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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 18.06.2003
Aktenzeichen: 1 U 167/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 538 Abs. 2 HS 2
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 167/03

Verkündet am 18.6.2003

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Theis, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Gehrlein und den Richter am Oberlandesgericht Schmidt

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 31. Januar 2003 verkündete Urteil des Landgerichts in Saarbrücken - 1 O 148/02 - einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten bleibt.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Der Wert der durch diese Entscheidung begründeten Beschwer der Parteien und der Streitwert des Berufungsverfahrens werden auf jeweils 9.637, 85 € festgesetzt.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin befasst sich mit der Produktion, Installation, Wartung und dem Verkauf von Aufzügen. Der Beklagte, der an dem Bauvorhaben Wintersport-, Natur- und Umweltbildungsstätte ... beteiligt war, erteilte der Klägerin als Subunternehmer den Auftrag, das Gebäude mit einem Behinderten - Treppenschrägaufzug auszustatten. Auf der Grundlage eines Angebots der Klägerin vom 27. August 1997 (Bl. 55 ff. d.A.) vereinbarten die Parteien für die Lieferung und Montage des Aufzuges einen Gesamtpreis in Höhe von 37.375,-- DM. Zur Zahlungsweise trafen die Parteien folgende Regelung (Bl. 61 d.A.): "50 % bei Auftragserteilung, 45 % bei Fertigstellung, 5 % Sicherheitseinbehalt bis zur TÜV-Abnahme bzw. 30 Tage nach Fertigstellung". Nach Abschluss der Arbeiten erteilte die Klägerin dem Beklagten am 30. November 1998 eine Schlussrechnung, in der die nach Vertragsschluss von dem Beklagten geleistete Anzahlung in Höhe von 50 % des Werklohns berücksichtigt war.

Am 8. Dezember 1998 fand eine TÜV-Abnahme statt. Ausweislich der Bescheinigung vom 21. Januar 1999 wurde festgestellt, dass die Aufzugsanlage den Anforderungen der Aufzugsverordnung mit Ausnahme folgender Mängel entspricht (Bl. 34 d.A.):

"1. An den Hauptzugangsstellen ist ein Hinweisschild mit folgendem Text anzubringen:

"Nach Beendigung jeder Fahrt ist die Plattform zusammenzuklappen und in die Parkhaltestelle zu fahren."

2. Es müssen noch Aufzugswärter eingewiesen und geprüft werden.

3. Zur Zeit der Prüfung erfolgte der elektrische Anschluss über ein Bauprovisiorium."

Mit vorliegender Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Zahlung des noch ausstehenden Restwerklohns in Anspruch.

Die Klägerin hat vorgetragen, der von ihr eingebaute Treppenschrägaufzug weise keine Mängel auf. Auch sei der Aufzug von dem TÜV als ordnungsgemäß abgenommen worden.

Die Klägerin hat beantragt (Bl. 7, 64, 104 d.A.),

den Beklagten zu verurteilen, an sie 9.637,85 € nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 31. Dezember 1998 sowie 40,90 € für vorgerichtliche Mahnauslagen zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt (Bl. 23, 64, 104 d.A.),

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen,

der Fahrstuhl könne von der Gemeinde bis heute nicht benutzt werden, weil er nicht funktioniere. Bislang sei der Fahrstuhl nur zu Probezwecken in Betrieb genommen worden. Ferner fehlten vom TÜV geforderte Hinweisschilder.

Durch das angefochtene Urteil (Bl. 110-116 d.A.), auf dessen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Die Werklohnforderung sei fällig. Soweit sich der Beklagte darauf berufe, der Aufzug sei nicht betriebsfähig, sei der Vortrag unsubstantiiert und nicht zu berücksichtigen. Gegen das am 18 Februar 2003 zugestellte (Bl. 117 d.A.) Urteil richtet sich die am 18. März 2003 eingelegte (Bl. 119 f. d.A.) und am 14. April 2003 begründete (Bl. 125 d.A.) Berufung des Beklagten.

Der Beklagte trägt vor,

das Landgericht habe ein unzulässiges Überraschungsurteil getroffen, soweit es die Substantiierung seines Vorbringens beanstandet habe. Vielmehr sei das Landgericht gehalten gewesen, nach § 139 ZPO einen Hinweis zu erteilen.

Der Beklagte beantragt (Bl. 149, 125 d.A.),

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, sowie hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt (Bl. 149, 136 d.A.),

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des Beklagten ist zulässig und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Landgericht (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

I.

Aufgrund der Neufassung des § 538 Abs. 2 HS 2 ZPO ist das Berufungsgericht im Unterschied zum früheren Rechtszustand nicht mehr befugt, von Amts wegen eine Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen. Vielmehr ist eine Zurückverweisung nur auf Antrag einer Partei möglich. Ein solcher Antrag muss nicht bereits in der Berufungsbegründung gestellt werden, sondern kann auch nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in der Berufungsverhandlung nachgeholt werden. Außerdem bestehen keine Bedenken, den Aufhebungsantrag hilfsweise neben dem Sachantrag zu stellen (Senat OLG Report 2003, 142; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 538 Rdnr. 7). Vorliegend hat der Beklagte in der Berufungsverhandlung vom 4. Juni 2003 einen Aufhebungsantrag gestellt (Bl. 149 d.A.).

II.

Das angefochtene Urteil ist mit einem wesentlichen Verfahrensfehler (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) behaftet, weil es sich dabei um eine unzulässige Überraschungsentscheidung handelt.

1.

a)

Von Verfassungs wegen haben die Parteien ein Recht auf ein faires Verfahren, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den wesentlichen Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips gehört. Dieses allgemeine Prozessgrundrecht verbietet es dem Gericht, Überraschungsentscheidungen zu fällen. Unzulässig ist es danach, die Parteien im Urteil mit Rechtsauffassungen, Wertungen oder tatsächlichen Würdigungen zu konfrontieren, ohne ihnen vorher in der dafür vorgesehenen mündlichen Verhandlung Gelegenheit zu geben, sich zu äußern und Stellung zu nehmen. Die Parteien haben ein Recht auf ein vorhersehbares Verfahren. Es geht dabei um das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns (Senat NJW-RR 1998, 1609 = OLG-Report Saarbrücken 1998, 230; OLG Köln ZIP 1986, 604 m.w.N.).

b)

Wenn das Gericht bei einer Partei das Vertrauen weckt, ausreichend vorgetragen zu haben, später aber Zweifel an einer genügenden Substantiierung gewinnt, so gebietet es die Aufklärungspflicht, der Partei aufzugeben, sich hierzu vollständig zu erklären. Denn Zweck der Regelung des § 139 ZPO ist es, die Parteien vor einem bloßen Versehen zu schützen; die Partei soll nicht überrumpelt werden (BGH NJW 1984, 2575 f.; Senat NJW-RR 1998, 1609 = OLG-Report Saarbrücken 1998, 230). Wird die Klage trotzdem ohne den nach Lage der Sache erforderlichen Hinweis abgewiesen, so handelt es sich um ein verfahrensfehlerhaftes Überraschungsurteil (Senat a.a.O.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 1268). Eine solche Überrumpelung der Partei ist dem Gericht nicht nur auf rechtlichem, sondern auch auf tatsächlichem Gebiet verboten (BGH MDR 1980, 575 f.; Senat NJW-RR 1998, 1609 = OLG-Report 1998, 230).

2.

Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung als unzulässiges Überraschungsurteil zu bewerten. Der Erstrichter hat es versäumt, den Beklagten auf seine Bedenken gegen eine hinreichende Substantiierung des geltend gemachten Mangels hinzuweisen und ihm die Gelegenheit zu einem ergänzenden Sachvortrag einzuräumen.

a)

Der Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung vorgetragen, dass der Behindertenaufzug "bis heute von der Gemeinde nicht benutzt werden kann" (Bl. 28 f. d.A.). In einem weiteren Schriftsatz heißt es, dass " der Aufzug noch nie zufriedenstellend funktioniert" habe und "bislang nur zu Probezwecken, aber noch nie für die eigentlichen Nutznießer, die Behinderten, in Betrieb gewesen" sei (Bl. 69 d.A.). Dem Beklagten sei mitgeteilt worden, "dass der Aufzug bis heute nicht funktioniert und deshalb der zuständige Architekt auch bis heute die Abnahme verweigere" (Bl. 69 d.A.).

Ausgehend von dem Parteivorbringen hat das Landgericht Beweis erhoben über die Behauptung der Klägerin, dass der "Aufzug bis heute benutzt wird" (Bl. 65 d.A.). Nach Eingang seiner schriftlichen Äußerung hat das Landgericht den Zeugen um eine Präzisierung gebeten, "ob der Aufzug von 1999 bis April 2002 benutzt worden sei" (Bl. 92 RS d.A.)

b)

Bei dieser Sachlage hat das Landgericht den Vortrag des Beklagten zur Funktionsuntauglichkeit des Aufzugs ersichtlich als substantiiert und entscheidungserheblich erachtet. Die - ungenaue - Fragestellung in dem Beweisbeschluss, ob der Aufzug benutzt wird, kann sich bei lebensnahem Verständnis nur auf eine Betriebsbereitschaft beziehen. Entsprechendes gilt für die von dem Gericht an den Zeugen ... gerichtete Nachfrage, ob der Aufzug von 1999 bis April 2002 benutzt worden sei. Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht den Beklagten darauf hinweisen müssen, dass es sein Vorbringen zu Mängeln des Aufzugs als unsubstantiiert erachtet. Den nach § 139 ZPO gebotenen Hinweis hat das Landgericht, wie die Berufung zu Recht rügt (§ 529 Abs. 2 ZPO), indes versäumt.

c)

Überdies bekundete der Zeuge ..., die Anlage habe Störungen aufgewiesen und es sei nicht möglich gewesen, sie verkehrsgerecht in Bewegung zu setzen. Außerdem seien die Bedienungselemente beim kleinsten Betriebsfehler aus Sicherheitsgründen außer Kraft gesetzt worden (Bl. 71 d.A.). Der Lift sei zu keiner Zeit benutzt worden, weil er aus unerklärlichen Betriebsstörungen einfach nicht in Gang zu setzen sei (Bl. 93 d.A.). Regelmäßig ist davon auszugehen, dass sich die Partei ihr günstige Ergebnisse einer Beweiserhebung zu eigen macht. Aufgrund der Angaben des Zeugen ... ist aber ein Mangel substantiiert dargelegt. Es genügt, wenn einem Werk ein Mangel anhaftet, ohne dass es auf dessen Ursache ankommt (Senat OLG-Report Saarbrücken 1998, 203).

3.

Aufgrund des Verfahrensfehlers bedarf es einer umfangreichen Beweisaufnahme (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Einmal ist der Zeuge ... zu etwaigen Betriebsstörungen abermals zu hören. Ferner sind die von dem Beklagten benannten Zeugen (Bl. 69 d.A.) zu vernehmen. Schließlich kommt noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Betracht.

III.

Im Blick auf das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin.

1.

Sofern der Beklagte nicht grundlos die Abnahme verweigert, dürfte der Werklohnanspruch der Klägerin noch nicht fällig sein (§ 641 BGB). Unstreitig hat eine Abnahme zwischen den Parteien nicht stattgefunden. Durch die im Vertrag vereinbarte Zahlungsweise wurde das Erfordernis einer Abnahme nicht abbedungen. Einmal ist dort von der Entbehrlichkeit einer Abnahme keine Rede. Vielmehr wird der Restwerklohn mit Fertigstellung bzw. TÜV-Abnahme fällig. Dabei wird ersichtlich eine ordnungsgemäße, durch die Abnahme bestätigte Werkleistung vorrausgesetzt. Andernfalls hätte es die Klägerin in der Hand, unter Berufung auf eine wie immer geartete "Fertigstellung" den Restwerklohn zu fordern. Der Beklagte kann die Zahlung des Restwerklohns nicht unter Berufung auf die außerdem geltend gemachten Mängel verweigern. Die TÜV-Abnahme ist erfolgt; außerdem wurde der Zeuge ... als Aufzugswärter eingewiesen. Damit ist lediglich das noch fehlende Hinweisschild zu beanstanden. Dabei handelt es sich aber um einen geringfügigen Mangel, der den Beklagten lediglich zur Minderung berechtigt (§§ 634 Abs. 3, 633 BGB).

2.

Allerdings ist zu beachten, dass nach der Aussage des Zeugen ... die Ursache der Betriebsstörungen in einer unsachgemäßen Benutzung des Aufzugs durch Handwerker des Hunsrückhauses liegen kann (Bl. 70 d.A.). Eine solche Ursache wäre aber der Klägerin nicht anzulasten. Der Werkunternehmer haftet nicht für eine Verschlechterung der Werkleistung, die aus der Sphäre des Auftraggebers herrührt, der Dritten die Einwirkung auf die Werkleistung gestattet (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 60. Aufl., § 645 Rdnr. 9 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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