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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.08.2006
Aktenzeichen: A 1 B 58/06
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
Derzeit besteht für arbeitsfähige männliche Rückkehrer aus Deutschland auch ohne familiären Anschluss keine dringende und ausweglose Gefährdungssituation bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Dies steht einem Abschiebungsschutz in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG entgegen.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

Az.: A 1 B 58/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Reich, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Verwaltungsgericht Döpelheuer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. August 2006 am 23. August 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans.

Der nach seinen Angaben 19 in P. geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger pashtunischer Volkszugehörigkeit. Er beantragte im Jahr 2004 in der Bundesrepublik Asyl.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 19.10.2004 gab der Kläger nach dem hierzu gefertigten - und inhaltlich teilweise bestrittenen - Protokoll an, von Pakhtia aus nach Peschawar in Pakistan gereist zu sein und sich dort von 2000 bis 2004 aufgehalten zu haben. Am 25.4.2004 sei er von Pakistan nach Afghanistan und am 1.5.2004 nach Tadschikistan gereist. Von dort habe er seine Reise mit verschiedenen Fahrzeugen fortgesetzt. Wegen des 30 ha großen Grundbesitzes seiner Eltern habe es Ausein-andersetzungen mit seinen einer mächtigeren Familie angehörenden Stiefcousins gegeben. Deshalb hätten sie im Jahre 2000 Afghanistan verlassen. Bei seiner vier Jahre später in Begleitung seines Bruders erfolgten Rückkehr sei es zum Streit über den Grundbesitz gekommen und sein Bruder von den Stiefcousins erschossen worden. Sein Vater sei zudem mit 250 Peitschenhieben bestraft worden und seitdem querschnittsgelähmt. Er sei darauf hin wieder nach Pakistan gereist, seine Mutter mit seinem Onkel nach Afghanistan, um den Bruder zu beerdigen. Nachdem diese wieder nach Pakistan zurückgekehrt seien, habe ihm sein Onkel 8.000,- $ gegeben und ihn zur Ausreise aufgefordert. Wegen ihrer Macht hätten die Stiefcousins einen Prozess um den Grundbesitz gewonnen, sie müssten aber befürchten, dass er aufgrund vorhandener Dokumente sein Eigentum zurück verlange.

Mit Bescheid vom lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat zur Ausreise auf. Dem Kläger drohe keine Verfolgung. Er könne in Kabul zumutbare Lebensverhältnisse finden.

Der Kläger hat am 8.3.2005 Klage vor dem Verwaltungsgericht Dresden erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, ihm drohe im Fall seiner Rückkehr wegen des Landkonfliktes Verfolgung durch 5 seiner Großcousins. Er verfüge über keine familiäre Anbindung oder Hilfe in Afghanistan, so dass es für ihn an einer Existenzmöglichkeit fehle.

Mit Urteil vom 3.11.2005 - A 12 K 30061/05 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, soweit sie nicht hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG zurückgenommen wurde. Anhaltspunkte für Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG seien nicht ersichtlich und seien auch nicht geltend gemacht. Auch auf § 60 Abs. 7 AufenthG könne der Kläger sein Begehren nicht stützen. Ihm drohe jedenfalls in Kabul keine konkrete individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Der von ihm angeführte Besitz einer Originalurkunde stelle für seine Stiefcousins derzeit keine Gefahr dar, denn diese habe auch im Jahr 1999/2000 den Landverlust nicht verhindern können. Ihre Durchsetzung bedürfe der Einschaltung staatlicher Behörden oder Gerichte, die der Kläger nach seiner eigenen - im Einklang mit dem Lagebericht stehenden - Einschätzung nicht erlangen könne. Aus der Tötung seines Bruders folge nichts anderes. Diese beruhe auf einer tätlichen Auseinandersetzung auf eine Wiederinbesitznahme des Grundbesitzes. Damit sei eine Rückkehr des Klägers nach Kabul nicht vergleichbar. Es bestehe derzeit auch keine sog. extreme Gefahrenlage, die einer Abschiebung entgegenstehen könne. Zwar sei eine lebenserhaltende Versorgung in Kabul für Rückkehrer sehr schwierig, aber für einen jungen männlichen Rückkehrer nicht unerreichbar. Da er sich zudem erst einige Jahre im westlichen Ausland aufgehalten habe, bestehe für ihn selbst dann keine extreme Gefahrenlage, wenn er nicht auf familiäre Hilfe und Unterstützung rechnen könne.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 11.1.2006 - A 1 B 835/05 - zugelassen, soweit durch dieses seine Klage auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG abgewiesen wurde. Im Übrigen hat er den Zulassungsantrag abgelehnt. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe dargelegt, dass der von ihm aufgeworfenen Frage: "Besteht für afghanische Staatsangehörige, die derzeit keine familiären Bindungen mehr im Inland haben bzw. ggfs. eine familiäre Bindung haben, diese aber nicht in Anspruch nehmen, bei Rückkehr in ihr Heimatland eine Überlebensmöglichkeit unter Sicherung des Existenzminimums ohne Gefährdung für Leib und Leben ?" grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Der Kläger hat die Berufung mit am gleichen Tag eingehendem Schriftsatz vom 31.1.2006 begründet. Im Fall einer Abschiebung bestehe für ihn eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. Seine näheren Familienangehörigen (Mutter, Brüder und Schwestern) hielten sich seit ihrer Flucht im Jahre 1999/2000 nicht in Afghanistan auf. Ihm stünden daher bei einer Rückkehr in sein Heimatland keine familiären Bindungen zur Verfügung, die er zum Aufbau und zur Sicherung eines Existenzminimums nutzen könnte. Vielmehr drohe ihm seitens entfernterer Familienangehöriger Gefahr für Leib und Leben aufgrund von Konflikten um Ackerland der Familie. Hiervor stehe ihm kein staatlicher Schutz zur Verfügung. Die Gefahr bestehe landesweit, da die wirtschaftliche Lage landesweit desolat sei. Er verweist auf ein Gutachten von Dr. Danesch für das Verwaltungsgericht Hamburg vom 25.1.2006, wonach sich die afghanische Regierung derzeit nicht in der Lage sieht, eine Lebensgrundlage für aus Europa zurückkehrende Flüchtlinge zu gewährleisten. Gegenüber der Zeugenaussage des Herrn David vor dem OVG Berlin-Brandenburg macht er geltend, dass es sich bei diesem um einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge handelt, weshalb seine Aussage als Stellungnahme der Beklagten zu werten sei. Das von diesem beschriebene Rückkehrprogramm sei ausgelaufen. Die fehlende Kenntnis des Auswärtigen Amtes von den Bedingungen in dem von David beschriebenen Übergangsheim belege die Aussage von Dr. Danesch, dass sich Mitarbeiter von nichtstaatlichen wie staatlichen Organisationen sich in der Regel in ihnen vorbehaltenen Bezirken unter starker Bewachung bewegten, jedoch keinen Kontakt zum tatsächlichen Land hätten. Nach Einstellung des RANA-Programmes drohe den europäischen Rückkehrern das gleiche Schicksal wie den Rückkehrern aus Pakistan und Iran. Für diese sei auch nach der Darstellung von David "das Überleben sehr schwierig". Im Übrigen verweist er auf ein neuerliches Erstarken der Taliban und eine hieraus folgende Verschlechterung der Lage. Am 17.8.2006 hat er die Kopie eines Interviews mit Tom Koenigs sowie zwei weitere Artikel zur aktuellen Lage in Afghanistan vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden vom 3. November 2005 - A 12 K 30061/05 - und Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Februar 2005 zu der Feststellung zu verpflichten, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass seit 2002 etwa 4,5 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Sie würden dort von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen mehr oder weniger ausreichend unterstützt. Aus den Gutachten von Dr. Danesch vom 23.1.2006, dem Bericht von Arendt-Rojahn u.a. zur Rückkehrsituation im März/April 2005 und dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2005 ergäben sich viele Hinweise auf die z.T. erheblichen Schwierigkeiten, denen Rückkehrer ausgesetzt sein könnten. Chaos, Korruption und Gewalttätigkeiten träfen nicht nur die Rückkehrer, sondern die afghanische Bevölkerung insgesamt. Bei besonderen Konstellationen könne auch für Einzelpersonen Lebensgefahr bestehen. Es ergäben sich jedoch keine Hinweise, dass ein junger und gesunder Mann - wie der Kläger - allein wegen seiner eventuellen Mittellosigkeit im Fall der Rückkehr einer lebensbedrohlichen Gefährdung unmittelbar ausgesetzt sein könne. Die Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg, dass junge und gesunde Männer bei Rückkehr nach Afghanistan wegen der dortigen Versorgungslage landesweit und insbesondere auch in Kabul mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar keiner extremen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt seien, werde von der Beklagten geteilt.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung befragt; insoweit wird auf die Inhalt hierzu gefertigten Niederschrift Bezug genommen.

Dem Senat liegen eine Akte des Bundesamts, die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Dresden im Verfahren A 12 K 30061/05 (ein Band) und die Gerichtsakten des Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 835/05 und A 1 B 58/06, jeweils ein Band) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt dieser Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Für den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kann nicht festgestellt werden, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorlägen.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Entscheidend ist allein, ob für ihn eine konkrete, individuelle Gefahr für die in der Vorschrift genannten Rechtsgüter besteht und dass sie ihm landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (so zu der gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: BVerwG, Urt. v. 29.3.1996, DVBl. 1996, 1257; SächsOVG, Urt. v. 3.7.2003 - A 1 B 115/00 -, UA S. 28).

§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG werden - wie nach der Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG - Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen über eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegenüber der Berücksichtigungsfähigkeit allgemeiner Gefahren, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie des erkennenden Senats mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein im Asylklageverfahren zu beachtendes Abschiebungshindernis i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Angehörige einer Bevölkerungsgruppe i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, wenn für alle Gruppenangehörigen oder einen abgrenzbaren Teil davon in einem Abschiebezielland landesweit eine sog. extreme allgemeine Gefahrenlage besteht. Eine solche Gefahrenlage setzt voraus, dass die Angehörigen der Bevölkerungsgruppe in dem Zielstaat der konkreten Gefahr ausgesetzt sind, umgebracht zu werden oder schlechthin keine Existenzgrundlage zu finden (vgl. wiederum zur Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 AuslG: BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 324 [328]; Urt. v. 29.3.1996, aaO; SächsOVG, Urt. v. 3.7.2003, aaO), sie bei einer Rückkehr also gewissermaßen sehenden Auges "in den Tod geschickt" oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würden. Damit ist die extreme Gefahrenlage geprägt von einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad für einen unmittelbar nach der Rückkehr zu gewärtigenden Schadenseintritt.

Die Annahme einer extremen Gefahrenlage scheidet aus, wenn gleichwertiger Schutz nicht anderweitig durch eine Einzelfallregelung oder einen allgemeinen Erlass gewährleistet wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001, NVwZ 2001, 1420 = BVerwGE 114, 379). Davon kann derzeit nicht ausgegangen werden. Der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 24.6.2005 bietet keine - auch nur vorübergehende - Sicherheit, die der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG gleichwertig wäre. Die dort dargestellte Reihenfolge von Abschiebungen lässt lediglich die Erwartung zu, noch eine gewisse Zeit von einer Abschiebung verschont zu bleiben.

Für die Frage eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist auf die Verhältnisse in Kabul abzustellen. Dies ist für den Kläger der voraussichtlich als erster zu erreichende Ort in Afghanistan.

1. Für den Raum Kabul ist nicht ersichtlich, dass die Gefahr einer Verfolgung des Klägers durch seine Stiefcousins besteht. Die Annahme einer Bedrohung des Klägers durch diese ist schon aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend angeführten Gründen unwahrscheinlich. Es besteht auch ungeachtet der Behauptung, dass einer der Stiefcousins ein mächtiger Kommandant in Kabul sei, kein Anlass für die Annahme, dieser werde in der 4,5 Millionenstadt Kabul von der Anwesenheit des Klägers für den Fall seiner Rückkehr erfahren.

2. Über diese individuellen Überlegungen hinaus stehen für den Kläger Gefahren in Rede, die als allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzusehen sind. Die Frage nach den Möglichkeiten zur Existenzsicherung in Gestalt von Wohnraum, Erhalt von Lebensmitteln und sonstiger überlebenssichernder Infrastruktur betrifft die - wie angeführt hier maßgebliche - Bevölkerung Kabuls allgemein. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Rückkehrer bei Ermangelung hilfsbereiter Verwandter oder Freunde gegenüber der in Kabul bereits ansässigen Bevölkerung noch größere Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung haben kann.

Ob eine extreme Gefahrenlage nach den vorstehenden Grundsätzen zur Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzunehmen ist, verlangt eine prognostische Wertung aller Gefährdungsmerkmale des Einzelfalls unter besonderer Berücksichtigung der Entscheidungspraxis anderer Obergerichte. Hieraus ergibt sich folgende Bild:

a) - Sicherheitslage -

Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan ist unbefriedigend und durch zahlreiche Unzulänglichkeiten geprägt. Die Macht regional tätiger Kriegsfürsten (sog. Warlords) konnte von der Zentralregierung in Kabul nicht gebrochen werden. Diese verfolgen nach wie vor ihre eigenen Interessen und verfügen über hinreichende Herrschaftsgewalt für deren Durchsetzung. Den Weisungen der Regierung in Kabul folgen sie regelmäßig nur in diesem Rahmen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13.7.2006 - im Folgenden: AA v. 13.7.2006 -; Deutsches Orientinstitut an SächsOVG vom 23.9.2004 - im Folgenden: DOI v. 23.9.2004 -; Informa- tionsverbund Asyl e.V./Stiftung Pro Asyl, Rückkehr nach Afghanistan - Bericht über eine Untersuchung in Afghanistan im Zeitraum März/April 2005 vom Juni 2005 - von Veronika Arendt-Rojahn u.a. - im Folgenden: Pro Asyl v. 1.6.2005). Das Auswärtige Amt bezeichnet sie als "Menschenrechtsverletzer", auf welche die Zentralregierung praktisch keinen Einfluss hat (AA v. 13.7.2006). Positiver wird die Lage in Kabul bewertet. Sie wird als weiter fragil, wenn auch aufgrund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufrieden stellend bewertet. Der UNHCR halte sie seit Mitte 2002 für freiwillige Rückkehrer für ausreichend sicher (AA v. 13.7.2006). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan Update vom 3.2.2006 - im Folgenden: SFH v. 3.2.2006) schätzt die Lage als weitgehend stabil ein. Die Polizei soll aber ungeachtet von Fortschritten noch nicht zur Herstellung von Sicherheit im öffentlichen Raum in der Lage sein (Pro Asyl v. 1.6.2005). Die Polizei wird von den Auskünften übereinstimmend als korrupt bezeichnet, ohne dass es die Möglichkeit zur Wahrnehmung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gebe, wie auch die Kriminalität grassiere. Dr. Danesch (Gutachten zur Lage der Hindu- und Sikh-Minderheit im heutigen Afghanistan vom 23.1.2006 - im Folgenden: Danesch v. 23.1.2006) verweist auf ganze Stadtteile, in denen kein polizeilicher Schutz vorhanden sei und jede Nacht dutzende Menschen von Kriminellen getötet würden. Dies wird allerdings von David (Aussage vor dem OVG Berlin-Brandenburg vom 27.3.2006 - im Folgenden: David v. 27.3.2006) relativiert. Dieser hält die Mordrate im Vergleich zu westlichen Großstädten für nicht auffällig hoch und sieht die Sicherheit im Alltag als nicht beeinträchtigt an. Diese Aussage dürfte angesichts der auch für Kabul übereinstimmend als prekär bezeichneten Sicherheitslage als positiv überzeichnet angesehen werden. Bei summierender Betrachtung lässt hingegen die Auskunftslage die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Hinblick auf die Defizite im Bereich der öffentlichen Sicherheit in Kabul nicht zu. Insoweit weist das OVG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 5.5.2006 - OVG 12 B 9.05 -, UA S. 13) zutreffend darauf hin, dass Dr. Danesch angegeben hat, dass er sich selbst frei in Kabul habe bewegen können, da er die Landessprache beherrsche, die dortige Mentalität kenne und als Iraner weniger gefährdet sei als etwa ein Westeuropäer. Diese Voraussetzungen treffen - mit Ausnahme der konkreten Staatsangehörigkeit, die aber ebenfalls nicht westeuropäisch ist - auch auf den Kläger zu. In seinem Gutachten an das VG Wiesbaden (v. 13.1.2006) führte Dr. Danesch zudem aus, sich "sechzehn Tage lang täglich zehn Stunden" in Kabul aufgehalten zu haben, ohne Opfer eines Überfalls zu werden. Es steht hiernach nicht zu erwarten, dass für den Kläger mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, im Fall seiner Rückkehr alsbald Opfer eines lebensbedrohlichen Überfalls zu werden (s.a. OVG Münster, Urt. v. 5.4.2006 - 20 A 5161/04 -, UA S. 14). Dieser Schluss lässt sich auch nicht aus dem vom Kläger am 17.8.2006 vorgelegten Interview mit Tom Koenigs vom 15.3.2006, dem Auszug aus der Internetseite "de.today.reuters.com" vom 14.8.2006 und dem Auszug aus "Der Standard" vom 14.8.2006 ziehen. Diese berichten von einer angespannten Sicherheitslage, ohne eine Gefahrenprognose im vorgenannten Sinne zu rechtfertigen.

b) - Versorgungslage -

Zur allgemeinen Versorgungslage, namentlich in der Hauptstadt Kabul, hat der Senat zuletzt in seinem Urteil vom 23.10.2003 - A 1 B 114/00 - (AuAS 2004,96 - nur Ls) Stellung genommen. Dort führte er aus:

"Der letzte Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 6.8.2003 (S. 7) weist gegenüber den früheren Berichten grundlegende Verbesserungen aus, die sowohl Kabul als auch andere große Städte betreffen. Waren würden zu hohen Preisen verkauft, weshalb "nicht alle Bevölkerungsschichten" von der verbesserten Lage profitieren. Die Vereinten Nationen versorgten Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (S. 7), der UNHCR habe mit unterschiedlichen nichtstaatlichen Organisationen die Errichtung von provisorischen Unterkünften für Rückkehrer vereinbart (S. 15). Der UNHCR teilte dem VG Schleswig in seiner Auskunft vom 15.7.2002 mit, dass eine humanitäre Katastrophe im Winter 2001/2002 durch das Engagement internationaler Hilfsorganisationen habe verhindert werden können, wobei auch nach der Ernte im Juni 2002 eine Lebensmittelknappheit fortbestehe. Das elementare Überleben von Millionen Afghanen hänge von Hilfslieferungen ab. Dr. Danesch führt im Gutachten vom 5.8.2002 an das VG Schleswig aus, "eine minimale Grundversorgung" mit Lebensmitteln sei durch solche Hilfsaktionen gesichert, ein mittelloser Rückkehrer werde aber "große Probleme mit einer adäquaten Unterkunft" haben. Der Economist vom 23.8.2003 (dort S. 44) berichtet, die diesjährige Ernte sei deutlich höher als im Jahr 1976 ausgefallen, d.h. dem letzten Jahr, in dem das Land nicht auf Getreidelieferungen angewiesen gewesen sei; dies habe zu fallenden Getreidepreisen geführt. Dr. Glatzer führte bereits in seinem Gutachten vom 26.8.2002 an das VG Schleswig aus, für den größten Teil der Bevölkerung Afghanistans bestehe keine akute Hungersnot, zumal die dreijährige Dürre zu Ende gegangen sei. Wer keine eigenen Ressourcen oder hervorragende berufliche Fähigkeiten besitze, habe keine Chance, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Bei der Verteilung von Lebensmitteln gehe es "recht chaotisch" zu, "nur die Kräftigen" setzten sich durch. Unterkünfte seien in Kabul kaum vorhanden bzw. bezahlbar, selbst ein "schäbiges Zimmer ohne Fensterscheiben, Strom und Heizung" koste etwa 100 US-Dollar, also das Gehalt eines höheren Beamten. Tausende Menschen müssten sich im Freien aufhalten. Ein Gutachten der "International Organization for Migration" vom 1.12.2002 stellt fest, dass ein den afghanischen Verhältnissen entsprechendes "normales" Leben für Rückkehrer nur möglich sei, wenn Familienbande oder ausreichende Eigenmittel bestünden. Eine hinreichende medizinische Versorgung ist nach dem letzten Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 6.8.2003 (dort S. 22) auch in Kabul nicht gewährleistet.

Ausgehend davon lässt sich für den Raum Kabul, der über die landesweit beste Versorgung verfügt, an sich kein Versorgungsmangel feststellen, der eine entsprechende Anwendung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auf die Bevölkerungsgruppe der Rückkehrer rechtfertigt (so auch OVG NW, Urt. v. 20.3.2003, aaO, UA S. 28; OVG Hamburg, Urt. v. 22.11.2002 - 1 Bf 154/02. A -, UA S. 11; vgl. auch Schweizerische Asylrekurskommission, Urt. v. 1.7.2003, Beilage zur NVwZ 2003, S. 81 [83])."

Hinsichtlich der aktuellen Möglichkeit der Erlangung von Lebensmitteln ist die Auskunftslage von einem uneinheitlichen Bild gekennzeichnet. Einig sind sich die Berichte in dem Befund, dass es an einer staatlichen Absicherung des Existenzminimums fehlt. Diese obliegt traditionell nach wie vor dem - weit zu fassenden - Familienverband. Findet der Rückkehrer in einen solchen Verband Aufnahme, wird durchgehend die Gefahr einer extremen Gefahrenlage verneint (AA vom 13.7.2006; DOI v. 23.9.2004, SFH v. 3.2.2006; Pro Asyl v. 1.6.2005). Fehlt es an einem familiär bedingten sozialen Netz, wird von einer schwierigen bis äußerst schwierigen Situation ausgegangen, welche sich auf die Versorgung mit den unabdingbaren Lebensmitteln beschränken könne. Es wird dabei auch die Auffassung vertreten, dass im Fall von Mittel- und Arbeitslosigkeit keine Überlebensmöglichkeit bestehe (Pro Asyl v. 1.6.2005) bzw. die Lage für zurückkehrende Flüchtlinge so katastrophal sei, dass sie für diese unmittelbar eine Existenzgefährdung darstelle (Dr. Danesch vom 25.1.2006 an VG Hamburg - im Folgenden: Danesch v. 25.1.2006). Allerdings soll es in Kabul "heilige Plätze" geben, wo traditionell durch nicht verarmte Bewohner Brot an Bedürftige verteilt werde. Empfänger seien insbesondere Kinder, Frauen, ältere Menschen und Behinderte (Zeugenaussage v. Bashir Ahmad v. 2.2.2006 vor VG Dresden - im Folgenden: Ahmad v. 2.2.2006). Dies mag es erklären, dass trotz der etwa von Dr. Danesch (vom 23.1.2006) berichteten Abwesenheit von Hilfsorganisationen in den von ihm besuchten Stadtteilen und den von ihm beobachteten Fällen von Unterernährung keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen. Dabei dürften aufgrund der Vielzahl von ausländischen Organisationen in Kabul derartige Vorgänge nicht verborgen bleiben und entsprechende Berichte zu erwarten sein. Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs soll es in Kabul ausreichend geben (Ahmad v. 2.2.2006). Dies beruhe zum Teil auf der Arbeit der Hilfsorganisationen einschließlich des UNHCR wie auch der durch die Vielzahl der Ausländer in das Land kommenden Kaufkraft, die allerdings auch zu einer massiven Verteuerung dieser Waren führe, was sie für viele unerschwinglich mache (Ahmad v. 2.2.2006; David v. 27.3.2006; AA v. 13.7.2006; Pro Asyl v. 1.6.2005). Es wird als problematisch dargestellt, eine existenzsichernde Beschäftigung zu finden, insbesondere aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit (Pro Asyl v. 1.6.2005). Nach Danesch (v. 23.1.2006) bestehen Arbeitsmöglichkeiten nur in Gestalt von Aushilfsarbeiten für Tagelöhner, ohne dass hierdurch die materielle Lebensgrundlage sichergestellt werden könne. Andererseits berichtet David (v. 27.3.2006) von einer enormen Bautätigkeit insbesondere in Kabul, so dass im Bausektor für ausgebildete Kräfte gute Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden. Die gezahlten Löhne überträfen pakistanisches Niveau, weshalb z.Z. rund 40.000 pakistanische Gastarbeiter im afghanischen Baugewerbe beschäftigt seien. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe verweist darauf, dass infolge der regen Bautätigkeit für Rückkehrer aus Europa mit Sprachkenntnissen im Baugewerbe wie auch als Geschäftsleute Beschäftigungsmöglichkeiten trotz der hohen Arbeitslosigkeit bestehen. Nach dem Gutachten von Dr. Danesch vom 25.1.2006 an das VG Hamburg kostet ein Brot mit einem Gewicht von 150 - 200 Gramm 6 Afghani; den Tagesverdienst eines Bauarbeiters beziffert er auf rund 100 Afghani. Da von einem ähnlichen Preisniveau für vergleichbare Grundnahrungsmittel wie Reis auszugehen ist, wäre ein Überleben auf einfachstem Niveau auch für den Fall gesichert, dass der Kläger nur sehr unregelmäßig Arbeit auf dem Bau als Tagelöhner finden könnte. Für die Annahme, dass ihm die Aufnahme einer solchen Arbeit aus persönlichen Gründen nicht möglich wäre, bestehen keine Anhaltspunkte.

Die Möglichkeit zur Etablierung in der afghanischen Gesellschaft scheint auch maßgeblich davon abzuhängen, aus welchem Land der Betreffende zurückkehrt. Für Rückkehrer aus Deutschland besteht nach David (v. 27.3.2006) im Rahmen des RANA (Return, Reception und Reintegration for Afghan Nationals to Afghanistan) Programms ein lückenloses Aufnahmesystem. Mit Ausnahme von Abschiebefällen erhielten Rückkehrer am Flughafen Frankfurt/Main 600,- € pro Person, maximal 1.500,- € pro Familie. Abschiebungen erfolgten ausnahmslos mit dem Flugzeug nach Kabul. Dort unterhalte IOM (Internationale Organisation für Migration) ein Büro mit kleiner Krankenstation. Rückkehrer, die in Kabul bleiben wollten, könnten für die Dauer von regelmäßig bis zu 2 Wochen ein Übergangswohnheim nutzen, wo sie verpflegt würden und ihnen im Fall von gesundheitlichen Problemen weitergeholfen würde. In der Regel verließen die Rückkehrer innerhalb dieser Frist das Heim freiwillig, weil sie in der Familie oder bei Freunden Aufnahme gefunden hätten. Im Rahmen des auch für abgeschobene Flüchtlinge einschlägigen RANA-Programms würden Rückkehrer aus Deutschland in großer Zahl als Dolmetscher für deutsche Dienststellen in Afghanistan vermittelt. Für Rückkehrer, die sich selbständig machen wollten, gebe es eine Einstiegshilfe von 1.500,- € pro Person. Dieses System der vorübergehenden Aufnahme und anschließenden wirtschaftlichen und sozialen Reintegration von Rückkehrern aus Westeuropa verlaufe bisher reibungslos. Kapazitätsengpässe habe es nicht gegeben. Zeitweise sei das Übergangswohnheim nur zu einem Drittel ausgelastet. Ganz anders stelle sich die Lage für Rückkehrer aus dem Iran oder aus Pakistan dar. Für diese existiere kein vergleichbares System. Für sie sei das Überleben in Afghanistan sehr schwierig. Die IOM hat unter dem 13.4.2006 dem OVG Berlin-Brandenburg mitgeteilt, dass sie die Aussagen von Herrn David im Wesentlichen bestätigen könne.

Dieses Programm läuft allerdings zum 31.8.2006 aus (IOM v. 13.4.2006, 4.7.2006 und 15.8.2006). Das nach Darstellung des Auswärtigen Amtes von IOM zu erwartende Angebot an die EU, das RANA-Programm zumindest bis Ende 2006 zu verlängern (AA v. 18.4.2006), hat nach der aktuellen Erkenntnislage nicht zu einer Verlängerung des Programms geführt.

Trotz der vorgenannten regen Bautätigkeit stellt die Versorgung mit Wohnraum in Kabul ein Problem dar. Dies beruht zum einen auf den Zerstörungen durch den langjährigen Krieg, zum anderen auf der hohen Zahl von Rückkehrern. Die Zahl der seit Anfang 2002 zurückkehrenden Menschen wird auf 4,4 Millionen geschätzt (AA v. 29.11.2005; Danesch v. 25.1.2006). Die Versorgung mit Wohnraum sei unzureichend. Er sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich (AA v. 13.7.2006; Pro Asyl v. 1.6.2005; SFH v. 3.2.2006). Erschwinglicher Wohnraum existiere für Rückkehrer außerhalb von Flüchtlingslagern nicht (Danesch v. 25.1.2006). Eine Unterkunft in von Hilfsorganisationen errichteten Zeltlagern komme nicht in Betracht, da sich diese allenfalls um Rückkehrer aus Pakistan und Iran kümmerten. Es sei erklärte Politik des UNHCR, keine Zeltlager mehr entstehen zu lassen (Pro Asyl v. 1.6.2005). Die Situation in den Zeltlagern wie auch in anderen Flüchtlingslagern wird als katastrophal dargestellt (Danesch v. 13.1.2006). Oft handele es sich um Ruinenbauten, die hoffnungslos überbelegt und ohne funktionierende Infrastruktur seien. Das Ausmaß dieser slumartigen Unterkünfte wird unterschiedlich bewertet. Danesch erweckt bei seiner Schilderung den Eindruck, dass diese slumartigen Unterkünfte jedenfalls für die Unterkunft von Flüchtlingen generell prägend seien. David (v. 27.3.2006) schätzt demgegenüber die Zahl der Menschen, die in den Ruinen oder slumartigen Lagern in Kabul leben, auf jedenfalls unter 100.000. Die Schweizer Flüchtlingshilfe berichtet davon, dass nach Angaben von Dezember 2005 etwa 40.000 Rückkehrerfamilien in Kabul keine Unterkunft gehabt hätten und von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen seien (v. 3.2.2006). Die unterschiedliche Einschätzungen - denen gegenüber keine gesicherten Zahlen vorliegen - mögen auch darauf beruhen, dass sich Danesch vornehmlich den von nur rudimentär betreuten Flüchtlingen aus Pakistan bewohnten Lagern und Unterkünften zugewandt hat und die Sicht von David durch seine Arbeit mit aus Westeuropa stammenden Flüchtlingen geprägt ist. Deren Chancen, zu akzeptablen, wenn auch nicht an westeuropäischen Maßstäben zu messenden Unterkunftsmöglichkeiten zu gelangen, dürfte auch durch die von David beobachtete Möglichkeit dieser Flüchtlinge, aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und Ausbildungen zu Arbeit zu gelangen, geprägt sein. Hierfür spricht auch die Aussage von Dr. Danesch (v. 5.5.2006 vor dem OVG Berlin-Brandenburg), dass es sich bei dem im Rahmen des RANA-Programms für die Aufnahme der Rückkehrer genutzten Gebäude um ein seit längerem vom Ministerium für Rückkehrer genutztes Gästehaus handele. Dieses stehe zurückkehrenden Flüchtlingen aus allen Ländern - mit Ausnahme der Länder Iran und Pakistan - zur Verfügung. Insoweit steht zu erwarten, dass diese Unterkunftsmöglichkeit als vom RANA-Programm unabhängige Einrichtung auch für die Zukunft zur Verfügung steht.

Zusammenfassend lässt sich der Eindruck ableiten, dass es im Hinblick auf die allgemeinen Lebensbedingungen einen Unterschied macht, ob es sich um Flüchtlinge aus Pakistan und Iran handelt oder um Rückkehrer aus Westeuropa, die etwa durch ihre Sprachkenntnisse bessere Beschäftigungsmöglichkeiten haben. Im Hinblick auf eine generell festzustellende extreme Gefahrenlage teilt der Senat die vom OVG Münster (Urt. v. 5.4.2006 - 20 A 5161/01.A -) vertretene Auffassung (UA S. 19), dass es an hinreichend verlässlichen Schilderungen für die Annahme fehlt, dass im Fall der Rückkehr ein in diesem Sinne hoher Gefährdungsgrad hinsichtlich Leib, Leben und Gesundheit besteht (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, aaO, UA S. 20). Zwar schildert Danesch (v. 23.1. und v. 25.1.2006) in Richtung auf eine extreme Gefährdungslage weisende Lebensverhältnisse. Die von ihm geschilderten slumartigen Verhältnisse und fehlenden Erwerbsmöglichkeiten für einen - nach seiner Darstellung - großen Teil der Flüchtlinge machen es nicht plausibel, dass über eine das Leben gefährdende Hungersnot, Epidemien oder durch Kälte zu Tode gekommene Flüchtlinge keine Erkenntnisse vorliegen sollten. Dies wäre aufgrund der hohen internationalen Präsenz in Kabul hingegen zu erwarten. So wäre es schwerlich zu erklären, wenn der UNHCR derartige Zustände in den von ihm zu verantwortenden Lagern stillschweigend dulden würde, ohne weitere internationale Hilfe einzufordern, und dieser Umstand zudem auch anderen Beobachtern verborgen bleiben würde. Dies legt die Vermutung nahe, dass ungeachtet einer unzweifelhaften Mangelsituation Überlebensstrategien bestehen, die für die ganz überwiegende Mehrheit eine Existenz auf niedrigstem Niveau ermöglichen. In diese Richtung deutet der Lagebericht des Auswärtigen Amtes (v. 13.7.2006), demzufolge Rückkehrer, die außerhalb eines Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlichen Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in größeren Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, stoßen, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie könnten auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert würden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang nochmals die Darstellung von David (v. 27.3.2006), der als Einziger konkrete Erfahrungen mit Rückkehrern aus Westeuropa und insbesondere Deutschland aufweist. Insbesondere Danesch und Pro Asyl beschäftigen sich nicht näher mit dem Programm der IOM. Von der Tätigkeit der IOM berichtete Danesch lediglich eine Aussage eines Vertreters des afghanischen Ministeriums für Rückkehrer namens Zamani, derzufolge die IOM lediglich die Transportkosten übernehme, den Rückkehrern aber keine weitere Hilfe zukommen lasse (Danesch v. 25.1.2006). Hinsichtlich der von David betreuten rund 120 Rückkehrern aus Deutschland wusste dieser zu berichten, dass sie ungeachtet der nur auf zwei Wochen bemessenen Aufenthaltsfrist in dem Übergangsheim dieses in der Regel fristgerecht und freiwillig verließen, nachdem sie sich erfolgreich um Unterkunft in der Familie oder bei Freunden bemüht hätten. Dies spricht für den Kreis dieser Rückkehrer unabhängig von Fördermöglichkeiten durch das RANA-Programm für die Möglichkeit, zumindest im Anschluss an die Rückkehr auch unabhängig von einem familiären Verband in Kabul eine Sicherung der Existenz zu finden, jedenfalls sofern es sich bei ihnen - wie beim Kläger - um arbeitsfähige männliche Rückkehrer aus Westeuropa handelt. Das vorwiegend durch die große Masse von aus Pakistan zurückkehrenden Flüchtlingen geprägte Bild - deren Lage sich auch nach Darstellung von David sehr gravierend von den aus Westeuropa zurückkehrenden Personen unterscheidet - bedarf deshalb der Relativierung.

Mit dem OVG Münster und OVG Berlin-Brandenburg (aaO) ist der Senat der Überzeugung, dass es für die Verneinung einer extremen Gefahrenlage nicht auf eine Fortführung des RANA-Programm für Rückkehrer aus Westeuropa ankommt. Zwar ist ein Zusammenhang der dort vorhandenen Kapazität mit der Zahl der Rückkehrer insbesondere aus Deutschland gegeben. Es ist aber offen, ob es zu einer kurzfristigen nennenswerten Steigerung von Rückkehrern - insbesondere aus Deutschland - kommt und wie gegebenenfalls bei der Finanzausstattung von Hilfsprogrammen darauf reagiert wird. Immerhin ist nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 24.6.2005 nicht zu erwarten, dass die Zahl der Abschiebungen in absehbarer Zeit in einem Maße steigt, dass die Rückkehrer begleitende Hilfsmöglichkeiten nicht mehr greifen könnten. Das nach dem Beschluss vorgesehene gestufte Vorgehen folgt dem Bemühen, durch eine gewisse Koordination den zweifellos schwierigen Lebensverhältnissen für Rückkehrer in Afghanistan Rechnung zu tragen. Die Berichte des Auswärtigen Amtes mit ihren kritischen Aussagen zu den zivilen Verhältnissen in Afghanistan sprechen dafür, dass sich die Exekutive trotz Ausbleibens einer Regelung nach § 60a Abs. 1 AufenthG der Lage für Rückkehrer bewusst ist, der bis Ende August dieses Jahres mit finanziellen Mitteln über die EU begegnet wird. Dies und die angeführten, gegen eine Zuspitzung der Lage für Rückkehrer sprechenden Umstände führen zu dem Schluss, dass derzeit auch ohne aktuelle Fortsetzung des RANA-Programms für arbeitsfähige männliche Rückkehrer aus Deutschland in prognostischer Sicht selbst ohne familiären Anschluss eine dringende und ausweglose Gefährdungssituation nicht bejaht werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht, Ortenburg 9, 02625 Bautzen innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen. Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht einzureichen.

In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.



Ende der Entscheidung

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