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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: 3 W 260/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 121
ZPO § 121 Abs. 1
ZPO § 127
Beiordnung eines neuen Rechtsanwaltes nach Mandatsniederlegung des ursprünglichen Prozessbevollmächtigten.
Tenor:

Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird dem Kläger im Wege der Prozesskostenhilfe für die erste Instanz Rechtsanwältin beigeordnet.

Gründe:

I. Das Landgericht hat dem Kläger, der wegen eines Verkehrsunfalls vom 18.1.1993 Ansprüche auf Zahlung von 20% des im angeblich unfallbedingt entstandenen Verdienstausfalls geltend macht, mit Beschluss vom 29.10.2002 für die erste Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt, beigeordnet.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.2.2003 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, wobei für den (im Termin anwesenden) Kläger ein Widerrufsrecht bis zum 14.3.2003 vereinbart wurde. Rechtsanwalt hat den Vergleich "auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers" fristgerecht widerrufen; mit Schriftsatz vom 19.3.2003 hat er beantragt, seine Beiordnung aufzuheben, weil "angesichts der Vorgänge in der mündlichen Verhandlung ... und der Tatsache, dass auf ausdrückliche Anweisung des Klägers der Vergleich zu widerrufen war", die notwendige Vertrauensbasis zwischen ihm und dem Kläger zumindest erheblich beeinträchtigt und gestört sei; durch den Vergleichswiderruf stehe auch zu befürchten, dass zukünftig noch weitere umfangreiche Tätigkeiten in dem Rechtsstreit entfaltet werden müssten (Bl. 291 f.). Auf Anfrage des Landgerichts hat der Anwalt weiter mitgeteilt, der Kläger habe auf der Rückfahrt von Saarbrücken zwei Stunden lang kein einziges Wort mit ihm gewechselt; die Erläuterung der Sach- und Rechtslage sowie der Gründe und der Vorzüge des Vergleichs habe der Kläger mit der Anweisung beantwortet, den Vergleich zu widerrufen; auf ein Schreiben habe er nicht reagiert, Telefonanrufe seien erfolglos gewesen; zuletzt habe der Kläger ein Telefongespräch abgebrochen; auch in der Vergangenheit sei es mehrfach zu Störungen des Vertrauensverhältnisses gekommen (Schriftsatz vom 4.4.2003, Bl. 304 ff.).

Das Landgericht hat Rechtsanwalt mit Beschluss vom 30.4.2003 (Bl. 313) entpflichtet. Den Antrag des Klägers vom 19.5.2003, ihm einen (anderen) Anwalt beizuordnen, hat das Landgericht ebenso zurückgewiesen (Bl. 319 ff.) wie den Antrag vom 22.9.2003 auf Bestellung eines Notanwalts (Bl. 354 f.). Daraufhin hat sich für den Kläger die Rechtsanwältin gemeldet und ihre Beiordnung beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht auch diesen Antrag zurückgewiesen (Bl. 377 f.). Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers.

II. Die gemäß § 127 ZPO zulässige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, ist begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Der Staat muss deshalb den Zugang zu den Gerichten jedermann in gleicher Weise eröffnen (BVerfG in st. Rspr., vgl. z.B. BVerfG NJW-RR 2003, 1216). Dem hat das Landgericht Rechnung getragen, indem es dem unbemittelten Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt hat. Es hat indessen den Kläger in seinen Rechten verletzt, weil es die Beiordnung der Rechtsanwältin abgelehnt hat.

1. Mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat das Landgericht zum Ausdruck gebracht, dass es die Rechtsverfolgung des Klägers für hinreichend erfolgversprechend und nicht mutwillig hält. Damit ist dem Kläger nach § 121 Abs. 1 ZPO ein Anwalt beizuordnen, weil er vor dem Landgericht selbst nicht postulationsfähig ist. Da § 121 ZPO die Verpflichtung zur Beiordnung eines Anwalts nicht auf eine einmalige Beiordnung beschränkt, ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, im Anwaltsprozess eine ständige anwaltliche Vertretung der unbemittelten Partei zu gewährleisten, also einen anderen (weiteren) Anwalt beizuordnen, wenn das Mandatsverhältnis zu dem zunächst beigeordneten Anwalt - aus welchen Gründen auch immer - endet. Nur so kann der Unbemittelte seinen Rechtsschutzanspruch wie ein Bemittelter durchsetzen (vgl. BVerfGE 35, 348, 354 f.; BVerfGE 78, 104, 117 f.; OLG Frankfurt MDR FamRZ 1990, 765, 766; Baumbach - Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 121 Rn. 21).

2. Allerdings stellen Rechtsprechung und Literatur für den Fall, dass das Vertragsverhältnis zu dem zunächst beigeordneten Anwalt gelöst worden ist, eine Interessenabwägung an, bei der neben den - auf der Hand liegenden - Interessen des Unbemittelten an der Beiordnung eines weiteren Anwalts die Interessen des Fiskus berücksichtigt werden. Die Interessen der Staatskasse gehen dahin zu vermeiden, dass zusätzlich zu den Kosten des ersten Anwalts weitere Kosten (für den zweiten Anwalt) anfallen (Musielak - Fischer, ZPO, 3. Aufl., § 121 Rn. 26; Pfälzisches OLG JurBüro 1994, 749, 750). Im Hinblick darauf wird die Auffassung vertreten, dass die Interessen der Staatskasse Vorrang haben und nur dann hinter den Interessen der bedürftigen Partei zurückzutreten haben, die Beiordnung eines anderen Anwalts also nur in Betracht kommt, wenn der bisher beigeordnete Anwalt auf eine Vergütung aus der Staatskasse verzichtet bzw. der neu beigeordnete Anwalt sich die dem früheren Anwalt gewährte Vergütung auf seinen Vergütungsanspruch anrechnen lassen will (vgl. Pfälzisches OLG, a.a.O.; OLG Nürnberg MDR 2003, 713) oder wenn die bedürftige Partei den Anwaltswechsel nicht hat vermeiden können oder wenn sie das Mandatsverhältnis zu dem zunächst beigeordneten Anwalt aus Gründen beendet hat, die auch eine nicht bedürftige Partei dazu veranlasst hätten (Musielak - Fischer, a.a.O., m.w.N.). Ein Vorrang der fiskalischen Interessen soll dagegen bestehen, wenn die bedürftige Partei selbst durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten das Mandatsende verursacht, weil in diesem Fall der Grundsatz des Rechtsmissbrauchs eingreife (BGH NJW - RR 1992, 189 m.w.N.; Zöller - Philippi, ZPO, 24. Aufl., § 121 Rn. 24; Musielak - Fischer, a.a.O.).

3. Ob diesen Grundsätzen im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Staates sozial Schwachen gegenüber uneingeschränkt zu folgen ist, ob sie insbesondere auch dann Anwendung finden, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht die bedürftige Partei, sondern der beigeordnete Anwalt nach Aufhebung seiner Beiordnung das Mandatsverhältnis kündigt (vgl. dazu auch Pfälzisches OLG, a.a.O.), kann offen bleiben. Denn vorliegend liegt ein Fall des Rechtsmissbrauchs nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das von Rechtsanwalt geschilderte Verhalten des Klägers sachlich nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Erst Recht lässt sich das Verhalten des Klägers nicht als mutwillig ansehen.

Der Kläger hat Rechtsanwalt angewiesen, den Vergleich vom 24.2.2003 zu widerrufen. Damit hat er von seinem vereinbarten Widerrufsrecht Gebrauch gemacht. Da jede Partei das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz und damit auf ein auf Richtigkeitsgewähr ausgerichtetes Verfahren hat, das grundsätzlich eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes umfasst und durch eine gerichtliche Entscheidung beendet wird, ist dem Kläger wegen dieser Anweisung keinerlei Vorwurf zu machen. Gleiches gilt für den Umstand, dass sich der Kläger weiteren Diskussionen über die Sach- und Rechtslage sowie über die (angeblichen) Vorzüge einer vergleichsweisen Regelung verschlossen hat: Der Kläger hat ein Recht darauf, dass das Gericht eine Entscheidung trifft. Die - ausdrücklich im Vergleich vorbehaltene - Entschließung des Klägers, den Vergleich zu widerrufen, hatte auch Rechtsanwalt zu akzeptieren.

4. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Kläger durch seine Äußerungen in dem Schreiben vom 29.4.2003 (Bl. 311 f.) den beigeordneten Rechtsanwalt unsubstantiiert angeschuldigt habe (Beschluss vom 23.5.2003, Bl. 319 ff., auf den der angefochtene Beschluss Bezug nimmt) und hieraus hergeleitet hat, dass die Beiordnung eines anderen Anwalts auch deshalb nicht in Betracht komme, ist darauf hinzuweisen, dass das genannte Schreiben das Vertrauensverhältnis zu dem beigeordneten Anwalt nicht zerstört haben kann. Das Schreiben, das erst am 30.4.2003 - am Tag der Entpflichtung des Rechtsanwalts - eingegangen ist, ist dem (bereits entpflichteten) Rechtsanwalt nicht zugeleitet worden. Mit unberechtigten Anschuldigungen seitens des Klägers hat Rechtsanwalt die behauptete Störung des Vertrauensverhältnisses dementspprechend auch nicht begründet.

Ende der Entscheidung

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