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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 18.11.2003
Aktenzeichen: 5 W 79/03
Rechtsgebiete: ZPO, AUB 96


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 569
AUB 96 § 7 I
AUB 96 § 7 I Abs. 1 Satz 3
AUB 96 § 7 I 2
AUB 96 § 8
AUB 96 § 9 I

Entscheidung wurde am 13.02.2004 korrigiert: Aktenzeichen korrigiert
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

5 W 79/03-20

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts unter Mitwirkung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Professor Dr. Rixecker, der Richterin am Oberlandesgericht Hermanns und des Richters am Oberlandesgericht Dr. Dörr auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 14. März 2003 (12 O 390/02)

am 18. November 2003

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 14. März 2003 (12 O 390/02) wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung von 20.451,68 € (= 40.000 DM) Invaliditätsentschädigung aufgrund eines Wegeunfalls vom 19.11.1998.

Die Firma GmbH unterhält bei der Antragsgegnerin für die Antragstellerin, ihre Arbeitnehmerin, seit dem 1.1.1997 eine Unfallversicherung (Versicherungsschein-Nr. Bl. 4a ff. d. A.) mit einer Versicherungssumme von 100.000 DM. Bestandteil des Versicherungsvertrags sind die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 96, Bl. 59 ff. d. A.) sowie besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (BB Progression 96 - 350 Prozent / GA, Bl. 4d Rs). Diese lauten auszugsweise:

" In Abänderung von § 7 I. und § 8 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 96) gilt: Die Invaliditätsleistung erfolgt nach dem festgestellten unfallbedingten Invaliditätsgrad. ...

a) Für jeden Prozentpunkt, der den unfallbedingten Invaliditätsgrad von 25 Prozent übersteigt, zahlt der Versicherer zusätzlich 2 Prozent aus der Versicherungssumme. ..."

Der Vertragsschluss wurde durch das Maklerbüro, , vermittelt, das im Versicherungsvertrag durch eine Maklerklausel bevollmächtigt ist, Anzeigen, Willenserklärungen und Zahlungen im Rahmen der erteilten Inkasso-Vollmacht für die Antragsgegnerin entgegen zu nehmen.

Am 19.11.1998 stürzte die Antragstellerin auf dem Gelände der GmbH und erlitt eine dislozierte distale Radiusfraktur links. Der Unfall wurde dem Maklerbüro noch am Unfalltag angezeigt. In einem für die Bau-Berufsgenossenschaft erstellten Rentengutachten der Chirurgischen Klinik der-Universität vom 24.10.1999 (Bl. 32 ff. d. A.) wurde festgestellt, dass die Antragstellerin infolge des Unfalls nach wie vor unter Bewegungseinschränkungen im linken Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk, unter Bewegungsdefiziten der Finger mit unvollständiger Beugung und Streckung sowie Störungen des Grob- und Feingriffes, einer Verdickung des linken Handgelenks, des körperfernen Unterarms und der Hand sowie unter einer Verminderung der groben Kraft der linken Hand litt und die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 % angegeben. Dieser Befund wurde in zwei weiteren Gutachten vom 7.6.2000 (Bl. 38 ff. d. A.) und 31.7.2001 (Bl. 44 ff. d. A.) bestätigt. Am 20.3.2002 machte die Antragstellerin bei einem Gespräch im Maklerbüro Invalidität geltend, woraufhin das Maklerbüro eine schriftliche Unfallanzeige (Bl. 67 d. A.) an die Beklagte richtete.

Die Antragstellerin hat behauptet, sie sei im Besitz des Versicherungsscheins und von der Versicherungsnehmerin zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche im eigenen Namen ermächtigt. Die Funktionsfähigkeit ihres linken Armes und der Schulter sei unfallbedingt eingeschränkt und der Grad der Invalidität mit mindestens 30 % zu bemessen. Die Antragsgegnerin hat eingewandt, die Antragstellerin habe die Invalidität nicht innerhalb der 15-Monatsfrist des § 7 I Abs. 1 Satz 3 AUB 96 geltend gemacht.

Das Landgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die beabsichtigte Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO), weil die Antragstellerin - unabhängig von der Frage ihrer Aktivlegitimation - die Frist zur Anzeige einer Invalidität innerhalb von 1 Jahr und 3 Monaten nach dem Unfall gemäß § 7 I letzter Abschnitt AUB 96 versäumt habe. Der Eintritt von Invalidität infolge des Unfalls vom 19.11.1998 sei der Beklagten bzw. dem Maklerbüro erst am 20.3.2002 mitgeteilt worden. Die Fristenregelung sei nicht durch die Besonderungen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel aufgehoben worden, weil diese auch aus der Sicht eines Laien nur eine Abänderung der Regelung über die Anspruchshöhe enthielten. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet gewesen, die Antragstellerin über die 15-Monatsfrist zur Geltendmachung der Invalidität zu belehren, weil weder sie noch das Maklerbüro innerhalb dieser Frist Kenntnis von den Verletzungsfolgen oder irgendwelchen Arztberichten gehabt hätten.

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie geltend macht, nach der für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Unklarheitenregelung müsse sich die Antragsgegnerin entgegenhalten lassen, dass sie in den Besonderen Bedingungen § 7 I AUB 96 allgemein und nicht lediglich § 7 I 2 AUB 96 abgeändert habe, so dass die Fristenregelung keine Anwendung finde. Im übrigen sei die Berufung der Antragsgegnerin auf die Fristversäumung auch treuwidrig, weil durch die Rentengutachten eindeutig sei, dass die eingetretene Invalidität auf dem Unfall beruhe, und die Antragsgegnerin es trotz der noch am Unfalltag erfolgten Unfallmeldung gegenüber dem Maklerbüro unterlassen habe, der Antragstellerin die erforderliche Unfallanzeige bzw. Fragebögen zuzusenden, in denen Fragen nach Dauerschäden/Invalidität enthalten seien. Schließlich - so meint die Antragstellerin - habe die Ausschlussfrist des § 7 I AUB 96 drucktechnisch deutlich sichtbar "mit Belehrungscharakter" hervorgehoben werden müssen.

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

a. Die Antragstellerin hat unstreitig der Regelung des § 7 I Abs. 1 Satz 3 AUB 96, nach der die Invalidität vor Ablauf einer Frist von einem Jahr und drei Monaten nach dem Unfall beim Versicherer geltend gemacht worden sein muss, nicht genügt, weil sie die nach ihrem Vortrag durch den Unfall vom 19.11.1998 herbeigeführte Invalidität erstmals am 20.3.2002 gegenüber dem Maklerbüro erwähnt hat.

b. Die Geltung von § 7 I Abs. 1 Satz 3 AUB 96 ist nicht durch die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel ausgeschlossen worden. Zwar werden durch diese Bedingungen die §§ 7 I und 8 AUB 96 abgeändert. Die konkrete Ausgestaltung der Abänderung macht jedoch auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen ankommt, deutlich, dass die Besonderen Bedingungen nicht § 7 I AUB 96 insgesamt ablösen sollen. Sie knüpfen an einen festgestellten unfallbedingten Invaliditätsgrad an und gewähren eine näher bestimmte zusätzliche Invaliditätsentschädigung, wenn der unfallbedingte Invaliditätsgrad 25 % übersteigt. Dagegen enthalten sie weder eine Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen Invalidität anzunehmen ist, noch dazu, wie der Grad der unfallbedingten Invalidität festzustellen ist. Beides kann der Versicherungsnehmer nur § 7 I Abs. 1 - 3 AUB 96 entnehmen. Muss er deshalb von deren Fortgeltung - absehen von den in den Besonderen Bedingungen für die Bemessung der Invaliditätsleistung vorgesehenen erhöhten Invaliditätsgraden - ausgehen, besteht für ihn keine Veranlassung anzunehmen, durch die Besonderen Bedingungen würde gerade die Regelung des § 7 I Abs. 1 Satz 3 AUB 96, die den Fortbestand des Anspruchs auf Invaliditätsleistung dem Grunde nach an die Einhaltung bestimmter Fristen knüpft, außer Kraft gesetzt.

c. Bei der 15monatigen Frist zur Geltendmachung der Invalidität handelt es sich um eine Ausschlussfrist, deren Versäumen entschuldigt werden kann (BGH, VersR 1995, 1179, 1180). Entschuldigungsgründe hat die Antragstellerin jedoch nicht vorgetragen.

d. Die Antragsgegnerin ist nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich auf die Versäumung der Frist zu berufen. Der Zweck der Frist, dass der Versicherer nicht für in der Regel schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden eintreten muss, lässt die Berufung auf die Frist noch nicht allein deshalb als treuwidrig erscheinen, weil im Einzelfall das Vorliegen unfallbedingter Invalidität unschwer auch noch mehr als drei Jahre nach dem Unfall festgestellt werden kann. Mit der Ausschlussfrist soll gerade der Streit darum, ob dies möglich ist, von vornherein vermieden werden.

Es oblag der Antragsgegnerin auch nicht, die Antragstellerin durch Übersendung eines Formulars für eine schriftliche Schadenanzeige ausdrücklich nach Dauerfolgen oder Invalidität zu befragen. Die durch § 9 I AUB 96 begründete Obliegenheit des Versicherungsnehmers, eine ihm vom Versicherer übersandte Unfallanzeige wahrheitsgemäß auszufüllen und umgehend an den Versicherer zurückzusenden, zwingt den Versicherer nicht dazu, von der ihm dadurch eingeräumten Informationsmöglichkeit Gebrauch zu machen, und erst recht nicht dazu, ausdrücklich nach drohender Invalidität zu fragen. Eine solche Frage unmittelbar nach dem Unfall würde auch keinen Sinn machen, wenn wie hier Invalidität am Unfalltag noch gar nicht absehbar ist, sondern erst im Verlauf der Jahresfrist des § 7 I Abs. 1 Satz 3 AUB eintritt.

Die auch das Versicherungsverhältnis prägenden Grundsätze von Treu und Glauben können allerdings eine Verpflichtung des Versicherers begründen, den Versicherungsnehmer auf die Fristen des § 7 I Abs. 1 Satz 3 AUB 96 und deren Bedeutung besonders hinzuweisen. Eine Hinweis- oder Belehrungspflicht besteht jedoch nach Treu und Glauben nicht in jedem Fall. Geboten ist ein Hinweis auf den drohenden Fristablauf insbesondere dann, wenn dem Versicherer der Eintritt von Invalidität bekannt ist oder nach den ihm bekannten Unfallfolgen jedenfalls nicht fern liegt und der Versicherer erkennt, dass der Versicherte die Frist aus Unkenntnis versäumen könnte (OLG Hamm, VersR 1995, 1181, 1182). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zwar hat die Antragstellerin bzw. der Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin das Maklerbüro über den Unfall informiert und war dem Makler nach dessen Angaben in seinem Schreiben vom 22.7.2002 (Bl. 68 d. A.) innerhalb der 15-Monatsfrist auch bekannt, dass die Antragstellerin eine Armverletzung erlitten hatte. Daraus allein musste er jedoch noch nicht auf eine mögliche Invalidität schließen. Es bedarf deshalb keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob seine Kenntnis von möglicher Invalidität aufgrund der im Versicherungsvertrag enthaltenen Maklerklausel der Antragsgegnerin zuzurechnen gewesen wäre und eine Hinweispflicht der Antragsgegnerin hätte auslösen können.

Ende der Entscheidung

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