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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 03.04.2008
Aktenzeichen: A 2 B 36/06
Rechtsgebiete: AufenthG, Richtlinie 2004/83/EG
Vorschriften:
AufenthG § 60 Abs. 1 | |
Richtlinie 2004/83/EG Art. 9 | |
Richtlinie 2004/83/EG Art. 10 |
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
Az.: A 2 B 36/06
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Abschiebungsschutz
hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, den Richter am Oberverwaltungsgericht Munzinger und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Henke aufgrund der mündlichen Verhandlung
am 3. April 2008
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beteiligten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. Mai 2002 - A 7 K 568/01 - wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 1977 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Eigenen Angaben zufolge hat er am 17.9.2000 den Iran illegal mit Hilfe von Schleusern auf dem Luftweg verlassen und ist am selben Tag in Hamburg gelandet.
Zur Begründung des am 26.9.2000 gestellten Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter führte der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) aus, er habe seinen Wehrdienst von 7/1375 (September/Oktober 1996) bis 7/1377 (September/Oktober 1998) bei der Sepah geleistet. Er habe dabei gesehen, wie diejenigen, welche sich Hisbollah-Miliz nannten, das iranische Nationalvermögen verbrauchten. Dies sei ein Grund dafür gewesen, dass er dem Vorschlag seines Bruders gefolgt sei und sich der Organisation angeschlossen habe, in der auch sein Bruder tätig gewesen sei. Bis Juni/Juli 1999 sei er in dieser Gruppe gewesen. Er habe Flugblätter verteilt und in Briefkästen geworfen. Seine Kontaktperson habe ihm nie gesagt, mit wem die Gruppe in Verbindung gestanden habe. Am 10.7.1999 habe er mit vier weiteren Freunden an der Demonstration an der Teheraner Universität teilgenommen, um dort Flugblätter zu verteilen. Es sei zu Auseinandersetzungen mit Schlägertrupps und Sicherheitskräften gekommen. Der Kläger und seine Freunde seien dann nach Hause gegangen. Als die Gruppe am nächsten Tag bei einem Freund in dessen Wohnung zusammengesessen habe, hätten acht vollbärtige Personen an der Tür geklingelt. Diese hätten zum Sicherheitsdienst gehört. Sie hätten alle Anwesenden mit in das Polizeirevier des Wohnviertels genommen. Von dort seien sie dann getrennt weggebracht und in das -Gefängnis geschafft worden. Bis zum 13.11.1999 sei der Kläger im Gefängnis geblieben. In den ersten drei Wochen sei er ständig verhört und brutal geschlagen worden. Bei jedem Verhör sei ihm ein Zettel zur Unterschrift vorgelegt worden, den er jedoch nicht unterschrieben habe.
Der Kläger sei dann nach Hause entlassen worden. Er sei nach einem kurzen Aufenthalt in der Wohnung seiner Eltern in seine eigene Wohnung nach gefahren. Etwa 20 Tage später habe er einen Anruf seines Bruders erhalten, in welchem dieser mitgeteilt habe, dass ihre Kontaktperson verhaftet worden sei. Der Bruder habe ihm auch gesagt, dass er die anderen Freunde der Gruppe über die Verhaftung benachrichtigen solle. Er habe dann einen Freund angerufen und ihm über die Verhaftung berichtet. Am Nachmittag sei dieser Freund dann in die Wohnung des Klägers gekommen. Die Adresse habe er vom Bruder des Klägers erhalten. Nach zwei Tagen sei der Freund dann weggegangen. Entgegen seiner Ankündigung sei er auch nach vier oder fünf Tagen nicht zurückgekommen. Der Kläger habe sich sodann in Gefahr gefühlt und sei mit seinem Bruder zusammen nach zur Großmutter gefahren. Dort seien sie zwei Monate geblieben. Nach zwei Monaten habe die Mutter des Klägers ihn angerufen und berichtet, dass sie von dem Freund aus Deutschland angerufen worden sei. Er habe eine Telefonnummer hinterlassen. Dort habe der Kläger dann angerufen und erfahren, dass der Freund mit Hilfe eines Schleusers den Iran verlassen habe.
Der Freund habe gesagt, dass er in Deutschland mit einer Gruppe zusammenarbeite, welche sich "Komitee für die Verteidigung der Bewegung" nenne. Er habe ihm - dem Kläger - den Vorschlag gemacht, dass er sein Kontaktmann für den Iran werden solle. Der Kläger habe daraufhin gesagt, dass die Situation gut sei. Er habe im Iran nichts zu befürchten und sei deshalb einverstanden, diese Kontaktperson zu sein. Der Freund habe ihm dann ein Fax mit einer Telefonnummer geschickt. Es sei die Telefonnummer von gewesen. Dieser sei der Vorsitzende des genannten Komitees in Deutschland gewesen. Er habe Lageberichte über die Situation im Iran haben wollen. Der Kläger habe fortan mit seinem Freund in Deutschland namens und Herrn sowie mit in Verbindung gestanden. Er habe sieben oder achtmal telefonisch Informationen weitergegeben, zuletzt über die Parlamentswahlen im Iran. Die Telefonate nach Deutschland habe der Kläger vom Fernmeldeamt aus geführt, da er gedacht habe, dass sein Handy überwacht werden könne, ebenso wie der Festnetzanschluss seiner Eltern zu Hause. Er selbst habe Informationen per Fax von den genannten Personen erhalten. Auf Nachfrage erklärte der Kläger des Weiteren, nach dem Kontakt mit Herrn habe er eine Gruppe im Iran gegründet, die den gleichen Namen getragen habe wie das Komitee. Er habe von dort an wieder die politische Betätigung aufgenommen. Sie seien etwa 30 Anhänger gewesen. Dabei habe es sich zumeist um seine Freunde, die Freunde von sowie Verwandte des Vaters, meist Armeeangehörige, die gegen das islamische Regime eingestellt gewesen seien, gehandelt. Auch sein Bruder sei in der Gruppe aktiv gewesen. Die Betätigung der Gruppe habe darin bestanden, Informationen über die Lage im Iran an Herrn weiterzuleiten. Der Kläger habe mit der Gruppe in Deutschland in Verbindung gestanden. Die Gruppe habe Formulare für Anhänger gehabt. Jeder, der habe mitarbeiten wollen, habe ein solches Formular ausfüllen müssen. Dabei habe er auch die Satzung der Gruppe akzeptieren und bereit sein müssen, die Gruppe finanziell zu unterstützen. Die Informationen, die der Kläger weitergeleitet habe, habe er der Presse, dem Rundfunk und dem Fernsehen entnommen. Außerdem habe er Gespräche geführt. Dabei habe sich manches ergeben, da er selbst Wehrdienst bei der Sepah geleistet habe, sein Bruder bei den Sicherheitskräften und sein Vater Armeeangehöriger gewesen sei. Zu der von Herrn geleiteten Gruppe führte der Kläger aus, nach deren Satzung müsse derjenige, der mitarbeiten wollte, erst sechs Monate ein Anhänger der Gruppe sein und diese in ihrer Betätigung unterstützen. Die Gruppe habe einen zentralen Rat, der die Entscheidungen treffe. Sie sei in geografische Richtungen eingeteilt. Auch im Osten Deutschland habe sie einen Ableger in Leipzig. Ziel der Gruppe sei der Kampf gegen das islamische Regime. Hinrichtungen, Verhaftungen und Korruption sollten an das Tageslicht gebracht werden. Ein Teil der zu leistenden Mitgliedsbeiträge werde für den Druck einer Zeitschrift der Gruppe verwendet. Den Namen der Zeitschrift könne er nicht angeben, da er diese noch nicht gesehen habe. Es gebe aber eine andere Zeitung namens " ". Herr sei Chefredakteur dieser Zeitung. Der Kläger wisse nicht, für welche Zeitung das Geld verwendet werde und ob es sich um oder um eine andere Zeitung handele. Am Ende der Befragung führte der Kläger aus, die Aufgabe der Gruppe habe in der Verteilung von Flugblättern bestanden. Nach Rückübersetzung führte der Kläger aus, er habe sieben bis acht Mal Berichte weitergegeben. Es seien wichtige Berichte wie über die Parlamentswahlen und über den Tod von Ahmad Shamlou gewesen. In der Gruppe, welche er organisiert habe, seien alle seine Freunde gewesen, weniger die von . habe in diesem Rahmen keine Freunde gehabt. Hinsichtlich der Gruppenbeiträge sei zu präzisieren, dass diese nur für die Aktivitäten im Iran verwendet worden seien, so für Drucke und für Telefonate. Schließlich sei anzumerken, dass er den Namen der Zeitschrift, welche die Gruppe herausgebe, deshalb nicht habe nennen können, weil er als Asylbewerber nicht zu der Gruppe nach Leipzig fahren dürfe.
Zur Ausreise sei es dann gekommen, als der Kläger eines Tages bei einem Treffen einiger Freunde gewesen sei. Danach seien sie mit Flugblättern und Formularen für Anhänger der Gruppe aus dem Haus gegangen. Diese Formulare habe er per Fax erhalten. Sie seien vier Personen auf zwei Motorrädern gewesen. Alle hätten solche Formulare und Flugblätter bei sich gehabt. Unterwegs seien sie in eine Straßenkontrolle geraten und angehalten worden. Sie hätten mit ihren Motorrädern sofort umgedreht und seien zurückgefahren. Im gleichen Augenblick habe sich ein Toyota der Pasdaran in Bewegung gesetzt. Dann sei auf sie geschossen worden. Der Kläger habe gesehen, dass das zweite Motorrad gestürzt sei. Er selbst sei zu seinem Onkel mütterlicherseits nach Teheran gefahren. Von seinem Onkel aus habe er seinen Bruder auf dessen Handy angerufen. Er habe ihn gebeten zu kommen und habe ihm gesagt, dass er selbst Teheran verlassen müsse. Dann habe er mit seinem Vater von der Telefonzelle aus gesprochen und habe ihm alles mitgeteilt. Sein Vater habe gemeint, der Kläger solle sofort von Teheran nach fahren. Er sei dann zusammen mit seinem Bruder dorthin gefahren. Am nächsten Tag habe er Herrn angerufen. Dieser habe gesagt, der Kläger solle sofort den Iran verlassen. Dabei sei dem Kläger sein Freund eingefallen. Er habe von Deutschland aus organisiert, dass der Kläger den Iran habe verlassen können. Der Bruder des Klägers sei in geblieben. Auf Nachfrage, was aus den Formularen geworden sei, erklärte der Kläger, er habe sie nach dem Ereignis mit dem Motorrad verbrannt. Nach Rückübersetzung führte der Kläger aus, habe nicht die Reise von Deutschland aus organisiert. Er habe lediglich die Telefonnummer seiner Großmutter gehabt und diese dem Schleuser weitergegeben. So habe die Ausreise organisiert werden können. Zudem sei richtigzustellen, dass er bei der Flucht mit dem Motorrad lediglich einen Teil der Formulare bei sich gehabt habe. Der restliche Teil habe sich in seiner Wohnung befunden.
Befragt zu seinem Vater gab der Kläger an, dieser sei Oberst in der iranischen Armee gewesen. Er habe die erste Verhaftung des Klägers recht locker genommen. Er habe den Kläger gebeten, die Familie nicht in Gefahr zu bringen und sich mit unbedachten Handlungen zurückzuhalten. Bei der zweiten Sache sei dies aber schon anders gewesen, da nun auch für den Vater des Klägers Probleme hätten auftreten können. Der Vater habe ihm zur Ausreise geraten. Er habe ihn sogar dabei unterstützt, indem er sein Auto verkauft und die Reise mitfinanziert habe. Auf Nachfrage erklärte der Kläger des Weiteren, nach Verlassen des Landes sei zu erwarten gewesen, dass der Vater über den Aufenthaltsort des Klägers befragt werde. Sein Vater sage jedoch, er wisse nichts. Die Wohnung der Eltern des Klägers sei durchsucht worden. Der Kläger wisse nicht, was aus seiner Wohnung in geworden sei. Er habe seinen Eltern gesagt, sie sollten keinen Ton über diese Wohnung sagen, da sich dort noch Dokumente befänden.
Mit Bescheid vom 8.6.2001 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall, dass der Kläger die Ausreisefrist nicht einhält, wurde ihm die Abschiebung in den Iran angedroht. Zur Begründung hieß es, der Vortrag des Klägers, dass er den Iran aus Gründen der politischen Verfolgung verlassen habe, sei nicht überzeugend. Er habe nicht glaubhaft vermitteln können, dass er Freunde und Bekannte, darunter sogar Militärangehörige, in einer illegalen Gruppe zusammengefasst habe und dazu spezielle personenbezogene Formulare ausgefüllt und Spenden eingesammelt worden seien. Es widerspreche der Lebenserfahrung, dass illegal tätige Personen derart deutliche Spuren hinterließen, welche zu ihrer Identifikation führen könnten. Ferner erscheine die vom Kläger geschilderte Fluchtvariante mit zwei Motorrädern an einer Straßensperre recht abenteuerlich. Aufgrund der vom Kläger selbst vorgetragenen erheblichen Nähe zu den kontrollierenden Personen könne davon ausgegangen werden, dass auch der Kläger mit dem zweiten Motorrad an der Weiterfahrt hätte gehindert werden können. Soweit der Kläger geltend machen wollte, dass er aufgrund des Zurücklassens von Mitwissern auf dem anderen Motorrad gefährdet gewesen sei, unterschieden sich seine Darlegungen nicht wesentlich von ähnlich stereotypen Vorbringen anderer iranischer Asylbewerber. Außerdem müsse angezweifelt werden, dass der Kläger mit Exil-Iranern gerade vom Teheraner Fernmeldeamt aus sieben- bis achtmal in Verbindung getreten sei. Aus Sicherheitsgründen seien andere bzw. wechselnde Kommunikationsmöglichkeiten denkbar gewesen. Vermutlich habe der Kläger aber auch keine anderen Informationen übermittelt, als sie ohnehin den offiziellen iranischen Medien zu entnehmen gewesen seien. Darüber hinaus sei nicht plausibel dargelegt worden, weshalb der Vater zum Schutz seiner Söhne und seiner eigenen Sicherheit als Oberst der iranischen Armee nicht schon früher gegen die behaupteten Aktivitäten seiner Söhne eingeschritten sei, zumindest aber nach der vorgeblichen Inhaftierung des Klägers im -Gefängnis im Jahr 1999. Auch sei es fast auszuschließen, dass jemand, der von den iranischen Sicherheitsbehörden gesucht werde, mit gefälschten Reisedokumenten über den Flughafen Mehrabad ausreisen könne. Demnach habe der Kläger Vorfluchtgründe nicht glaubhaft machen können. Auch Nachfluchtgründe stünden ihm nicht zur Seite. Schließlich sei dem Kläger die Berufung auf das Asylgrundrecht verwehrt, da davon auszugehen sei, dass er aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei.
Zur Begründung der am 20.6.2001 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er habe durchaus glaubhaft vermittelt, dass er politisch verfolgt sei. Soweit die Beklagte den Vortrag des Klägers vor dem Hintergrund nicht für glaubwürdig halte, dass sein Vater Militärangehöriger sei und offensichtlich gegen die oppositionelle Tätigkeit seiner Söhne habe vorgehen müssen, sei darauf hinzuweisen, dass es im Iran zwei verschiedene militärische Gruppen gebe. Hierbei handele es sich zum einen um die direkt der Regierung unterstehenden Pasdaran. Des Weiteren gebe es eine einfache militärische Gruppe, in welcher der Vater des Klägers normaler Angestellter sei und eine Tätigkeit als Pilot ausübe. Im Übrigen habe der Vater seine Söhne gebeten, nicht mehr in der elterlichen Wohnung zu leben, sondern sich eine eigene Wohnung zu nehmen. Dies habe der Kläger auch getan. Nach der Flucht des Klägers aus dem Iran sei der Vater auch von der Polizei mitgenommen und verhört worden. Ebenfalls habe der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt anschaulich dargelegt, dass er mit einer iranischen Gruppe in Deutschland als Kontaktmann im Iran zusammengearbeitet habe, wofür auch Zeugenbeweis angeboten werden könne. Entgegen den Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid habe der Kläger immer aus Sicherheitsgründen ausschließlich vom Fernmeldeamt aus telefoniert. Darüber hinaus habe der Kläger auch erklären können, dass es nur deshalb gelungen sei, die Fahrer auf dem anderen Motorrad zu fassen, weil diese gestürzt seien. Der Kläger sei über verhaftete Personen bei den iranischen Behörden in diesem Zusammenhang bekannt geworden. Des Weiteren sei der Kläger über den Flughafen Mehrabad ausgereist. Der Deckname, welcher in den Visumsunterlagen vermerkt gewesen sei, laute Sabak Pashazadgh. Schließlich werde der Kläger ein Exemplar der von ihm erwähnten Formulare für den Eintritt in die von ihm gegründete Gruppe vorlegen. Darüber hinaus legte der Kläger einen Taufschein vor, wonach er am 23.9.2001 in der Sankt-Johannes-Gemeinde in getauft worden ist. Ferner überreichte er eine pfarramtliche Bescheinigung vom 27.5.2002. Darin wird ausgeführt, dass vor der Taufe in den Monaten Juli, August und September zehn ausführliche Gespräche zur Vorbereitung der Taufe stattgefunden hätten. Seit über einem Jahr besuche der Kläger regelmäßig die Gottesdienste der Gemeinde und nehme am Abendmahl teil. Außerdem gehöre er zum Kreis Junger Erwachsener, der sich monatlich treffe. Darüber hinaus bestünden private Kontakte zu Gemeindemitgliedern.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nahm der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter zurück und verfolgte lediglich den von ihm geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots weiter.
In der Anhörung durch den Einzelrichter gab der Kläger an, im Protokoll des Bundesamtes gebe es Stellen, die nicht seiner Aussage entsprächen. Dies habe an der Übersetzung gelegen. Eine weitere Befragung zu seinen Vorfluchtgründen erfolgte nicht. Zu seiner Konversion führte er aus, er habe sich im Hinblick auf die Folterungen, die er in der Heimat erlitten habe und im Hinblick auf die islamische Geschichte dazu entschlossen, zum Christentum überzutreten. Der Islam werde in seiner Heimat zwangsweise durchgeführt. Außerdem finde eine Unterdrückung durch das Mullah-Regime statt, kurz gesagt, der Islam sei gleichzusetzen mit dem 11. September. Die ihm gestellten Fragen zu biblischen Inhalten beantwortete der Kläger zutreffend. Abschließend wurden die Umstände seiner Ausreise über den Flughafen Mehrabad erörtert.
Mit Urteil vom 29.5.2002 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung von Ziff. 2 des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8.6.2001, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran festzustellen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Iran politisch vorverfolgt verlassen habe. Jedenfalls drohe ihm im Fall einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung, da er nach der Überzeugung des Gerichts seinen islamischen Glauben aufgegeben habe und zum Christentum übergetreten sei. Der Kläger sei getauft und lebe seine neue christliche Überzeugung auch aktiv, indem er an verschiedenen religiösen Veranstaltungen der Kirche teilnehme. Im Falle der Rückkehr in den Iran wollte der Kläger seinen Glauben auch nicht aufgeben, sondern an seiner Überzeugung festhalten. Nach dem vom Kläger gewonnenen persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung, insbesondere der Art seiner Einlassungen, handele es sich zur Überzeugung des Gerichts bei ihm um einen überzeugten Christen. Er habe nachvollziehbar erklären können, warum er vom Christentum übergetreten sei und wie sich der Glaubenswandel vollzogen habe. Darüber hinaus habe er sich an zahlreiche Einzelheiten aus dem Neuen Testament erinnern können.
Auf den Antrag des Beteiligten hat der Senat mit Beschluss v. 10.1.2006 - A 2 B 552/02 - die Berufung wegen einer sogenannten nachträglichen Divergenz zugelassen.
Zur Begründung der Berufung macht der Beteiligte geltend, die angefochtene Entscheidung sei mit der Rechtsprechung des Senats unvereinbar. Einem iranischen Asylbewerber drohe wegen seines in Deutschland vollzogenen Übertritts zum christlichen Glauben und einer hier ausgeübten Glaubensbetätigung bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung und zwar selbst dann nicht, wenn die iranischen Behörden hiervon Kenntnis erlangt haben sollten. Das religiöse Existenzminimum eines in Deutschland vom muslimischen zum christlichen Glauben übergetretenen iranischen Staatsangehörigen sei im Falle einer Rückkehr in den Iran selbst dann gewahrt, wenn der Apostat dort seinen neuen christlichen Glauben ausüben und nicht verleugnen wolle. Insoweit hat der Beteiligte ausführlich auch zur Richtlinie 2004/83/EG und zur Auskunftslage vorgetragen.
Der Beteiligte beantragt,
die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, dass er bei seinen iranischen Landsleuten offen missioniere. Er unterrichte Bibelkurse und halte dort Vorträge in persischer Sprache. Er veröffentliche auch biblische Theorien zum Zwecke der Missionierung in persischer Sprache in Form von Flugblättern und Zeitungen. Diese Tätigkeit übe der Kläger seit mehreren Jahren aus. Er sei auch ein Beauftragter seiner Gemeinde als Missionar. Dies werde von der Kirchgemeinde Sankt-Johannes mit Schreiben vom 18.3.2003 bestätigt.
Der Kläger sei in gehobener Art und Weise exilpolitisch aktiv. Er sei in der persischen Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiger Missionar. Er verteile unter Nennung seines Vor- und Familiennamens in persischer Sprache Flugblätter und verbreite den christlichen Glauben. In allen Flugblättern seien sein Name und seine Telefonnummer angegeben. Falls weitere Auskunft und Literatur vom christlichen Glauben in persischer Sprache benötigt werde, erkläre sich der Kläger nach Kontaktaufnahme mit ihm bereit, diese an Iraner zu senden. Er nehme ständig an Sitzungen der christlichen Gemeinde der Iraner in der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Städten teil und werde dort missionierend tätig. Der Kläger gehöre mittlerweile zu einer der wichtigsten Personen der persischen christlichen Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland. Er habe an verschiedenen Aktionen seiner Gemeinde in verschiedenen Städten teilgenommen und habe als Redner iranischen Landsleuten den christlichen Glauben vorgestellt. Er habe auch den islamischen Glauben insoweit kritisiert, dass dieser zum Heiligen Krieg führe und biete der islamischen Gemeinde der Iraner im Ausland den christlichen Glauben als Alternative für Frieden und Liebe an. Der Kläger legt insoweit drei Flugblätter vor. Das erste Flugblatt sei Weihnachten 2005 veröffentlicht worden und in verschiedenen Städten mit persischen Gemeinden geschickt und dort verteilt worden. Der Kläger spreche darin über Jesus und stelle ihn in persischer Sprache vor. Falls Interesse bestehe, biete er seine Telefonnummer als Kontaktadresse an. Sein Name sei auch in diesem Flugblatt bekannt gegeben. Das zweite Flugblatt sei Weihnachten 2006 verbreitet worden. In diesem biete er den Weg zu Gott iranischen Landsleuten an. Auch darin sei seine Adresse als Kontaktadresse genannt. Das dritte Flugblatt sei im April 2007 veröffentlicht worden. In diesem beantworte er ebenfalls viele Fragen zum Christentum und insbesondere die Frage "Warum an Jesus glauben?". Darüber hinaus nehme er auch an Demonstrationen und Aktionen der Organisationen der Exil-Iraner teil, um Schriftstücke zu verteilen.
Die in der bisherigen Rechtsprechung des Senats benutzten Erkenntnismittel seien veraltet. Die Lage habe sich im Iran deutlich verändert. Dies gelte insbesondere seit dem Krieg im Irak. Innenpolitisch werde härter als bisher mit der Opposition umgegangen. Zunehmend würden unabhängige Stimmen zum Schweigen gebracht. In den Gefängnissen hätten sich die Bedingungen erheblich verschlechtert. Ende Juli 2006 sei im berüchtigten Teheraner -Gefängnis der Regime-Kritiker Akwar Mohamadi nach einem Hungerstreik gestorben. Hinzu komme, dass dem Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten die Qualifikationsrichtlinie zugute komme.
Die Beklagte hat sich nicht zum Verfahren geäußert und keinen Antrag gestellt.
In der mündlichen Verhandlung am 24.10.2007 hat der Kläger weitere Ausführungen zu seiner Missionstätigkeit gemacht; auf das Verhandlungsprotokoll vom 24.10.2007 wird verwiesen. Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger entsprechend dem gerichtlichen Hinweis seine missionarische Tätigkeit weiter substantiiert; auf das schriftsätzliche Vorbringen vom 5.11.2007 und vom 9.2.2008 wird verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung vom 3.4.2008 hat das Gericht die aus der Verhandlungsniederschrift vom gleichen Tag ersichtlichen aktuellen Auskünfte zur Lage konvertierter Christen im Iran sowie zum Gesetzesvorhaben des Straftatbestands der Apostasie eingeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Bundesamtes sowie auf die Gerichtsakten verwiesen. Diese Unterlagen sowie den Beteiligten bekanntgegebenen Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Nach § 125 Abs. 1, § 102 Abs. 2 VwGO konnte der Senat auch ohne den in der mündlichen Verhandlung ausgebliebenen Beteiligten verhandeln und entscheiden, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäßen Terminsladung hingewiesen worden war.
Die zulässige Berufung des Beteiligten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben, da der Kläger einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung hat, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten, soweit er sich noch im Streit befindet, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
Ist der Schutzsuchende unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Abschiebungsschutzverfahren des § 60 Abs. 1 AufenthG ebenso wie im Asylanerkennungsverfahren nach Art. 16a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.11.1992 - 9 C 21.92 -, NVwZ 1993, 486). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßstab ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582). Ist ein bestimmtes Verhalten im Heimatland des Asylbewerbers mit Strafe bedroht, kommt es für die Beurteilung einer politischen Verfolgungsgefahr wegen befürchteter Bestrafung im Heimatstaat in erster Linie auf die konkrete Rechtspraxis des Verfolgerstaates und nicht auf die abstrakte Rechtslage an (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.1996 - 9 C 20.96 -, NVwZ-RR 1997, 740 und Beschl. v. 29.3.2000 - 9 B 128.00 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 233).
Ist der Betroffene bereits vorverfolgt ausgereist, so ist auch im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG der sogenannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden, wonach asylrechtlicher Schutz nur dann versagt werden kann, wenn bei Rückkehr in den Verfolgerstaat eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Die Rückkehr in den Heimatstaat ist in diesen Fällen nur dann zumutbar, wenn mehr als nur überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Ausländer im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist (BVerwG, Urt. v. 18.2.1997 - 9 C 9.96 -, NVwZ 1997, 1134).
Es obliegt dem Flüchtling, seine guten Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung schlüssig und mit genauen Einzelheiten vorzutragen. Hierzu gehört auch, dass der Flüchtling zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.1983 - 9 B 1915.82 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 Nr. 152; Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38). Enthält das Vorbringen erhebliche, nicht überzeugend aufgelöste Widersprüche oder Steigerungen, so fehlt es in der Regel an der Glaubhaftmachung (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.2.1989 - 9 C 29.87 -, Buchholz 310 § 108 Nr. 214).
a) Nach diesen Maßstäben hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, vor seiner Ausreise aus dem Iran von individueller politischer Verfolgung bedroht gewesen zu sein.
Die vom Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt geltend gemachten Vorfluchtgründe sind aus den im Bescheid dargestellten Gründen, auf die gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG verwiesen wird, nicht glaubhaft. Ergänzend und vertiefend ist darauf hinzuweisen, dass die Motivation des Klägers, sich politisch zu betätigen, von Beginn an unklar geblieben ist; er hat insoweit lediglich angegeben, er habe gesehen, wie die Hisbollah-Miliz iranisches Nationalvermögen verbraucht habe. Über die Ausrichtung und die Ziele der Gruppierungen, welchen er sich deshalb angeschlossen hat, weiß der Kläger - mit Ausnahme, dass das Regime gestürzt werden solle - nicht viel. Verwunderlich ist auch die Aussage des Klägers, er habe sich in dem ersten Telefonat mit dem nach dessen Ausreise nach Deutschland bereit erklärt, dessen Kontaktmann für den Iran zu werden; die Situation im Iran sei gut für ihn gewesen und er habe nichts zu befürchten gehabt. Dies passt nicht damit zusammen, dass er es bis zu diesem Zeitpunkt für notwendig erachtet hat, sich bei seiner Großmutter in im Zusammenhang mit der Verhaftung des Kontaktmanns der ersten Gruppe versteckt zu halten. Der Kläger hat seine nach Deutschland übermittelten Informationen im Wesentlichen der öffentlichen Berichterstattung entnommen. Welche Informationen er darüber hinaus selbst recherchiert haben will, ist unklar. Ebenfalls wird aus seinem Vortrag nicht deutlich, was die eigentliche Aufgabe der Gruppe war, das Verteilen von Flugblättern oder eher die Übermittlung von Informationen ins Ausland. Schließlich erscheint die Zugehörigkeit mehrerer Armeeangehöriger zu der Gruppe wie auch der Gebrauch von Mitgliedsformularen wenig glaubhaft.
b) Eine Verfolgung droht dem Kläger nicht wegen seiner in Deutschland entfalteten exilpolitischen Aktivitäten. Der Klägervertreter spricht zwar in der Berufungserwiderung mitunter von exilpolitischer Betätigung des Klägers. Konkrete Angaben hierzu sind aber zu keinem Zeitpunkt, insbesondere auch nicht in der mündlichen Verhandlung, gemacht worden.
c) Indessen droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Iran wegen seiner infolge des Glaubenswechsels christlich ausgerichteten Lebensführung unter Würdigung der aktuellen Auskunftslage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung.
Hinsichtlich des möglichen Anknüpfungspunkts für eine Verfolgung ist nunmehr gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenhG die bereits erwähnte Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 ergänzend anzuwenden. Nach Art. 10. Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion insbesondere die theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, umfasst. In seinem Urteil vom 28.3.2007 - A 2 B 38/06 - hat der Senat hierzu ausgeführt:
"Der Wortlaut lässt auf einen weit gefassten Schutzbereich schließen. So ist die Definition der Religion als theistischer, nichttheistischer und atheistischer Glaubensüberzeugung ebenso weit gespannt wie die verschiedenen Arten der Glaubensbezeugung (Teilnahme an religiösen Riten; sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen), der Rahmen, in dem die Ausübung des Glaubens stattfindet (im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen) und die Motivationslage der religiösen Handlung (gestützt auf eine religiöse Überzeugung oder nach dieser vorgeschrieben).
Für die Annahme einer Verfolgung genügt indes nicht jede Beeinträchtigung der in diesem Sinne umschriebenen Religionsausübung. Vielmehr bedarf es gemäß Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie einer Verknüpfung der in Art. 10 der Richtlinie genannten Gründe und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen. Dabei kann es sich sowohl um einmalige oder wiederholte Handlungen derselben Art (Buchst. a) als auch um eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen (Buchst. b) handeln. Stets sind aber nur solche Handlungen als Verfolgung einzustufen, die so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder eine Person in ähnlicher Weise betreffen.
Im Ergebnis gehen Art. 9 und Art. 10. Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie damit zwar über die bisherige Rechtsprechung hinaus, wonach ein Eingriff in das religiöse Existenzminimum grundsätzlich erst dann in Betracht kam, wenn die zum Christentum konvertierten Muslime auch dann mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen mussten, wenn sie sich zum gemeinsamen Gebet und Gottesdienst mit Gleichgesinnten abseits der Öffentlichkeit zusammenfanden (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.1.2004, a.a.O.). Über das danach ausschließlich geschützte "forum internum" kommt unter der Geltung der Richtlinie grundsätzlich auch der Schutz des "forum externum" in Betracht. Voraussetzung ist wegen der nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie erforderlichen Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen jedoch stets, dass sich der Eingriff in die Religionsausübung als mit der Wahrung der Menschenwürde unvereinbar darstellt. Dies kommt zum Einen dann zum Tragen, wenn die Religionsausübung mit Sanktionen verbunden ist, die bereits selbst den Charakter einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie aufweisen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -). Zum Anderen kann aber auch die bloße Unterbindung bestimmter Formen der religiösen Betätigung eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn unabdingbare Elemente des religiösen Selbstverständnisses des Betroffenen in Rede stehen (so zutreffend: Hinweise des Bundesministeriums des Innern zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 9)."
Gemessen hieran fällt sowohl der Besuch öffentlicher Gottesdienste, als auch die öffentlichkeitswirksame religiöse Betätigung, insbesondere die Missionierung, in den Bereich der durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie geschützten religiösen Betätigung (ebensoBayVGH, Urt. v. 23.10.2007, Asylmagazin 12/2007, 15 f.). Nach dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers und seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung hat der Senat keine Zweifel daran, dass der Glaubensübertritt des Klägers im Jahr 2001 einen ernsthaften Hintergrund hat. Der Kläger hat seither regelmäßig Gottesdienste besucht und am Abendmahl teilgenommen (vgl. Bescheinigungen des Gemeindepfarrers vom 27.5.2002 sowie vom 1.10.2007), Bibelstunden unterrichtet sowie sich in vielfältiger Weise am Gemeindeleben beteiligt. Daneben hat der Kläger nachgewiesen, dass er ebenfalls seit seinem Übertritt innerhalb seines Wohnortes, aber auch in anderen deutschen Städten, mit Billigung des Gemeindepfarrers missionarisch tätig ist, wenn auch nicht in herausgehobener Funktion. Der Senat geht aufgrund dieses glaubhaften Vorbringens des Klägers prognostisch davon aus, dass dieser seine christlich geprägte Lebensweise im Falle seiner Rückkehr in den Iran fortführen, insbesondere an öffentlichen Gottesdiensten teilnehmen wird. In diesem Fall hätte der Kläger nach der Überzeugung des Senats Verfolgungshandlungen i.S. v. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zu befürchten. Gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchstaben a, b, und c der Richtlinie zählen dazu die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder auch unverhältnismäßige Strafverfolgung oder Bestrafung.
Bei seiner Einschätzung der für den Kläger bestehenden Verfolgungsgefahr geht der Senat von folgender Auskunftslage aus: Der Senat hat bislang in ständiger Rechtsprechung aufgrund der bis September 2007 bestehenden Auskunftslage das Vorliegen der Gefahr einer politischen Verfolgung wegen in Deutschland erfolgter Konversion verneint; Gleiches galt für die Annahme einer Gefahr wegen des Besuchs von Gottesdiensten (vgl. etwa Urteil vom 24.10.2007 - 2 B 833/05 - unter Verweis auf Urteil vom 28.3.2007 - A 2 B 38/06 -). Dem lag die Wertung zugrunde, dass entsprechend dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21.9.2006 missionierende Christen, unabhängig davon, ob es sich um konvertierte oder nicht konvertierte handele, zwar staatlichen Repressionen ausgesetzt sein könnten, sich diese staatlichen Maßnahmen bisher allerdings ganz überwiegend gezielt gegen Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders Aktive richteten. Referenzfälle für die Gefährdung einfacher Mitglieder von Glaubensgemeinschaften fehlten dagegen. Die Apostasie sei zwar nach islamischem Recht, nicht aber nach kodifiziertem iranischen Strafrecht mit der Todesstrafe bedroht; im Gegensatz zur Verhängung seien Fälle einer Vollstreckung der Todesstrafe wegen Apostasie in den letzten Jahren nicht mehr bekannt geworden. Apostaten stehe die Teilnahme an Gottesdiensten offen (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das Sächsische Oberverwaltungsgericht vom 15.12.2004 und an das VG Koblenz vom 15.6.2005).
Die seither eingegangenen Erkenntnismittel lassen demgegenüber auf eine Änderung der Auskunftslage schließen, wenn auch deren Reichweite derzeit noch schwer bestimmbar sein dürfte: In seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Mainz vom 29.2.2008 führt das Kompetenzzentrum Orient Okzident Mainz, Geographisches Institut, der Universität Mainz aus, dass die Lage der evangelisch-freikirchlichen Gemeinden im Iran prekär sei. Sie stünden unter strikter Überwachung der iranischen Sicherheitsorgane und Behörden. Alle Gemeindemitglieder müssten mit Ausweisen ausgestattet werden, die mit sich zu führen seien und von denen die iranischen Behörden Photokopien einforderten. Die Behörden erhielten Mitgliederlisten. Neuaufnahmen von Mitgliedern seien beim Ministerium für Information und islamische Rechtleitung zu beantragen. Die Versammlungsorte der Gemeinden und ihre Besucher würden kontrolliert. Da die evangelikal-freikirchlichen Gemeinden wegen ihres Selbstverständnisses das Missionierungsverbot nicht beachteten, zudem in Kontakt mit dem Ausland stünden und von dort regelmäßig finanzielle Unterstützung erhielten, würden häufig Mitglieder unter Spionageverdacht oder des Verdachts auf Konspiration gegen die islamische Republik verhaftet, so dass ein Zusammenhang zwischen der Verhaftung und der Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche auf den ersten Blick nicht bestehe. Laut dem "International Religious Freedom Report 2007" des US-Außenministeriums seien Verhaftungen ohne Vorbringen von Anklagepunkten recht häufig; meist würden die Verhafteten nach einigen Wochen wieder freigelassen; Folterungen kämen regelmäßig vor. Nach dem Amtsantritt von Präsident Ahmadinejad habe sich die Lage der Christen, insbesondere der evangelikal-freikirchlichen, deutlich verschlechtert mit der Folge, dass Konvertiten im Iran ihren christlichen Glauben nicht zeigen und bekennen könnten. Sie würden größte Schwierigkeiten haben, sich mit Glaubensgenossen für Gottesdienste, auch in Privathäusern, zusammenzufinden.
Laut Auskunft des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg vom 1.4.2008 befindet sich seit Dezember 2007 ein Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren, der die Aufnahme des Straftatbestands der Apostasie in das kodifizierte iranische Strafgesetzbuch zum Gegenstand hat. Der geplante Art. 225 sieht als Sanktion für den Abfall vom Islam die Todesstrafe bzw. lebenslange Freiheitsstrafe vor. Das Gesetzesvorhaben habe zu zahlreichen internationalen Protesten geführt; die Europäische Union habe in einer Erklärung vom 25.2.2008 den geplanten Gesetzentwurf als Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen Irans kritisiert.
Demgegenüber enthält der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.3.2008 keine Hinweise zu dem Gesetzesvorhaben zur Apostasie. Hinsichtlich der allgemeinen Lage der Christen im Iran vermerkt der Lagebericht vom 4.7.2007 (S. 14), dass am 10.12.2006 nach glaubhaften Angaben von Nichtregierungsorganisationen vierzehn Christen (angeblich Konvertierte) in drei Städten (Teheran, Karaj, Rasht) ohne ersichtlichen Grund verhaftet worden seien. Im Übrigen werden - wie auch im aktuellen Lagebericht vom 18.3.2008 - die Ausführungen aus dem Lagebericht vom 21.9.2006 wiedergegeben, wonach sich staatliche Repressionen bisher ganz überwiegend gezielt gegen Kirchenführer bzw. in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen richteten. In der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Mainz vom 31.10.2007 zur Lage der freikirchlich-evangelikalen Christen wird ebenfalls die Einschätzung aus den letzten Lageberichten mitgeteilt und festgestellt, dass Personen, deren Stellung innerhalb missionierender Gemeinden den Grad der bloßen Zugehörigkeit nicht überschreite, bisher von staatlichen Repressionen nicht betroffen seien.
Der Senat bewertet die Auskunftslage zur Situation konvertierter Christen im Iran aufgrund der zitierten aktuellen Erkenntnismittel derzeit als ambivalent, da sich die genannten Quellen teilweise widersprechen und eine Verifizierung dem Gericht nicht möglich ist. So erscheint die Auskunft des Kompetenzzentrums aufgrund ihrer detaillierten Schilderung zwar grundsätzlich als glaubwürdig; sie stimmt zudem mit den im Urteil des OVG Saarland vom 26.6.2007, InfAuslR 4/2008, 183 f., referierten Erkenntnissen u.a. des Schweizerischen Flüchtlingshilfswerks zur Situation von Konvertiten überein. Allerdings fehlen konkrete Quellenangaben zur Informationsgewinnung hinsichtlich der berichteten Überwachungspraxis der christlich-evangelikalen Gemeinden; Referenzfälle werden nicht genannt. Auf der anderen Seite erscheinen die Lageberichte des Auswärtigen Amtes hinsichtlich ihrer pauschalen Verneinung einer Verfolgungsgefahr trotz einzelner Übergriffe auf Christen wenig aussagekräftig; auch hier fehlen zuverlässige Quellenangaben. Dass zudem die geplante Einführung des Straftatbestands der Apostasie im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.3.2008 keine Erwähnung findet, dort vielmehr (weiterhin) ausgeführt wird, der Abfall vom Islam sei lediglich nach islamischem Recht, nicht aber nach kodifiziertem iranischen Strafrecht mit der Todesstrafe bedroht, führt ebenfalls zu gewissen Einschränkungen im Hinblick auf Verlässlichkeit und Aktualität des Berichtes.
Hinsichtlich der geplanten Einführung des Straftatbestands der Apostasie ist derzeit nicht absehbar, ob, wann und ggfs. mit welchen Änderungen die geplante Kodifizierung der Apostasie in Kraft tritt; gänzlich offen ist, wie die Anwendung der Norm in der iranischen Strafrechts- und Vollstreckungspraxis aussehen würde. Trotz der genannten Unwägbarkeiten hat allerdings die bloße Tatsache, dass das iranische Parlament die Apostasie im kodifizierten iranischen Strafrecht unter Strafe stellen will, eine gewisse Indizwirkung für eine deutliche Verschärfung der Situation für zum Christentum konvertierte Muslime.
Der Senat kommt angesichts der geschilderten, möglicherweise im Umbruch befindlichen Auskunftslage trotz der aufgezeigten Unwägbarkeiten zu dem Ergebnis, dass dem Kläger bei Betätigung seiner auf einem ernsthaften Glaubenswechsel beruhenden christlich ausgerichteten Lebensführung im Iran derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen i.S.v. Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie drohen. Zu denken ist zum einen an den Kläger diskriminierende administrative/polizeiliche Maßnahmen bis hin zur Verhaftung, die an den Besuch öffentlicher Gottesdienste einer christlich-evangelikalen Gemeinde anknüpfen, zum anderen an eine im Falle der Verabschiedung des Apostasie-Gesetzes denkbare Strafverfolgung wegen Apostasie.
d) Damit kann offen bleiben, ob der Kläger in Deutschland in einer herausgehobenen, nach außen erkennbaren Funktion missionarisch tätig war, die ihn von den Aktivitäten anderer Apostaten abhebt und die bereits für sich genommen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit verfolgungsauslösend gewirkt hätte (vgl. hierzu SächsOVG, Urt. v. 28.3.2007 - A 2 B 630/ 05 -).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Ende der Entscheidung
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