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Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 09.12.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 101/05
Rechtsgebiete: StPO, AO, StrEG, StGB, EStG
Vorschriften:
StPO § 116 | |
StPO § 210 Abs. 2 | |
StPO § 467 Abs. 3 Nr. 2 | |
AO § 370 | |
AO § 370a n.F. | |
AO § 371 | |
StrEG § 2 Abs. 1 | |
StrEG § 2 Abs. 2 Nr. 2 | |
StrEG § 2 Abs. 2 Nr. 3 | |
StrEG § 5 Abs. 2 | |
StrEG § 6 Abs. 1 Nr. 2 | |
StrEG § 8 Abs. 3 | |
StGB § 46 | |
StGB § 53 | |
StGB § 263 Abs. 2 Nr. 2 | |
StGB § 264 Abs. 2 Nr. 1 | |
EStG § 41a Abs. 1 |
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS
1 Ws 101/05 1 Ws 102/05 1 Ws 103/05
Strafsache
gegen
1. ... geboren am ... Oktober 1951 in .... wohnhaft ...
2. ... geb. ... geboren am ... Februar 1955 in ... wohnhaft
3. ... geboren am ... November 1944 in ... wohnhaft.
wegen Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung pp.
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 18. Mai 2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken - 8. Strafkammer - vom 10. Mai 2005 hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 9. Dezember 2005 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Burmeister die Richterin am Landgericht Witsch
nach Anhörung der Verteidiger der Angeklagten
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der darin entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Landeskasse.
Gründe:
I
Mit ihrer Anklage vom 25. November 2004 legt die Staatsanwaltschaft Saarbrücken den Angeschuldigten O und S gewerbsmäßige Steuerhinterziehung in acht Fällen und dem Angeschuldigten J Beihilfe hierzu zur Last.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und zugleich bestimmt, dass der Angeschuldigte O für die vom 27. August 2002 bis zum 2. September 2002 erlittene Untersuchungshaft und die Angeschuldigten O und S für die am 27. August 2002 erlittene vorläufige Festnahme sowie die gem. § 116 StPO angeordneten Auflagen (O für die Zeit vom 2. September 2002 bis zum 20.August 2003, S für die Zeit vom 27. August 2002 bis zum 20. August 2003) zu entschädigen sind.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Sie rügt, das Landgericht habe den Begriff des "großen Ausmaßes" in § 370a AO n.F. verkannt und sie vertritt ferner die Auffassung, das Landgericht habe eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. I Nr. 2 StrEG versagen müssen.
II
Das Rechtsmittel ist gem. §§210 Abs. II StPO, 8 Abs. III StrEG zulässig, bleibt allerdings erfolglos.
Auszugehen ist von dem unstreitigen Sachverhalt der Anklage, den auch das Landgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt- hat und auf den der Senat - zur Vermeidung von Wiederholungen - Bezug nimmt.
Danach hat das Landgericht es zu Recht abgelehnt, die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen. Insoweit kann sich der Senat aufgrund eigener Überprüfung den zutreffenden Ausführung in der angefochtenen Entscheidung anschließen.
Ergänzend ist im Hinblick auf die Beschwerdebegründung nur auf folgendes hinzuweisen:
1. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft scheitert die Anwendung des § 370a AO n.F. (unabhängig von den gegen die Vorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken - vgl. BGH NStZ-RR 05,53 -) jedenfalls daran, dass keine Steuervorteile "in großem Ausmaß" in Rede stehen. Bei einer Summe von weniger als 50.000.- Euro ist dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt. Dies entspricht dem Betrag, den der Bundesgerichtshof (BGHSt. 48,360) als die Regelgrenze für die Merkmale des "großen Ausmaßes" in §§ 263 Abs. II Nr. 2,264 Abs. II Nr. 1 StGB angesetzt hat.
Bei dieser Beurteilung hat zunächst außer Betracht zu bleiben, dass die Staatsanwaltschaft im wesentlichen Ergebnis ihrer Anklageschrift (S. 7 unten) auch noch einen Schadensbetrag von 173.603 Euro für den Monat November 2001 erwähnt. Dieser Tatzeitraum ist jedoch von der Anklage nicht erfasst. Nach § 41a Abs. I EStG hat der Arbeitgeber bis spätestens am 10. Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldezeitraumes (= des vorangegangenen Kalendermonats - § 41a Abs. II EStG -) die maßgebliche Steuerklärung abzugeben. Mit der unrichtigen Abgabe der geforderten Erklärung zu diesem Zeitpunkt ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung objektiv erfüllt. Soweit es um den Anmeldezeitraum November 2001 geht, war die Tat daher spätestens am 10. Dezember 2001 begangen. Zu diesem Zeitpunkt war § 370a AO a.F. noch nicht in Kraft. Eine Strafbarkeit nach § 370 AO war aber wegen der Selbstanzeige, die auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Anforderungen des § 371 AO entspricht, entfallen. Folgerichtig ist der Zeitraum November 2001 nicht Gegenstand der Anklage, was sich aus dem (eindeutig auf Anmeldezeiträume bezogenen) Anklagesatz auch ergibt. Darauf, welche rechtliche Bedeutung der Rumpfanmeldung von Januar 2002 zukommt, kommt es deshalb nicht an.
Der für die Erfüllung des Merkmals "in großem Ausmaß" maßgebende Betrag von 50.000-- Euro ist vorliegend in keinem der Fälle auch nur annähernd erreicht. Bei der Berechnung kommt es insoweit nicht etwa auf die Gesamtsumme der Steuervorteile an, die erzielt wurden, sondern auf die Einzeltaten. Nach der Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ-RR 05,53) ist bei mehreren Steuerstraftaten durch Unterlassen grundsätzlich im Hinblick auf jede Steuerart, jeden Besteuerungszeitraum und jeden Steuerpflichtigen von selbständigen Taten im Sinne des § 53 StGB auszugehen. Allein ein einheitlicher Tatentschluss, seinen steuerrechtlichen Pflichten für mehrere Steuerarten und mehrere Besteuerungszeiträume künftig nicht nachzukommen, begründet noch keine Tateinheit zwischen den einzelnen Steuerhinterziehungen durch Unterlassen. Für unrichtige Steueranmeldungen kann nichts anderes gelten.
Für den Fall einer gemeinsamen Aburteilung aller Fälle bedeutet dies hinsichtlich der Rechtsfolgen, dass zunächst die Einzelstrafen für die verschiedenen Taten nach den Grundsätzen des § 46 StGB festzusetzen sind; alle Strafschärfungs- und -milderungsgründe, die unmittelbar den Unrechts- und Schuldgehalt der Einzeltat betreffen, sind bei den Einzelstrafen für die Taten zu berücksichtigen, bei denen sie in Betracht kommen. Jede Einzeltat ist dabei zunächst grundsätzlich für sich zu bewerten ohne Rücksicht auf die anderen Taten (vgl. LK-Rissing-van-Saan, 11. Aufl., § 54 Rn. 11). Ob also vorliegend der Strafrahmen des § 370a AO n.F. eröffnet war, ist nur im Hinblick auf die jeweiligen Einzeltaten zu beurteilen (vgl. BGHSt. 48,360; BGH NStZ-RR 05,53). Die Gesamtschadenssumme kann jedoch bei der Bewertung des Gesamtgewichts der Einzeltaten im Rahmen der Gesamtstrafenbildung u.U. von Bedeutung sein.
2. Auch hinsichtlich des Ausspruches über die Entschädigungspflicht ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.
Die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch der Angeschuldigten O und S gem. § 2 Abs. I, Abs. II Nr. 2 und 3 StrEG liegen vor. Der Anspruch ist nicht durch § 5 Abs. II StrEG ausgeschlossen, da keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Angeschuldigten die sie betreffenden Verfolgungsmaßnahmen vorsätzlich oder grob fahrlässig heerbeigeführt haben.
Eine Entschädigung kann auch nicht aus Billigkeitsgründen in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. I Nr. 2 StrEG, wonach eine Entschädigung u.a. versagt werden kann, wenn ein Beschuldigter nur deshalb nicht verurteilt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt worden ist, weil ein Verfahrenshindernis bestand, abgelehnt werden. Ob die Vorschrift auf Sachverhalte, die faktisch die gleichen oder ähnliche Auswirkungen auf die Beendigung des Verfahrens haben, entsprechend anwendbar ist, ist in Rechtsprechung und in Literatur umstritten (bejahend Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 6 StrEG Rn. 7; grundsätzlich verneinend Meyer, Strafrechtsentschädigung, § 6 Anm. 34; zu Einzelfällen aus der Rspr. vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1981,228; OLG Stuttgart NJW 1977,641; KG JR 1977,334). Im vorliegenden Fall ist die entsprechende Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen. Denn das Wesen eines Verfahrenshindernisses besteht darin, dass eine Bedingung für den Erlass eines Strafurteils fehlt. § 6 Abs. I Nr. 2 StrEG setzt deshalb voraus, dass eine Verurteilung nur aus den dort genannten Gründen unterbleibt. Eine rechtsähnliche Verfahrenssituation besteht vorliegend nicht. Sie entspricht vielmehr derjenigen in § 467 Abs. III Nr. 2 StPO. Dort kann bei Verfahrenseinstellung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung von einer Auslagenerstattung - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 1992,1612) - abgesehen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht fortbesteht (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 467 Rn. 16 m. w. N.). Hier indes ist gerade die Verurteilungswahrscheinlichkeit entfallen, weil das Landgericht eine von der Auffassung der Staatsanwaltschaft abweichende rechtliche Beurteilung vorgenommen hat (zum ähnlichen Fall des Wechsels bei der Auslegung bestimmter Tatbestandsmerkmale durch die obergerichtliche Rechtsprechung vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1990,39).
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. I StPO zu verwerfen.
Ende der Entscheidung
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