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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 05.10.2005
Aktenzeichen: 2 WF 13/05
Rechtsgebiete: ZPO, RVG


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs.
ZPO § 121
ZPO § 121 Abs. 1
ZPO § 121 Abs. 3
ZPO § 121 Abs. 4
ZPO § 127 Abs. 2
RVG § 46
Die Einschränkung, dass ein auswärtiger Rechtsanwalt bei bewilligter Prozesskostenhilfe nur zu den Kostenbedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalt beigeordnet wird, ist nur dann gerechtfertigt, wenn nicht die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Zur Auslegung des § 121 Abs. 4 ZPO.
Tenor:

1. Auf die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarlouis vom 28 April 2005 - 20 F 111/05 - teilweise dahingehend abgeändert, dass die zusammen mit der Beiordnung von Rechtsanwältin angeordnete Einschränkung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" entfällt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I. Der in ...wohnende Kläger reichte mit Schriftsatz vom 17. Februar 2005 beim Familiengericht eine Klage, die auf Abänderung eines am 1. Juli 2003 abgeschlossenen Unterhaltsvergleichs gerichtet war ein, und bat gleichzeitig um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe "für die beabsichtigten Anträge". In dem angefochtenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwältin in "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" beigeordnet. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er erreichen will, dass die Beiordnung zu den Bedingungen eines am Wohnort des Klägers ansässigen Rechtsanwalts erfolgt. Das Familiengericht hat die Beschwerde als sofortige Beschwerde angesehen und dieser nicht abgeholfen.

II. Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 121 ZPO war dem Kläger vorliegend ein Rechtsanwalt beizuordnen. Dass die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Beiordnung hier vorgelegen haben, unterliegt keinem Zweifel. Entgegen der Auffassung des Familiengerichts genügte es jedoch nicht, einen am Prozessgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt nur unter der Bedingung beizuordnen, dass dadurch weitere Kosten nicht entstehen, denn nach § 121 Abs. 4 ZPO kann der Partei auf ihren Antrag, sofern besondere Umstände dies erfordern, zusätzlich ein sog. Verkehrsanwalt beigeordnet werden; statt dessen kommt auch die Beiordnung eines am Wohnort der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten in Betracht, dem dann auch etwaige zusätzliche Reisekosten zu erstatten sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, FamRZ 2004, 1362), der sich der Senat anschließt, ist zunächst davon auszugehen, dass im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO in der Regel ein bei dem Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt beizuordnen ist und ein nicht bei dem Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden kann, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen.

Hiervon macht jedoch § 121 Abs. 4 ZPO insofern eine Ausnahme, als ein weiterer Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden kann, wenn besondere Umstände dies erfordern. Denn wenn der Partei - wie es dem Regelfall des § 121 Abs. 1 und 3 ZPO entspricht - ein Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts beigeordnet wurde, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen erforderlich sein, ihr einen zusätzlichen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines auswärtigen Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Hauptbevollmächtigten beizuordnen. Wurde hingegen ein nicht am Ort des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet, besteht kein Bedarf für die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts; dafür ist der auswärtige Rechtsanwalt aber grundsätzlich berechtigt, seine Reisekosten nach § 46 RVG abzurechnen (vgl. BGH, a. a. O.; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 420, OLGR Frankfurt 2002, 340 und KGR 2004, 17; a.A. OLGR Naumburg 2001, 486).

Ordnet das Gericht der Partei im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe ausnahmsweise einen nicht in seinem Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt bei, und sieht es von der Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO ab, kann es dem Prozessbevollmächtigten deswegen nicht stets durch die beschränkte Beiordnung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" zugleich die Möglichkeit der Erstattung von Reisekosten nach § 46 RVG nehmen. Eine solche Beiordnung ist vielmehr nur dann möglich, wenn auch sonst lediglich Kosten eines am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil "besondere Umstände" im Sinne von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts hat das Gericht also immer auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO erfüllt sind. Nur wenn dieses nicht der Fall ist, darf es einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen Prozessbevollmächtigten "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" mit der Folge, dass eine Erstattung von Reisekosten im Allgemeinen entfällt, beiordnen (vgl. BGH, a. a. O.).

Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich wäre, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen (Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 121, Rdn. 18). Solche besonderen Umstände können etwa dann vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht zugemutet werden kann (OLG Naumburg FamRZ 2003, 107; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 107). Gleiches ist der Fall, wenn der Partei eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und eine mündliche Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde (OLG Brandenburg FamRZ 2002, 107 und FamRZ 2001, 1533). Dabei ist im Rahmen der verfassungsgemäßen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Umstände eine zusätzliche Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO auch dann geboten, wenn die Kosten des weiter beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am Prozessgericht zugelassenen Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen. Im Rahmen der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (BVerfG, NJW 2004, 1789) ist bei der Auslegung auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte zu beachten. Danach ist im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (BGH, a. a. O.; BGH, FamRZ 2003, 441, BGH-Report 2004, 70, 71; NJW-RR 2004, 430; BGH-Report 2004, 637; BB 2004, 1023).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte der Kläger hier nicht darauf verwiesen werden, aus Gründen der Kostenersparnis einen am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und andernfalls etwaige Mehrkosten selbst zu tragen. Denn der vorliegende Unterhaltsrechtstreit ist jedenfalls aus der Sicht einer nicht fachkundigen Partei so gelagert, dass grundsätzlich das Bedürfnis anzuerkennen ist, dass die Angelegenheit persönlich mit dem Rechtsanwalt erörtert wird; Gesichtspunkte, die im Streitfall eine andere Bewertung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass unter den gegebenen Umständen auch nicht von vornherein absehbar war, dass im Laufe des Rechtsstreits nicht noch weitere persönliche Beratungsgespräche notwendig werden würden, so dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts am Ort des Prozessgerichts - jedenfalls unter Berücksichtigung des Kenntnisstandes der Partei zu Beginn des Prozesses - auch nicht zu evident niedrigeren Kosten geführt hätte, wobei die - fiktiven - Fahrtkosten der Partei insoweit nicht außer Betracht gelassen werden dürfen. Da letztlich die hier in Rede stehenden Reisekosten der Prozessbevollmächtigten des Klägers in Anbetracht der Entfernung zwischen dem Gerichtsort und dem Sitz der Kanzlei bei einem allein für die Klage auf 3.048 EUR festgesetzten Streitwert geringer bzw. jedenfalls nicht wesentlich höher sind, als die Kosten der alternativ in Betracht kommenden Beiordnung eines Verkehrsanwalts (vgl. BGH, FamRZ 2004, 1362), kann die vom Familiengericht - insoweit entgegen dem ausdrücklichen Antrag des Klägers - angeordnete Einschränkung der Beiordnung keinen Bestand haben. Dem entsprechend war der angefochtene Beschluss abzuändern.

Der Kostenausspruch beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§ 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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