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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 19.09.2001
Aktenzeichen: 1 U 215/01
Rechtsgebiete: ZPO, EGBGB


Vorschriften:

ZPO § 39
ZPO § 293
EGBGB § Art. 27 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 215/01

Verkündet am 19. September 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Gehrlein als Vorsitzenden, den Richter am Oberlandesgericht Schmidt sowie die Richterin am Oberlandesgericht Fritsch-Scherer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 13. Februar 2001 verkündete Urteil des Landgerichts in Saarbrücken - 7 II O 114/99 - einschließlich des ihm zu Grunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten bleibt, zurückverwiesen.

2. Das Urteil ist vollstreckbar.

3. Der Wert der durch diese Entscheidung begründeten Beschwer der Parteien und der Streitwert des Berufungsverfahrens werden auf jeweils 320.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eine in den Vereinigten Staaten, Bundesstaat Florida, Orlando, ansässige Gesellschaft, die sich mit der Herstellung und dem Verkauf von biomedizinschen Präzisionsinstrumenten befasst. Am 8. Januar/2. August 1996 schloss die Klägerin mit dem Beklagten einen in englischer Sprache abgefassten internationalen Vertragshändlervertrag, nach dessen Inhalt dem Beklagten ein Alleinvertriebsrecht für die Produkte der Klägerin im Bereich von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland eingeräumt wurde (31. 142 ff. d.A.). Unter Abschnitt 14 trafen die Parteien folgende - in deutsche Sprache übersetzte - Regelung (Bl. 149, 162 d.A.):

"Die Vereinbarung richtet sich nach den Gesetzen des Staates Florida, Vereinigte Staaten von Amerika. Der Händler wird im Zusammenhang mit dieser Vereinbarung oder einer Bestellung keine Ansprüche gegen I geltend machen oder Rechtsstreitigkeiten anstrengen, ausgenommen in Orange County, Florida. Der Händler erklärt sich hiermit unwiderruflich mit der Zuständigkeit der Staats- und Bundesgerichte in Orlando oder Orange County im Staate Florida einverstanden und verzichtet auf das Recht der Übertragung und der Verweisung an ein anderes Gericht aus Gründen örtlicher Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten, die bei diesen Gerichten anhängig sind."

Ein Zahlungsverzug des Händlers über mehr als 60 Tage ist laut Abschnitt 5.1 des Vertrages als Vertragsbruch zu verstehen (Bl. 149, 152 d.A.). Nach Abschnitt 5.2 des Vertrages beantragt oder veranlasst der Händler auf seine Kosten die Einholung aller Erlaubnisse und behördlichen Genehmigungen für den Einkauf der von ihm erworbenen Produkte (Bl. 143, 152 d.A.). Mit vorliegender Klage beansprucht die Klägerin Zahlung für zwei im Jahre 1997 und 1998 an den Beklagten erfolgte Lieferungen medizinischer Geräte. Der Beklagte beanstandete die Ware unter Berufung auf für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland fehlende Verwendungszulassungen.

Die Klägerin hat vorgetragen,

nach Abschnitt 5.2 des Vertrages habe der Beklagte die für die Produkte benötigten behördlichen Genehmigungen einzuholen. Im Übrigen seien die notwendigen Zulassungen beantragt und teilweise erteilt worden. Dem Beklagten sei nach Abschnitt 5.1 des Vertrages ein Vertragsbruch anzulasten, weil er sich mit fälligen Rechnungsbeträgen länger als 60 Tage in Verzug befinde.

Die Klägerin hat beantragt (Bl. 244, 192, 2 d.A.),

den Beklagten zu verurteilen, an sie 150.652,58 US-Dollar nebst 8 % Zinsen seit dem 21. August 1999 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt (Bl. 244, 193 d.A.),

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen,

die berechneten Waren seien teils nicht geliefert, teils wegen fehlender behördlicher Zulassung mangelhaft gewesen. Die vertragliche Regelung, die dem Händler die Verantwortung für die Einholung behördlicher Zulassungen aufbürde, sei unwirksam. Diese Bestimmung sei wegen "unconscionability" (Bl. 169 d.A.), nämlich einer ungehörigen Benachteiligung des anderen Vertragsteils, unwirksam. Wegen der Lieferung mangelhafter Ware sei der Klägerin ein "breach of contract" (Bl. 172 d.A.) vorzuwerfen. Überdies verlange die Klägerin für ihre Produkte wucherische Preise.

Durch das angefochtene Urteil (Bl. 247-258 d.A.), auf das wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Die Klage sei auf der Grundlage des internationalen Vertragshändlervertrages und des Rechts des Staates Florida begründet. Gegen das am 20. Februar 2001 zugestellte (Bl. 260 d.A.) Urteil richtet sich die am 16. März 2001 eingelegte (Bl. 312 f.) und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16. Mai 2001 (Bl. 320 d.A.) am 30. April 2001 begründete (Bl. 322 ff. d.A.) Berufung.

Der Beklagte, der sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft, macht zur Rechtfertigung seines Rechtsmittels geltend, die von der Klägerin gelieferte Ware habe nicht die erforderliche CE-Zertifizierung ausgewiesen. Deswegen hätten die Produkte nicht abgesetzt werden können. Die streitgegenständliche dritte Lieferung habe er bei der Klägerin nicht bestellt. Der Klägerin sei in mehrfacher Hinsicht - auch was Abschnitt 7.8 des Vertrages anlange - ein Vertragsbruch anzulasten.

Der Beklagte beantragt (Bl. 491, 364 d.A.),

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (Bl. 491, 408 d.A.),

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin führt zur Verteidigung des angefochtenen Urteils aus, die für die Produkte erforderliche PTB-Zulassung sei seit dem 5. Mai 1997 vorhanden gewesen. Die einzelnen Lieferungen beruhten auf Bestellungen der Beklagten. Sie habe nicht gegen den mit dem Beklagten geschlossenen Vertragshändlervertrag verstoßen und sich mithin nicht vertragsbrüchig verhalten.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstands auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des Beklagten ist zulässig und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung einschließlich des ihr zu Grunde liegenden Verfahrens und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (§ 539 ZPO), weil das Vordergericht verfahrensfehlerhaft (§ 293 ZPO) keine Ermittlungen über das hier anzuwendende einschlägige Recht des US-Bundesstaats Florida getroffen hat.

A.

Das Landgericht Saarbrücken ist zur Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig. Dabei kann dahinstehen, ob die Parteien für ihre Streitigkeiten unter Abschnitt 14 des Vertrages (Bl. 149, 162) eine Zuständigkeit der Gerichte des Staates Florida vereinbart haben. Jedenfalls ist die Zuständigkeit des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 39 ZPO, der auf die internationale Zuständigkeit entsprechend anwendbar ist, dadurch begründet worden, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, vor dem Landgericht mündlich verhandelt hat (BGH NJW 1987, 3181 f.).

B.

Das Landgericht hat verfahrensfehlerhaft keine Feststellungen über das auf das Vertragsverhältnis der Parteien anzuwendende Recht des US-Staates Florida getroffen.

I.

Der Vertrag der Parteien unterliegt gemäß Abschnitt 14 der Vereinbarung dem Recht des US-Bundesstaates Florida (Bl. 149, 162 d.A.).

1. Auf schuldrechtliche Verträge ist gemäß § Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das von den Parteien vereinbarte Recht anzuwenden. Die Rechtswahl kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Mittels einer ausdrücklichen Rechtswahl können die Parteien das für ihren Vertrag maßgebliche Recht bestimmen (BGH NJW 1981, 1156 f.).

2. Die Parteien sind in Abschnitt 14 ihres Vertrages ausdrücklich übereingekommen, dass sich die Vereinbarung nach den Gesetzes des Staates Florida, Vereinigte Staaten von Amerika, richtet (Bl. 149, 162 d.A.). Dies bedeutet, dass die hier geltend gemachten vertraglichen Ansprüche der Klägerin am Recht des US-Bundesstaats Florida zu messen sind.

II.

Das Landgericht hat jedoch unter Verletzung des § 293 ZPO keine Ermittlungen über das hier einschlägige Recht des US-Bundesstaats Florida angestellt.

1. Nach § 293 ZPO hat das Tatgericht das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebliche ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln. Eine Verletzung dieser Ermittlungspflicht kann mit der Verfahrensrüge beanstandet werden (BGHZ 118, 151, 162). Zu ermitteln und anzuwenden ist dabei nicht nur das ausländische Gesetzesrecht, sondern das Recht, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet. Die Ermittlungspflicht des Tatrichters umfasst daher gerade auch die ausländische Rechtspraxis, wie sie in der Rechtsprechung der Gerichte des betreffenden Landes zum Ausdruck kommt. In welcher Weise sich das Tatgericht die notwendigen Erkenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BGHZ 118, 151, 163). Im Regelfall genügt der Tatrichter seiner aus § 293 ZPO folgenden Erforschungspflicht des ausländischen Rechts, wenn er das Gutachten eines mit den einschlägigen Fragen vertrauten wissenschaftlichen Instituts, z.B. des M-P-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, einholt und auf entsprechenden Antrag der Partei den Gutachter zur mündlichen Verhandlung lädt, damit dieser seine Ausführungen mündlich erläutern kann (BGH NJW 1991, 1418 f.).

2. Das Landgericht hat ausgeführt, dem Beklagten sei ein Vertragsbruch, der nach amerikanischen Recht Grundlage für Zahlungsansprüche bildet, vorzuwerfen, weil er sich mit fälligen Rechnungsbeträgen länger als 60 Tage in Verzug befinde. Der Einwand, bestellte Geräte seien nicht geliefert worden, sei auch nach amerikanischen Recht mangels Substantiierung nicht zu berücksichtigen. Soweit sich der Beklagte im Blick auf eine Verletzung seines Alleinvertriebsrechts durch die Klägerin auf einen Vertragsbruch berufe, habe er seiner auch nach amerikanischen Recht bestehenden Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Gewährleistungsansprüche des Beklagten bestünden nicht, weil er entgegen Abschnitt 10 des Vertrages weder solche Ansprüche angemeldet, noch die defekten Produkte an die Klägerin zurückgegeben habe. Mithin sei er wegen Vertragsbruchs an der Erhebung von Gewährleistungsansprüchen gehindert.

3. Danach hat das Landgericht der Klage in Anwendung des amerikanischen Rechts, wobei eine Differenzierung hinsichtlich des für maßgeblich erklärten Rechts des US-Bundesstaats Florida unterblieben ist, stattgegeben, ohne jegliche Ermittlungen zum Inhalt des anzuwendenden Rechts vorzunehmen. Ferner wurde das Vorbringen des Beklagten, Abschnitt 5 des Vertrages sei wegen "unconscionability", einer ungehörigen Benachteiligung des anderen Teils, unwirksam, und der Klägerin ein "breach of contract", Vertragsbruch, anzulasten, gänzlich unberücksichtigt. Zwar steht es grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, auf welche Weise es sich Kenntnis von dem maßgeblichen ausländischen Recht verschafft. Es ist jedoch regelmäßig ermessensfehlerhaft, wenn es - wie hier - das Tatgericht überhaupt unterlässt, das für die Beurteilung des Falles maßgebende ausländische Recht zu ermitteln (BGH NJW 1995, 1032). Ein Verstoß gegen die Ermittlungspflicht liegt außerdem vor, weil das Urteil keine Ausführungen zur ausländischen Rechtspraxis enthält, obwohl sich der Beklagte ausdrücklich auf Rechtsgrundsätze des amerikanischen Rechts berufen hat (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 293 Rn. 66).

4. Die Verletzung der Ermittlungspflicht des § 293 ZPO stellt einen Verfahrensfehler dar (BGHZ 118, 151, 162; BGH NJW 1988, 648; Münchener Kommentar/Prütting, ZPO, 2. Aufl., § 293 Rn. 67). Der Senat sieht mangels Sachdienlichkeit von einer Eigenentscheidung (§ 540 ZPO) ab. Erst nach Ermittlung des einschlägigen Sachrechts kann beurteilt werden, ob und in welchem Umfang vorliegend eine Beweisaufnahme durchzuführen ist. Da mithin die Sache jeder rechtlichen und tatsächlichen Vorklärung entbehrt, erscheint eine Zurückverweisung an das Landgericht vorzugswürdig.

Ende der Entscheidung

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