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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 29.11.2006
Aktenzeichen: 1 U 616/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 313a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 511
ZPO § 513
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
ZPO § 540 Abs. 2
Zu den Verkehrssicherungspflichten eines Hallenbadbetreibers hinsichtlich einer Wasserrutsche.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes URTEIL

1 U 616/05

Verkündet am 29.11.2006

In dem Rechtsstreit

wegen: Schadensersatz, Feststellung

hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Theis, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Kuhn-Krüger sowie die Richterin am Oberlandesgericht Fritsch-Scherer

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Die Berufung des Klägers gegen das am 29. September 2005 verkündete Urteil des Landgerichts in Saarbrücken - 3 O 414/04 - wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV.

Die durch diese Entscheidung begründete Beschwer des Klägers beträgt 6.000 Euro.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B.

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Dem Kläger stehen wegen seines in der Röhrenrutsche am 19.09.2004 erlittenen Unfalls Ansprüche auf Ausgleich materieller und immaterieller Schäden weder auf deliktrechtlicher Grundlage (§§ 823, 253 Abs. 2 BGB) noch aus dem Gesichtspunkt der vertraglichen Haftung (§§ 282, 278 BGB) zu.

Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte bei dem Betrieb der Wasserrutsche lässt sich selbst dann nicht feststellen, wenn zugunsten des Klägers unterstellt wird, dass er sich erst dann in die Rutsche begeben hat, als die Ampel für ihn "grün" zeigte. Auch bei Unterstellung eines derartigen Geschehensablaufes kann eine Haftung der Beklagten weder auf die generelle Gefährlichkeit einer solchen Anlage, der nicht durch ausreichende zumutbare Sicherheitsvorkehrungen entgegengewirkt wurde (I.), noch darauf gestützt werden, dass in der konkreten Situation die Anlage nicht ordnungsgemäß funktionierte oder die seitens der Beklagten getroffenen Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten wurden (II.).

I.

Die Beklagte war als Betreiberin des <Schwimmbadbezeichnung> unzweifelhaft verpflichtet, ihre Badegäste vor Gefahren zu schützen, denen diese beim Besuch des Hallenbades und bei der Benutzung der Einrichtung des Bades ausgesetzt sein können. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (ständige Rechtsprechung des BGH; BGHZ 121, 367; BGH VersR 1993, 586; BGH VersR 1997, 109; BGH VersR 2004, 657).

1. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Maßstäbe bestimmt sich auch das Maß der Verkehrssicherungspflicht für Schwimmbäder. Die Anlagen einer Badeanstalt müssen so beschaffen sein, dass die Benutzer vor vermeidbaren Gefahren bewahrt bleiben. Das bedeutet, dass die Badegäste vor den Gefahren zu schützen sind, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, von ihnen nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind. Dem Betreiber eines Schwimmbades obliegt neben seiner Verpflichtung zur Erfüllung der von den Besuchern abgeschlossenen Benutzungsverträge auch die deliktische (Garanten-)Pflicht, dafür zu sorgen, dass keiner der Besucher beim Badebetrieb durch solche Risiken zu schaden kommt (BGH VersR 2000, 984). Für den Umfang der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen ist zudem in Betracht zu ziehen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu verhalten; daher kann die Verkehrssicherungspflicht auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichen Verhalten umfassen (BGH VersR 1980, 863; BGH VersR 1962, 825; BGH VersR 2004, 657).

Der Betrieb einer Wasserrutsche bringt vielfältige Gefahren mit sich. Neben Stürzen aus nach oben offenen Röhrenrutschen (OLG München VersR 1974, 200) kommt es im Bereich der Wasserrutschen immer wieder dadurch zu Unfällen, dass Badegäste die Rutsche in falscher Körperlage benutzen (OLG Hamm VersR 1979, 643; OLG Karlsruhe VersR 1993, 709; OLG Saarbrücken VersR 1997, 377) oder aber in der Rutsche selbst oder am Rutschenauslauf mit anderen Benutzern zusammenstoßen. Ursächlich hierfür können unterschiedliche Rutschtechniken und die damit einhergehenden voneinander abweichenden Rutschgeschwindigkeiten sein. Begünstigt werden Kollisionen häufig aber auch durch einen zu geringen Abstand zum Vordermann zu Beginn des Rutschvorgangs.

2. Zur Feststellung von Inhalt und Umfang der die Beklagte bezüglich der Wasserrutsche treffenden Verkehrssicherungspflichten sind zunächst die maßgeblichen DIN-EN 1069/1: 2000-09; DIN-EN 1069-2: 2000-09 heranzuziehen. Auch wenn es sich bei DIN-Normen nicht um mit Drittwirkung versehenen Normen im Sinne hoheitlicher Rechtsetzung, sondern um auf freiwilliger Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des " DIN Deutschen Instituts für Normung e.V." handelt, so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet (vgl. BGHZ 103, 338; BGH VersR 1980, 380; BGH VersR 2004, 657). Die in Rede stehende Anlage entspricht den Anforderungen an die hier maßgeblichen DIN-Vorschriften. Die Beklagte hat die Prüfbescheinigung des TÜV Thüringen vom 28.08.2004 (Anlage B 2) vorgelegt, die bis zum 31.08.2005 Gültigkeit beansprucht. Die Beklagte hat darüber hinaus eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um ihrer besonderen Verkehrssicherungspflicht im Bereich der Wasserrutsche zu genügen. Die relativ einfache Benutzung der Wasserrutsche wird durch hinreichend klare, instruierende Piktogramme verdeutlicht. Daneben hat die Beklagte technische Vorkehrungen getroffen, die es den Schwimmmeistern ermöglichen, von ihrer Zentrale aus den Rutscheneinstieg mittels Videoüberwachung zu beobachten und die sich dort aufhaltenden Badegäste über Lautsprecher anzusprechen. Um einen zeitlichen und räumlichen Abstand zwischen den Benutzern der Rutsche zu gewährleisten, hat die Beklagte diese mit einer sensorgesteuerten Ampelanlage ausgestattet, die so angelegt ist, dass die Freigabe (bei ordnungsgemäßer Benutzung) jeweils dann erfolgt, wenn der Benutzer den Rutschenauslauf erreicht. Dabei wird zum einen dem Umstand Rechnung getragen, dass die am Rutscheneingang wartenden Benutzer den weiteren Verlauf der Röhre nicht einsehen können und deshalb für die Einhaltung eines ausreichenden Rutschabstands ohne Ampel auf eine bloße Schätzung der seit dem Einstieg des Vordermanns verstrichenen Zeit angewiesen wären. Zum anderen werden mit dieser Technik - im Unterschied zu zeitgesteuerten Signalanlagen - die für den Zeitpunkt der Freigabe der Rutsche bedeutsamen unterschiedlichen Rutschgeschwindigkeiten der Badegäste berücksichtigt. Diese vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen gewährleisten im Zusammenwirken ein hohes Maß an Verkehrssicherheit; sie können allerdings Unfälle durch Zusammenstöße nicht gänzlich verhindern. Wenn ein Badegast bei "rot" in die Rutsche einsteigt, wird nicht nur der erforderliche Sicherheitsabstand zu dessen Vordermann unterschritten, sondern gleichzeitig die Funktion der Signalwirkung aufgehoben, denn die Ampel schaltet schon in dem Moment auf "grün", in dem der Vordermann den Rutschenauslauf erreicht. Die Gefahr, dass es zu einem "Rotlichtverstoß" kommt, ist dabei nicht so fern liegend, dass der Verkehrssicherungspflichtige dies nicht in seine Überlegungen einzubeziehen hat; mit der Möglichkeit, dass irgendwann einmal ein Badegast das Signal der Ampel missachtet und zu früh in die Rutsche einsteigt, kann und muss der Verkehrssicherungspflichtige rechnen. Er muss daher im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Vorkehrungen dagegen treffen, dass ein Badegast bei "Rotlicht" in die Rutsche einsteigt und auf diese Weise sich und andere gefährdet.

Nach der Rechtsauffassung des Senates lassen sich indes keine weitergehenden Möglichkeiten feststellen, die geeignet und insbesondere zumutbar wären, der Gefahr einer Missachtung von Benutzerhinweisen, insbesondere der "Rotlichtphase" der Ampelanlage hinreichend zu begegnen. So kann die Installation einer mechanischen Sperre nicht als sachdienlich erachtet werden, da eine solche Einrichtung ihrerseits neue Unfallgefahren mit sich bringen würde (im Einzelnen BGH VersR 2004, 657). Die Gewährleistung einer ununterbrochenen, direkten Aufsicht am Rutscheneinstieg durch einen dort präsenten Bademeister ist nicht zumutbar. Eine lückenlose Aufsicht in Schwimmbädern ist nicht üblich und nach ständiger Rechtsprechung auch nicht erforderlich (BGH VersR 2004, 657 m.w.N.). Ein Unterlassen anderer denkbarer Sicherheitsvorkehrungen kann der Beklagten im Streitfall ebenfalls nicht zum Vorwurf gereichen. Insbesondere kann der Kläger sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Anlage deshalb nicht betriebssicher sei, weil diese dann - fehlerhaft - mit "grün" eine freie Passage anzeige, wenn sie zuvor von mehreren Personen regelwidrig benutzt wurde und von der ersten Person verlassen wurde. Die Berufung vermag keinen hinreichenden Sachvortrag dazu aufzuzeigen, dass eine solche Ampelschaltung mit "Gedächtnis" vor dem Unfall des Klägers, also im Jahre 2004 überhaupt zur Verfügung gestanden hätte, noch dazu, dass das Einrüsten der Signalanlage mit einer solchen "intelligenten" Technik der Beklagten überhaupt finanziell zumutbar gewesen wäre. Darüber hinaus würde es nach den zum Zeitpunkt der Schädigung bestehenden Verhältnissen - nach Auffassung des Senates - die Anforderungen an die Verkehrssicherheit einer solchen Wasserrutsche überspannen, den Einsatz einer technisch aufwendigen Einrichtung zu verlangen, die die einfahrenden Personen zählt, ihre Zahl später mit der Zahl der die Rutsche Verlassenden abgleicht und die Benutzung erst dann wieder durch Ampelzeichen freigibt, wenn alle Benutzer die Röhre wieder verlassen haben. Insoweit muss ausreichend sein, ein Höchstmaß an Sicherheit in den Fällen ordnungsgemäßer Benutzung zu gewährleisten und die zumutbaren Vorkehrungen gegen Gefahren, die aus einer Verletzung der Benutzerhinweise resultieren, zu treffen. Dies schließt nicht aus, dass im Wandel der technischen Möglichkeiten dem Betreiber einer solchen Wasserrutsche weitergehende Sicherheitsvorkehrungen aufzuerlegen sind.

II. Eine Haftung der Beklagten kann auch nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass die Ampelanlage in der konkreten Situation defekt war oder die seitens der Beklagten allgemein getroffenen Sicherheitsvorkehrungen im konkreten Fall nicht eingehalten wurden.

Der bloße Umstand, dass der Kläger bei der Benutzung der Rutsche verletzt wurde, lässt allein noch nicht den Rückschluss auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen zu; denn es bleibt die Möglichkeit offen, dass die nach Darlegung des Klägers in der Röhre befindlichen drei Mädchen sich nicht an die Benutzungsregeln gehalten haben oder der Kläger selbst dies nicht getan hat.

Der bloße Vortrag des Klägers, die Anlage sei zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens defekt gewesen und habe deshalb fehlerhaft für ihn "grün" gezeigt, reicht indes nicht aus, eine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten in hinreichender Weise darzutun. Denn diese hat - von dem Kläger nicht bestritten - vorgetragen, die Anlage werde regelmäßig kontrolliert und gewartet und sei insbesondere am Morgen des Unfalles überprüft worden, ohne dass ein Defekt erkennbar geworden sei. Darüber hinaus hat der Kläger seinerseits nicht dargetan, dass der von ihm behauptete Defekt solcher Art war, dass er schon längere Zeit vorgelegen haben muss und bei den zu fordernden Routinekontrollen schon vor dem Unfall hätte festgestellt werden können und müssen. Darüber hinaus könnte ein heute eingeholtes Sachverständigengutachten keinen Aufschluss darüber bringen, ob zum Zeitpunkt des Unfalls die Anlage defekt war. Der Vorwurf des Klägers, der Monitor der Videoanlage sei zum Zeitpunkt des Unfalles nicht überwacht worden, vermag eine Haftung der Beklagten ebenfalls nicht zu begründen. Es begegnet bereits erheblichen Zweifeln, von einer Monitorüberwachung eine in zeitlicher Hinsicht lückenlose und ausschließliche Kontrolle des Rutscheneinstiegs zu verlangen. Denn diese dient in erster Linie der groben Überwachung auf ins Auge springende Vorfälle und frühzeitige Erkennung von technischen Defekten der Ampelanlage. Hinzukommt, dass eine solche lückenlose "Rund-um" Kontrolle gerade dem Verlangen nach einem präsenten Bademeister an dem Rutscheneinstieg gleich käme, was weder üblich noch nach der Rechtsprechung gefordert wird (BGH a.a.O.). Unabhängig davon wäre bei lebensnaher Betrachtung ein eventueller Pflichtenverstoß der Beklagten - unterstellt, der Monitor wäre entsprechend dem Sachvortrag des Klägers tatsächlich nicht besetzt gewesen - für das Entstehen des Unfalles nicht kausal gewesen bzw. hätte der Unfall auch durch eine Überwachung des Monitors nicht hätte verhindert werden können. Zum einen kann auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass eine am Monitor sitzende Person die drei in der Röhre befindlichen Mädchen hätte sehen können und daher den Kläger noch rechtzeitig vor dem Einstieg in die Rutsche hätte warnen können. Zum anderen hätte für einen Schwimmmeister in dem Fall, dass die Ampel für den Kläger "grün" gezeigt hätte, kein Grund zum Eingreifen bestanden. Ließ sich der Kläger regelwidrig bereits bei "rot" in die Röhre gleiten, so war auch dies ein Vorgang, der durch eine sorgfältige Überwachungsperson nicht mehr hätte verhindert werden können.

Nach alledem erweist sich die Berufung des Klägers als unbegründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die jenige zur Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Ausspruch zur Beschwer erfolgt im Hinblick auf § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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