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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 21.04.1999
Aktenzeichen: 1 U 615/98-112-
Rechtsgebiete: BGB, StGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
BGB § 823
BGB § 611 ff.
BGB § 242
BGB § 320
BGB § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt.
BGB § 291
StGB § 223
StGB § 229
ZPO § 91
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 269 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 615/98-112- 16.0.5152/91 LG Saarbrücken

Verkündet am 21. April 1999

gez.Ludwig, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

wegen Forderung auf Rückzahlung von Arzthonorar

hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Haßdenteufel sowie die Richter am Oberlandesgericht Theis und Dr. Gehrlein

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am. 25. Juni 1998 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts in Saarbrücken - Az.: 16.0.5152/91 - dahin abgeändert,

dass der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 8.916,28 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 24.1.1992 zu zahlen.

II. 1) Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

2) Der Beklagte hat ferner die Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits zu tragen, soweit diese nach der am 4.6.1998 erfolgten Teilrücknahme der Klage entstanden sind.

3) Die vor dieser Teilrücknahme der Klage angefallenen erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Die aussergerichtlichen Kosten des Klägers und die Gerichtskosten werden zu 3/40 dem Beklagten auferlegt. Dieser hat ferner 9/40 seiner eigenen aussergerichtlichen Kosten zu tragen. Im übrigen fallen die Kosten dem Kläger zur Last.

Die in dem Teilvergleich vom 4.6.1998 getroffenen Kostenregelungen bleiben unberührt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Wert der durch diese Entscheidung begründeten Beschwer des Beklagten sowie der Streitwert des Berufungsverfahrens werden auf jeweils 8.916,28 DM festgesetzt.

Der Streitwert des erstinstanzlichen Rechtsstreits wird unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Wertfestsetzungsbeschlusses vom 31.7.1998 für den Verfahrensabschnitt bis zur Teilrücknahme der Klage vom 4.6.1998 auf 40.000,-- DM und für das sodann folgende weitere Verfahren auf 8.916,28 DM festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

(von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen)

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist zulässig.

Dem Rechtsmittel ist auch in der Sache der Erfolg nicht zu versagen. Der Kläger kann von dem Beklagten die Rückerstattung des ihm gezahlten Privathonorars in Höbe von 8.916,28.DM verlangen. Der entsprechende Rückzahlungsanspruch des Klägers ist sowohl aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung als auch demjenigen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1, S. 1, 1. Alt. BGB) begründet, weil die von dem Beklagten am 12.11.1990 vorgenommene Operation an der Halswirbelsäule des Klägers rechtlich als rechtswidrige Körperverletzung zu werten ist, die den Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet und für die ihm keine dienstvertragliche Vergütung nach § 611 Abs. 1 BGB zusteht.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die von dem Beklagten vorgenommene Operation mit Einsatz eines sog. "Surgibone"-Dübels dem damaligen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprach und sachgerecht ausgeführt wurde. Auch bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob die von dem Kläger geltend gemachten Beschwerden ursächlich auf den operativen Eingriff zurückzuführen sind. Entscheidend ist bereits, dass die Operation vom 12.11.1990 eine rechtswidrige Körperverletzung darstellte, weil der Kläger nicht wirksam in ihre Vornahme eingewilligt hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur stellt selbst ein kunstgerecht und mit Erfolg durchgeführter ärztlicher Heileingriff eine Körperverletzung im Sinne der §§ 223, 229 StGB, 823 BGB sowie eine Verletzung der in Art. 2 GG garantierten körperlichen Integrität und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, wenn er nicht durch eine rechtswirksame Einwilligung des Patienten gedeckt ist. Dies gilt insbesondere auch für Operationen (vgl. Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rdnr. 253; Laufs-Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 1992, § 63 Rdnr.2; Jauernig-Teichmann, BGB, 8. Aufl., Rdnr. 3, 111 zu § 823 BGB; Palandt-Thomas, BGB, 55. Aufl., Rdnr. 44 zu § 823 BGB). Die Rechtswirksamkeit der Einwilligung setzt dabei voraus, dass der Patient weiss, worin er einwilligt (Rieger a.a.O.). Dies ist nur möglich, wenn der Arzt ihn über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt hat, so dass er das Für und Wider der vorgesehenen Behandlung abwägen kann (vgl. BGHSt 11, 111; BGHSt 16, 309; BGHSt 35, 246; BGHZ 29, 46; BGHZ 29, 176; BGHZ 106, 391; Rieger, a.a.O., Jauernig-Teichmann a.a.O. Rdnr. 114 115 zu § 823 BGB; Palandt-Thomas a.a.O. Rdnr. 47 zu § 823 BGB). Der Arzt ist daher gehalten, auf alle Gesichtspunkte hinzuweisen, die ein verständiger Patient in dieser Lage für die Entscheidung über die Einwilligung als bedeutsam ansehen würde (Palandt-Thomas a.a.O.).

Allerdings braucht der Arzt dem Patienten im Allgemeinen nicht ungefragt zu erläutern, welche Behandlungsmethoden in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder andere Methode spricht. Die Wahl der Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes (BGHZ 102, 17, 22; BGHZ 116, 379, 385; BGH VersR 1988, 190, 191; BGH NJW 1982, 2121, 2122). Die Aufklärung über Behandlungsalternativen ist jedoch dann regelmäßig erforderlich, wenn sie zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgsaussichten bieten. Sie ist ferner dann geboten, wenn die angewendete Therapie nicht dem medizinischen Standard entspricht oder ernsthaft umstritten ist (vgl. BGHZ 102, 17, 22).

Ausgehend von diesen Grundsätzen aber ist im vorliegenden Fall die Feststellung geboten, dass der Beklagte den Kläger nicht hinreichend aufgeklärt hat. Der Beklagte hat nämlich nicht dafür Sorge getragen, dass der Kläger darüber informiert wurde, dass es sich bei den "Surgibone"-Dübeln um ein zulassungspflichtiges, jedoch in Deutschland damals nicht zugelassenes Mittel handelte. Schon dies reicht aus, eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht anzunehmen. Es bedarf hier keiner näheren Prüfung, ob die Verwendung von "Surgibone"-Dübeln bei einer Operation der in Rede stehenden Art dem medizinischen Standard entsprach, wofür die Verbreitung dieser Methode in Nordamerika und im mehreren europäischen Ländern sprechen könnte. Der Aufklärung über Behandlungsalternativen bedarf es nämlich grundsätzlich auch dann, wenn sich diese durch die Verwendung verschiedener Interponate unterscheiden und es sich bei dem vom Arzt verwendeten Interponat - wie hier - um ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel handelt (vgl. auch § 40 Abs. 1 Nr. 2 AMG). Unter diesen Umständen fehlt dem Interponat, mag seine Verwendung auch einem international anerkannten Standard genügen, gleichsam ein "Gütesiegel", das - unabhängig von dessen tatsächlicher Qualität oder Sicherheit - für die Entscheidung des einzelnen Patienten im Geltungsbereich des AMG wesentlich sein kann und über das er mithin auch informiert werden muss (vgl. BGHSt vom 29.6.1995; Az. 4 StR 760/94). Ob dem Kläger aus eigenem Wissen bekannt war oder aufgrund der ihm erteilten Aufklärung bekannt wurde, dass an Stelle der "Surgibone"Dübel auch Interponate aus Eigenknochen als Alternative in Betracht kamen, ist demgegenüber ohne Relevanz, da dieses Wissen für die mit Blick auf die fehlende Zulassung des "Surgibone"-Materials begründete Aufklärungspflicht nicht ausreichte (BGHSt a.a.O.).

Die unterlassene Aufklärung über das Fehlen der Zulassung der "Surgibone"-Dübel führt zur Unwirksamkeit der Zustimmung des Klägers zur Vornahme der Operation und damit zu deren Rechtswidrigkeit. Das Unterlassen dieser Aufklärung und die rechtswidrige Vornahme der Operation sind weiterhin rechtlich als positive Verletzung des Behandlungsvertrages zu werten, den der Kläger mit dem Beklagten abgeschlossen hat und dies hat zur Folge, dass der Beklagte zur Erstattung des ihm für die Behandlung gezahlten Honorars Verpflichtet ist.

Dem steht nicht entgegen, dass der mit einem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag als Dienstvertrag im Sinne der §§ 611 ff. BGB zu qualifizieren ist (vgl. Münchener Kommentar BGB/Söllner, 2. Aufl., Rdnr. 44 ff. zu § 611 BGB; Palandt-Putzo a.a.O., Rdnr. 18 vor § 611 BGB; BG HZ 63, 306) und dass der Dienstverpflichtete grundsätzlich den Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung auch dann behält, wenn seine Tätigkeit nicht den bezweckten Erfolg zeigt. Die Rechtsprechung und die rechtswissenschaftliche Literaturstimmen weitgehend darin überein, dass dem Patienten im Falle schuldhafter Schlechtleistung des behandelnden Arztes ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der positiven. Vertragsverletzung erwächst, der zur Befreiung von der Honorarverbindlichkeit führt. Ob dieses Ergebnis rechtskonstruktiv in der Weise zu begründen ist, dass ein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch bejaht (so Laufs-Uhlenbruck a.a.O., Rdnr. 26 zu § 82), eine begründete "dolo-petit"-Einrede nach § 242 BGB angenommen (so RGAK-BG8/Anders-Gehle, 12. Aufl., Rdnr. 174 zu § 611 BGB), dem Patienten die (dauerhafte) Einrede des nichterfüllten Vertrages nach § 320 BGB an die Hand gegeben (vgl. Palandt-Putzo, a.a.O., Rdnr. 16 zu § 611 BGB) oder ein inhaltlich auf Freistellung gerichteter Schadensersatzanspruch zuerkannt wird (sowohl OLG Düsseldorf VersR 1985; 456; 457; Jaspersen in VersR 1992, 1431 ff., 1434) mag dahinstehen, wobei angemerkt sein soll, dass der Senat der letztgenannten Auffassung zuneigt Entscheidend ist, dass im Ergebnis weitgehend Übereinstimmung darin besteht, dass dem Arzt in den Fällen einer Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages, die qualitativ dessen Nichterfüllung gleichkommt, kein Honoraranspruch zusteht und ein ihm bereits gezahltes Honorar zurückgefordert werden kann (vgl. Laufs-Uhlenbruck a.a.O., Rdnr. 26 zu § 82).

Nichts anderes gilt dann, wenn der Arzt es wie im vorliegenden Fall schuldhaft versäumt hat, den Patienten hinreichend über die Behandlung aufzuklären, dieser sich deshalb der Behandlung unterzog und letztere nicht den erstrebten Erfolg zeigte (vgl. Jaspersen in VersR 1992, 1431 ff., 1434). Dabei ist anzumerken, dass ein Verschulden des Beklagten im Hinblick darauf zu bejahen ist, dass er bei Aufbringung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, das die "Surgibone"-Dübel vom Bundesgesundheitsamt als Arzneimittel nicht zugelassen waren.

Das schuldhafte Unterlassen der gebotenen Aufklärung und die Ausführung, der somit eigenmächtigen, rechtswidrigen Behandlung erfüllen den Tatbestand der positiven Vertragsverletzung und verpflichten den Beklagten zum Ausgleich aller hieraus resultierenden Vermögensnachteile. Hierzu zählen auch die eingegangene Honorarzahlungsverpflichtung sowie die im Hinblick auf diese geleistete Zahlung.

Aus den dargestellten Gründen ist ferner davon auszugehen, dass der in Rede stehende Honoraranspruch von dem Beklagten "nicht verdient" wurde (vgl. Jaspersen a.a.O.), weil eine als rechtswidrige Körperverletzung zu wertende eigenmächtigte Therapie nicht als die geschuldete Behandlungsleistung angesehen werden kann und daher nicht honorarpflichtig ist. Dies führt dazu, dass der Rückzahlungsanspruch des Klägers auch in Anwendung des § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zu bejahen ist, zumal das Vertragsverhältnis der Parteien beendet und eine ordnungsgemäße Behandlung der in Rede stehenden Art, für die der Kläger Zahlung geleistet hat, nicht mehr nachholbar ist.

Nach allem war zu erkennen, wie geschehen.

Der, zuerkannte Zinsanspruch ist gemäß § 291 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten ist anzumerken, dass über diese in Anwendung der zitierten Vorschriften und dabei insbesondere auch in Anwendung des § 269 Abs. 3 ZPO zu entscheiden war, wobei die Kostenentscheidung des Senats ungeachtet der in dem Teilvergleich vom 4.6.1998 vereinbarten Kostenregelungen zu erfolgen hatte, welche ihrerseits als materiell-rechtliche(vertragliche) Vereinbarungen unberührt bleiben.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Ausspruch zum Wert der Beschwer des Beklagten erfolgt im Hinblick auf § 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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