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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.10.2005
Aktenzeichen: 5 U 31/05
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 22
BGB § 123
1. Ein Versicherungsinteressent, der ein langjähriges Rückenleiden mit wiederholten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit verschweigt und dem Agenten gegenüber lediglich eine einmalige "Blockade" schildert, handelt arglistig.

2. In einem solchen Fall darf sich der Versicherungsnehmer bei späterer Anfechtung des Vertrages nicht auf die Verletzung einer Nachfrageobliegenheit durch den Versicherer berufen.


Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17.12.2004, Az. 14 O 264/03, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 86.600 Euro festgesetzt.

5. Die Revision wird zugelassen

Tatbestand:

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch.

Die Klägerin war zuletzt tätig als Busfahrerin im Linien- und Reiseverkehr. Sie unterhielt bei der Beklagten mit Wirkung ab dem 1.8.2002 eine Berufsunfähigkeitsversicherung (Versicherungsschein-Nr. ...) unter Einschluss der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung über eine Versicherungssumme von 1.000 Euro monatlich (Bl. 30 ff d.A.). Dem Versicherungsvertrag lag ein Antrag der Klägerin vom 30.7.2002 zu Grunde, der von dem Versicherungsagenten D. der Beklagten aufgenommen worden war. In der Rubrik "Gesundheitsfragen" wurde die Frage "Bestehen oder bestanden in den letzten 5 Jahren Beschwerden, Krankheiten oder Vergiftungen? (z.B. Herz, Kreislauf, Bluthochdruck, Schlaganfall, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- oder Geschlechtsorgane, Gehirn, Krämpfe, Nerven, Rückenmark, Psyche, Depressionen, Selbsttötungsversuch, geistige Schwäche, Sucht, Augen, Ohren, Haut, Drüsen, Milz, Blut, Leber, Galle, Nieren, Infektionskrankheiten, Geschwulste, Stoffwechsel, Gicht, Rheuma, Allergie, Blutfette, Diabetes, Epilepsie)" sowie die Frage "Fanden in den letzten 5 Jahren stationäre Behandlungen statt" mit "nein" beantwortet, und als der am besten über den Gesundheitszustand der Klägerin informierte Arzt / Behandler Dr. W., , angegeben. Die Frage "zum beantragten Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsschutz" "Bestehen oder bestanden in den letzten 10 Jahren Krankheitssymptome an Wirbelsäule, Bandscheiben, Gelenken, Knochen?..." wurde ebenfalls verneint. Weiterhin wurde eine jährliche Vorsorgeuntersuchung beim Frauenarzt erwähnt (Bl. 9, 32 d.A.).

Am 10.11.2002 beantragte die Klägerin unter Hinweis darauf, seit dem 23.8. 2002 ihren Beruf nicht mehr ausüben zu können, von der Beklagten Leistungen wegen Berufsunfähigkeit.

Ausweislich eines von der Beklagten im Rahmen der daraufhin angestrengten Leistungsprüfung eingeholten ärztlichen Berichts des Dr. W. waren bei der Klägerin neben fieberhaften Infekten, einer Cholecystis, Gallenbeschwerden und einer Facialisparese zahlreiche Erkrankungen orthopädischer Natur aufgetreten, die zu einer stationären Behandlung im Jahr 2002 und zu einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit geführt hatten (Bl. 48 d.A.). Auch zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Klägerin noch arbeitsunfähig krank geschrieben (Bl. 77 d.A.).

Mit Schreiben vom 4.2.2003 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen schuldhafter Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht unter Hinweis auf eine bereits zum Antragszeitpunkt vorliegende, ärztlich diagnostizierte Spondylolisthesis bzw. Bandscheibenerkrankung mit Arbeitsunfähigkeit vom 22.6.2002 bis 11.8.2002, eine am 5.2.2002 erfolgte Behandlung wegen Lumboischalgie sowie eine Behandlung am 14.3.2002 wegen Adipositas; zugleich focht sie den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an (Bl. 5, 6 d.A.).

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass sie dem Versicherungsagenten gegenüber die in 1998, 1999, 2000 aufgetretenen fieberhaften Infekte, Stresssymptome, Mandelentzündung, Harnwegsinfekt, Gallenbeschwerden und Unterschenkel- schwellungen angegeben habe; ferner habe sie darüber berichtet, sich in 2001 verhoben zu haben und an Sensibilitätsstörungen im rechten Bein gelitten zu haben; auch habe sie angegeben, seit Februar 2002 an Rückenschmerzen zu leiden und in krankengymnastischer - und physikalischer Behandlung zu sein. Trotz Offenbarung der über Monate andauernden Behandlung wegen Rückenbeschwerden habe der Versicherungsagent die unter lit. a) zum Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsschutz gestellte Frage mit "nein" angekreuzt, weil er die Angabe nicht für notwendig gehalten habe. Daher sei sie zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung davon ausgegangen, dass der Agent der Beklagten in diesem Punkt weiteren Aufklärungsbedarf gesehen habe und diesen noch offen gelassen habe, um bei dem benannten Dr. W. noch weitere Informationen einzuholen, wie der Agent ihr gegenüber angekündigt habe. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe sie nur Kenntnis von einer "Blockierung L 5" gehabt, was sie gegenüber dem Agenten auch angegeben habe; von weitergehenden Rückenerkrankungen habe sie nichts gewusst. Vom Vorliegen eines Bandscheibenschadens habe sie erst im September 2002 durch Dr. W. erfahren. Erst zu diesem Zeitpunkt seien die Befunde bezüglich der Halswirbelsäulenuntersuchung und der Lendenwirbelsäulenuntersuchung ausführlich mit ihr erörtert worden.

Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass der Agent dasjenige in den Versicherungsantrag aufgenommen habe, was die Klägerin offenbart habe. Gesundheitliche Beschwerden oder Vorerkrankungen habe die Klägerin nicht angegeben. Bei Kenntnis der zahlreichen Vorerkrankungen, so insbesondere der Spondylisthesis, Bandscheibenerkrankung, Lumboischialgie und lokalisierter Adipositas wäre der Vertrag mangels Versicherungsfähigkeit der Klägerin nicht abgeschlossen worden. Von daher stehe ihr nicht nur ein Rücktritts-, sondern auch ein Anfechtungsrecht zu. Die Arglist der Klägerin offenbare sich nicht nur darin, dass sie eine Vielzahl von Beschwerden und Arztbesuchen nicht offenbart, also ein multiples, bis in das Jahr 2002 hineinreichendes Beschwerdebild verschwiegen habe, sondern auch und gerade darin, dass sie gegenüber dem Vermittler lediglich verharmlosend eine Blockade ohne weitere Folgen angegeben habe.

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte wegen Verschweigens gefahrerheblicher Umstände wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei. Denn die Klägerin habe die ihr von dem Versicherungsagenten wirksam zur Kenntnis gebrachten Gesundheitsfragen falsch beantwortet, weil sie die Wirbelsäulenbeschwerden nicht richtig angezeigt habe.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie rügt, dass das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass sie die Wirbelsäulenbeschwerden bei Antragstellung nicht richtig angegeben habe. Sie habe dem Versicherungsagenten offenbart, seit Februar 2002 an Rückenschmerzen zu leiden, insoweit sei lediglich eine Blockierung L 5 diagnostiziert, sie befinde sich in krankengymnastischer und physikalischer Behandlung. Der Versicherungsagent, der die Fragen schnell vorgelesen und immer gleich angekreuzt habe, habe daraufhin eine Wirbelsäulenblockade einem Husten gleichgesetzt und gesagt, dass derartige Krankheiten nicht anzugeben seien. Auch sei das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie Kenntnis von relevanten Beschwerden gehabt habe; das Ergebnis der Beweisaufnahme könne ein derartiges Ergebnis nicht rechtfertigen. Jedenfalls fehle es an einem schuldhaften Verhalten, weil der Versicherungsagent durch irreführende bzw. bagatellisierende Äußerungen verhindert habe, dass sich die Klägerin der Bedeutung der ihr schnell und ohne die Möglichkeit der Reflektierung vorgelesenen Fragen habe bewusst werden können. Von daher seien weitergehende Angaben der Klägerin entbehrlich gewesen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 17.12.2004, Az. 14 O 264/03,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 1.000 Euro vom 1.9.2002 an zu zahlen, so lange Berufsunfähigkeit besteht, längstens bis 1.8.2026, 12 Uhr,

2. festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer ... unverändert fortbesteht und nicht durch Rücktritt und Anfechtung der Beklagten beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Entscheidungsgründe:

II. Die Berufung hat keinen Erfolg. Der Klägerin stehen keine Leistungen aus dem bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag zu, weil die Beklagte den Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB.

1. Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann (BGH, Urt.v. 14.7.,2004 - IV ZR 161/03 - VersR 2004, 1297, 1298 a.E. m.w.N.; Senat, Urt. V. 8.10.2004 - 5 U 76303 -, NJW-RR 2005, 334; OLGR 2004, 592). Auf die vom Versicherer zu beweisende Arglist als einer inneren Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Dabei kann auf den Täuschungsvorsatz allein noch nicht aus dem Beweis einer vorsätzlich falschen oder unterlassenen Anzeige gefahrerheblicher Umstände geschlossen werden (BGH a.a.O.). Für ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers spricht indessen, wenn er schwere, chronische oder schadengeneigte oder immer wieder auftretende zahlreiche oder dauerhafte Erkrankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt oder solche, die zu erheblichen Einschränkungen seines Alltags geführt haben oder die ihm offensichtlich erheblich für das versicherte Risiko erschienen sein mussten (Senat, Urt.v. 30.6.2004 - 5 U 656/03 - OLGR 2004, 592; VersR 1996, 488).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist auch im Streitfall von einem arglistigen Verschweigen auszugehen. Denn die Klägerin hat ein bei ihr zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehendes langjähriges, mehrfach auch fachärztlich behandeltes Rückenleiden sowie eine zum Zeitpunkt der Antragstellung seit Wochen bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenbeschwerden der Beklagten gegenüber nicht angegeben.

a. Die Beklagte hat die Klägerin in ihrem Antragsformular nach in den letzten fünf Jahren aufgetretenen Krankheiten oder Beschwerden und nach in den letzten zehn Jahren aufgetretenen Krankheitssymptomen gefragt. Diese Fragen sind sowohl nach dem allgemeinem Sprachgebrauch als auch nach den Verständnismöglichkeiten und -fähigkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers eindeutig : Sie wollen Gesundheitsbeeinträchtigungen, die nicht offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen, erforschen und sonstige Anzeichen von Unregelmäßigkeiten im Gesundheitszustand des Versicherungsinteressenten ermitteln, deren Diagnose zwar noch nicht feststeht, die er aber unschwer als mögliche, von ihm ernst zu nehmende Hinweise auf das Vorliegen einer nicht völlig unerheblichen Krankheit betrachten muss.

b. Die Antragsfragen sind der Klägerin gestellt worden. Soweit ein Versicherungsagent Antragsfragen dem Versicherungsinteressenten vorliest, ist anerkannt, dass das Vorlesen der eigenen Lektüre des Textes gleichsteht, wenn ein Fragebogen sorgsam und ohne Zeitdruck durchgegangen wird und durch klärende Rückfragen ergänzt werden kann (BGH, VersR 1990, S. 77 und 1002 ff). Dem hat die Beklagte genügt. Das folgt schon daraus, dass die Klägerin selbst vorgetragen hat, den Versicherungsagenten "über in 1998, 1999 und 2000 stattgehabte fieberhafte Infekte, Stresssymptome, Mandelentzündungen, in 2000 vorgekommenen Harnwegsinfekt, Gallenbeschwerden und Unterschenkelschwellungen" sowie darüber unterrichtet zu haben, "dass sie sich in 2001 verhoben hatte, dass sie Sensibilitätsstörungen im rechten Bein gehabt habe", "seit Februar 2002 an Rückenschmerzen leide und in krankengymnastischer und -physikalischer Behandlung sei" (Seite 3, Bl. 3 d.A.). Bereits von daher liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin die in Rede stehenden Antragsfragen, die im Übrigen nach Aufbau und Gliederung weder kompliziert strukturiert noch unübersichtlich sind, nicht oder nicht in ihrer vollen Bedeutung erfasst hat. Hinzu kommt, dass die Klägerin, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, gegenüber dem Versicherungsagenten W., wie dieser und die Zeugin S. übereinstimmend bekundet haben, Probleme im Bereich der Wirbelsäule offenbart hat, nämlich eine Wirbelblockade (Zeuge W., Bl. 70 d.A.) oder eine Verrenkung (Zeugin S., Bl. 72 d.A.), die jedoch "erledigt" seien. Auch dies zeigt, dass der Klägerin die Fragen in ausreichendem Maße zur Kenntnis gebracht worden sind.

Die Klägerin vermag sich insoweit auch nicht auf die weitergehende Aussage der Zeugin S. - der allerdings die Aussage des Zeugen W. entgegensteht - zu berufen, wonach das Antragsgespräch nicht länger als 8 bis 10 Minuten gedauert, der Zeuge W. die Fragen schnell vorgelesen und immer gleich angekreuzt habe, so dass man nicht habe überlegen können (Bl. 72 d.A.). Zum einen ist für die ordnungsgemäße Vermittlung eines Fragentextes nicht die Quantität, sondern die Qualität der Antragsgespräches entscheidend. Zum anderen kommt es nicht auf die Einschätzung der nicht unmittelbar betroffenen und insbesondere hinsichtlich der Antragsfragen nicht über den selben Kenntnisstand wie die Klägerin verfügenden Zeugin an. Vielmehr ist maßgebend, ob die Klägerin die gestellten Antragsfragen hat verstehen und ohne Zeitdruck hat beantworten können. Hiervon ist nach den von ihr selbst behaupteten Antworten auszugehen.

c. Die Klägerin hat die Antragsfragen die Klägerin objektiv falsch beantwortet.

Nach dem Bericht des Dr. W. vom 22.1.2003, dessen Richtigkeit die Klägerin nicht in Abrede stellt, litt die Klägerin seit 1997 und somit in dem erfragten Zeitraum nicht nur an zahlreichen fiebrigen Infekten und anderen Erkrankungen von Nerven und Verdauungsorganen sondern vor allem an einem akuten HWS-Syndrom mit Myalgien, an Schmerzen im LWS-Bereich, an deutlichen Verspannungen der Rückenlängsmuskulatur, war wegen des Verdachts eines Nucleusprolaps beziehungsweise einer Protrusion in neurologischer und orthopädischer Behandlungan einer Lumbalgie, an Parästhesien im rechten Bein, wiederum an einem akuten LWS-Syndrom, das zu einer stationären Behandlung geführt hat und seit April 2002 erneut an Monate anhaltenden Rückenbeschwerden, die erneut fachärztlich behandelt wurden. und sich im Juni 2002 verschlimmerten und zu einer länger andauernden Krankmeldung bis Ende August 2002 führten.

d. Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihres Bewegungsapparates, vor allem der Wirbelsäule, waren der Klägerin bekannt. Das folgt - ungeachtet des Umstands, dass sie angibt, nichts von einem "rezidivierenden Wirbelsäulenschaden" gewusst zu haben - allein daraus, dass sie sich fortlaufend wegen Rückenbeschwerden in ärztliche und fachärztliche Behandlung begeben hat und sich schließlich "krank gemeldet" hat. Dass ihr eine genaue ärztliche Diagnose ihre Leidens - möglicherweise - nicht bekannt war, ist unerheblich. Wer über Jahre hinweg Rückenbeschwerden zum Anlass nimmt, sich ärztlich behandeln zu lassen und arbeitsunfähig ist, weiß, dass er nicht nur gesundheitliche Beeinträchtigungen hat sondern auch, dass alle Anzeichen einer nicht von der Hand zu weisenden Krankheit - und nicht etwa nur einer einmaligen "Blockade" oder "Verrenkung" - vorhanden sind.

Daran ändert auch nichts, dass die in dem Zeitraum 22.6.2002 bis 11.8.2002 aufgetretenen Rückenbeschwerden, die sich in deutlichen Muskelverspannungen manifestierten, nach der ärztlichen Bescheinigung des Dr. W. vom 23.1.2004 (Bl. 77 d.A.) durch "entsprechende Therapie langsam aber stetig gelockert werden konnten". Dass eine Therapie "langsam aber stetig" erfolgt, zeigt jedem verständigen Versicherungsinteressenten, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung und das Symptom einer Erkrankung vorliegt, die er seinem Versicherer anzugeben hat. Das Gleiche gilt, soweit sich die Klägerin darauf stützt, die Rückenbeschwerden in einem Zusammenhang mit einem gynäkologischen Problem gesehen zu haben (Bl. 114 d.A.). Dies ändert nichts daran, dass die Klägerin Kenntnis von einer Beschwerde- und Krankheitssymptomatik an "Wirbelsäule, Bandscheiben, Gelenken und Knochen" hatte.

e. Die Klägerin hat arglistig gehandelt. Wer nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Krankheitssymptomen gefragt wird und daraufhin über Jahre hinweg auftretende, zahlreiche Besuche und Behandlungen bei verschiedenen Ärzten wegen Rückensbeschwerden und sogar eine stationäre Aufnahme nach einem LWS-Syndrom drei Monate vor Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung verschweigt, wer in einem überschaubaren Zeitraum vor und erneut zum Zeitpunkt der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung für viele Woche arbeitsunfähig geschrieben war und dies nicht offenbart, weiß, dass er damit Einfluss auf die Entscheidung über den Abschluss eines solche Risiken deckenden Versicherungsvertrags nimmt; er will es auch.

f. Allerdings hat die Klägerin, wie sich aus den sinngemäß übereinstimmenden Aussagen der Zeugen W. und S. ergibt, bei Antragstellung angegeben, einmal eine Wirbelblockade, die eingerenkt worden und damit erledigt gewesen sei, gehabt zu haben (Zeuge W., Bl. 70 d.A.; Zeugin S., Bl. 72 d.A.). Der Zeuge W. hat eingeräumt, er habe dies nicht aufgenommen, weil die Klägerin ihm gesagt habe, sie habe keine Beschwerden mehr. Das schließt Arglist der Klägerin nicht aus.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass sich ein Versicherer nicht auf fehlerhafte oder unzulängliche Angaben über gefahrerhebliche Umstände berufen kann, wenn sein Agent dem Versicherungsinteressenten durch eine verharmlosende Reaktion auf die Mitteilung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung den Blick dafür verstellt, dass der Versicherer auf eine weiter reichende und umfassende Auskunft angewiesen ist (BGH, Urt.v. 10.10.2001 - IV ZR 6/01 - NVersZ 2002, 60; vgl. auch BGH NVersZ 2002, 254). Davon ist - außerhalb der Fälle kollusiven Zusammenwirkens von Versicherungsnehmer und Versicherungsagent, für das hier keine Anhaltspunkte bestehen - in der Tat dann auszugehen, wenn ein Versicherungsinteressent auf Antragsfragen hin zu Antworten ansetzt und ein gesundheitliches Leiden laienhaft darzustellen beginnt, dessen zeitliches oder sachliches Ausmaß indessen noch offen ist, in denen also die Beantwortung der Gesundheitsfragen auch aus der Sicht des Versicherungsagenten unabgeschlossen erscheinen muss.

Anders ist es indessen in Fällen, in denen nicht der Versicherungsagent dem Versicherungsinteressenten den Blick dafür verstellt, was Gegenstand des Informationsbedürfnisses des Versicherers ist, sondern der Versicherungsinteressent dem Versicherungsagenten gegenüber durch bagatellisierende oder verharmlosende Angaben den Eindruck erweckt, lediglich kurzfristig an einem belanglosen und alsbald vergehenden Missempfinden gelitten zu haben (zur Verharmlosung vgl. zuletzt u.a. OLG Köln NJW-RR 2004, 1169).

Von einem solchen Geschehen ist auszugehen. Wer in Wirklichkeit an sich über Jahre hinweg entwickelnden ärztlich und fachärztlich, zeitweise sogar stationär, behandelten Rückenbeschwerden leidet und wiederholt längere Zeit arbeitsunfähig geschrieben war, aber auf die Frage nach Anzeichen einer Erkrankung nur eine "Blockade" oder "Verrenkung" angibt, jedoch, wie die Zeugen W. und S. übereinstimmend bekundet haben, ergänzt, alles sei wieder in Ordnung, führt den Versicherungsagenten bewusst in die Irre und kann sich nicht darauf berufen, er habe seine Äußerung zu Unrecht gewissermaßen ernst genommen und es bei dieser Information bewenden lassen.

Ob das dann anders zu beurteilen wäre, wenn der Zeuge W., wie die Klägerin allerdings nur beiläufig behauptet hat (Bl. 59), angekündigt gehabt hätte, wegen der Rückenbeschwerden weitere Auskünfte bei dem Arzt Dr. W. einzuholen, kann dahinstehen. Denn der Senat ist davon überzeugt, dass dies nicht geschehen ist. Die Klägerin hat eine solche Behauptung schon in der Klageschrift nicht aufgestellt. In ihrer persönlichen Anhörung (Bl. 669) hat sie vorgetragen, der Zeuge W. habe ihr auf ihr Angebot, ihm ihren Arzt anzugeben, mitgeteilt, das sei "irrelevant". Das ist weder damit vereinbar, dass der Zeuge W. den Arzt Dr. W. in das Antragsformular aufgenommen hat noch damit, dass er geäußert haben soll, er werde bei dem Arzt nachfragen. In der Berufungsbegründung wird der Vortrag nicht wiederholt.

3. Die Beklagte ist nicht nach Treu und Glauben gehindert, die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auszusprechen.

Allerdings nimmt die Rechtsprechung zu Recht an, den Versicherer treffe eine Nachfrageobliegenheit, wenn er aus Antworten des Versicherungsinteressenten auf Antragsfragen nach gefahrerheblichen Umständen den Schluss ziehen kann, dass eine sachgerechte Risikoprüfung vor Abschluss des Versicherungsvertrages noch nicht möglich ist sondern weiterer Informationen bedarf. Unterlässt der Versicherer in solchen ergänzende Rückfragen oder Nachforschungen, so darf er sich nicht nach Eintritt des Versicherungsfalls auf eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit berufen (vgl.u.a. BGH, Urt.v. 25.3.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603; BGH VersR 1995, 80; Senat, st.Rspr., zuletzt Urt.v. 1.12.2004 - 5 U 244/02 - VersR 2005, 533). Der Bundesgerichtshof hat dies - wohl - auch für den Fall arglistigen Verschweigens gefahrerheblicher Umstände für richtig befunden (BGH, Urt.v. 25.3.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603; a.A. OLG Düsseldorf r+s 2003, 252; OLG Hamm r+s 2002, 50; vom Senat bislang offen gelassen, vgl. Urt.v. 5.12.2001 - 5 U 568/01 - VersR 2003, 890; zweifelnd Römer, r+s 1998, 45, 48).

Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es nunmehr an. Denn die Beklagte nimmt, wie sich aus der Aussage des Zeugen B., des Leiters ihrer Antragsabteilung ergibt, die Angabe eines Versicherungsinteressenten, er habe eine "Blockade" im Bereich der Wirbelsäule gehabt, regelmäßig zum Anlass genauer nachzufragen, weil es sich bei Wirbelsäulenbeschwerden um für die Berufsunfähigkeitsversicherung besonders relevante Leiden, den, wie der Zeuge formuliert hat, "Knackpunkt" handelt. Da mit Hinnahme der Angabe "Blockade" folglich die Risikoprüfung nicht sachgerecht abgeschlossen werden kann, und weil die Beklagte als durch die Information ihres Agenten unterrichtet gilt, bestand eine Obliegenheit zu weiteren Erkundigungen.

Dennoch ist der Beklagten die Berufung auf ihr Anfechtungsrecht nicht nach Treu und Glauben versagt. Die Versagung eines Rücktrittsrechts des Versicherers wegen Verletzung der Nachfrageobliegenheit beruht auf dem Rechtsgedanken unzulässiger Rechtsausübung in Fällen, in denen zu dem Entstehen eines Rechts eigenes Fehlverhalten dem sich fehl verhaltenden Verhandlungspartner gegenüber beigetragen hat. Antwortet indessen ein Versicherungsinteressent nicht nur schuldhaft - allerdings für den Versicherer erkennbar - unvollständig oder falsch, sondern verschweigt oder entstellt er arglistig Umstände, die er als gefahrerheblich erkennt und von denen er annehmen muss, dass sie für die Vertragsabschlussbereitschaft des Versicherers von Bedeutung sind, so verstößt er in besonders schwer wiegendem Maße gegen das auch vorvertraglich ihm entgegen gebrachte Vertrauen. Er leistet dadurch einen spezifischen Beitrag zur Verschleierung von Umständen, auf die gerade im Versicherungsverhältnis sein Verhandlungspartner angewiesen ist. Er handelt daher in grobem Maße illoyal. In einem solchen Fall darf er sich nicht darauf berufen, dass sein Gegenüber, der Versicherer, es gleichfalls - allerdings in erheblich geringerem Maße und regelmäßig nur den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens rechtfertigend - treuwidrig unterlassen hat, die Übernahme des Risikos zu prüfen. Derjenige, der sich in besonders schwer vorwerfbarer Weise treuwidrig verhält, darf den bewussten Missbrauch des Vertrauens seines Verhandlungspartners nicht damit rechtfertigen oder ungeschehen machen, dass diesem Nachlässigkeiten, Unaufmerksamkeiten und Versehen unterlaufen sind.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 3, 9 ZPO. Für den Leistungsantrag waren die rückständigen, bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung geltend gemachten Versicherungsleistungen (1.9.2002 bis 31.7.2003) sowie der 3 1/2-fache Jahrebetrag der nach Klageerhebung fällig gewordenen Beträge zu berücksichtigen, mithin ein Betrag in Höhe von 53.000 EUR (11.000 EUR + 42.000EUR). Für den Feststellungsantrag auf Fortbestehen der Berufsunfähigkeitsversicherung war der Streitwert mit 80 % des 3 1/2 -fachen des Jahresbetrages einer Monatsrente von 1.000 EUR und damit in Höhe von 33.600 EUR zu bemessen.

Die Revision wird zugelassen, weil die Entscheidung des Senats auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt.v. 25.3.1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603) beruht. Der Bundesgerichtshof geht - auch wenn die Entscheidung lediglich den Ausschluss des Rücktrittsrechts bei Verletzung einer Nachfrageobliegen betrifft - davon aus, ein Versicherer verhalte sich auch dann treuwidrig, wenn er sich auf ein Lösungsrecht vom Vertrag beruft, selbst wenn noch offen ist, ob auch eine arglistige Täuschung vorliegt.

Ende der Entscheidung

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