieb gehört unter anderem der Verkauf alkoholischer Getränke über die Straße an jedermann.
Nachdem sich die Antragsteller im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erfolglos gegen die inhaltsgleiche, aber nur befristet vom 1. bis 31.12.2006 geltende Polizeiverordnung der Antragsgegnerin vom 14.11.2006 (Dresdner Abl. Nr. 47/2006 v. 24.11.2006, S. 12) gewandt hatten (SächsOVG, Beschl. v. 14.12.2006 - 3 BS 304/06 -), haben sie am 16.4.2007 vorläufigen Rechtsschutz gegen die aktuelle Polizeiverordnung vom 12.12.2006 beantragt.
Sie tragen vor, dass die Abgabe alkoholischer Getränke an jedermann über die Straße ein wichtiger Bestandteil ihres Geschäftsbetriebes sei und im Wesentlichen nach den üblichen Ladenschlusszeiten ab etwa 21:00 Uhr bis zum Schließzeitpunkt sowie vor allem in den von der Polizeiverordnung betroffenen Wochenendnächten erfolge. So liege der Umsatzanteil alkoholischer Getränke im Lokal des Antragstellers zu 1 in den beiden Wochenendnächten jeweils zwischen 22:00 Uhr und 2:00 Uhr bei etwa 55 % und der Anteil der beiden Wochenendnächte insgesamt am Wochenumsatz bei etwa 50 %. In den beiden Lokalen des Antragstellers zu 2 sei dies ähnlich (Lokal "K. 1": Wochenumsatz etwa 3.000,00 €, Umsätze freitags und samstags etwa 1.800,00 €, Anteil alkoholischer Getränke freitags und samstags nach 22:00 Uhr etwa 1.000,00 €; Lokal "K. 2": Wochenumsatz etwa 6.000,00 €, Umsätze freitags und samstags etwa 3.000,00 €, Anteil alkoholischer Getränke freitags und samstags nach 22:00 Uhr etwa 1.800,00 €). Ohne eine Außervollzugsetzung des Alkoholabgabeverbotes drohe ihnen somit dauerhaft irreparabler wirtschaftlicher Schaden, da die jetzige Polizeiverordnung unbefristet gelte. Ihre Kunden seien überwiegend Anwohner (etwa 80 %), daneben offensichtliche Touristen und nur wenige fremde, aber nicht zwingend gewaltbereite Jugendliche. Demgegenüber versorge sich der gewaltbereite Kreis schon vor 22:00 Uhr zu den üblichen Ladenöffnungszeiten bei den viel billigeren Discountern der Gegend sowie inzwischen auch bei sog. fliegenden Händlern mit alkoholischen Getränken oder bringe diese bereits bei der Anreise von außerhalb mit, wie sich anhand des bei ihnen abgegebenen Leerguts und einschlägigen Pressemeldungen feststellen lasse. Zudem finde der Großteil der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwar im räumlichen Geltungsbereich der Polizeiverordnung, insbesondere nahe eines auf den Verkauf alkoholischer Getränke spezialisierten Spätshops statt, nicht aber in der Nähe ihrer eigenen Spätshops. Das Alkoholabgabeverbot sei daher allgemein und auch bezüglich ihrer eigenen Lokale ungeeignet, diesen Auseinandersetzungen entgegen zu wirken und nehme alle Spätshops in eine Art "Sippenhaft". Dies zeige sich auch daran, dass schon seit November 2006 keine Krawalle mehr gemeldet worden seien, welche die Ursache des Erlasses der Polizeiverordnung gewesen seien. Vielmehr seien die im Verwaltungsvorgang vorhandenen Berichte der Ordnungskräfte sowohl vor als auch nach Inkrafttreten der aktuellen Polizeiverordnung inhaltlich im Wesentlichen unverändert. In den Monaten Januar bis März 2007 seien diese lediglich tendenziös übertrieben und in der Sache unsubstantiiert gefasst. Den vollständigen, im Internet veröffentlichten Polizeiberichten aus 2007 und der Presse seien hingegen in diesen Monaten keine Ereignisse zu entnehmen, welche die aktuelle Polizeiverordnung erfordert hätten. Demgegenüber habe es auch nach deren Inkrafttreten ab 1.4.2007, insbesondere in der Nacht vom 26. zum 27.5.2007, wieder schwere Ausschreitungen gegeben. Angesichts dessen trete im Rahmen der Folgenabwägung die eher unwahrscheinliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (falls der Vollzug der Polizeiverordnung ausgesetzt werde) hinter die ihnen wöchentlich drohenden wirtschaftlichen Schäden (falls die Polizeiverordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens unverändert weiter gelte) zurück, weil insoweit der irreparable und zeitlich unbegrenzte Eingriff in ihre Berufsfreiheit das größere Gewicht habe. Hinzu komme, dass die Polizeiverordnung offenkundig rechtswidrig sei, weil der Verkauf alkoholischer Getränke über die Straße keine abstrakte Gefahr darstelle, die im Einzelfall in eine konkrete Gefahr umschlagen könne. Es bestehe keine größere Gefahr als beim Verkauf über die Straße in den nicht erfassten Zeiten und beim Alkoholgenuss innerhalb normaler Gaststätten. Als Inhaber der Spätshops seien sie deshalb nicht Störer, sondern unbeteiligte Dritte. Die Gefahr müsse somit statt durch ein Alkoholabgabeverbot mit anderen Mitteln gegenüber den eigentlichen Störern (verstärkte Bestreifung, Auflösung von Ansammlungen, Erteilung von Platzverweisen, generalpräventive Videoüberwachung, Deeskalation durch geringere, die Jugendlichen ohnehin nur reizende Polizeipräsenz u.ä.) abgewandt werden. Dazu trage zudem die freiwillige Selbstverpflichtung der Spätshopbetreiber bei, in den fraglichen Nächten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr keine alkoholischen Getränke an Personen abzugeben, die durch erhöhten Alkoholkonsum auffallen oder - im Zweifel nachgewiesen durch Ausweise o.ä. - unter 18 Jahre alt sind oder bei denen der begründete Verdacht der Weitergabe an Personen unter 18 Jahren bestehe. Das Alkoholabgabeverbot sei somit insgesamt ungeeignet, nicht erforderlich und unangemessen.
Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung der Polizeiverordnung der Antragsgegnerin über das Verbot der Alkoholabgabe an jedermann über die Straße durch Schank- und Speisewirtschaften in der Äußeren Neustadt vom 12.12.2006 (PolVO Alkoholabgabeverbot Neustadt) vorläufig auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie macht geltend, der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz sei unzulässig, zumindest aber unbegründet. Unzulässig sei er, da über eine zum Beschluss des Senats vom 14.12.2006 - 3 BS 304/06 - unveränderte Sach- und Rechtslage zu entscheiden sei. Darüber hinaus führe die unbefristete Geltung der aktuellen Polizeiverordnung dazu, dass bei einem erfolgreichen Rechtsschutzantrag die Hauptsache vorweggenommen werde. In der Sache widerspreche die Sachverhaltsschilderung der Antragsteller den aktenkundigen Feststellungen der Polizei- und Ordnungskräfte, den Presseberichten und den Angaben anderer Gewerbetreibender sowie der betroffenen Anwohner. Unter Geltung der Polizeiverordnung vom 14.11.2006 habe es im Dezember 2006 keine Ansammlungen gewaltbereiter, alkoholisierter Jugendlicher gegeben, was sich ab Januar 2007 wieder geändert habe. Dann sei es erneut beinahe jedes Wochenende zu derartigen Ansammlungen gekommen, bei denen Flaschen zertrümmert und Einrichtungen beschädigt oder in Brand gesetzt sowie Straßen blockiert worden seien bis hin zu Angriffen auf einzelne Passanten und Einsatzwagen von Polizei und Ordnungsamt. Dies habe jeweils wesentlich mit übermäßigem Alkoholkonsum der Randalierer zusammengehangen. Ab 1.4.2007 seien derartige Vorfälle hingegen stark zurückgegangen, während die einmaligen, schweren Ausschreitungen am 26./27.5.2007 durch besondere Ereignisse bedingt gewesen seien (verpasster Aufstieg des FC Dynamo Dresden und Sammlung auch ausländischer G-8-Gegner in Dresden am Pfingstwochenende). Dies werde durch die Berichte ihrer eigenen Ordnungskräfte und die in der Akte befindlichen Polizeiberichte bestätigt, wobei Unterschiede in den Berichten nur durch die höhere Eingriffsschwelle der Polizei gegenüber den kommunalen Ordnungskräften sowie durch die zeitlich und örtlich abweichenden Einsätze bedingt seien. Insoweit müsse den gemeindlichen Ordnungskräften zugestanden werden, dass sie die Lage vor und nach Inkrafttreten der Polizeiverordnungen gerade im Hinblick auf deren Erforderlichkeit beobachtet haben. Der übermäßige Alkoholkonsum der Randalierer beruhe auch nicht überwiegend auf mitgebrachten bzw. solchen Alkoholvorräten, die zu den üblichen Ladenöffnungszeiten (noch weit vor 22:00 Uhr) bei den örtlichen Discountern erworben worden seien, da diese Vorräte rasch aufgebraucht seien. Der Alkoholkonsum im Freien ab 22:00 Uhr werde deshalb im Wesentlichen durch die Spätshops gesichert, da die Mehrzahl der später auffällig werdenden Personen den Alkohol auf der Straße konsumiere und nicht in Gasträumen. Der Schwarzverkauf aus Autos heraus (fliegende Händler) sei hingegen absolute Ausnahme. Die behauptete Existenzbedrohung sei nicht glaubhaft, da das Alkoholabgabeverbot an nur zwei Wochentagen für wenige Stunden gelte, nur einen Teil des angebotenen Sortiments der Spätshops betreffe und Alkohol in den Spätshops weiter konsumiert werden dürfe. Daher werde von anderen Spätshopbesitzern eine Existenzbedrohung verneint, wie entsprechende Presseverlautbarungen zeigten. Die Gefahr könne schließlich nicht durch das Einwirken auf einzelne, besonders betroffene Spätshops erfolgen, da andernfalls ein Ausweichen auf die anderen, zu Fuß erreichbaren Spätshops in der Nähe zu erwarten sei und unzulässig in den Wettbewerb der Spätshops eingegriffen werde. Die Polizeiverordnung sei daher nicht nur geeignet, sondern mangels anderer, milderer Mittel auch erforderlich und angemessen, um den nächtlichen Krawallen am Wochenende in der Äußeren Neustadt entgegen zu wirken. Dies könne weder durch erhöhte Polizeipräsenz oder -aktivität vor Ort, die neben dem erheblichen Kostenfaktor auch eskalierend wirke, häufig nur im Einzelfall auf bereits begangene Ordnungsstörungen reagieren könne und wegen des wechselnden Störerkreises keine nachhaltige Wirkung habe, noch durch deutliche Verringerung der Polizeipräsenz, die anarchischen Zuständen Vorschub leisten würde, erreicht werden. Auch die freiwillige Selbstverpflichtung der Spätshopbetreiber sei ungeeignet, da diese nicht zwangsweise durchsetzbar sei, nach den Beobachtungen der Ordnungskräfte nicht immer eingehalten werde und ein Großteil der Randalierer über 18 Jahre alt sei. Die Polizeiverordnung gewährleiste zwar nicht allein Ordnung und Sicherheit, leiste aber einen wichtigen Beitrag und habe sich als tragfähig erwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 3 BS 304/06 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Normenkontrollsache ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist insbesondere nicht deshalb unzulässig, weil über eine zum Beschluss des Senats vom 14.12.2006 - 3 BS 304/06 - unveränderte Sach- und Rechtslage zu entscheiden wäre und deshalb einer erneuten Entscheidung die Rechtskraft dieses Beschlusses entgegenstünde. Zwar sind auch Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz, insbesondere nach § 47 Abs. 6 VwGO, analog § 121 VwGO im beschränkten Umfang der Rechtskraft fähig. Jedoch bewirkt die Rechtskraft nur, dass zwischen den Beteiligten hinsichtlich desselben Streitgegenstandes nicht mehr (abweichend) entschieden werden kann (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 121 RdNr. 2 und 4). Bei Ablehnung eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO ist deshalb die streitgegenständliche Rechtsvorschrift als gültig anzusehen und kann bei unveränderter Sach- und Rechtslage wegen entgegenstehender Rechtskraft von den Beteiligten nicht mehr nach § 47 VwGO zur Überprüfung gestellt werden (u.a. BVerwG, Urt. v. 19.1.1984, BVerwGE 68, 306 ff.). Ob die Rechtskraft der Ablehnung eines Normenkontrollantrags auch einem Normenkontrollantrag bezüglich einer neuen, aber inhaltsgleiche Rechtsvorschrift entgegensteht (so Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 47 RdNr. 146; BayVerfGH, Entsch. v. 26.7.1984, BayVBl. 1985, 115 ff. [116]), kann hier jedoch dahinstehen, weil die vorliegend streitgegenständliche Polizeiverordnung vom 12.12.2006 nicht völlig identisch mit der Polizeiverordnung vom 14.11.2006 ist, die Gegenstand des Beschlusses des Senats vom 14.12.2006 - 3 BS 304/06 - war. Denn nunmehr gilt das ansonsten inhaltlich unveränderte Alkoholabgabeverbot nicht nur befristet für einen Monat, sondern - vorbehaltlich der Zehnjahresfrist des § 16 SächsPolG - unbefristet, so dass sich sowohl der Streitgegenstand der (bisher mangels eines entsprechenden Antrags nur potentiellen) Hauptsache als auch die Sach- und Rechtslage hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gegenüber dem Beschluss des Senats vom 14.12.2006 - 3 BS 304/06 - verändert hat. Denn die unbefristete Geltung der Polizeiverordnung vom 12.12.2006 ist als neuer Gesichtspunkt in die Prüfung einzustellen, ob gegebenenfalls nunmehr vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist.
Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus rügt, die beantragte einstweilige Anordnung nehme im Falle ihres Erlasses die Hauptsache vorweg, ist dies keine Frage der Zulässigkeit des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, sondern der Begründetheit, in deren Rahmen das Gericht analog § 938 ZPO nach freiem Ermessen bestimmt, welche Anordnungen zur Erreichung des Eilrechtsschutzes erforderlich sind. Dabei kann in Ausnahmefällen durchaus auch die Vorwegnahme der Hauptsache in Betracht kommen, wenn effektiver Rechtsschutz anders nicht zu erreichen ist (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 47 RdNr. 155 m.w.N.).
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vorliegend jedoch unbegründet.
Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht, das gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 24 Abs. 1 SächsJG über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften entscheidet, die Anwendung der Polizeiverordnung der Antragsgegnerin vorübergehend außer Vollzug setzen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Da sich der Wortlaut der Vorschrift an § 32 BVerfGG anlehnt, sind die vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Grundsätze (BVerfG, Beschl. v. 8.11.1985, BVerfGE 71, 158 [161]; BVerfG, Beschl. v. 20.4.1993, BVerfGE 88, 185 [186]; BVerfG, Beschl. v. 8.11.1994; BVerfGE 91, 252 [257 f.]; st. Rspr.) auch bei der Anwendung des § 47 Abs. 6 VwGO heranzuziehen. Bei der Prüfung, ob die vorläufige Aussetzung einer bereits in Kraft gesetzten Norm danach dringend geboten ist, muss deshalb ein besonders strenger Maßstab angelegt werden (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 18.12.2000, NVwZ 2001, 827 f.). Danach sind - sofern sich die Hauptsache nicht ausnahmsweise von vornherein als unzulässig oder offensichtlich begründet oder offensichtlich unbegründet erweist - grundsätzlich allein die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Hauptsache aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Normenkontrollantrag aber der Erfolg zu versagen wäre.
Auch im vorliegenden Verfahren erweist sich danach der - noch zu stellende - Normenkontrollantrag in der Hauptsache weder von vornherein als unzulässig noch als offensichtlich begründet oder offensichtlich unbegründet. Denn die Frage der Geeignetheit der Polizeiverordnung zum Erreichen des von der Antragsgegnerin angestrebten Ziels lässt sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten. Ob die Prognose der Antragsgegnerin tatsächlich tragfähig ist, dass sich infolge des Verbots, in den fraglichen Nächten nach 22:00 Uhr alkoholische Getränke über die Straße zu verkaufen, der Alkoholkonsum des gewaltbereiten Personenkreises verringert, mit der Folge, dass auch die Gewaltbereitschaft dieses Personenkreises sinkt, kann trotz der jetzt in großer Zahl vorhandenen Berichte der Polizei- und Ordnungskräfte über die Lage vor Ort an den Wochenenden vor und nach Inkrafttreten der streitigen Polizeiverordnung am 1.4.2007 hier im vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch nicht eindeutig beantwortet werden.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist der Antragsgegnerin jedoch zuzugeben, dass diese Berichte tatsächlich darauf hindeuten, dass seit Inkrafttreten der Polizeiverordnung am 1.4.2007 nicht nur der Alkoholkonsum auf der Straße, sondern auch die Gewaltbereitschaft im räumlichen Geltungsbereich der Polizeiverordnung deutlich abgenommen hat und damit auch die daraus resultierende abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. So berichtete der gemeindliche Vollzugsdienst der Antragsgegnerin ebenso wie die Sächsische Polizei von Januar bis März 2007 von einer Verschlimmerung des Ordnungszustandes im Vergleich zu Dezember 2006 durch vermehrte, beinahe jedes Wochenende stattfindende Ansammlungen von Alkohol aus den Spätshops in erheblicher Menge konsumierenden, den Straßenverkehr behindernden und sich aggressiv gegenüber Passanten und Sicherheitskräften verhaltenden Jugendlichen. Demgegenüber wird zwar Anfang April 2007 noch von ähnlichen Ansammlungen berichtet, ab Mai 2007 - abgesehen von den Ausschreitungen am 26./27.5.2007 - jedoch nicht mehr, sondern im Wesentlichen von einem infolge des Alkoholabgabeverbotes friedlichen Verhalten ohne größere Behinderungen für den Straßenverkehr und die öffentliche Ordnung. Dabei liegen ab April 2007 überwiegend Polizeiberichte und keine Berichte des gemeindlichen Vollzugsdienstes vor. Nach dem Eindruck des Senats sind im Übrigen die Berichte der Polizei und des gemeindlichen Vollzugsdienstes weder tendenziös übertrieben noch unsubstanziiert, sondern geben lediglich die - naturgemäß subjektiven - Wahrnehmungen der jeweils berichtenden Bediensteten wieder. Letztlich kann die tatsächliche Wirksamkeit der Polizeiverordnung vor dem Hintergrund der Einwendungen der Antragsteller zum Verursachungsbeitrag ihrer Spätshops aber nur in einem Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden, weil dies weitere, hier im vorläufigen Rechtsschutz nicht mögliche Ermittlungen erfordern würde.
Ungeachtet dessen ergibt sich hieraus aber ein wesentlicher Gesichtspunkt für die aufgrund dessen anzustellende Folgenabwägung, in deren Ergebnis eine Außervollzugsetzung der Polizeiverordnung nicht dringend geboten erscheint.
Denn wie bereits im Beschluss des Senats vom 14.12.2006 - 3 BS 304/06 - ausgeführt, wiegen bei einer Außervollzugsetzung der Polizeiverordnung die dadurch drohenden Nachteile schwerer als die zu befürchtenden Umsatzeinbußen der Antragsteller, wenn die Polizeiverordnung anwendbar bleibt. Zwar sind die drohenden Umsatzeinbußen nicht mehr auf wenige Wochenenden im Dezember 2006 beschränkt, sondern nunmehr dauerhaft zu erwarten. Jedoch hält der Senat die zu befürchtenden, dann tatsächlich irreparablen wirtschaftlichen Schäden bei der hier gebotenen summarischen Prüfung für nicht so gravierend, dass ihnen gegenüber den bei einer Außervollzugsetzung der Polizeiverordnung bedrohten Rechtgütern der Vorrang einzuräumen wäre. Denn werden die eigenen Angaben der Antragsteller zu ihren Umsätzen zugrunde gelegt, beträgt der Umsatzanteil der alkoholischen Getränke, die in den von der Polizeiverordnung betroffenen Zeiten verkauft werden, nur etwa 25 % bis 30 % am Gesamtumsatz ihrer Spätshops. Da aber auch in diesen Zeiten der Verkauf alkoholischer Getränke nicht gänzlich verboten ist, sondern nur der Verkauf über die Straße, reduziert sich der tatsächlich betroffene Umsatzanteil nochmals, weil alkoholische Getränke in den Spätshops selbst konsumiert werden können. Außerdem ist zu erwarten, dass sich ein Teil vor allem des festen Kundenstamms (nach den Angaben der Antragsteller sind dies sogar etwa 80 % der Kunden) auf die veränderten Zeiten der Alkoholabgabe einstellt, so dass auch deshalb die wirtschaftliche Einbuße nicht mit dem behaupteten Umsatzanteil der alkoholischen Getränke in den betroffenen Zeiten von 25 % bis 30 % gleichzusetzen ist, sondern prognostisch deutlich niedriger liegen dürfte. Angesichts dessen ist somit nicht davon auszugehen, dass die zu befürchtenden Umsatzeinbußen unmittelbar existenzbedrohend oder auch nur besonders gravierend sind.
Demgegenüber haben die Monate Januar bis März 2007 - wie ausgeführt - gezeigt, dass bei einer Außervollzugsetzung der Polizeiverordnung die abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut entstehen kann und zu gewaltbereiten, alkoholisch enthemmten Ansammlungen im räumlichen Geltungsbereich der Polizeiverordnung führt, die jederzeit in eine konkrete Gefahr für so wichtige Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit, aber auch das Eigentum sowohl der beteiligten Personen und Ordnungskräfte als auch unbeteiligter Dritter (Passanten, Anwohner und örtliche Gewerbetreibende) umschlagen kann. Hier im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist zudem nicht ersichtlich, dass bei einer Außervollzugsetzung der Polizeiverordnung dieser Gefahr anderweitig wirksam begegnet werden könnte, da eine erhöhte Polizeipräsenz eher noch eskalierend wirkt, wie die Antragsteller selbst vortragen und auch den vorhandenen Polizeiberichten zu entnehmen ist und selbst massive Polizeieinsätze (die von den Antragstellern im Widerspruch hierzu ebenfalls gefordert werden) neben den auf Dauer nicht hinnehmbaren Kosten nur reagierend einwirken können, wenn bereits eine abstrakte oder sogar konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingetreten ist. Ohne Wirkung bliebe voraussichtlich auch, soweit nur auf bestimmte, besonders betroffene bzw. von den gewaltbereiten Kreisen vorzugsweise genutzte Spätshops eingewirkt würde, solange die übrigen Spätshops, insbesondere die der Antragsteller, zu Fuß ohne weiteres von den üblichen Orten des gewalttätigen Geschehens innerhalb des Geltungsbereiches der Polizeiverordnung erreicht werden können, wie die Antragsgegnerin zu Recht vorträgt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Dabei hat der Senat eine Schätzung der wirtschaftlichen Bedeutung des Verfahrens für die Antragsteller auf der Grundlage der konkreten Daten des Antragstellers zu 2 zum Umsatz seiner beiden Spätshops vorgenommen, sich wegen der dauerhaften Geltung der hier streitigen Polizeiverordnung an Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 7./8.7.2004 (abgedruckt bei Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, Anh § 164 RdNr. 14) angelehnt und berücksichtigt, dass der gestellte Antrag im Erfolgsfalle die Hauptsache im Wesentlichen vorweggenommen hätte (Nr. 1.5 des zitierten Streitwertkatalogs).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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