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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 253/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 311 Abs. 2 | |
StPO § 454 Abs. 3 Satz 1 | |
StPO § 463 Abs. 3 Satz 1 | |
StPO § 473 Abs. 1 | |
StGB § 63 |
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS
Maßregelvollstreckungssache
wegen versuchter sexueller Nötigung pp. (hier: Anordnung der Fortdauer der Unterbringung)
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten vom 4. Dezember 2006 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer I des Landgerichts Saarbrücken vom 5. Oktober 2006
hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 22. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister den Richter am Oberlandesgericht Wiesen nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, Einholung eines Sachverständigengutachtens und mündlicher Anhörung des Sachverständigen
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Mit Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt vom 7. August 1990 (10 KLs 20 Js 1112/88 (8/90) jug.) wurde gegen den Untergebrachten wegen versuchter sexueller Nötigung sowie wegen siebenfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern, davon in zwei versuchten Fällen und davon in zwei Fällen in Tateinheit mit einer exhibitionistischen Handlung sowie wegen zweier exhibitionistischer Handlungen, davon einmal in Tateinheit mit versuchter Nötigung eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verhängt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Jugendkammer leidet der Untergebrachte an einem Borderline-Syndrom, das den Umfang einer krankhaften seelischen, die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindernden Störung angenommen hat. Nach den weiteren Urteilsfeststellungen kommt es bei dem Untergebrachten mit zunehmender Tendenz zu sexueller Frustration und damit zu - auch nicht sexuell motivierten - aggressiven, nach Anlass, Art und Auswirkung aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in keiner Weise mehr berechenbaren Ersatzhandlungen, wobei angesichts der bereits therapeutisch aufgefallenen Aggressionsgewalt und Tötungsphantasien des dringend behandlungsbedürftigen Untergebrachten die Begehung schwer wiegender Sexual-, Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikte nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Maßregel wird seit dem 26.9.1990 - zunächst im W. Zentrum für Forensische Psychiatrie <Ort> und seit dem 17.7.2001 aufgrund eines sowohl von dem Untergebrachten als auch von Therapeutenseite für erforderlich erachteten therapeutischen Neubeginns in der S. Klinik für Forensische Psychiatrie in <Ort> - vollstreckt.
Der Senat hatte zuletzt mit Beschluss vom 23. September 2005 (1 Ws 150/05, Bl. 998 f. d. A.) die von der Strafvollstreckungskammer angeordnete Fortdauer der Unterbringung bestätigt, nachdem aufgrund der Weigerung des Untergebrachten, die ihm angebotenen Therapiemöglichkeiten wahrzunehmen, die für die bedingte Entlassung erforderlichen Therapiefortschritte nicht erzielt werden konnten. Die von dem Untergebrachten hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.4.2006 (Bl. 1093 - 1095 d. A.) nicht zur Entscheidung angenommen.
Nachdem die S. Klinik für Forensische Psychiatrie in <Ort> in ihrer letzten Stellungnahme vom 19. Mai 2006 (Bl. 1026 f. d. A.) mitgeteilt hatte, dass der Untergebrachte weiterhin nicht zu einer therapeutischen Mitarbeit bereit sei, hat die Strafvollstreckungskammer durch den angefochtenen Beschluss (Bl. 1045 ff. d. A.) erneut die Fortdauer der Unterbringung angeordnet.
Der Senat hat mit Beschluss vom 6. Februar 2007 (Bl. 1098 f. d. A.) die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens zur Prognose der Gefährlichkeit des Untergebrachten im Falle seiner bedingten Entlassung aus dem Maßregelvollzug angeordnet. Auf das von dem beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. R. erstellte Gutachten vom 30. August 2007 (Bl. 1109 ff. d. A.), das von dem Verteidiger des Untergebrachten zu den Akten gereichte kriminologische Gutachten des Prof. Dr. Dr. B. vom 30. Oktober 2006 (Bl. 1189 ff. d. A.) sowie das die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen betreffende Anhörungsprotokoll des Senats vom 15. Januar 2008 (Bl. 1255 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
II.
Die gemäß den §§ 311 Abs. 2, 454 Abs. 3 Satz 1, 463 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Angesichts der in seinem schriftlichen Gutachten vom 30. August 2007 und in der mündlichen Anhörung durch den Senat erfolgten Ausführungen des externen Sachverständigen Prof. Dr. R., der Darstellung des weiteren Behandlungsverlaufs durch die S. Klinik für Forensische Psychiatrie in deren letzter schriftlicher Stellungnahme sowie durch deren ärztlichen Leiter im Rahmen der mündlichen Anhörung durch den Senat kann derzeit nicht erwartet werden, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 StGB).
a) Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat bei dem Untergebrachten - nach dessen eingehender Untersuchung sowie aufgrund testpsychologischer Befunde - eine gemischte Persönlichkeitsstörung sowie - als Ausdruck derselben - eine schwere psychosexuelle Entwicklungsstörung mit pädophilen, voyeuristischen und exhibitionistischen Elementen diagnostiziert. Dabei sei unter prognostischen Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung, dass es bei dem Untergebrachten bereits im Alter von 15 Jahren zu ersten voyeuristischen und exhibitionistischen Handlungen gekommen sei, die sich im weiteren Verlauf hinsichtlich ihrer Intensität und Häufigkeit ausgebaut hätten, und die schließlich auch zu übergriffigen Verhaltensweisen bis hin zu einer sexuell motivierten Nötigungshandlung geführt hätten. Unter prognostischen Gesichtspunkten sei insbesondere bedenklich, dass im Zusammenhang mit den sexuellen Handlungen des Untergebrachten immer wieder auch Gewaltphantasien eine Rolle gespielt und sich auf der Handlungsebene manifestiert hätten. Bei der Untersuchung des Untergebrachten sei deutlich geworden, dass das Thema Sexualität nach wie vor einen hohen Stellenwert in seiner Gedankenwelt einnehme und er bislang über keine konkreten Vorstellungen darüber verfüge, wie er seine sexuellen Bedürfnisse im Falle einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug in einer sozial akzeptablen Form ausleben könnte. Zweifellos müsse man von einer hohen Diskrepanz zwischen der sexuellen Bedürfnislage und der Phantasiewelt des Untergebrachten einerseits und seinen sozialen Kompetenzen, insbesondere im Beziehungsbereich, andererseits ausgehen. Gleichzeitig stimme es bedenklich, dass der Untergebrachte eine innere Beziehung und einen Zugang zu den Motiven seines früheren Handelns gänzlich vermissen lasse. Unabhängig von diesen störungsspezifischen Risiken erweise es sich als kriminalprognostisch ungünstig, dass keine tragfähigen sozialen Bindungen, berufliche Perspektiven oder eine Einbindung in sonstige soziale Strukturen erkennbar seien und der Untergebrachte auch keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen lasse, seinerseits zur Schaffung derartiger Strukturen mit seinen Behandlern zu kooperieren. Trotz der seit 1990 vollzogenen Unterbringung sei es nicht gelungen, an der psychopathologischen Grundkonstellation etwas zu ändern oder den Umgang des Untergebrachten mit seinen Persönlichkeitseigenschaften und seinen sexuellen Bedürfnissen zu modifizieren. Das liege zum einen daran, dass Persönlichkeitsstörungen mit medizinischen Mitteln nur sehr begrenzt behandelbar seien, und zum anderen verhaltensmodifizierende Therapieangebote aufgrund der letztlich störungsimmanenten Verweigerungshaltung des Untergebrachten nicht zum Einsatz kommen könnten. Nicht zuletzt das hohe Affektionspotential des Untergebrachten und seine fehlende Bereitschaft, sich an äußere Strukturen, die Regeln des Maßregelvollzugs und letztlich auch soziale Normen zu halten, gäben zu prognostischen Bedenken Anlass. Insbesondere müsse aufgrund der Störung der sexuellen Präferenzen und der in der Vergangenheit wiederholt zum Ausdruck gekommenen Gewaltbereitschaft von einem deutlich erhöhten Risiko für neuerliche sexuelle Gewalttaten durch den Untergebrachten ausgegangen werden.
b) Dieser überzeugend begründeten negativen Legalprognose schließt sich der Senat an. Sie deckt sich nicht nur mit der prognostischen Einschätzung der den Untergebrachten derzeit behandelnden forensischen Klinik, sondern auch mit der derjenigen nahezu sämtlicher externen Vorgutachter (mit Ausnahme von Prof. Dr. V., vgl. Bl. 423 ff. d. A.), insbesondere des vorhergehenden externen Sachverständigen Prof. Dr. K. (Bl. 587 ff., 742). Danach ist aufgrund des bei dem Untergebrachten vorliegenden Krankheitsbildes, seines bisherigen strafrechtlichen Vorlebens sowie seines bisherigen Verhaltens im Maßregelvollzug, durch den sich die massive Abwehr aller therapeutischen Angebote - die der Untergebrachte nicht nur im Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. R. (vgl. Seite 66 des Gutachtens vom 30. August 2007, Bl. 1174 d. A.), sondern erneut bei der mündlichen Anhörung durch den Senat (es sei schon alles gesagt) deutlich zum Ausdruck gebracht hat - wie ein roter Faden zieht, auch derzeit noch in gleicher Weise wie zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßregel im Falle einer bedingten Entlassung mit der erneuten Begehung von Sexualstraftaten insbesondere zum Nachteil von Kindern, auch solcher - wie ein Teil der Anlasstaten (vgl. Taten Nr. 2 und 6 unter II. des Urteils vom 7. August 1990) - mit Gewaltanwendung, zu rechnen.
c) Eine andere prognostische Beurteilung ist auch nicht aufgrund des kriminologischen Gutachtens des Prof. Dr. Dr. B. vom 30. Oktober 2006 gerechtfertigt. Zum einen hebt dieser in seinem Gutachten (Seite 58, Bl. 1246 d. A.) selbst zutreffend hervor, dass sich die von ihm angestellte kriminologische Analyse jeder Aussage über medizinisch-psychiatrische Sachverhalte enthalten müsse. Gerade hierauf kommt es aber für die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB sowie der Anordnung ihrer Fortdauer entscheidend an. Zum anderen kommt Prof. Dr. Dr. B., der bei dem Untergebrachten als bestimmende Grundintention, die das Verhalten und die Lebensführung in besonderer Weise prägt, vor allem die Sexualität sieht und der bei seiner kriminologischen Beurteilung die Lebensentwicklung des Untergebrachten am ehesten der Kategorie einer "kontinuierlichen Hinentwicklung zur Kriminalität" zuordnet, ebenfalls nicht zu einer dem Untergebrachten günstigen Sozialprognose. Vielmehr hält er als notwendige Voraussetzung für die künftige Legalbewährung die grundlegende Änderung des bisherigen Lebensstils und - um dies zu erreichen - eine therapeutische Neuorientierung unter Einschluss einer behutsamen Heranführung an die soziale Normalität für erforderlich.
2. Die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung erweist sich auch unter Berücksichtigung der bisherigen Unterbringungszeit von mehr als 17 Jahren in Ansehung des bedrohten Rechtsguts, des an der Häufigkeit der Anlasstaten und an dem Fehlen von Therapiefortschritten abzulesenden ausgeprägten Maßes der Gefährdung und des Gewichts der - zum Teil mit Gewaltanwendung verbundenen, sexuell motivierte versuchte Nötigungen darstellenden - Anlasstaten auch derzeit weiterhin als verhältnismäßig (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 62 Rn. 3 ff.; BVerfG NJW 1995, 3048 und NJW 1986, 767; OLG Karlsruhe NStZ 1999, 37).
3. Dass die gravierende Persönlichkeitsstörung/schwere psychosexuelle Entwicklungsstörung aufgrund der störungsimmanenten Verweigerungshaltung des Untergebrachten bisher nicht nachhaltig therapeutisch beeinflusst werden konnte und die bisherige Entwicklung befürchten lässt, dass auch in Zukunft eine therapeutische Beeinflussung nicht möglich sein wird, steht der Fortdauer der Unterbringung nicht entgegen, sondern gebietet diese im Hinblick auf das Gewicht der Anlasstaten und das bestehende erhebliche Rückfallrisiko derzeit umso dringlicher (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. April 2006 - 1 Ws 26/06 und vom 17. Januar 2008 - 1 Ws 10/08).
Die sofortige Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
Ende der Entscheidung
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